Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfall. Alkoholeinfluß. keine sogenannte 1,3 Promille-Grenze für fahrtechnische Vorgänge außerhalb des öffentlichen Straßenverkehrs
Orientierungssatz
1. Unternehmensfremder Alkoholgenuß schließt den Unfallversicherungsschutz aus, wenn der Versicherte derart betrunken ist, daß er zu keiner dem Unternehmen förderlichen Arbeit fähig ist (vgl BSG 1977-11-25 2 RU 55/77 = BSGE 45, 176). Führt der Alkoholgenuß nur zu einem Leistungsabfall, besteht bei einem Unfall kein Versicherungsschutz, wenn es an dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall fehlt, weil der alkoholbedingte Leistungsabfall die rechtlich allein wesentliche Bedingung des Unfalls ist (vgl BSG 1977-01-20 8 RU 52/76 = BSGE 43, 110).
2. Für die Annahme alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit gelten zwar auf den allgemeinen Straßenverkehr abgestellte, wissenschaftlich gesicherte Grenzwerte, außerhalb des Straßenverkehrs sind dagegen allgemeingültige Grenzwerte der Blutalkoholkonzentration nicht anzuwenden.
Normenkette
RVO § 548 Abs 1 S 1 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 21.05.1980; Aktenzeichen L 2 Ua 921/78) |
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 29.03.1978; Aktenzeichen S 13 U 1531/76) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Tod des Ehemannes der Klägerin, H F B (B.) am 11. November 1975 durch einen Arbeitsunfall herbeigeführt wurde, oder ob ein alkoholbedingter Leistungsabfall die rechtlich allein wesentliche Ursache für den Unfall war.
B., der bis zur Einziehung seines Führerscheins wegen Alkoholgenusses im Oktober 1975 für seine Arbeitgeberin als Lkw-Fahrer gearbeitet hatte, wurde anschließend auf dem Werksgelände als Führer eines Schaufelladers (Radladers) eingearbeitet und eingesetzt. Am Unfalltage hatte er Kies einzuebnen, welcher von Lkws an einem festgefahrenen Weg der Zentraldeponie abgekippt wurde. Dabei stürzte er gegen 14.10 Uhr die auf der anderen Seite des Weges befindliche 6 m tiefe Böschung rücklings hinab. Er war sofort tot. Die gaschromatographische Untersuchung ergab eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,86 Promille.
Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen an die Hinterbliebenen des B. ab (Bescheid vom 28. Januar 1976, Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 1976), weil B. im Unfallzeitpunkt alkoholbedingt fahruntüchtig und die Fahruntüchtigkeit die allein wesentliche Ursache für den Unfall gewesen sei.
Das Sozialgericht (SG) hat die gegen diese Bescheide gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 29. März 1978). B. sei absolut fahruntüchtig gewesen, da die 1,3-Promille-Grenze auch für fahrtechnische Vorgänge außerhalb des öffentlichen Straßenverkehrs gelte. Ein fahrtüchtiger Radladerfahrer hätte nicht mit dem Rücken zur Böschung planiert; die Unerfahrenheit des B. im Umgang mit dem Fahrzeug sei nicht erheblich. Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil sowie die Bescheide der Beklagten geändert und die Beklagte zur Gewährung von Hinterbliebenenrente an die Klägerin verurteilt (Urteil vom 21. Mai 1980). Der Grenzwert von 1,3 Promille, von dem an ein Kraftfahrer im allgemeinen Straßenverkehr absolut fahruntüchtig sei, sei bei Fahrten außerhalb des allgemeinen Straßenverkehrs nicht maßgebend, weil es an entsprechenden wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen fehle. Ein alkoholbedingter Leistungsabfall habe bei B. nicht festgestellt werden können; er habe den Radlader auch unabhängig vom Alkoholgenuß noch hinreichend sicher fahren können; die Gefährlichkeit des Planierens mit dem Rücken gegen die Böschung habe B. vermutlich nicht höher eingeschätzt als das andernfalls notwendige Fahren gegen eine erhebliche Höhendifferenz. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Wegen des alkoholbedingten Leistungsabfalles bei B. sei jederzeit mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen gewesen, daß er die mit der Beschäftigung verbundene Leistung nicht mehr werde erbringen können. Das Planieren gegen die der allgemeinen Anweisung entsprechende Richtung habe auf einer alkoholabhängigen Überschätzung seiner Leistungsfähigkeit beruht. Der Leistungsabfall sei die rechtlich allein wesentliche Ursache für den Unfall und Tod des B. gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg
vom 21. Mai 1980 aufzuheben und die Berufung der
Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg
vom 29. März 1978 zurückzuweisen,
hilfsweise die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Gründe des Urteils des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Hinterbliebenenrente, weil B. infolge eines Arbeitsunfalls gestorben ist (§§ 589, 548 der Reichsversicherungsordnung -RVO-). Im Unfallzeitpunkt stand B. - bei einer BAK von mindestens 1,86 Promille - unter Alkoholeinwirkung. Alkoholgenuß schließt einen Arbeitsunfall aus, wenn es an dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis fehlt. Dies ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei - wie hier - unternehmensfremdem Alkoholgenuß immer der Fall, wenn der Versicherte derart betrunken ist, daß er zu keiner dem Unternehmen förderlichen Arbeit fähig ist (s. ua BSGE 45, 176, 178; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Aufl, S 483 w und Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 548 Anm 70 - jeweils mit weiteren Nachweisen). Nach den Feststellungen des LSG war B. jedoch trotz einer erheblichen Einschränkung seines Reaktionsvermögens noch in der Lage, bei den ihm obliegenden Verrichtungen eine ernstliche Arbeit zu leisten; seine Fähigkeit zu einer dem Unternehmen förderlichen Arbeit war somit nicht aufgehoben. Führt der Alkoholgenuß nur zu einem Leistungsabfall, besteht bei einem Unfall kein Versicherungsschutz, wenn es an dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall fehlt, weil der alkoholbedingte Leistungsabfall die rechtlich allein wesentliche Bedingung des Unfalls ist (BSGE 12, 242 ff; 13, 9, 11; 35, 216, 217; 38, 127, 128; 43, 110, 111; Brackmann aaO, S. 484, 487 f; Lauterbach aaO). Da nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall nur ausgeschlossen ist, wenn der alkoholbedingte Leistungsabfall die allein wesentliche Bedingung des Unfalls ist, werden grundsätzlich nicht jede durch den Alkohol herbeigeführte Minderung der Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit und jedes damit verbundene Absinken der Leistungsfähigkeit und der Arbeitsqualität als ein Leistungsabfall zu werten sein (BSGE 45, 176, 178). Dies entspräche nicht der in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsnorm, nach der ein Arbeitsunfall auch anzunehmen ist, wenn die versicherte Tätigkeit nur eine von mehreren wesentlichen Bedingungen bildet.
Den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist jedoch nicht zu entnehmen, daß bei B. ein alkoholbedingter Leistungsabfall vorgelegen hat und dieser die allein wesentliche Bedingung des Unfalls gewesen ist. Das LSG hat, gestützt auf die Rechtsprechung des Senats (s. BSG Urteil vom 31. Mai 1978 - 2 RU 67/76 -; s. auch schon BSGE 45, 176, 178), es nicht als entscheidend angesehen, daß B. bei der festgestellten BAK fahruntüchtig dh nicht in der Lage war, ein Kraftfahrzeug im Verkehr sicher zu führen. Hierfür gelten zwar auf den allgemeinen Straßenverkehr abgestellte, wissenschaftlich gesicherte Grenzwerte. Außerhalb des Straßenverkehrs gibt es dagegen nach der Rechtsprechung des Senats so verschiedenartige Tätigkeiten mit unterschiedlichen Anforderungen an die Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit, Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit eines Versicherten, daß schon aus diesem Grunde allgemeingültige Grenzwerte der BAK nicht anzuwenden sind. (a A Behn BG 1979, 280; SGb 1979, 455). Das LSG hat festgestellt, daß der von B. im Unfallzeitpunkt gefahrene Radlader ein völlig anders geartetes Fahrgefühl vermittelte als andere Kraftfahrzeuge, weil die Lenkung sich hinten befand. Es ist ferner davon ausgegangen, daß B. dieses Fahrzeug auch wegen seiner erst kurzen Fahrpraxis noch nicht hinreichend sicher fahren konnte; schon hierdurch werde die unfallbringende Fehleinschätzung bezüglich des Abstands zu der rückwärtigen Böschung erklärt. Über diese bedeutende Unfallursache hinaus hat das LSG ferner festgestellt, daß Lage und Höhe des einzuebnenden Kieshaufens die von B. verrichtete Arbeit gefährlich werden ließen. Zwar werde dabei allgemein weder seitwärts noch rückwärts zum Abhang gearbeitet; jedoch sei die Höhendifferenz zwischen dem - immer wieder aufgefüllten - Kieshaufen und der Straße bei vorwärts gerichteter Arbeitsweise zumindest subjektiv eine ebenso gefahrbringende Tätigkeit gewesen. Da ein etwaiger Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften oder sonstige Anweisungen oder Gewohnheiten hier unbeachtlich bleiben muß (§ 548 Abs 3 RVO), es also auf ein Verschulden des B. nicht ankommt, ergibt sich aus dem Urteil des LSG, daß neben einer etwa vorhandenen Fahruntüchtigkeit des B. sonstige betriebsbezogene Umstände gegeben waren, die den tödlichen Unfall des B. wesentlich mitverursacht haben. Demzufolge ist den tatsächlichen Feststellungen in dem Urteil des LSG zu entnehmen, daß ein - angenommener - alkoholbedingter Leistungsabfall nicht die rechtlich allein wesentliche Ursache für den tödlichen Unfall des B. war. Er hat vielmehr einen Arbeitsunfall erlitten, an dessen Folgen er verstorben ist.
Die Revision entwickelt demgegenüber ihre Gedanken an den tatsächlichen Feststellungen in dem Urteil des LSG vorbei, ohne gegen sie zulässige und begründete Revisionsgründe vorzubringen (§ 163 SGG). Die Beklagte beachtet weder die bindenden Feststellungen, daß bei B. kein völliger Leistungsausfall vorhanden war, noch daß B. unter den bereits oben dargelegten Gefährdungen seine Arbeit erledigte. Der Senat brauchte daher auf das Vorbringen der Beklagten im übrigen nicht näher einzugehen.
Die Revision der Beklagten war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen