Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtswirkung des Anspruchsübergangs. Notwendige Beiladung des Sozialhilfeträgers bzw Hilfeempfängers
Orientierungssatz
1. Der Übergang eines Anspruchs des Sozialhilfeempfängers auf den Träger der Sozialhilfe erstreckt sich bei Unterhaltsansprüchen und ähnlichen künftig entstehenden Ansprüchen nicht auf das "Stammrecht"; dieses verbleibt dem Hilfebedürftigen, so daß der Drittschuldner nicht gehindert ist, seinen Verpflichtungen in Zukunft unmittelbar gegenüber dem Hilfebedürftigen nachzukommen und insoweit die Sozialhilfe entbehrlich machen kann (vgl BSG 1981-07-21 7 RAr 26/80 = SozR 1500 § 75 Nr 37).
2. Ist der Träger der Sozialhilfe an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, daß nach dem sachlich-rechtlichen Inhalt des Begehrens des Klägers eine Entscheidung des Rechtsstreits möglich ist, die auch dem Träger der Sozialhilfe gegenüber nur einheitlich ergehen kann (hier: Überleitung des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe), muß dieser zu dem Rechtsstreit beigeladen werden (vgl BSG 1981-07-21 7 RAr 26/80 = SozR 1500 § 75 Nr 37), wie umgekehrt der Hilfeempfänger, dem trotz der Überleitung das "Stammrecht" verblieben ist, zu dem Rechtsstreit des Sozialhilfeträgers beizuladen ist, in dem dieser den übergeleiteten Anspruch vor dem SG geltend macht (vgl BSG 1981-05-13 7 RAr 102/79 = SozR 1500 § 75 Nr 34).
Normenkette
SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03; BSHG § 90 Abs 1 S 1; AFG § 134; BSHG § 90 Abs 2
Verfahrensgang
LSG Bremen (Entscheidung vom 11.09.1980; Aktenzeichen L 5 Ar 5/80) |
SG Bremen (Entscheidung vom 20.11.1979; Aktenzeichen S 9 Ar 109/79) |
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi).
Der 1924 geborene Kläger war von 1951 bis 1954 selbständiger Schrotthändler und verrichtete in der Folgezeit mit Unterbrechungen verschiedene Tätigkeiten. In der Zeit vom 2. August 1965 bis 13. Januar 1967 mußte er sich wegen einer Lungen-Tuberkulose (Tbc) einer stationären Behandlung in der Lungenfachklinik H unterziehen. Anschließend begab er sich bis zum 29. März 1971 in ambulante lungenfachärztliche Behandlung. Bis zu diesem Zeitpunkt bezog er durch das Sozialamt B Tbc-Hilfe.
Durch Bescheid vom 12. August 1971 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alhi ab 16. April 1971. Durch Bescheid vom 15. Dezember 1978 hob die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 12. August 1971 mit Wirkung vom 10. November 1978 mit der Begründung auf, daß die dem Kläger seinerzeit gewährte Tbc-Hilfe infolge einer eingetretenen Rechtsänderung nicht mehr den Anspruch auf Alhi begründe. Der Widerspruch hiergegen blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27. April 1979).
Durch Urteil vom 20. November 1978 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen. Der Kläger hat hiergegen am 12. Februar 1980 Berufung eingelegt. Mit Schreiben vom 12. Juni 1980 teilte das Sozialamt der Stadt B dem Arbeitsamt B mit, daß es dem Kläger seit dem 13. Dezember 1978 laufend Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) gewährt habe, und daß es diesen Anspruch gemäß § 90 BSHG auf sich überleite.
Durch Urteil vom 11. September 1980 hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG vom 20. November 1979 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 1978 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 1979 aufgehoben, die Beklagte zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits verurteilt und die Revision zugelassen. Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, die frühere Alhi-Bewilligung gemäß § 151 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) aufzuheben. Dem Kläger habe aufgrund seines Antrages vom 16. April 1971 Alhi gemäß § 145 Abs 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) iVm § 5 der Fünften Durchführungsverordnung zum Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (5. DVO-AVAVG) zugestanden. Die dem Kläger gewährte Tbc-Hilfe sei insoweit an die Stelle der fehlenden entlohnten Beschäftigung von 26 Wochen iS von § 145 Abs 3 AVAVG getreten. Seit dem 1. September 1974 richte sich der Anspruch des Klägers auf Alhi nicht mehr nach den Vorschriften der 5. DVO-AVAVG, sondern nach § 134 AFG iVm den Bestimmungen der an diesem Tage in Kraft getretenen Arbeitslosenhilfe-Verordnung (Alhi-VO). Nach § 3 Satz 1 Nr 3 Alhi-VO sei eine vorherige entlohnte Beschäftigung zur Begründung eines Anspruchs auf Alhi nicht erforderlich, wenn der Arbeitslose innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung für mindestens 26 Wochen oder 6 Monate wegen einer medizinischen Maßnahme der Rehabilitation Leistungen eines öffentlich-rechtlichen Rehabilitationsträgers bezogen habe und solche Leistungen nicht mehr beziehe, weil die Maßnahme abgeschlossen sei. Diese Voraussetzungen lägen beim Kläger vor. Die Tbc-Hilfe sei als eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme anzusehen, der sie gewährende Sozialhilfeträger als ein Rehabilitationsträger iS von § 3 Satz 1 Nr 3 Alhi-VO. Dies ergebe sich sowohl aus dem Sinn der Vorschrift als auch aus ihrer historischen Entwicklung. Infolgedessen habe dem Kläger auch nach Inkrafttreten der Alhi-VO die ihm schon früher bewilligte Alhi weiterhin zugestanden.
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision eine Verletzung von § 3 Satz 1 Nr 3 Alhi-VO durch das LSG. Zur Begründung führt sie im einzelnen aus, daß mit dem Begriff "öffentlich-rechtliche Rehabilitationsträger" in § 3 Satz 1 Nr 3 Alhi-VO nicht Sozialhilfeträger gemeint sein könnten. Im übrigen sei aus der Rechtsentwicklung erkennbar, daß der Verordnungsgeber den in § 5 Abs 2 der 5. DVO-AVAVG geregelten Sachverhalt nicht mehr als einen Ersatztatbestand zur Begründung eines Anspruchs auf Alhi in die Alhi-VO habe aufnehmen wollen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom
11. September 1980 aufzuheben und die Berufung
des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts
Bremen vom 20. November 1979 zurückzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten, hat jedoch ebenso wie die Beklagte sein Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG, ohne daß der Senat zur Sachentscheidung des Berufungsgerichts Stellung zu nehmen vermag.
Bei einer zugelassenen Revision sind, bevor sachlich-rechtlich über den streitigen Anspruch entschieden werden kann, die Voraussetzungen zu prüfen, von denen die Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt. Die Beklagte hat mit der Revision zwar keinen Verfahrensmangel gerügt, das Revisionsgericht hat jedoch solche Mängel, die zur Unwirksamkeit des Urteils führen, von Amts wegen zu berücksichtigen. Zu diesen von Amts wegen zu berücksichtigenden Mängeln zählt die Unterlassung einer notwendigen Beiladung (seit BSG SozR 1500 § 75 Nr 1 ständige Rechtsprechung; Bundesverwaltungsgericht -BVerwG- Buchholz 310 § 65 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO- Nr 31). Dem LSG ist entgangen, daß an dem Rechtsstreit ein Sozialhilfeträger derart beteiligt ist, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann und der Sozialhilfeträger deshalb gemäß § 75 Abs 2 SGG insoweit notwendig zum Rechtsstreit beizuladen ist. Die Alhi wurde durch den angefochtenen Verwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 1979 (§ 95 SGG) rückwirkend ab 10. November 1978 aufgehoben. Das Sozialamt der Stadt B hat dem Kläger ab 13. Dezember 1978 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG geleistet, dies dem Arbeitsamt angezeigt und insoweit einen Anspruchsübergang gemäß § 90 BSHG geltend gemacht (Schreiben vom 12. Juni 1980).
Mit der schriftlichen Anzeige an den Drittschuldner bewirkt der Träger der Sozialhilfe, daß ein Anspruch des Hilfeempfängers bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn für die Zeit übergeht, für die dem Hilfeempfänger die Hilfe ohne Unterbrechung gewährt wird (§ 90 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 BSHG). Der Übergang erstreckt sich bei Unterhaltsansprüchen und ähnlichen künftig entstehenden Ansprüchen nicht auf das "Stammrecht"; dieses verbleibt vielmehr dem Hilfebedürftigen, so daß der Drittschuldner nicht gehindert ist, seinen Verpflichtungen in Zukunft unmittelbar gegenüber dem Hilfebedürftigen nachzukommen und insoweit die Sozialhilfe entbehrlich machen kann (BVerwGE 29, 229, 231; 34, 219, 225; 42, 198, 200; 50, 64, 66; Urteile des Senats vom 13. Mai 1981 - 7 RAr 102/79 -, vom 21. Juli 1981 - 7 RAr 26/80 - und vom 25. August 1981 - 7 RAr 73/80 -). Die schriftliche Anzeige ist ein Verwaltungsakt, der mit unmittelbarer Rechtswirkung zum Anspruchsübergang führt, sofern er nichtig ist (BVerwG Buchholz 454.71 § 3 II. WoGG Nr 1). Die Überleitung sagt nichts über Bestand, Höhe und Inhalt des übergeleiteten Anspruchs aus, sondern bewirkt lediglich den Gläubigerwechsel; der Anspruch wird durch die Überleitung nicht verändert, dem Schuldner verbleiben alle Rechtseinwendungen auch gegenüber dem Sozialhilfeträger, wie sie ihm gegenüber dem eigentlichen Anspruchsinhaber zustanden. Der Sozialhilfeträger kann den übergeleiteten Anspruch nur in dem Maße und unter denselben Voraussetzungen geltend machen wie der Hilfeempfänger (BVerwGE 34, 219; BSGE 41, 237, 238 = SozR 5910 § 90 Nr 2). Die Befugnis der Beklagten, Ansprüche auf Leistungen nach dem AFG durch Verwaltungsakt zu regeln, wird daher durch die Überleitung eines solchen Anspruchs nicht beeinträchtigt (BSG aaO); hinsichtlich des übergeleiteten Anspruchs kommt dem Sozialhilfeträger nur die Stellung zu, die auch dem Hilfeempfänger gegenüber seinem Schuldner zusteht (BSG aaO; SozR Nr 36 zu § 148 SGG; vgl ferner SozR Nr 18, 19, 20 und 27 zu § 146 SGG). Die Überleitungsanzeige wirkt zunächst für die Vergangenheit, kann aber auch Wirkungen für die Zukunft auslösen (vgl Knopp/Fichtner, Komm 2. BSHG, 4. Aufl, RdNrn 45 ff zu § 90).
Die im vorliegenden Falle von der Beklagten ausgesprochene Aufhebung der bisherigen Alhi-Bewilligung wirkt sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft; denn sie ist mit dem Verlust der erworbenen Anwartschaft auf Alhi verbunden solange nicht eine neue Anwartschaft erworben wird. Sie betrifft mithin den Alhi-Anspruch auch insoweit, als ihn der Träger der Sozialhilfe auf sich übergeleitet hat; die Aufhebung der Alhi-Bewilligung sollte der Weitergewährung der Alhi, dh auch zukünftigen Leistungen den Boden entziehen. Sie erfaßt somit auch den Zeitraum, für den der Sozialhilfeträger, nämlich ab 13. Dezember 1978, mit Hilfeleistungen eintrat; deren Gewährung wurde gerade durch die Verweigerung weiterer Alhi-Leistungen ausgelöst. Damit greift jegliche gerichtliche Entscheidung über die hier streitige Anfechtung des Aufhebungsbescheides vom 15. Dezember 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 1979 in der Rechtssphäre des Trägers der Sozialhilfe unmittelbar ein. Ist der Träger der Sozialhilfe mithin an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, daß nach dem sachlich-rechtlichen Inhalt des Begehrens des Klägers eine Entscheidung des Rechtsstreits möglich ist, die auch dem Träger der Sozialhilfe gegenüber nur einheitlich ergehen kann, muß dieser zu dem Rechtsstreit beigeladen werden (vgl Urteil des Senats vom 21. Juli 1981 - 7 RAr 26/80 -), wie umgekehrt der Hilfeempfänger, dem trotz der Überleitung das "Stammrecht" verblieben ist, zu dem Rechtsstreit des Sozialhilfeträgers beizuladen ist, in dem dieser den übergeleiteten Anspruch vor dem SG geltend macht (vgl Urteil des Senats vom 13. Mai 1981 - 7 RAr 102/79 -). Die stattgefundene Überleitung mußte jedenfalls das LSG beachten; denn sie erfolgte im Juni 1980, das Urteil des LSG erging am 11. September 1980. Es hatte die Tatsache der Gewährung von Sozialhilfe selbst festgestellt und den Inhalt der Sozialhilfeakten über den Kläger, in denen sich die Überleitungsanzeige vom 12. Juni 1980 findet, zum Gegenstand seines Verfahrens gemacht.
Da Beiladungen im Revisionsverfahren in Angelegenheiten der Alhi unzulässig sind (§ 168 SGG), führt der Verfahrensmangel ohne weiteres zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG, ohne daß der Senat zur Sachentscheidung des Berufungsgerichtes Stellung zu nehmen vermag (ständige Rechtsprechung seit BSG vom 12. März 1974 - 2 S 1/74 = SozR 1500 § 75 Nr 1; vgl BSG SozR 1500 § 75 Nrn 4, 7, 8, 10, 12, 13, 15, 20, 21, 29).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen