Leitsatz (amtlich)
1. Den in § 36 Abs 1 S 1 Nr 4 AVG (= § 1259 Abs 1 S 1 Nr 4 RVO) aufgezählten Ausbildungen können Zeiten zwischen den Ausbildungen nur dann gleichbehandelt werden, wenn die Zwischenzeiten nicht nur im Einzelfall sondern generell unvermeidbar sind und in ihrer Dauer den üblichen Schul- und Semesterferien entsprechen.
2. Der Beginn der nächsten Lehrveranstaltung ist auch dann maßgebend, wenn der Versicherte wegen eines Mangels an Ausbildungsplätzen erst zu einer späteren Lehrveranstaltung zugelassen wird.
Normenkette
AVG § 36 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b Fassung: 1965-06-09; RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b Fassung: 1965-06-09
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 11.08.1982; Aktenzeichen III ANBf 62/81) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 30.10.1981; Aktenzeichen 8 AN 285/81) |
Tatbestand
Streitig ist die Vormerkung einer Zeit zwischen Reifeprüfung und Studium als Ausfallzeit.
Der 1924 geborene Kläger hat nach Unterbrechung seines Schulbesuchs durch Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft bis Mai 1947 am 16. März 1948 das Abitur bestanden. Nach seinen Angaben bewarb er sich bei einer Vielzahl deutscher Hochschulen um Zulassung zum Studium; da das Zulassungsverfahren wegen des damals bestehenden numerus clausus längere Zeit in Anspruch genommen habe, sei die Antragsfrist für das Sommersemester bereits abgelaufen und seine Zulassung erst zum Wintersemester am 10. Dezember 1948 möglich gewesen. In der Zwischenzeit bis zur Aufnahme des Studiums betätigte sich der Kläger in der Praxis eines Rechtsanwalts (vom 10. April bis zum 3. Juni 1948). Die Beklagte hat im "Versicherungsverlauf" 42 Monate Schulbesuch und 60 Monate Hochschulbesuch als Ausfallzeit anerkannt.
Sein Begehren, auch die Zwischenzeit (vom 17. März bis zum 9. Dezember 1948) als Ausbildungsausfallzeit vorzumerken, blieb im Verwaltungsverfahren und in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg (Bescheid vom 6. Februar 1981, Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 1981; Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 30. Oktober 1981; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 11. August 1982). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Zwischenzeit lasse sich unter keine der in § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) genannten Ausbildungsarten einordnen; schon wegen ihrer Dauer von mehr als sechs Monaten könne sie auch nicht unter dem - von der Rechtsprechung entwickelten - Gesichtspunkt einer unvermeidbaren Zwischenzeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten diesen gleichbehandelt werden. Auf die weitergehende Rechtsprechung zur Waisenrente und zum Kinderzuschuß könne sich der Kläger nicht berufen, einmal wegen des dort weitergehenden Wortlauts, zum anderen wegen der unterschiedlichen Zielsetzung. Die im Kindergeld- und Steuerrecht bei Verzögerung des Studiums aus Mangel an Studienplätzen getroffene Regelung habe der Gesetzgeber im Rentenversicherungsrecht nicht gewollt und überdies inzwischen wieder aufgehoben.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG. Die Bestimmung erfasse nicht nur die Tage, die der Auszubildende unmittelbar auf der Schule oder Hochschule zugebracht habe, sondern die gesamte infolge von Schul- und Hochschulbesuch ausgefallene Zeit wie etwa Semesterferien, Zeiten längerer Krankheit oder Unterbrechungen im Zusammenhang mit dem Kriegsende. Daß die Beklagte Unterbrechungen bis zu sechs Monaten voll, darüber hinausgehende Unterbrechungen überhaupt nicht berücksichtige, verstoße gegen Art 3 des Grundgesetzes (GG). Eine versicherungspflichtige Beschäftigung habe der Kläger wegen der damaligen Arbeitslosigkeit nicht ausüben können.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide und der vorinstanzlichen Urteile zu verurteilen, von der Zeit zwischen dem 17. März 1948 und dem 9. Dezember 1948 sieben Monate als Ausfall- zeit nach § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG vorzumerken.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers war zurückzuweisen.
In der streitigen Zeit war weder der Ausfallzeittatbestand einer Lehrzeit iS des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a AVG (vgl hierzu SozR 2200 § 1259 Nr 64) noch der einer weiteren Schul-, Fachschul- oder Hochschulausbildung iS des Buchst b vorgenannter Vorschrift erfüllt; die Zwischenzeit war keine "Schulausbildung" mehr und noch keine "Hochschulausbildung". Die Ansicht der Revision, jede infolge einer der im Gesetz genannten Ausbildungen für eine Beitragsentrichtung ausgefallene Zeit sei eine Ausbildungsausfallzeit, findet im Gesetz keine Stütze. Die Ausfallzeiten sollen zwar einen unverschuldeten Beitragsausfall ausgleichen; daraus folgt aber nicht, daß ein solcher Beitragsausfall als Voraussetzung genüge (SozR 2200 § 1259 Nr 66), auch wenn er in einem Zusammenhang mit den gesetzlich aufgezählten Ausfallzeiten steht; erforderlich ist vielmehr die Erfüllung der gesetzlichen Tatbestände. Die Rechtsprechung hat deshalb weder den studentischen Ausgleichsdienst, obgleich Voraussetzung für die Zulassung zum Hochschulstudium (SozR 2200 § 1251 Nr 61; vgl auch Urteil vom 20. Januar 1983 - 11 RA 10/82 -) noch vorgeschriebene Praktikantenzeiten (SozR Nrn 40 und 47 zu § 1259 RVO) als Ausbildungsausfallzeiten i.S. von § 36 Abs 1 Nr 4 AVG anerkannt.
Das BSG hat allerdings, losgelöst vom Gesetzeswortlaut und damit in entsprechender Anwendung oder Ergänzung des Gesetzes als "Ausfallzeit iS von § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG" auch die Zeit angesehen, die zwischen der Schulentlassung des Abiturienten und dem zum nächsten Semesterbeginn aufgenommenen - später abgeschlossenen - Hochschulstudium liegt, soweit mit den Zeiten der (bis zu 4 Jahren anrechenbaren) Schulausbildung und der (bis zu 5 Jahren anrechenbaren) Hochschulausbildung die anrechenbare "Höchstdauer von 9 Jahren" nicht erreicht wird; das beruhte darauf, daß die Schul- und Hochschulausbildung in diesen Fällen als eine einheitliche, notwendig zusammenhängende Ausbildung und die unvermeidliche Zwischenzeit als den Schul- und Semesterferien gleichstehend erachtet wurde (BSGE 24, 241, 242 = SozR Nr 16 zu § 1259 RVO); der tragende Grund war mithin die Rechtsähnlichkeit mit den Schul- und Semesterferien, die ohne Zweifel Teil der "Schulausbildung" bzw der "Hochschulausbildung" sind. Deshalb ist diese Gesetzesanalogie nur gerechtfertigt, wenn die Zwischenzeit wie Schulferien nicht nur im Einzelfall, sondern generell unvermeidbar ist (vgl SozR Nr 47 zu § 1259 RVO) und in ihrem zeitlichen Umfang den üblichen Schul- oder Semesterferien entspricht; dies traf im angeführten Fall bei einer Übergangszeit von 2 Monaten zwischen Abitur und Hochschulstudium zu. Der erkennende Senat hat folgerichtig in seinem Urteil vom 6. Juli 1972 hervorgehoben, daß nur "kurzbemessene", d.h. den Schul- und Hochschulferien vergleichbare Zwischenzeiten in Betracht kommen; das wurde für die zwischen Abitur und Studienbeginn liegende Zeit von 7 1/2 Monaten, von denen 6 auf eine vorgeschriebene Praktikantenzeit entfielen, verneint (SozR Nr 47 zu § 1259 RVO). Maßgebend kann - wie bei den Schul- und Semesterferien - jeweils nur der Beginn der nächsten Lehrveranstaltung sein, auch wenn der Versicherte wegen eines Mangels an Ausbildungsplätzen erst zu einer späteren Lehrveranstaltung zugelassen wird; auf "besondere Gestaltungen individueller Verhältnisse" darf insoweit nicht abgestellt werden (SozR aaO). Als gleichzustellende Zwischenzeiten kommen damit nur Zeiträume bis zu 3 (allenfalls 4) Monaten in Betracht, wie dies die Rechtsprechung auch zur Aufeinanderfolge von Ausfall- und Ersatzzeiten angenommen hat (SozR 2200 § 1259 Nrn 51 und 58). Das entspricht im Ergebnis der in § 2 Abs 2 Satz 3 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) idF des 9. Änderungsgesetzes vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1566) getroffenen Regelung, wonach ein Ausbildungswilliger für die Übergangszeit zwischen 2 Ausbildungsabschnitten als Kind berücksichtigt wird, wenn der nächste Ausbildungsabschnitt spätestens im 4. auf die Beendigung des vorherigen Ausbildungsabschnitts folgenden Monat beginnt. Die hier streitige Zwischenzeit von März bis Dezember 1948 überschreitet diesen Zeitraum. Sie kann daher weder ganz noch teilweise eine Ausfallzeit i.S. des § 36 Abs. 1 Nr 4 AVG darstellen.
Auf die Anerkennung einer längeren Unterbrechung zwischen kriegsbedingter Schließung und Wiedereröffnung einer Schule (SozR 2200 § 1259 Nr 2; die Entscheidung betraf die Zeit von September 1945 bis Januar 1946) kann sich der Kläger schon deshalb nicht berufen, weil es dort nur um eine Zwischenzeit innerhalb einer Ausbildung ging; die dortige Unterbrechung hinderte im übrigen - anders als der Mangel an Ausbildungsplätzen - alle Schüler generell an dem Schulbesuch in dieser Zeit.
Die Revision beruft sich ferner zu Unrecht auf zwei Urteile des 4. Senats zur Waisenrente, wonach auch eine längere unverschuldete Zwischenzeit der in § 1267 RVO geforderten "Schul- oder Berufsausbildung" zuzuordnen ist, wenn sie im Hinblick auf das Ausbildungsziel sinnvoll genutzt wurde (SozR Nr 38 zu § 1267 RVO und BSGE 32, 120 = SozR Nr 42 zu § 1267 RVO). Denn die am Unterhaltsanspruch der hinterbliebenen Kinder gegen den verstorbenen Versicherten orientierte Waisenrente ist schon von ihrer Zielsetzung her mit der hier streitigen Berücksichtigung von Ausbildungsausfallzeiten für eine spätere Rente nicht vergleichbar. Hinzu kommt, daß der dortige Wortlaut "sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet" weiter gefaßt ist als die Ausfallzeittatbestände des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchstb AVG. Ob die bei der Waisenrente und dem Kinderzuschuß bisher weitergehende Rechtsprechung angesichts der schon erwähnten Änderungen im Kindergeldrecht für Zeiten nach 1981 fortgeführt werden kann, braucht im vorliegenden Falle nicht entschieden zu werden (vgl dazu Urteil des Senats vom heutigen Tage in der Sache 11 RA 52/83, wo dies verneint wurde).
Der Kläger kann sich schließlich nicht auf eine Verwaltungsübung berufen. Seine Rüge, das LSG habe eine solche Verwaltungsübung verfahrensfehlerhaft nicht festgestellt, läßt die angeblich verletzte Verfahrensvorschrift nicht erkennen und genügt damit nicht den Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG. Selbst sein eigenes Vorbringen ergibt aber schon, daß er von der behaupteten Verwaltungsübung der Beklagten nicht erfaßt wird. Im übrigen könnte eine Verwaltungsübung, soweit sie nicht auf den nächsten Semesterbeginn abstellt und damit nach der Rechtsauslegung durch den Senat rechtswidrig ist, keinen Anspruch auf Gleichbehandlung begründen.
Die Revision war daher mit der Kostenfolge aus § 193 Sozialgerichtsgesetz zurückzuweisen.
Fundstellen