Leitsatz (amtlich)
Kindergeld gehört nicht zu den "Einnahmen zum Lebensunterhalt" (RVO § 180 Abs 4) und ist deshalb auch bei freiwillig Krankenversicherten nicht beitragspflichtig (Anschluß und Fortführung von BSG 1980-10-21 3 RK 53/79 = BSGE 50, 243 und BSG 1981-11-25 5a/5 RKn 18/79).
Normenkette
RVO § 180 Abs 4 Fassung: 1977-06-27, § 385 Abs 1 S 1 Fassung: 1979-12-15
Verfahrensgang
SG Fulda (Entscheidung vom 13.11.1980; Aktenzeichen S 3b Kr 9/80) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob das dem Kläger gezahlte Kindergeld bei der Bestimmung des Grundlohns nach § 180 Abs 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und damit für die Berechnung seiner Beiträge zur Krankenversicherung zu berücksichtigen ist.
Der Kläger ist Beamter. Er ist bei der Beklagten freiwilliges Mitglied. Mit Bescheid vom 27. Dezember 1979 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sein Beitrag vom 1. Januar 1980 an nach der Lohnstufe 92 berechnet werde und 322,92 DM betrage. Anlaß für die Erhöhung des Beitrages war die Berücksichtigung des Kindergeldes für drei Kinder als beitragspflichtiges Einkommen. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. März 1980).
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Fulda den angefochtenen Bescheid geändert und die Beklagte verurteilt, den Beitrag des Klägers für die Zeit ab 1. Januar 1980 ohne Berücksichtigung des Kindergeldes festzusetzen (Urteil vom 13. November 1980). Zur Begründung hat das SG ausgeführt, das Kindergeld gehöre nicht zu den Einnahmen zum Lebensunterhalt iS des § 180 Abs 4 RVO. Es müsse zwar nicht schon deshalb unberücksichtigt bleiben, weil es auch bei Pflichtversicherten nicht in die Beitragsbemessung eingehe. Das Kindergeld solle jedoch den Eltern die Unterhalt ihrer Kinder erleichtern und sei deshalb zweckgebunden. Es sei eine Leistung des Familienlastenausgleichs, die Einkommensunterschiede zwischen Familien mit und ohne Kinder ganz oder teilweise ausgleichen solle. Auch § 205 RVO, der einen kostenlosen Krankenversicherungsschutz für unterhaltsberechtigte Kinder vorsehe, diene diesem Familienlastenausgleich. Würde man das Kindergeld in die Grundlohnberechnung einbeziehen, so würden diese beiden, dem Familienlastenausgleich dienenden Regelungen sich gegenseitig aufheben. Es würde dann nämlich ein Teil des Kindergeldes für solche Beitragsaufwendungen aufgezehrt, die an sich nach dem Sinn des § 205 RVO nicht zu erbringen seien.
Mit der Sprungrevision macht die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) geltend, daß das Kindergeld ursprünglich als Ergänzung des Leistungslohnes der Arbeitnehmer (BT-Drucks IV/1961) und deshalb als eine dem allgemeinen Lebensunterhalt dienende Leistung gedacht gewesen sei. Inzwischen habe zwar das Kindergeld in stärkerem Maße den Charakter einer allgemeinen staatlichen Vorsorgeleistung angenommen. Auch dies habe jedoch nichts daran geändert, daß es dem allgemeinen Lebensunterhalt der Familie diene. Eine Zweckbindung zur Abdeckung eines speziellen Mehrbedarfs einer Familie mit Kindern könne nach der Erfahrung des täglichen Lebens nicht angenommen werden, denn das Kindergeld fließe regelmäßig in den allgemeinen "Tropf", aus dem alle Kosten der Haushaltsführung bestritten werden. Der Gedanke des allgemeinen Familienlastenausgleichs verbiete es anzunehmen, daß das Kindergeld nur ganz bestimmte Zwecken zu dienen bestimmt sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Das SG hat zu Recht den Bescheid der Beklagten geändert und diese verurteilt, den Beitrag des Klägers ohne Berücksichtigung des Kindergeldes festzusetzen.
Nach § 385 Abs 1 Satz 1 RVO sind die Beiträge auch der freiwillig Versicherten nach dem Grundlohn zu erheben. Für die freiwillig Versicherten wird der Grundlohn jedoch anders bemessen als bei Pflichtversicherten. Für sie gilt gem § 180 Abs 4 RVO als Grundlohn "der auf den Kalendertag entfallende Teil des Arbeitsentgelts und sonstiger Einnahmen zum Lebensunterhalt" bis zu einer bestimmten Höchstgrenze (mindestens beträgt er nach der bis 31. Dezember 1980 geltenden Fassung 13,-- DM).
Das Kindergeld gehört nicht zu den Einnahmen zum Lebensunterhalt im Sinne des § 180 Abs 4 RVO. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen, die im wesentlichen auch dem in gleichem Sinne ergangenen Urteil des 5. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. November 1981 - 5a/5 RKn 18/79 - zugrundeliegen:
Bereits der 3. Senat des BSG hat in seiner Entscheidung vom 21. Oktober 1980 (BSGE 50, 243, 244 = SozR 2200 § 180 Nr 5) den Gesetzesmaterialien, dem Wortlaut der Vorschrift, ihrer Zweckbestimmung und dem gesetzlichen Zusammenhang entnommen, daß § 180 Abs 4 RVO nur die Einnahmen erfaßt, die dem Arbeitsentgelt gleichgestellt sind und deshalb dem allgemeinen Lebensunterhalt zur Verfügung stehen, nicht dagegen zweckbestimmte Sozialleistungen, die einen besonderen Mehrbedarf abdecken. Dieser Rechtsauffassung schließt sich der erkennende Senat an.
Schon der Wortlaut des Gesetzes verknüpft Arbeitsentgelt und "sonstige Einnahmen zum Lebensunterhalt". Dies wird durch die Vorgeschichte der Gesetzesfassung bestätigt. Die geltende Fassung des § 180 Abs 4 RVO geht auf einen Vorschlag des Bundestags-Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zurück, der damit das Ziel verfolgte, die Beiträge für Versicherungsberechtigte im Sinne der §§ 176 ff RVO und freiwillig Weiterversicherte (§ 313 RVO) zu harmonisieren (vgl BT-Drucks 8/338, Seite 60). Die frühere Differenzierung zwischen dem Beitrag nach dem Gesamteinkommen bei den freiwillig Beigetretenen einerseits und dem Beitrag der nach der bisherigen Lohnstufe freiwillig Weiterversicherten andererseits erschien dem Ausschuß nicht sachgerecht. Die Beitragsbemessung sei notwendigerweise mit der Frage verknüpft, woraus der Versicherte seinen Lebensunterhalt bestreite. Als Maßstab wurden deshalb das Arbeitsentgelt und die sonstigen Einnahmen zum Lebensunterhalt gewählt. Damit sollte zugleich, was den Begriff der Einnahmen betrifft (der alle dem Versicherten zufließenden wiederkehrenden Bezüge und geldwerten Zuwendungen - unvermindert um gesetzliche Abzüge - umfaßt), "eine Gleichstellung mit den Pflichtversicherten erreicht" werden (BT-Drucks aaO).
Der für die Beitragsbemessung in der Krankenversicherung maßgebende Grundlohn errechnet sich für die Pflichtversicherten aus ihrem Arbeitsentgelt (§ 180 Abs 1 RVO), wovon sie - jedenfalls regelmäßig und für Arbeitnehmer charakteristisch - den Lebensunterhalt bestreiten. Hingegen geschieht dies bei freiwillig Versicherten vielfach nicht oder nicht nur aus Arbeitsentgelt. Dem mußte Rechnung getragen werden. Erkennbares Ziel des Gesetzgebers blieb dabei aber, für die Beitragsbemessung eines freiwillig Versicherten diejenigen Einnahmen heranzuziehen, die der typischen Funktion des Arbeitsentgelts beim Pflichtversicherten entsprechen. Somit boten sich die sonstigen Einnahmen an, die neben oder anstelle des Arbeitsentgelts den allgemeinen Lebensunterhalt normalerweise decken.
Zweckbestimmte Sozialleistungen haben demgegenüber in aller Regel nicht die Aufgabe, den allgemeinen Lebensunterhalt sicherzustellen. Sie können ihre besondere Funktion nur dann erfüllen, wenn ihr Empfänger sie bestimmungsgemäß verwendet und nicht zur Deckung des allgemeinen Lebensbedarfs heranziehen muß (vgl die Rechtsprechung des 7. Senats des BSG zu § 138 des Arbeitsförderungsgesetzes, SozR 4100 § 138 Nr 5; Urteil vom 21. Juli 1981 - 7 RAr 43/80 -). Im übrigen wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Versicherten, an der sich ihre Beitragsbelastung in einer wesentlich vom Prinzip des sozialen Ausgleichs bestimmten Versicherung orientieren muß, durch zweckgebundene Sozialleistungen in der Regel nicht erhöht.
Beim Kindergeld handelt es sich um eine solche zweckbestimmte Sozialleistung. Es ist deshalb dem Grundlohn eines freiwilligen Mitglieds ebensowenig zuzurechnen wie dem Grundlohn eines Pflichtmitglieds der gesetzlichen Krankenversicherung.
Der maßgebende Gesichtspunkt für die Kindergeldzahlung ist - im Sinne eines Familienlastenausgleichs - die Begünstigung der Familie, in der das Kind dauernd lebt. Diejenigen, die das Kind unterhalten und sich um sein persönliches Wohl sowie um seine Erziehung kümmern, sollen für die damit verbundenen finanziellen, mindestens aber persönlichen Opfer einen Ausgleich von der Gesellschaft erhalten (so BSG in SozR 5870 § 2 Nrn 11 und 21). Schon deswegen erscheint eine Berücksichtigung des Kindergeldes bei der Berechnung des Grundlohnes ausgeschlossen. Verstärkend kommt hinzu, daß eine Berücksichtigung des Kindergeldes nur bei den freiwillig Versicherten zu Ungleichbehandlungen führen würde, je nachdem, ob das Kindergeld dem freiwillig Versicherten selbst oder dessen Ehegatten oder einem anderen Berechtigten ausgezahlt wird. Denn bei dem Ehegatten oder dem Dritten würde es häufig nicht (oder nur eingeschränkt) beitragsrechtlich wirksam sein (zB im Falle einer Pflichtversicherung des Ehegatten oder Dritten oder bei Überschreiten der Bemessungsgrenze). Ferner ergäben sich Manipulationsmöglichkeiten, weil die Ehegatten gem § 3 Abs 3 des Bundeskindergeldgesetzes den Berechtigten bestimmen können.
Zu Recht hat schließlich das SG auf § 205 RVO und die mit dieser Vorschrift verfolgten Ziele hingewiesen. Auch § 205 RVO ist - neben der Kindergeldregelung - Instrument des Familienlastenausgleichs. Beide könnten aber regelmäßig nicht mehr voll nebeneinander zur Wirkung kommen, sondern würden sich gegenseitig aufheben oder mindestens einschränken, wenn die Gewährung von Kindergeld zu Beitragserhöhungen führen würde; ein Teil des Kindergeldes würde dann nämlich durch Beitragsaufwendungen, die durch das Vorhandensein von Kindern ausgelöst werden, aufgezehrt werden. Im Ergebnis würde also für mitversicherte Kinder aus den Einnahmen des Versicherten ein Zusatzbeitrag erhoben werden, obwohl nach dem Grundgedanken des § 205 RVO Beitragserhöhungen durch Kinder gerade nicht eintreten sollen.
Aus diesen Gründen, vornehmlich aber wegen der Zweckbindung des Kindergeldes, war dieses nicht bei der Grundlohnberechnung zu berücksichtigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen