Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz auf dem Weg zur Arbeitsstätte
Leitsatz (redaktionell)
Für den nicht von der Wohnung angetretenen Weg besteht Unfallversicherungsschutz, wenn er zu dem üblicherweise zur Arbeitsstätte zurückgelegten Weg in einem angemessenen Verhältnis steht, er sich also nach seiner Länge und Dauer von dem üblichen Weg nicht erheblich unterscheidet.
Normenkette
RVO § 550 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. Oktober 1972 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die 1950 geborene Klägerin war als Verkäuferin im Textilkaufhaus H… in Hameln beschäftigt. Sie hatte in der etwa 2 km von ihrer Arbeitsstätte entfernt in Hameln gelegenen Wohnung ihrer Eltern ein Zimmer mit eigenen Möbeln. Ostern 1971 verlobte sie sich mit dem ebenfalls in Hameln beschäftigten Autoschlosser Reinhold H... (H.), mit dem sie seit Dezember 1971 verheiratet ist. H. wohnte im Einfamilienhaus seiner Eltern in dem etwa 20 Straßenkilometer von Hameln entfernt liegenden Ort B.... Seit Weihnachten 1970 und häufiger seit ihrer Verlobung hielt sich die Klägerin fast regelmäßig mittwochs nach Arbeitsschluß, an den Wochenenden von samstags nachmittags an und gelegentlich an anderen Wochentagen im Haus der Eltern ihres damaligen Verlobten auf; sie übernachtete dann in einem möblierten Zimmer, das früher eine Schwester des H. bewohnt hatte, und fuhr von B… aus vor Arbeitbeginn mit H. in dessen Pkw zur Wohnung ihrer Eltern. Zusammen mit ihrer Mutter, die ebenfalls als Verkäuferin bei der Firma H… beschäftigt war, ging sie von dort zu Fuß zur Arbeitsstätte. Gelegentlich setzte H. sie auch in der Nähe des Textilkaufhauses ab, ohne daß sie ihre elterliche Wohnung aufsuchte.
In der am Montag, dem 12. Juli 1971, beginnenden Woche hatte die Klägerin Urlaub. Sie hielt sich während dieser Zeit meistens in B… auf und übernachtete dort. Am Montag, dem 19. Juli 1971, fuhr sie mit H. in dessen Pkw von B… in Richtung Hameln, um ihre Arbeit um 8,15 Uhr wieder aufzunehmen. Gegen 7,30 Uhr wurde der von H. gesteuerte Pkw von einem anderen Pkw in der Nähe von H… angefahren. Dabei wurde die Klägerin am rechten Auge verletzt, das später entfernt werden mußte.
Durch Bescheid vom 14. Oktober 1971 lehnte die Beklagte eine Entschädigung ab, da die Klägerin nicht unter Versicherungsschutz gestanden habe; die Wohnung der Schwiegereltern in B… sei nicht der Mittelpunkt des Lebens der Klägerin gewesen; der von dort aus angetretene Weg sei ausschließlich als Rückweg von einem eigenwirtschaftlichen Aufenthalt zu betrachten.
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat nach Vernehmung von Zeugen durch Urteil vom 27. Juli 1972 die Beklagte antragsgemäß verurteilt, der Klägerin Entschädigung aus der Unfallversicherung zu gewähren. Es hat angenommen, die Klägerin habe im Elternhaus ihres damaligen Verlobten zumindest auch - eine eigene Wohnung besessen und daher im Unfallzeitpunkt nach § 550 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) unter Versicherungsschutz gestanden.
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 25. Oktober 1972 die von der Beklagten angefochtene Entscheidung des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Grundsätzlich bestehe nur auf den von der ständigen Familienwohnung aus angetretenen Wegen zur Arbeitsstätte Versicherungsschutz nach § 550 Satz 1 RVO. Das Haus ihrer jetzigen Schwiegereltern sei jedoch nicht die Familienwohnung der Klägerin gewesen; hierfür reiche es nicht aus, daß sich die Klägerin zu ihrem damaligen Verlobten und dessen Angehörigen hingezogen gefühlt habe. Aus den Umständen des Falles ergebe sich, daß die gerade volljährig gewesene Klägerin den Mittelpunkt ihrer Lebensverhältnisse noch in der Wohnung ihrer Eltern in Hameln gehabt habe. Zwar hätten sich die persönlichen Bindungen der Klägerin zu ihren Eltern spätestens seit der Verlobung Ostern 1971 nicht unerheblich geändert. Die gegenüber der früheren Zeit geänderte Lebensweise der Klägerin habe aber nicht eine Verlagerung des Mittelpunktes ihrer Lebensverhältnisse von der Wohnung der Eltern in das Haus der künftigen Schwiegereitern bewirkt. Vielmehr beruhe sie in erster Linie auf dem verständlichen Wunsch beider Verlobten, während der Freizeit möglichst oft und lange zusammen zu sein. Dieser Wunsch habe sich am besten in B realisieren lassen. Dort habe die Klägerin durch ihren Verlobten im Tischtennisverein auch andere junge Menschen kennengelernt, mit denen sie einen Teil ihrer Freizeit habe verbringen wollen. Diese praktischen Überlegungen seien in erster Linie für die häufigen Übernachtungen der Klägerin in B… maßgebend gewesen. Die Annahme des SG, der Klägerin sei an sie gerichtete Post teilweise schon in B… zugestellt worden, habe sich durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt. Die Klägerin habe offenbar selbst nicht die Wohnung ihrer Schwiegereltern als Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen angesehen, da sie nach dort jeweils nur soviel Kleider, Wäsche und persönliche Gebrauchsgegenstände mitgenommen habe, wie sie gerade benötigte. Daraus sei zu schließen, daß sie das Haus der Schwiegereltern nur als Schlafstelle für eine vorübergehende Zeit angesehen habe, und zwar um so mehr, als die Verlobten nach ihrer Heirat nicht in diesem Haus hätten bleiben können. Der wesentliche Teil des Lebens der Klägerin habe sich, von dem in B… verbrachten Urlaub abgesehen, trotz ihrer häufigen Besuche in Hameln abgespielt. Dort habe sie etwa dreimal in der Woche in ihrem in der Wohnung ihrer Eltern eingerichteten Zimmer übernachtet, dort habe sie ihre Kleider und Wäsche aufbewahrt, die von ihrer Mutter gewaschen und teilweise ausgebessert worden sei. In dieser Wohnung habe sie - auch mit ihrem Verlobten - einen Teil ihrer Freizeit verbracht und gemeinsam mit ihrer Mutter mindestens an 5 Tagen in der Woche die Mittagsmahlzeiten eingenommen. Überdies habe sich die Klägerin von ihrem Verlobten morgens nach ihrer Rückkehr aus B… oft an der elterlichen Wohnung absetzen lassen, um zusammen mit ihrer Mutter die gemeinsame Arbeitsstätte aufzusuchen. Auch dies lasse darauf schließen, daß die Klägerin trotz der Lockerung der persönlichen Beziehungen zu ihren Eltern deren Wohnung zur Zeit des Unfalls noch als Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen angesehen habe. Die Klägerin habe auch nicht zwei Teilbereiche eines einzigen häuslichen Wirkungskreises gehabt; eine Entfernung von 20 km zwischen den beiden Teilbereichen schließe bei natürlicher Betrachtung die Annahme eines einheitlichen Wohnbereichs aus.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und wie folgt begründet: Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Urteil stelle § 550 Satz 1 RVO nicht darauf ab, ob sich der Unfall auf dem Weg von der Familienwohnung des Versicherten ereignet habe. Der Ausgangspunkt des Weges nach der Arbeitsstätte müsse nur in der Regel die Wohnung des Versicherten sein, an die Stelle der Wohnung könne durchaus ein anderer Ausgangspunkt treten. Allerdings habe das Bundessozialgericht -BSG- (SozR Nr. 56 zu § 543 RVO aF) zum Ausdruck gebracht, der Weg dürfe, sofern er nicht von der Wohnung aus angetreten werde, nicht wesentlich länger sein als der "normale" Arbeitsweg. Der Weg von B zur Arbeitsstätte der Klägerin sei zwar wesentlich weiter als derjenige von der Wohnung der Eltern in Hameln. Das BSG habe aber seine Auffassung damit begründet, der Versicherte dürfe durch die andere Wahl des Anfangs- oder Endpunktes das Versicherungsrisiko nicht beliebig vergrößern. Die Klägerin habe aber nicht beliebig, also willkürlich, das Versicherungsrisiko erhöht, sondern den Arbeitsweg unter inzwischen normalen Bedingungen von B aus angetreten. Der regelmäßige Wechsel in der Wahl des Ausgangspunktes des Weges zur Arbeitsstätte könne demzufolge nicht als beliebige Vergrößerung des Risikos der Unfallversicherung angesehen werden, zumal da B im wirtschaftlichen Einzugsbereich von Hameln liege. Selbst wenn man mit dem LSG als Voraussetzung für den Versicherungsschutz fordere, daß der Weg aus dem häuslichen Wirkungskreis heraus angetreten werde, so sei das LSG diesem Begriff hier nicht gerecht geworden. Normalerweise befinde sich der häusliche Bereich dort, wo der Versicherte überwiegend seinen privaten Bedürfnissen nachgehe. In der Regel sei dies die Familienwohnung, die Wohnung der Eltern oder die allein bewohnte Wohnung. Es gebe aber auch Fälle, in denen eine solch eindeutige Bestimmung dieses Wirkungskreises nicht möglich sei. Das zeige sich besonders im hier zu beurteilenden Fall, in dem eine junge Frau schrittweise den Mittepunkt ihres häuslichen Lebens vom Elternhaus weg verlagere. Man könne dabei durchaus von Teilbereichen des häuslichen Lebens ausgehen, die sich in ihrem Umfang ständig veränderten. Eine Verfälschung des Begriffes "häuslicher Wirkungskreis" sei damit nicht verbunden, zumal da die Aufteilung des häuslichen Bereichs in dieser Weise bei jungen Männern und Frauen, die demnächst eine eigene Familienwohnung erwerben wollten, eine fast normale Erscheinung sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Hannover vom 27. Juli 1972 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie meint, es könne dahinstehen, ob die Auffassung des LSG zutreffe, nach der gemäß § 550 Satz 1 RVO nur Wege zur Arbeitsstätte in den Versicherungsschutz einbezogen seien, die von der "ständigen Familienwohnung" aus angetreten würden. Wenn auch das Endziel der unfallbringenden Fahrt, die Arbeitsstätte gewesen sei, so habe es sich doch tatsächlich um die Rückfahrt von einem eigenwirtschaftlichen privaten Urlaub gehandelt. Auf einer solchen Rückfahrt von einem längeren Erholungsurlaub bestehe jedoch ebenso wie auf der Hinfahrt kein Versicherungsschutz.
II
Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend angenommen, daß die Klägerin im Unfallzeitpunkt nicht unter Versicherungsschutz gestanden hat.
Die Klägerin, die einen einwöchigen Urlaub im Hause der Eltern ihres damaligen Verlobten in B… verbracht hatte, war im Zeitpunkt des Unfalls von dort aus unterwegs, um in Hameln im Textilkaufhaus H… ihre Arbeit als Verkäuferin wieder aufzunehmen. Den tatsächlichen Feststellungen im Urteil des LSG ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob die Klägerin zunächst die Wohnung in Hameln aufsuchen und sodann zusammen mit ihrer in demselben Betrieb beschäftigten Mutter den Weg zum Kaufhaus zu Fuß fortsetzen wollte, oder ob ihr damaliger Verlobter sie, wie dies gelegentlich der Fall war, mit dem Pkw bis in die Nähe der Arbeitsstätte gefahren hätte. Diese Unklarheit in tatsächlicher Hinsicht ist aber nach der Lage des Falles für die Entscheidung nicht erheblich.
Dem Versicherungsschutz steht zwar nicht schon grundsätzlich entgegen, daß die Klägerin den Weg zur Arbeitsstätte von einer anderen Stelle als von ihrem in der Wohnung ihrer Eltern gelegenen häuslichen Bereich aus angetreten hat. In § 550 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ist allein der Ort der Tätigkeit als Ziel des Hinweges oder als Ausgangspunkt des Rückweges festgelegt, so daß der Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift nicht auf die - allerdings den Regelfall bildenden - Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte beschränkt ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. ua BSG 1, 171, 172; 8, 53, 55 f, 22, 60, 61; SozR Nr. 56 zu § 543 RVO aF; vgl. auch Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl. Anm. 9 zu § 550; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl. Kennzahl 070 S. 6 ff; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.- 7. Aufl. S. 486 f mit weiteren Nachweisen). Zur Begründung des Versicherungsschutzes reicht es allerdings, wie in der Rechtsprechung wiederholt hervorgehoben worden ist (BSG aaO), nicht aus, daß der Ort der Tätigkeit das Ziel des Weges ist, auch wenn unmittelbar nach dem Eintreffen auf der Arbeitsstätte mit der Arbeit begonnen werden soll. Der Weg muß vielmehr "mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten" - mit der Arbeit im Unternehmen - "zusammenhängen"; er muß also mit der versicherten Tätigkeit in einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang stehen, wie dies auf dem direkten Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit dem Ziel der alsbaldigen Arbeitsaufnahme regelmäßig der Fall ist, und er darf andererseits nicht wesentlich privaten Zwecken des Versicherten dienen. An dem erforderlichen ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit fehlt es somit grundsätzlich auf nicht vom eigenen häuslichen Bereich aus zur Arbeitsstätte zurückgelegten Wegen, wenn es sich um den Rückweg von einer eigenwirtschaftlichen Verrichtung handelt (vgl. BSG 8,53, 55). Nach dem Sinn und Zweck des § 550 Satz 1 RVO muß der von einem dritten Ort aus angetretene Weg ferner in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblichen Weg des Versicherten nach der Arbeitsstätte stehen der Beschäftigte ist daher auf einem im Vergleich zum üblichen erheblich längeren Weg nach dem Ort der Tätigkeit grundsätzlich nicht nach § 550 Satz 1 RVO versichert (BSG 22,60, 62; SozR Nr. 56 zu § 543 RVO aF; vgl. auch Brackmann aaO S. 486 g, h; Lauterbach aaO Anm. 9 zu § 550; Podzun aaO Kennzahl 070 S.8).
Die Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze auf den vorliegenden Fall rechtfertigt im Ergebnis die vom LSG getroffene Entscheidung. Im angefochtenen Urteil ist zwar, wie beide Beteiligte im Revisionsverfahren herausgestellt haben, zwischen den Sätzen 1 und 3 des § 550 RVO nicht immer klar unterschieden worden. Aus den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und deshalb für das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§§ 163 SGG) geht jedoch hervor, daß sich der häusliche Bereich der Klägerin auch im Unfallzeitpunkt noch in der Wohnung ihrer Eltern in Hameln befunden hat. In der letzten Zeit vor dem Unfall, besonders seit der Verlobung Ostern 1971, war in den Beziehungen der Klägerin zu ihren Eltern allerdings eine gewisse Lockerung eingetreten, die in den häufigen Besuchen der Klägerin im Haus der Eltern ihres damaligen Verlobten in B… ihren Ausdruck fand. Nach wie vor bewohnte die Klägerin jedoch in der Wohnung ihrer Eltern ein mit ihren eigenen Möbeln eingerichtetes Zimmer, bewahrte dort ihre Kleider, ihre Wäsche und sonstige persönliche Gegenstände auf und verbrachte dort - zeitweise zusammen mit ihrem damaligen Verlobten - einen erheblichen Teil ihres privaten Lebens. Auf den Rückwegen von B. ließ sie sich regelmäßig an der elterlichen Wohnung absetzen, ging zusammen mit ihrer Mutter zur Arbeitsstätte und besorgte bei diesen Gelegenheiten ihre Einkäufe. Mindestens an 5 Tagen in der Woche nahm sie in der elterlichen Wohnung gemeinsam mit ihrer Mutter die Mittagsmahlzeit ein.
Gegenüber diesen, das Fortbestehen des häuslichen Bereiches der Klägerin in der elterlichen Wohnung in Hameln kennzeichnenden Umständen ist nach den Besonderheiten dieses Falles, wie das LSG mit zutreffender Begründung ausgeführt hat, den häufigen Besuchen der Klägerin in B… im wesentlichen nur die Bedeutung beizumessen, daß die Klägerin dort vorübergehend bis zu der beabsichtigten Eheschließung lediglich eine Schlafstelle gehabt hat, weil auf diese Weise der Wunsch der beiden Verlobten, einen möglichst großen Teil ihrer Freizeit zusammen verbringen zu können, am besten zu verwirklichen war. Der Versicherungsschutz der Klägerin, auf dem Weg zur Unfallzeit mit dem Ziel, die Arbeitsstätte zu erreichen, ist deshalb nach den rechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen, die für Wege gelten, die von einer anderen Stelle als dem eigenen häuslichen Wirkungskreis aus angetreten werden. Die Entfernung von B. bis zur Arbeitsstätte der Klägerin in Hameln beträgt nach den Feststellungen des LSG etwa 20 km. Der Weg, auf dem die Klägerin verunglückte, unterschied sich somit in seiner räumlichen Ausdehnung so erheblich von dem nur etwa 2 km langen Weg vom häuslichen Bereich der Klägerin in ihrer elterlichen Wohnung, daß er nicht allein wegen seiner Zielrichtung - der Arbeitsstätte - mit der versicherten Tätigkeit der Klägerin in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang gestanden hat (vgl. BSG 22, 60, 62; SozR Nrn. 32 und 46 zu § 543 RVO aF). Bei dieser Sachlage erhielt die Fahrt der Klägerin am Unfalltag ihr rechtliches Gepräge vielmehr durch die Notwendigkeit, den während des Urlaubs unternommenen - privaten - Weg nach B. vor der Wiederaufnahme der Tätigkeit im Unternehmen in umgekehrter Richtung zurückzulegen. Mit Recht macht die Beklagte insoweit geltend, daß auf einem Weg, dessen Ziel die Arbeitsstätte ist, kein Versicherungsschutz besteht, wenn es sich um den Rückweg von einer Verrichtung handelt, die mit der versicherten Tätigkeit nicht rechtlich wesentlich zusammenhängt (vgl. BSG 8, 53, 55).
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin nicht über zwei Teilbereiche ihres häuslichen Wirkungsbereiches verfügt und deshalb auch nicht aus diesem rechtlichen Gesichtspunkt auf dem von B. aus angetretenen Weg zur Arbeitsstätte nach § 550 Satz 1 RVO unter Versicherungsschutz gestanden hat. Die Wohnverhältnisse eines Versicherten können zwar ausnahmsweise so gestaltet sein, daß zwei räumlich getrennte häusliche Bereiche nur zusammen eine Wohnung bilden. Auch wenn die getrennten Räume sich in verschiedenen Häusern in größerer - aber nicht zu weiter - Entfernung voneinander befinden, kann nach der Entscheidung des erkennenden Senats vom 26. Juli 1963 (BSG 19, 257 = SozR Nr. 44 zu § 543 RVO aF) jeder Teilbereich des häuslichen Wirkungskreises Ausgangs- und Zielpunkt des Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit im Sinne des § 550 Satz 1 RVO sein. Der Senat hat dies (aaO) unter der - im entschiedenen Fall gegebenen - Voraussetzung angenommen, daß die beiden Teilbereiche in ihrer Benutzbarkeit sich in der Weise ergänzten, daß das zum Wohnen bzw. Schlafen Wesentliche dem einen Teil fehlte, dem anderen aber eigen war. Bei welcher Entfernung auf eine solche Weise getrennte häusliche Bereiche noch als zusammengehörig anzusehen sind, hat der Senat unentschieden gelassen; nach der Lage des damals entschiedenen Falles hat er die Zusammengehörigkeit der nicht ganz 1 km auseinanderliegenden Teilbereiche bejaht. Hier liegen die tatsächlichen Verhältnisse jedoch schon insofern wesentlich anders, als der Klägerin in dem in ihrer elterlichen Wohnung gelegenen häuslichen Wirkungskreis das für ihr tägliches privates Leben Wesentliche zu Verfügung stand und sie diese Möglichkeit auch tatsächlich in erheblichem Umfang wahrgenommen hat. Es bedarf deshalb aus Anlaß dieses Falles keiner Entscheidung, ob der Annahme zweier zu einem einzigen häuslichen Wirkungskreis sich ergänzender Wohnbereiche auch die erhebliche Entfernung zwischen den beiden Bereichen entgegenstehen würde, obwohl sie mit möglicherweise nur geringem Zeitaufwand jeweils mit einem Pkw überbrückt wurde.
Schließlich liegen auch die Voraussetzungen des § 550 Satz 3 RVO nicht vor. Nach dieser Vorschrift schließ der Umstand, daß der Versicherte wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat, die Versicherung auf dem Wege von und nach der Familienwohnung nicht aus. Die mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und deshalb das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) rechtfertigen nicht die Annahme, daß die Klägerin zur Unfall zeit im Hause der Eltern ihres Verlobten ihre ständige Familienwohnung gehabt hat, d.h. eine für nicht unerhebliche Zeit den Mittelpunkt ihrer Lebensverhältnisse bildende Wohnung. Außerdem hat die Klägerin auch nicht, was nach § 550 Satz 3 RVO erforderlich ist, am Ort der Tätigkeit - also bei ihren Eltern in Hameln - lediglich eine Unterkunft besessen.
Nach alledem hat das LSG im Ergebnis mit Recht auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Revision der. Klägerin war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen