Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachleistungsprinzip. Krankenhauspflege. Kostenübernahmeantrag. Abgrenzung zum Pflegefall. ambulante Behandlung
Leitsatz (redaktionell)
Solange ein Versicherter die Gewährung von Krankenhauspflege bei der Krankenkasse nicht beantragt und die Kosten dafür selbst aufgebracht hat, kann er nicht nachträglich von der Krankenkasse dafür Kostenerstattung fordern.
Orientierungssatz
1. Die Inanspruchnahme einer Leistung setzt in der Regel eine ausdrückliche Willenserklärung des Versicherten voraus, die bloße Übersendung einer Anfrage wegen der Kostenübernahme von einer Krankenhausverwaltung an eine KK ist für sich allein nicht als Leistungsbegehren des Versicherten anzusehen und läßt sich auch nicht als solches umdeuten (vgl BSG vom 1976-05-18 3 RK 11/75 = BSGE 42, 20, 22).
2. Die medizinische Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung ist nicht nur dann gegeben, wenn eine Heilung oder Besserung zu erwarten ist, sondern auch dann, wenn die Behandlung eine Verschlimmerung verhüten, das Leben verlängern oder Krankheitsbeschwerden lindern soll. Wird die Anstaltspflege nur noch um der Bewahrung des Versicherten willen durchgeführt, so ist die KK nicht leistungspflichtig (vgl BSG vom 1979-01-25 3 RK 83/78 = SozR 2200 § 184 Nr 11; BSG vom 1979-07-25 3 RK 48/78).
3. Eine fachärztliche Betreuung setzt nicht stets die stationäre Unterbringung voraus, auch das geschützte Milieu einer Pflegeanstalt und die fürsorgerische Betreuung durch geschulte Pflegekräfte kann zusammen mit ambulanter ärztlicher Überwachung und Behandlung zur Versorgung eines Versicherten ausreichend sein.
Normenkette
RVO § 184 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1973-12-19
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 21. Juni 1978 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Krankenhauspflegekosten. Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin des am 22. Mai 1976 verstorbenen E W, der seit 1971 als Rentner Pflichtmitglied der Beklagten war. Für ihn war eine Gebrechlichkeitspflegschaft angeordnet gewesen. Der Versicherte befand sich seit dem 27. April 1971 stationär in der Landesnervenklinik B
Im September 1974 beantragte die Landesnervenklinik bei der Beklagten, die Kosten der stationären Unterbringung des Versicherten zu übernehmen. Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme mit einem Schreiben vom 4. Oktober 1974 ab. Gegen dieses Schreiben legte der Gebrechlichkeitspfleger des Versicherten Widerspruch ein, den die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 29. April 1975 zurückwies.
Mit der Klage vor dem Sozialgericht hat der Versicherte von der Beklagten gefordert, ihm die verauslagten Krankenhauskosten seit dem 1. Juli 1973 zu zahlen. Das Sozialgericht (SG) hat einen Befundbericht des Dr. D von der Landesnervenklinik, eine Stellungnahme des Landesvertrauensarztes und ein Gutachten der Frau Dr. W eingeholt und danach die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. April 1976). Der Versicherte sei dauernd zur Pflege untergebracht, deshalb ruhe sein Anspruch auf Krankenhauspflege.
Gegen dieses Urteil hat der Versicherte Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat nach Einholung eines Befundberichtes des ärztlichen Leiters der Nervenklinik S Professor Dr. B, die Beklagte verurteilt, die Kosten der Krankenhauspflege des Versicherten für die Zeit vom 1. Juli 1973 bis zum 31. Januar 1976 zu tragen, im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 21. Juni 1978): Der Versicherte habe der ständigen pflegerischen Betreuung und der ärztlichen Behandlung bedurft. In der Zeit bis zum 31. Januar 1976 habe jedoch die ärztliche Behandlung im Vordergrund gestanden. Diese sei darauf ausgerichtet gewesen, den Versicherten in ein Pflegeheim zu entlassen, auch wenn das Grundleiden des Versicherten therapeutisch nicht mehr beeinflußbar gewesen sei. Gegen Ende des Jahres 1975 sei die Entlassung des Versicherten in ein Pflegeheim in Aussicht genommen worden, und für die Zeit nach dem 31. Januar 1976 sei der Versicherte als vollständiger Pflegefall anzusehen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die zugelassene Revision der Beklagten. Sie rügt eine Verletzung der §§ 184 Abs 1 und 216 Abs 1 Nr 4 Reichsversicherungsordnung (RVO). Das LSG habe die Grundsätze zur Abgrenzung zwischen Pflege- und Behandlungsfällen verkannt. Bei zutreffender Würdigung der Tatsachen ergebe sich, daß der Versicherte als Dauerpflegefall anzusehen sei, für den die Beklagte die geforderte Leistung nicht zu erbringen habe. Das Grundleiden des Versicherten, eine präsenile Demenz mit organischen Veränderungen, habe durch eine Krankenhausbehandlung weder geheilt, gebessert noch sonst irgendwie gelindert werden können. Diese Feststellung lasse sich sowohl aus dem vom SG eingeholten Sachverständigen-Gutachten als auch aus den Befundberichten ersehen. Die Unterbringung des Versicherten sei nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer erfolgt, und schon deshalb liege ein Pflegefall vor. Außerdem bestätige die jahrelange erfolglose, planmäßige Behandlung die Tatsache, daß ein Pflegefall vorliege. Bei dem Versicherten habe lediglich seine Betreuung und Bewahrung im Vordergrund gestanden, die sonstigen Behandlungen anderer Krankheiten hätten lediglich einen begleitenden Charakter gehabt.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG Berlin vom 21. Juni 1978 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Berlin vom 27. April 1976 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Versicherte sei nicht als Pflege-, sondern als Behandlungsfall anzusehen, für den die Beklagte Leistungen zu erbringen habe. Entscheidend für die Leistungsverpflichtung sei das Ziel der Einweisung ins Krankenhaus, hinsichtlich des Versicherten habe von vornherein die Absicht bestanden, ihn nach durchgeführter Behandlung in ein Pflegeheim zu entlassen. Für den Versicherten sei die Behandlung in einem Krankenhaus auch erforderlich gewesen, denn es genüge, wenn die Behandlung dem Zweck diene, Beschwerden zu lindern oder das Leben des Versicherten für begrenzte Zeit zu verlängern. Die Behandlung habe nur in einem Krankenhaus durchgeführt werden können, in dem geschultes Pflegepersonal, ein jederzeit rufbereiter Arzt und die erforderlichen Apparaturen zur Verfügung gestanden hätten. Das LSG habe schließlich aus den ärztlichen Bekundungen zutreffend den Schluß gezogen, daß der Versicherte als Behandlungsfall anzusehen und demnach die Ruhensvorschrift des § 216 Abs 1 Nr 4 RVO nicht anwendbar sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet, sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG.
Die Rechtsnachfolgerin des Versicherten hat im Verfahren vor dem LSG den Antrag gestellt, die Beklagte zur Übernahme der Kosten der Krankenhauspflege des Versicherten zu verurteilen. Da sie behauptet hat, die Kosten seien vom Versicherten einstweilen selbst getragen worden, ist ihr Antrag in dem Sinne zu verstehen, daß sie die Erstattung dieser Auslagen fordert.
Die Krankenhauspflege (§ 184 RVO) ist eine Leistung, die die Krankenkasse dem Versicherten als Sachleistung zu erbringen hat. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung und in Übereinstimmung mit dem Schrifttum entschieden, daß nur diese Art der Leistungserbringung dem medizinischen Versorgungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung Rechnung trägt (BSGE 19, 21, 23; 42, 117, 119; 44, 41, 42; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Auflage 1979, § 184 Anm 3; RVO-Gesamtkommentar/Heinze, 54. Lieferung Dezember 1978, § 184 Anm 2; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Auflage, Stand März 1979, S. 398 g). An dieser Rechtsauffassung hält der Senat fest. Daraus folgt, daß der Versicherte einen Antrag auf Gewährung der Leistung an die Krankenkasse richten muß, wenn er beabsichtigt, Krankenhauspflege in Anspruch zu nehmen. Von dieser Art der Leistungsgewährung kann nur in dringenden Fällen, wie etwa bei einem Unfall oä, abgewichen werden. Der Senat hat bereits in BSGE 19, 21, 23 und 42, 117, 119 eingehend dargelegt, daß es nicht im Belieben des Versicherten steht, ein Krankenhaus selbständig in Anspruch zu nehmen und lediglich späterhin an die Krankenkasse mit dem Begehren auf Erstattung der entstandenen Kosten heranzutreten. Damit würde das Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung in eine Krankheitskostenversicherung umgewandelt, wie sie für die private Krankenversicherung typisch ist. Beantragt der Versicherte bei der Krankenkasse die Leistung nicht oder teilt er - in dringenden Fällen - der Kasse die Aufnahme ins Krankenhaus nicht alsbald mit, so nimmt er regelmäßig die Krankenhausbehandlung privat in Anspruch und kann daraus eine Forderung auf Kostenerstattung gegen die Krankenkasse nicht herleiten, auch wenn die Krankenhausbehandlung medizinisch erforderlich war (vgl BSG Urteil vom 19. Dezember 1978 - 3 RK 34/78 -; RVO-Gesamtkommentar/Heinze aaO; Peters/Mengert, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Auflage, Stand Juni 1979, § 184 Anm 5 b cc).
Im vorliegenden Falle ist nach den Feststellungen des LSG für den Versicherten bereits seit 1971 die stationäre Behandlung in der Landesnervenklinik durchgeführt worden. Das LSG hat nicht festgestellt, ob und ggf wann sich der Versicherte oder für ihn sein Gebrechlichkeitspfleger mit einem Antrag auf Gewährung von Krankenhauspflege an die Beklagte gewandt hat. Auf diese Feststellung kommt es jedoch an, denn die Pflicht zur Erstattung der Krankenhauspflegekosten kann die Beklagte, wie bereits dargelegt, erst dann treffen, wenn sie einen Antrag des Versicherten zu Unrecht abgelehnt hat. In diesem Zusammenhang ist es nicht von Bedeutung, wann das Krankenhaus bei der Beklagten wegen einer Kostenübernahme angefragt hat. Die Inanspruchnahme einer Leistung setzt in der Regel eine ausdrückliche Willenserklärung des Versicherten voraus, die bloße Übersendung einer Anfrage wegen der Kostenübernahme von einer Krankenhausverwaltung an eine Krankenkasse ist für sich allein nicht als Leistungsbegehren des Versicherten anzusehen und läßt sich auch nicht als solches umdeuten (vgl BSGE 42, 20, 22; RVO-Gesamtkommentar/Heinze aaO, § 184 Anm 5). Die Übersendung der Anfrage auf Kostenübernahme dient vielmehr der Klärung der Kostenfrage und der kostenmäßigen Abrechnung im Rahmen der vertraglichen Beziehungen zwischen Krankenhaus und Krankenkasse. Das LSG wird im weiteren Verfahren aufzuklären haben, wann der Versicherte bzw sein Gebrechlichkeitspfleger der Beklagten gegenüber die Gewährung der Krankenhauspflege begehrt hat und ob ggf der Widerspruch des Gebrechlichkeitspflegers gegen das Schreiben der Krankenkasse vom 4. Oktober 1974 als Leistungsantrag anzusehen sein könnte.
Des weiteren bedarf auch die Frage der Erforderlichkeit der Krankenhauspflege der weiteren Aufklärung. Nach § 184 RVO in der ab 1. Januar 1974 geltenden Fassung ist Krankenhauspflege zu gewähren, wenn die Aufnahme in ein Krankenhaus erforderlich ist, um die Krankheit zu erkennen oder zu behandeln oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Auch zum früheren Recht, das die Krankenhauspflege nur als Ermessensleistung vorgesehen hatte, hat der Senat wiederholt entschieden, daß es für die Frage, ob eine Krankenhauspflege zu gewähren ist, auf die medizinische Notwendigkeit ankommt. Diese ist jedoch nicht nur dann gegeben, wenn eine Heilung oder Besserung zu erwarten ist, sondern auch dann, wenn die Behandlung eine Verschlimmerung verhüten, das Leben verlängern oder Krankheitsbeschwerden lindern soll. Wird die Anstaltspflege nur noch um der Bewahrung des Versicherten willen durchgeführt, so ist die Krankenkasse nicht leistungspflichtig (vgl BSG 28, 199 ff; SozR Nr 23 und 30 zu § 184 RVO; SozR 2200 Nr 2 zu § 216 RVO; Urteil vom 25. Januar 1979 - 3 RK 83/78 -; Urteil vom 25. Juli 1979 - 3 RK 48/78 -). Davon ist auch das LSG ausgegangen. Die Ruhensbestimmung des § 216 Abs 1 Nr 4 RVO findet nur auf Rentner Anwendung, die dauernd zur Pflege untergebracht sind, sie greift hingegen nicht ein, wenn die Einweisung des Versicherten in ein Krankenhaus oder die Fortdauer seines stationären Aufenthalts aus den dargelegten medizinischen Gründen erforderlich ist. Das LSG hat zwar zutreffend ausgeführt, die Krankenhauspflege werde dadurch gekennzeichnet, daß die Pflegetätigkeit der ärztlichen Behandlung untergeordnet ist. Damit läßt sich jedoch die Leistung Krankenhausbehandlung nach § 184 Abs 1 RVO noch nicht abschließend von dem Pflegefall nach § 216 Abs 1 Nr 4 RVO abgrenzen, denn beim Pflegefall ruht der Krankenhilfeanspruch, obwohl neben der pflegerischen Betreuung des Versicherten eine (ambulante) ärztliche Behandlung erforderlich sein kann. Wesentlich für den Leistungsanspruch des Versicherten ist, ob die für ihn erforderliche ärztliche Behandlung nur mit den besonderen Mitteln des Krankenhauses durchgeführt werden kann oder ob es genügt, ihn zwar ständig pflegerisch zu betreuen, aber nur ambulant ärztlich zu behandeln (vgl Urteil vom 25. Januar 1979 - 3 RK 83/78 -; Urteil vom 25. Juli 1979 - 3 RK 48/78 -; Urteil vom 25. September 1979 - 3 RK 92/78 -; siehe auch Schroeder-Printzen, ZSR 1978, 617 f). Das Urteil des LSG enthält keine Feststellungen darüber, welche Mittel und Einrichtungen eines Krankenhauses zur Behandlung des Versicherten benötigt wurden, näheres darüber ergibt sich auch nicht aus den Behandlungszielen. Da nach den Feststellungen des LSG das Grundleiden des Versicherten therapeutisch nicht mehr beeinflußbar war, erscheint es nicht ausgeschlossen, daß die Behandlung des Versicherten, insbesondere auch im Hinblick auf interkurrente Krankheitserscheinungen, im Wege ambulanter ärztlicher Betreuung durchführbar gewesen wäre. Das gilt auch hinsichtlich der medizinischen Überwachung des Versicherten sowie seiner Versorgung mit Psychopharmaka und der Verhinderung einer als möglich angesehenen gesundheitlichen Gefährdung. Eine fachärztliche Betreuung setzt nicht stets die stationäre Unterbringung voraus, auch das geschützte Milieu einer Pflegeanstalt und die fürsorgerische Betreuung durch geschulte Pflegekräfte kann zusammen mit ambulanter ärztlicher Überwachung und Behandlung zur Versorgung eines Versicherten ausreichend sein. Ob das bei dem Versicherten dieses Rechtsstreits der Fall ist, vermag der Senat aus dem festgestellten Sachverhalt nicht zu entnehmen. Dazu bedarf es noch weiterer Sachaufklärung, die dem Revisionsgericht versagt ist. Der Rechtsstreit ist deshalb an das LSG zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Fundstellen