Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungspflicht neben Versicherungsfreiheit bei Handwerkern
Leitsatz (amtlich)
Nimmt ein nach §§ 3, 4 HVG von der Rentenversicherung befreiter Handwerker nach Inkrafttreten des HwVG vom 8.9.1960 (BGBl I S 737) bei fortbestehender Eintragung in die Handwerksrolle eine abhängige Beschäftigung als Arbeiter auf, so ist er damit versicherungspflichtig in der Rentenversicherung (Abgrenzung und Ergänzung zu BSG 12.11.1969 4 RJ 531/68 = SozR Nr 13 zu § 1227 RVO; BSG 28.1.1970 12 RJ 320/68 = SozR Nr 14 zu § 1227 RVO; BSG 19.1.1971 3 RK 66/70 = SozR Nr 1 zu Art 2 § 52 AnVNG; BSG 25.2.1971 12 RJ 276/70 = BSGE 32, 235 = SozR Nr 16 zu § 1227 RVO und BSG 1.2.1979 12 RK 39/77 = SozR 2200 § 1227 Nr 24).
Orientierungssatz
1. § 6 Abs 3 HwVG dient dem Vertrauensschutz des Versicherten und bezweckt die Vermeidung einer Doppelbelastung für den Handwerker insofern, als er sonst Prämien für die Lebensversicherung und Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zahlen müßte.
2. Ein solcher Vertrauensschutz ist aber nicht erforderlich, wenn der Lebensversicherungsbetrag keine ausreichende Sicherheit darstellt, die Prämien für die Lebensversicherung niedrig sind und der Handwerker in einem, von seinem Handwerkerberuf völlig verschiedenen Beruf seit langen Jahren die doppelte Belastung durch Prämienzahlung und Beitragsabzug aus versicherungspflichtiger Beschäftigung getragen hat.
3. Über § 6 Abs 5 HwVG darf ein Handwerker auf dem Wege über das Sozialversicherungsrecht nicht mittelbar zu einer Entscheidung allein zugunsten des Handwerkers oder allein für eine abhängige Beschäftigung gezwungen werden.
4. Neben der Versicherungsfreiheit entrichtete Pflichtbeiträge dürfen auch nicht als freiwillige Beiträge nach § 1422 RVO umgedeutet werden, weil freiwillige Beiträge in vielerlei Hinsicht den Pflichtbeiträgen nicht gleichstehen.
Normenkette
HwAVG § 3 Fassung: 1938-12-21, § 4 Fassung: 1938-12-21; RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 1 Fassung: 1960-09-08; HwVG § 2 Abs 1 Nr 5 Fassung: 1960-09-08, § 6 Abs 3 Fassung: 1960-09-08, § 6 Abs 5 Fassung: 1960-09-08; HwAVGDV § 1 Fassung: 1939-07-13; RVO § 1422
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 29.05.1985; Aktenzeichen L 14 Ar 0217/84) |
SG Landshut (Entscheidung vom 22.02.1984; Aktenzeichen S 2 Ar 252/83) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob eine vom Kläger ausgeübte Beschäftigung in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist.
Der 1928 geborene Kläger ist von Beruf selbständiger Friseur und seit 1950 mit einer kurzen Unterbrechung (25. Februar bis 2. März 1983) in der Handwerksrolle eingetragen. Nachdem er im Jahre 1961 das Bestehen einer Lebensversicherung über 17.000,- DM nachgewiesen hatte, die am 1. August 1961 begann und am 1. August 1993 abläuft und für die er damals eine monatliche Prämie von 44,50 DM zahlte, erfüllte er die Voraussetzungen für eine Versicherungsfreiheit nach § 3 des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk (HVG) vom 21. Dezember 1938 (RGBl I S 1900). Darauf stellte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Oktober 1961 fest, daß der Kläger auch vom 1. Januar 1962 an, dem Inkrafttreten des Gesetzes über eine Rentenversicherung der Handwerker (Handwerkerversicherungsgesetz -HwVG-) vom 8. September 1960 (BGBl I S 737), in der Handwerkerversicherung nicht versicherungspflichtig sein werde.
Im März 1974 nahm der Kläger bei der Bayerischen Motoren Werke AG (BMW) eine abhängige Beschäftigung auf. Es wurden Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter entrichtet.
Mit Bescheid vom 25. Januar 1983 beanstandete die Beklagte die Beiträge. Der Kläger habe Versicherungsfreiheit nach dem HVG geltend gemacht. Diese Versicherungsfreiheit erstrecke sich auch auf eine neben dem Handwerk ausgeübte abhängige Beschäftigung und gelte für Zeiten vom 1. Januar 1962 an nach § 6 Abs 3 HwVG weiter, solange die Eintragung in die Handwerksrolle fortbestehe. Die Beklagte bot dem Kläger die Erstattung der Beiträge an, wenn er sie nicht als freiwillige Beiträge gelten lassen wolle.
Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 30. März 1983, Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 22. Februar 1984, Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts -LSG- vom 29. Mai 1985). Das LSG hat die Auffassung der Beklagten unter Hinweis auf die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) in SozR Nr 1 zu Art 2 § 52 AnVNG und in SozR 2200 § 1227 Nr 24 bestätigt.
Gegen das Urteil richtet sich die - vom LSG zugelassene - Revision des Klägers, mit der er geltend macht: Die vom LSG herangezogenen Entscheidungen des BSG seien hier nicht einschlägig. Wenn aufgrund eines bestimmten Tatbestandes (hier als Handwerker) Versicherungsfreiheit bestehe, bedeute das auch sonst nicht zugleich die Versicherungsfreiheit für einen anderen, die Versicherungspflicht begründenden Tatbestand (hier die abhängige Beschäftigung). So sei zB jemand, der als Beamter versicherungsfrei sei, in einer außerhalb des Dienstes ausgeübten abhängigen Beschäftigung versicherungspflichtig. Im übrigen sei nach dem HwVG derjenige versicherungsfrei, der als Arbeitnehmer versicherungspflichtig sei (§ 2 Abs 1 Nr 5 HwVG). Die Handwerkerversicherung sei also heute gegenüber der Arbeitnehmerversicherung nachrangig. Versicherungspflicht müsse hier für den Kläger auch deswegen angenommen werden, weil seine Lebensversicherung im Jahre 1961 möglicherweise noch als ausreichende Sicherung habe angesehen werden können, dieses aber heute nicht mehr der Fall sei. Auf die freiwillige Versicherung könne er nicht verwiesen werden, da es sich dabei um eine "mindere Form der Versicherung" handele und er die Beiträge selbst tragen müsse.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Mai 1985, des Sozialgerichts Landshut vom 22. Februar 1984 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 1983 aufzuheben sowie festzustellen, daß für seine im März 1974 aufgenommene Beschäftigung bei der Beigeladenen Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung besteht.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie vertritt weiterhin die Auffassung, daß sich die Versicherungsfreiheit eines Handwerkers auf alle von ihm ausgeübten Beschäftigungen und Tätigkeiten beziehe. Einem Schutzbedürfnis des Klägers sei dadurch Rechnung getragen, daß ihm die freiwillige Versicherung offen stehe; sie stelle keine "Minderungsversicherung" dar, weil freiwillige Beiträge zu den gleichen Leistungen führten wie Pflichtbeiträge. Seit dem Inkrafttreten des HwVG am 1. Januar 1962 bewirke zwar eine versicherungspflichtige Beschäftigung Versicherungsfreiheit als Handwerker. Vorher habe jedoch umgekehrt die Versicherungsfreiheit in der Handwerkerversicherung zu einer umfassenden Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung geführt, und das gelte nach § 6 HwVG bis zur Löschung in der Handwerksrolle weiter.
Die Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen und der Beklagten ist der Kläger mit der Beschäftigung, die er im März 1974 bei der Beigeladenen aufgenommen hat, gemäß § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) als Arbeiter rentenversicherungspflichtig. Die mit dem Bescheid vom 10. Oktober 1961 festgestellte Versicherungsfreiheit steht dem nicht entgegen. Die Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter sind daher zu Recht entrichtet und von der Beklagten in dem hier angefochtenen Bescheid zu Unrecht beanstandet worden.
Die Beklagte hatte in ihrem Bescheid vom 10. Oktober 1961 die - fortbestehende - Versicherungsfreiheit des Klägers in der Handwerkerversicherung vom 1. Januar 1962 an festgestellt, also von dem Tage an, an dem das HwVG nach seinem § 16 in Kraft trat. Diese Regelung der Beklagten beruhte auf § 6 Abs 3 HwVG. Danach bleiben Handwerker weiterhin versicherungsfrei, die vor dem Inkrafttreten des HwVG auf Grund eines Versicherungsvertrages die Versicherungsfreiheit nach § 3 des HVG geltend gemacht und bis zum Inkrafttreten des HwVG die Voraussetzungen für die Versicherungsfreiheit nach § 3 HVG erfüllt haben (im einzelnen waren diese Voraussetzungen in § 4 HVG geregelt).
Die Versicherungsfreiheit nach §§ 3, 4 HVG wirkte umfassend. Das ergab sich aus § 1 der Verordnung (VO) vom 13. Juli 1939 zur Durchführung und Ergänzung des HVG (RGBl I S 1255). Danach erfaßte die Versicherung nach dem HVG die gesamte Tätigkeit, die der Handwerker ausübte (Satz 1). Daneben wurden einzelne Tätigkeiten weder in der Rentenversicherung der Angestellten noch in der Rentenversicherung der Arbeiter gesondert versichert (Satz 2). War der Handwerker nach § 4 HVG versicherungsfrei, war er überhaupt nicht rentenversicherungspflichtig (Satz 3). Hiernach bestand auch für eine neben dem Handwerk ausgeübte abhängige Beschäftigung als Arbeiter Versicherungsfreiheit.
Durch das HwVG wurde die Versicherung (Versorgung) der Handwerker neu geordnet. Eine Versicherungspflicht oder -freiheit als Handwerker, dh nach dem Recht der Handwerkerversicherung, schließt nunmehr für eine daneben ausgeübte abhängige Beschäftigung Rentenversicherungspflicht nicht mehr aus. Vielmehr gilt jetzt das umgekehrte Verhältnis. So ist als Handwerker versicherungsfrei, wer als Arbeitnehmer versicherungspflichtig ist (§ 2 Abs 1 Nr 5 HwVG). Nach § 14 Nr 1 HwVG trat das HVG, nach § 14 Nr 2 HwVG die genannte VO mit Wirkung vom 1. Januar 1962 (§ 16 HwVG) außer Kraft. Der bereits erwähnte § 6 Abs 3 HwVG ließ jedoch eine nach altem Recht geltend gemachte Versicherungsfreiheit fortbestehen; sie endete nach § 6 Abs 5 HwVG erst bei Löschung der Eintragung des Handwerkers in der Handwerksrolle, wobei aber kurzfristige Unterbrechungen (im Falle des Klägers von wenigen Tagen im Jahr 1983) außer Betracht zu bleiben hatten, wie das LSG insoweit zutreffend ausgeführt hat.
Das BSG hatte sich wiederholt mit der Reichweite einer - noch aufgrund des alten Rechts eingetretenen - Versicherungsfreiheit unter der Geltung des neuen Rechts zu befassen. Der erkennende 12. Senat hat durch Urteil vom 28. Januar 1970 entschieden, daß ein nach altem Recht befreiter oder versicherungsfreier Handwerker auch weiterhin nicht der Versicherungspflicht als Hausgewerbetreibender nach § 1227 Abs 1 Nr 3 (heute: § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 3) RVO unterliege (SozR Nr 14 zu § 1227 RVO; vgl auch das Urteil des 4. Senats in SozR Nr 13 zu § 1227 RVO). Dabei ist - allerdings anscheinend für einen Fall, in dem das Hausgewerbe schon unter der Geltung des alten Rechts ausgeübt wurde - im Hinblick auf § 6 Abs 3 HwVG und § 1 der erwähnten VO von einer Fortgeltung einer umfassenden Versicherungsfreiheit ausgegangen worden (vgl auch BSGE 32, 235, 236 f). Dieses hat schon damals von Altrock (WzS 1970, S 289 ff) als sehr weitgehend bezeichnet, jedenfalls aber die Annahme von Versicherungsfreiheit auch für eine neben dem Handwerk verrichtete abhängige Beschäftigung abgelehnt. Daß eine solche Beschäftigung nach neuem Recht auch dann rentenversicherungspflichtig bleibt, wenn der Handwerker 216 Pflichtbeiträge entrichtet, also die Mindestsicherung nach § 1 Abs 1 HwVG erworben hat und damit im Sinne des HwVG "versicherungsfrei" geworden ist, ist in BSGE aaO S 237 ausgeführt. Das BSG brauchte indes die hier anstehende Frage, was gilt, wenn Versicherungsfreiheit nach dem HwVG von vornherein bestand, zunächst nicht zu entscheiden. Im Urteil vom 19. Januar 1971 (SozR Nr 1 zu Art 2 § 52 AnVNG) konnte sie offen bleiben, weil die abhängige Beschäftigung erst aufgenommen worden war, als die Eintragung in die Handwerksrolle schon gelöscht war und deshalb nach § 6 Abs 5 HwVG die frühere Versicherungsfreiheit geendet hatte. In einem Urteil vom 1. Februar 1979 (SozR 2200 § 1227 Nr 24) hat der erkennende Senat eine Pflichtversicherung auf Antrag wegen einer - vom Handwerksbetrieb unabhängigen - selbständigen Tätigkeit nicht für schlechthin ausgeschlossen gehalten, weil diese Versicherungsmöglichkeit erst 1972 und damit nach Inkrafttreten des HwVG eingeführt worden ist und daher nicht angenommen werden könne, daß der Gesetzgeber in § 6 Abs 3 HwVG auch sie habe ausschließen wollen. Neuerdings hat der 5. Senat in einem Urteil vom 13. März 1986 (SozR 2200 § 1246 Nr 134) im Rahmen eines Rechtsstreits um eine Rente wegen Berufsunfähigkeit als bisherigen Beruf des dortigen Klägers die "versicherungspflichtige" Beschäftigung als Ofenmann in einer Glüherei angesehen, die dieser als selbständiger und nach altem Recht befreiter Bäckermeister von 1971 bis 1981 bei Fortdauer seiner Eintragung in die Handwerksrolle ausgeübt hatte. Bei jenem Kläger waren anscheinend die Versicherungspflicht der abhängigen Beschäftigung vom Versicherungsträger nicht bezweifelt und die Beiträge nicht beanstandet worden.
Das vorliegende Verfahren gibt Anlaß, die in früheren Entscheidungen enthaltenen Ausführungen zur Fortgeltung einer aufgrund des alten Rechts eingetretenen umfassenden Versicherungsfreiheit zu überprüfen. Die Regelung des § 6 Abs 3 HwVG, aus der eine solche Versicherungsfreiheit abgeleitet worden ist, dient dem Vertrauensschutz. Der Handwerker, der sich noch nach dem früheren Recht durch den Abschluß einer privaten Lebensversicherung für eine Sicherung außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung entschieden hatte, soll auch nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts nicht einer Doppelbelastung durch Prämien für die Lebensversicherung und Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung ausgesetzt werden. Dieser Schutzgedanke gilt grundsätzlich auch für Handwerker, die neben ihrem Handwerk eine abhängige und an sich rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausüben. Sofern sie diese bereits ausübten, als sie sich nach dem HVG befreien ließen, kann angenommen werden, daß sie die Folge der Versicherungsfreiheit auch in der abhängigen Beschäftigung kannten und sie in Kauf nahmen oder sie sogar beabsichtigten. Für Handwerker, die sich befreien ließen und erst danach, aber noch unter der Geltung des HVG eine abhängige Beschäftigung aufnahmen, gilt das zwar nicht in gleichem Maße. Aber auch sie konnten davon ausgehen, daß ihr Status als von der Versicherungspflicht befreiter Handwerker damals zu umfassender Versicherungsfreiheit führte. Auch für sie sollte dieses deshalb nach Inkrafttreten des HwVG so bleiben, wobei ihnen diejenigen gleichgestellt wurden, die bei Inkrafttreten des neuen Rechts noch nicht befreit waren, aber die Befreiungsvoraussetzungen erfüllt und Versicherungsfreiheit nach altem Recht geltend gemacht hatten.
Ein Bedarf an Vertrauensschutz besteht jedoch weniger, wenn der Handwerker eine abhängige Beschäftigung erst nach Inkrafttreten des neuen Rechts (1. Januar 1962) aufgenommen hat, insbesondere wenn das erst weit nach diesem Stichtag geschehen ist. In derartigen Fällen wird der Handwerker, als er sich befreien ließ oder die Versicherungsfreiheit nach altem Recht geltend machte, die spätere Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung und die Erstreckung der Versicherungsfreiheit auch auf diese vielfach noch nicht bedacht haben. Es kommt hinzu, daß die Beschäftigung hier erst aufgenommen worden ist, nachdem das Recht geändert und der Versicherungspflicht aufgrund abhängiger Beschäftigung grundsätzlich der Vorrang vor einer nach dem HwVG an sich bestehenden Versicherungspflicht eingeräumt worden ist. Würde gleichwohl eine Versicherungsfreiheit auch auf eine solche abhängige Beschäftigung erstreckt werden, so würde das neue Recht (mit seinem Vorrang der Versicherungspflicht der abhängigen Beschäftigung) zugunsten einer Weitergeltung des alten Rechts - sogar für erst unter dem neuen Recht eingetretene Sachverhalte - zurückgedrängt und damit der Anwendungsbereich der Übergangsvorschrift des § 6 Abs 3 HwVG überdehnt werden. Dieses entspricht jedenfalls unter den Voraussetzungen, die beim Kläger gegeben sind, nicht dem Sinn der Gesamtregelung des § 2 Abs 1 Nr 5 und des § 6 Abs 3 HwVG.
Der Kläger hat die Beschäftigung als Arbeiter bei der Beigeladenen erst im März 1974 und damit mehr als 12 Jahre nach dem Inkrafttreten des HwVG aufgenommen. Es handelte sich dabei um eine seinem Handwerk als Friseur fremde Beschäftigung in der Autoindustrie. Schon zur Zeit der Verabschiedung des HwVG im Jahre 1960 war ein Rückgang der Handwerksbetriebe eingetreten, der sich später verstärkt fortsetzte und auch jetzt noch andauert. So wurde in einem Bericht der Bundesregierung aus dem Jahre 1960 die Zahl der Handwerksbetriebe aufgrund der Handwerkszählung von 1957 noch mit rund 740.000 angegeben (vgl BT-Drucks III/2012, S 12 mit Tabelle Handwerk 1); ihre Zahl nahm nach den Ergebnissen der Handwerkszählungen von 1963 und 1968 erheblich ab (vgl Wirtschaft und Statistik 1965, S 369 ff und 1968 S 579 ff), bis schließlich die Zahl der Unternehmen des Handwerks nach der Handwerkszählung von 1977 noch mit rund 470.000 angegeben wurde (Wirtschaft und Statistik 1978, S 481, 486 mit Tabelle 2). Diese Entwicklung läßt darauf schließen, daß immer weniger selbständige Handwerker die Grundlage ihrer Existenz und zugleich ihrer Sicherung für den Fall der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit und des Alters sowie - für den Todesfall - der Sicherung ihrer Hinterbliebenen in ihrem Handwerksbetrieb fanden, sich viele von ihnen daher einer abhängigen Beschäftigung zuwenden mußten. Allerdings haben diejenigen, die ihren Handwerksbetrieb aufgaben, ihre Eintragung in der Handwerksrolle in der Regel wohl löschen lassen, so daß sich für sie die hier zu entscheidende Frage schon im Hinblick auf § 6 Abs 5 HwVG nicht stellte (vgl auch das erwähnte Urteil in SozR Nr 1 zu Art 2 § 52 AnVNG). Auch bei manchen Handwerkern, die in der Handwerksrolle eingetragen blieben, dürften indessen die Einkünfte aus dem Handwerksbetrieb so weit zurückgegangen sein, daß sie sich deswegen einer abhängigen Beschäftigung zuwandten. Auch bei ihnen verlagerte sich dann die Grundlage ihrer Existenz und ihrer Zukunftssicherung vom Handwerk auf eine abhängige Beschäftigung. Dadurch gewann die Versicherungspflicht der abhängigen Beschäftigung für sie an Bedeutung. Dem wird durch die hier vertretene Auffassung Rechnung getragen, während eine Anwendung des § 6 Abs 3 HwVG auch auf Fälle wie den des Klägers die dargelegte Entwicklung unberücksichtigt ließe.
Zu bedenken ist weiter, daß viele Lebensversicherungen, die, als die Versicherungsfreiheit geltend gemacht wurde, noch als eine ausreichende Zukunftssicherung angesehen werden konnten, infolge der wirtschaftlichen Entwicklung dazu nicht mehr ausreichen. So stellt die vom Kläger seinerzeit nachgewiesene Lebensversicherung über 17.000,- DM schon seit langem keinen ausreichenden Beitrag zur Zukunftssicherung mehr dar. Daneben läßt die Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung durch einen Handwerker vielfach darauf schließen, daß die Einkünfte aus dem Handwerksbetrieb rückläufig sind und auch der Erlös abnimmt, der aus einer späteren Abgabe des Betriebes für die Sicherung des Handwerkers zur Verfügung steht. Allerdings tritt bei Annahme von Versicherungspflicht für die abhängige Beschäftigung eine Doppelbelastung des Handwerkers - mit den Prämien für die Lebensversicherung und den Arbeitnehmeranteilen an den Pflichtbeiträgen zur Rentenversicherung - ein. Diese erscheint aber hinnehmbar, sofern die Prämien, wie im Falle des Klägers, unter Berücksichtigung der dargelegten Entwicklung niedrig sind und weil der Handwerker seinen Anteil an den Rentenversicherungsbeiträgen aus dem Arbeitsentgelt ebenso bestreiten kann wie andere Arbeitnehmer. Der Kläger hatte die Doppelbelastung auch schon fast neun Jahre lang tatsächlich getragen, als die Beklagte die Beiträge im Januar 1983 beanstandete. Unter diesen Umständen kann ihm die Pflichtversicherung aufgrund der abhängigen Beschäftigung um so weniger verwehrt werden, als der Senat in dem erwähnten Urteil (SozR 2200 § 1227 Nr 24) sogar einem befreiten Handwerker, der neben dem Handwerk als Selbständiger tätig ist, unter bestimmten Voraussetzungen das Recht zuerkannt hat, eine Pflichtversicherung auf Antrag zu begründen.
Dem Kläger kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, er hätte seine Versicherungspflicht dadurch herbeiführen können, daß er seine Eintragung in der Handwerksrolle gemäß § 6 Abs 5 HwVG hätte löschen lassen. Für den Entschluß, auch bei Verrichtung einer abhängigen Beschäftigung die Eintragung in der Handwerksrolle beizubehalten, können vielfältige, auch anerkennenswerte Gründe maßgebend sein. So kann der Handwerker sein Gewerbe neben der abhängigen Beschäftigung weiter ausüben wollen, um höhere Einnahmen zu erzielen oder um sich die volle Rückkehr zum Handwerk bei Verlust des Arbeitsplatzes offen zu halten oder den Handwerksbetrieb für einen Nachfolger zu erhalten. § 6 Abs 5 HwVG darf nicht dazu dienen, den Handwerker auf dem Wege über das Sozialversicherungsrecht mittelbar zu einer Entscheidung entweder allein zugunsten des Handwerks oder allein für eine abhängige Beschäftigung zu zwingen. Die Vorschrift bietet auch keine Handhabe dafür, gegen denkbare Erscheinungen vorzugehen, in denen der Handwerker den Betrieb neben seiner abhängigen Beschäftigung nicht mehr selbst führt, sondern dafür nur noch unter Beibehaltung seiner Eintragung in die Handwerksrolle seinen Namen hergibt. Ob dagegen handwerksrechtlich einzuschreiten wäre, bedarf hier keiner Entscheidung.
Der Kläger kann schließlich auch nicht darauf verwiesen werden, daß er die als Pflichtbeiträge entrichteten Beiträge als freiwillige Beiträge gelten lassen (§ 1422 RVO) und weiterhin freiwillige Beiträge entrichten könne. Denn in der Rentenversicherung der Arbeiter wird in zahlreichen Vorschriften verlangt, daß - ggfs innerhalb von Rahmenfristen - für eine bestimmte Zeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung von bestimmter Dauer ausgeübt worden ist und darüber hinaus (Pflicht-)Beiträge hierfür entrichtet worden sind (vgl zB § 1236 Abs 1a Satz 1 Nr 1 und Nr 3 RVO; § 1246 Abs 1 und 2a RVO idF des Art 1 Nr 32 HBegleitG 1984; § 1248 Abs 2 Satz 2 RVO; § 1248 Abs 3 RVO; § 1259 Abs 3 RVO; § 1260 Abs 1 Satz 2 RVO; Art 2 § 55a Abs 1 Satz 1 ArVNG). Eine freiwillige Versicherung steht einer Pflichtversicherung demnach in vieler Hinsicht nicht gleich. Daneben ist rechtlich nicht gesichert, daß der freiwillig Versicherte den Anteil an den Beiträgen von seinem Arbeitgeber erhält, den dieser bei Pflichtversicherten kraft Gesetzes zu tragen hat. Die Regelung des § 1 Satz 2 Halbsatz 2 der genannten VO (angefügt durch § 1 der VO vom 20. Dezember 1940, RGBl I S 1671), wonach der Handwerker, soweit er neben selbständiger Tätigkeit auch in einem Beschäftigungsverhältnis bei einem Unternehmer steht, gegen diesen einen Anspruch auf die Unternehmerhälfte des ersparten Pflichtbeitrags hat, und zwar auch dann, wenn er aufgrund eines Lebensversicherungsvertrages Versicherungsfreiheit geltend gemacht hat, ist mit der Aufhebung der VO vom 13. Juli 1939 und der VO vom 20. Dezember 1940 durch § 14 Nr 2 und Nr 5 HwVG entfallen. Müßte aber der Handwerker neben den Prämien für die Lebensversicherung die vollen (freiwilligen) Beiträge zur Rentenversicherung allein tragen, so wäre die Doppelbelastung größer als bei Annahme der Pflichtversicherung. Daß die Beigeladene hier anscheinend die Arbeitgeberanteile unter bestimmten Voraussetzungen nicht zurückfordern würde, wenn Versicherungspflicht verneint wird, würde jedenfalls an einer Mehrbelastung des Klägers für die Zukunft nichts ändern.
Hiernach erwies sich die Revision des Klägers als begründet. Deshalb war unter Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und der Bescheide der Beklagten der Feststellungsklage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes. Eine Kostenerstattung hat der Senat nur zugunsten des Klägers und zu Lasten der Beklagten angeordnet, nicht dagegen hinsichtlich der Beigeladenen, da diese sich am Streit um die Versicherungspflicht in der Sache nicht beteiligt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 1664561 |
BSGE, 86 |