Entscheidungsstichwort (Thema)

Zusammenleben wie Eheleute

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Klägerin und der Versicherte haben - wie Eheleute - das, was ihnen zum Leben zur Verfügung stand, miteinander geteilt. Nach den besonderen Umständen dieses Falles war nicht erforderlich festzustellen, was von dem Gesamteinkommen auf die Klägerin entfallen ist. Entscheidend ist, daß der Gesamtbetrag zum Leben beider ausgereicht und vor allem die Klägerin davon tatsächlich mitgelebt hat.

 

Normenkette

RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Januar 1963 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Hinterbliebenenrente als geschiedene Frau des Versicherten hat (§ 1265 der Reichsversicherungsordnung - RVO -).

Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten wurde 1932 aus alleinigem Verschulden des Ehemannes geschieden. Die Klägerin lebte und wohnte jedoch mit ihrem geschiedenen Ehemann bis zu dessen Tode im November 1951 weiter in häuslicher Gemeinschaft zusammen. Der Versicherte bezog seit dem 1. Mai 1947 Invalidenrente, zuletzt monatlich in Höhe von 67,50 DM. Außerdem zahlte das Fürsorgeamt an den geschiedenen Ehemann eine - in der Höhe wechselnde - Unterstützung, in der jeweils ein Zuschlag für die Klägerin, die er als seine Ehefrau bezeichnet hatte, enthalten war.

Im Juni 1958 beantragte die Klägerin erneut Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes, nachdem ihr im Dezember 1951 gestellter Antrag von der Beklagten am 11. August 1952 abgelehnt worden war. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 14. Oktober 1959 auch den neuen Rentenantrag ab, weil keine der Alternativvoraussetzungen des § 1265 RVO erfüllt sei.

Hiergegen hat die Klägerin erfolglos Klage erhoben. Auf ihre Berufung hin, hat das LSG das Urteil des Sozialgerichts und den ablehnenden Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenrente nach § 1265 RVO vom 1. Januar 1957 an zu gewähren. Es hat dazu ausgeführt, der Versicherte habe die Klägerin im letzten Jahr vor seinem Tode unterhalten. Die Klägerin und der Versicherte hätten trotz der Scheidung ihrer Ehe weiterhin wie Eheleute zusammengelebt. Der Versicherte habe ohne Beachtung des Scheidungsurteils für sich und seine "Frau" Fürsorgeunterstützung beantragt, und der Fürsorgeverband habe den "Eheleuten" diese Unterstützung, zunächst in der Höhe des für Eheleute geltenden Fürsorgesatzes, später in geringerer Höhe als Zuschuß zu der inzwischen bewilligten Invalidenrente des Versicherten, auch gewährt. Weder die Klägerin noch der Versicherte hätten weiteres Einkommen gehabt. Beide hätten gemeinsam von der Rente des Versicherten und der zusätzlich gewährten Fürsorgeunterstützung gelebt. Der Versicherte habe sonach die Klägerin im letzten Jahr vor seinem Tode unterhalten. Deshalb habe die Klägerin nach der letzten Alternative des § 265 RVO Anspruch auf Hinterbliebenenrente.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Mit der Revision beantragt die Beklagte,

das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 23. Januar 1963 aufzuheben und die Berufung der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

Sie rügt, das LSG habe § 1265 RVO - letzte Alternative - verkannt. Sie meint, die Ansicht des LSG sei mit der Rechtsprechung des BSG nicht zu vereinbaren. Geldleistungen, die der mit seiner geschiedenen Frau im gemeinsamen Haushalt lebende Versicherte dieser zur Verfügung stelle, seien in der Regel keine Unterhaltszahlungen, sondern Entgelt für die Führung des Haushalts. Die Tatsache, daß die Klägerin mit dem Versicherten bis zu dessen Tode im gemeinsamen Haushalt gelebt und beide sich in der Öffentlichkeit als Eheleute ausgegeben hätten, könne allein nicht zur Anwendung des § 1265 RVO - letzte Alternative - führen. Der Versicherte habe zunächst eine Invalidenrente von nur monatlich 39,- RM bezogen, die sich erst kurz vor seinem Tode auf 67,50 DM erhöht habe. Mit diesen Einkünften sei der Versicherte nicht in der Lage gewesen, an die Klägerin Unterhaltsleistungen zu erbringen. Das geringe Einkommen habe ihn sogar gezwungen, Fürsorgeunterstützung zu beantragen. Wesentlich sei, daß die Klägerin von dem Versicherten keinen Unterhalt erhalten konnte. Ihr sei die Unterstützung durch das Fürsorgeamt zugute gekommen. Wenn sie aber von der Rente des Versicherten tatsächlich etwas erhalten haben sollte, dann könnten diese Beträge nur als Entgelt für ihre Arbeit im Haushalt und die Pflege des Versicherten angesehen werden.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klägerin hat rechtzeitig, d. h. innerhalb der Frist des Art. 2 § 44 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter (ArVNG) den Antrag auf Nachprüfung des ablehnenden Bescheides vom 11. August 1952 gestellt. Rechtsgrundlage für den mit der Klage geltend gemachten Anspruch auf Hinterbliebenenrente sind die §§ 1263, 1265 RVO i. V. m. Art. 2 § 19 ArVNG. Danach wird, auch wenn der Versicherungsfall des Todes vor dem 1. Januar 1957, aber nach dem 30. April 1942 eingetreten und die Wartezeit für den Versicherten erfüllt ist, seiner geschiedenen Ehefrau Hinterbliebenenrente gewährt, wenn er ihr zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Daß der Versicherte die Wartezeit erfüllt hat, ist unter den Beteiligten nicht streitig. Das LSG hat von den im § 1265 RVO angeführten Alternativvoraussetzungen nur die letzte - Unterhaltsleistung im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten - geprüft und bejaht. Seine Rechtsauffassung ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin und der Versicherte verwendeten das beiderseitige Gesamteinkommen, das aus der Rente des Versicherten und der vom Fürsorgeamt an ihn gezahlten Unterstützung, in der ein Zuschlag für die Klägerin enthalten war, bestand, zum gemeinsamen Unterhalt. Das LSG hat nicht festgestellt, was davon auf die Klägerin entfallen ist. Das war nach den besonderen Umständen dieses Falles auch nicht erforderlich. Entscheidend ist, daß der Gesamtbetrag zum Leben beider ausgereicht und vor allem die Klägerin davon tatsächlich mitgelebt hat. Beide haben- wie Eheleute - das, was ihnen zum Leben zur Verfügung stand, miteinander geteilt. Hiernach hat die Klägerin während der in Betracht kommenden Zeit ihren Unterhaltsbedarf etwa gleichmäßig wie der Versicherte aus Mitteln gedeckt, die jedenfalls teilweise aus Zuwendungen des Versicherten stammten. Selbst wenn man die Fürsorgeunterstützung, obwohl sie dem Versicherten - allerdings mit der Zweckbestimmung, sie auch für die Klägerin zu verwenden - ausgezahlt wurde, als gemeinsames und zu gleichen Teilen auf die beiden Verbraucher entfallendes Einkommen der geschiedenen Eheleute ansieht (vgl. BSG SozR RVO § 1265 Nr. 16), so bleibt doch die Invalidenrente, die ebenso wie das sonstige Einkommen nach den Feststellungen des LSG gemeinsam und etwa zu gleichen Anteilen verbraucht wurde, in Höhe der Hälfte eine Zuwendung des Versicherten an die Klägerin.

Das LSG hat sich mit seiner Entscheidung im vorliegenden Fall auch nicht in Widerspruch zu der sonst vom BSG vertretenen Auffassung gesetzt. Das BSG hat vielmehr wiederholt ausgesprochen, daß die tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalles maßgebend dafür sind, ob Geldleistungen, die der mit seiner geschiedenen Frau im gemeinsamen Haushalt lebende Versicherte dieser laufend zur Verfügung stellt, Entgelt für die Führung des Haushalts oder Unterhalt darstellen. Es hat in solchen Fällen die Möglichkeit der Leistung von "Unterhalt" durchaus anerkannt, allerdings zum Nachweis des Unterhaltscharakters von Zuwendungen an die frühere Ehefrau das Bestehen eines eheähnlichen Verhältnisses nicht allein genügen lassen, vielmehr gefordert, daß die Zuwendungen unabhängig von Gegenleistungen der Frau gegeben wurden (vgl. BSG 12, 279, 281; 19, 185; SozR RVO § 1265 Nr. 16; 4 RJ 381/64 vom 9. September 1965; 4 RJ 457/63 vom 30. November 1965). Im vorliegenden Fall sprechen die Gesamtumstände gegen die Annahme, daß der Teilbetrag, der dem Lebensunterhalt der Klägerin diente, Entgelt für Hausarbeit war. Die Tatsache, daß das frühere Ehepaar sich überhaupt nicht getrennt hat, rechtfertigt vielmehr die Annahme, daß weder der Versicherte Hausarbeit abgelten wollte noch die Klägerin die Absicht hatte, gegen Entgelt zu arbeiten. Es spricht vielmehr alles dafür, daß der Versicherte die Klägerin unterhalten hat. Unter den besonders einfachen Verhältnissen, unter denen die Klägerin und der Versicherte gelebt haben, können die Leistungen des Versicherten auch nicht als geringfügig - und etwa deshalb im Rahmen des § 1265 RVO als unbeachtlich (BSG 22, 44) - angesehen werden.

Nach alledem ist die Revision unbegründet. Sie ist deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1984402

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