Leitsatz (redaktionell)
Unter Berufsausbildung ist die Ausbildung für einen zukünftig gegen Entgelt auszuübenden Lebensberuf zu verstehen, welche die Zeit und Arbeitskraft des Kindes ausschließlich oder überwiegend beansprucht. Eine Ausbildung für den künftigen Beruf liegt ua nur dann vor, wenn erst durch sie die Aufnahme in einen bestimmten Beruf erreicht werden soll. Sie liegt nicht mehr vor, wenn der Beruf schon erreicht ist und die Ausbildung in einem bereits erreichten Beruf stattfindet und der Weiterbildung dient.
Orientierungssatz
Ein Polizeibeamter auf Probe befindet sich nicht mehr in einer Berufsausbildung iS des BVG § 45 Abs 4, auch wenn er an einem Ausbildungslehrgang teilnimmt.
Normenkette
BVG § 45 Abs. 4 Fassung: 1960-06-27
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. August 1964 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der im Juni 1942 geborene Kläger bezog eine Waisenrente, die mit Bescheid vom 9. September 1960 nach Beendigung seiner Berufsausbildung im Kraftfahrzeughandwerk ab 1. Oktober 1960 eingestellt wurde. Am 13. September 1960 beantragte die Mutter des Klägers die Weiterzahlung der Waisenrente, da dieser ab 1. Oktober 1960 die Polizeischule in H zur Ausbildung für den Polizeidienst besuchen werde. Nachträglich wurde eine Bescheinigung der Landespolizeischule Niedersachsen vom 19. Oktober 1960 vorgelegt, aus der hervorgeht, daß der Kläger am 1. Oktober 1960 als Polizeiwachtmeister unter gleichzeitiger Berufung in das Beamtenverhältnis in den Polizeidienst des Landes Niedersachsen eingestellt worden sei und seitdem an einem bis zum 30. September 1961 dauernden Grundlehrgang der Landespolizeischule teilnehme. In der Bescheinigung ist weiter ausgeführt, der Kläger habe seit seiner Einstellung die Rechtsstellung eines Beamten auf Probe nach den Bestimmungen des Niedersächsischen Beamtengesetzes (NBG) vom 14. Juli 1960 (Nds. GVBl S. 145), er sei also vom Tage seiner Einstellung an planmäßiger Beamter und erhalte Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe A 5 des Landesbesoldungsgesetzes vom 14. Mai 1958, aufgrund deren er seinen Unterhalt ohne Hilfe Dritter bestreiten könne. Darüber hinaus würden ihm freie Unterkunft, freie Dienstkleidung und freie Heilfürsorge gewährt. Nach einer Entscheidung des Niedersächsischen Ministers des Innern sei die Grundausbildung an der Landespolizeischule nicht als Berufsausbildung im Sinne des § 18 Abs. 2 des Landesbesoldungsgesetzes (LBesG) und somit auch nicht als Berufsausbildung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) anzusehen. Das Versorgungsamt (VersorgA) lehnte mit Bescheid vom 3. Januar 1961 den Antrag auf Weiterzahlung der Waisenrente mit der Begründung ab, daß sich der Kläger als Polizeibeamter auf Probe mit vollen Dienstbezügen nicht mehr in einer Berufsausbildung im Sinne des § 45 BVG befinde. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers, die vornehmlich damit begründet worden war, daß der Dienst in der Polizeischule der Ausbildung für einen Beruf diene, weil keine Gegenleistung erwartet werde und der Beamte auf Probe sich auch noch nicht in einer gesicherten Rechtsstellung befinde, mit Urteil vom 24. August 1964 zurückgewiesen. Es hat beim Kläger eine Berufsausbildung im Sinne des § 45 Abs. 4 Buchst. a BVG idF des 1. Neuordnungsgesetzes - 1. NOG - (§ 45 Abs. 3 Buchst. a BVG idF des 2. NOG) nicht angenommen und zur Begründung ausgeführt, daß der Kläger als Beamter auf Probe eine andere Rechtsstellung als ein Widerrufsbeamter habe. Während dieser noch für seinen Beruf ausgebildet werde und die für seine Laufbahn vorgeschriebene Prüfung ablegen müsse (§ 40 NBG), handle es sich bei einem Beamten auf Probe um die Bewährung im Beruf. Dazu komme, daß Polizeivollzugsbeamte auch während der Probezeit befördert werden könnten (§ 220 NBG). Der Beamte auf Probe sei im Gegensatz zum Widerrufsbeamten auch planmäßiger Beamter; die Probezeit diene allein der Bewährung für die spätere Anstellung auf Lebenszeit. Der Beamte auf Probe befinde sich nicht in der Ausbildung zum Beamten, sondern sei bereits Beamter und stehe infolgedessen nicht mehr in der Ausbildung für den künftig gegen Entgelt auszuübenden Lebensberuf (vgl. BSG 9, 196, 197). Anders als der Widerrufsbeamte, der während seines Vorbereitungsdienstes zu seiner Ausbildung beschäftigt werde, keine selbstverantwortliche Tätigkeit ausübe und nur einen Unterhaltszuschuß (§ 90 Abs. 3 NBG) beziehe, erhalte der Beamte auf Probe Dienstbezüge nach den besoldungsrechtlichen Vorschriften. Dabei könne es nicht rechtserheblich sein, ob der Kläger auch eine vergleichbare Gegenleistung erbringe, da diese sich nicht auf die Tätigkeit im Einzelfall beziehe, die Besoldung vielmehr als Gegenleistung dafür gewährt werde, daß der Beamte sich mit voller Hingabe seinem Beruf und seinen Pflichten widme. Der nach der Laufbahnordnung für die Polizeivollzugsbeamten vorgeschriebene Besuch der Landespolizeischule betreffe die Ausbildung im Beruf zum Zwecke der Weiterbildung und der Erlangung weiterer Fertigkeiten für die verschiedenen Tätigkeitsarten des erreichten Berufszieles. Die Auffassung des Beklagten, es handle sich um Polizeidienst, sei sonach zutreffend und entspreche auch der in der Bescheinigung der Landespolizeischule mitgeteilten Ansicht des Niedersächsischen Innenministers, wonach die Grundausbildung an der Landespolizeischule nicht als Berufsausbildung im Sinne des § 18 Abs. 2 des Niedersächsischen LBesG angesehen werden könne.
Zu § 1267 der Reichsversicherungsordnung (RVO), der für die Sozialversicherung die gleiche Regelung enthält wie § 45 Abs. 4 BVG aF für die Kriegsopferversorgung, habe das LSG Niedersachsen (Urteil vom 20. Oktober 1961 - L 13 J 206/61 -) entschieden, daß der Beamte auf Probe sich in einer Stellung befinde, die nach der Gesamtheit der rechtlichen, sozialen und finanziellen Merkmale sowie nach allgemeiner Auffassung als Beruf, aber nicht als Schul- oder Berufsausbildung gelte. Diese Auffassung treffe auch für den vorliegenden Fall zu. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen das am 16. September 1964 zugestellte Urteil des LSG hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23. September 1964, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 25. September 1964, Revision eingelegt und diese gleichzeitig auch begründet. Er beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des Sozialgerichts Oldenburg vom 9. Mai 1963 sowie der Bescheide vom 3. Januar und 26. April 1961 den Beklagten zu verurteilen, Waisenrente über den 30. September 1960 hinaus weiter zu zahlen.
In der Revisionsbegründung rügt der Kläger eine unrichtige Anwendung des § 45 Abs. 4 Buchst. a BVG aF. Er meint, die Frage der Berufsausbildung sei danach zu beurteilen, ob nach der tatsächlichen Gestaltung des Dienstverhältnisses seine Tätigkeit überwiegend seiner Ausbildung oder der Verwertung seiner Arbeitskraft gedient habe. Die Teilnahme an dem Grundlehrgang der Polizeischule habe die Ausbildung für Aufgaben bezweckt, die er nach Ablegung einer Abschlußprüfung und nach der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit künftig wahrzunehmen gehabt habe. So sei es jedenfalls bei ihm gewesen, wobei dahingestellt bleiben könne, ob auch sonst ein Beamter auf Probe bis zur Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit sich noch in Berufsausbildung befinde. Der ihm - dem Kläger - für die Dauer des Lehrgangs belassene rechtliche Status eines Beamten auf Probe könne nur als besondere Vergünstigung angesehen werden, die wie die zugesicherte Besoldung nur der Gewinnung und Förderung geeigneten Beamtennachwuchses dienen sollte. Von einer Ausbildung im Beruf könne nicht die Rede sein, da jedenfalls während der Dauer des Lehrgangs in der Polizeischule eine Berufsausübung überhaupt nicht in Betracht gekommen sei.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für richtig und dessen Begründung für zutreffend.
Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Sie ist daher zulässig. Die Revision ist aber nicht begründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Kläger als Polizeibeamter auf Probe sich nicht mehr in Berufsausbildung befindet, auch wenn er an einem für die Polizeivollzugsbeamten vorgeschriebenen Lehrgang teilnimmt.
Nach § 45 Abs. 1 BVG in der hier anwendbaren Fassung des 1. NOG vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) wird die Waisenrente grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gewährt. Im Abs. 4 Buchst. a dieser Vorschrift ist bestimmt, daß unverheiratete Waisen, die Waisenrente längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres erhalten, wenn sie sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden. Eine nach Inhalt und Voraussetzungen gleiche Regelung wie vorstehend erwähnte besteht im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. §§ 1267 Abs. 1 RVO nF, 44 Abs. 1 AVG nF, 67 Abs. 1 RKG). Wie das BSG zu den entsprechenden Vorschriften der Sozialversicherung wiederholt entschieden hat, ist unter Berufsausbildung im Sinne dieser Vorschriften die Ausbildung für einen zukünftig gegen Entgelt auszuübenden Lebensberuf zu verstehen, welche die Zeit und Arbeitskraft des Kindes ausschließlich oder überwiegend beansprucht (vgl. BSG 9, 196, 198; 14, 285, 287 = SozR RVO § 1267 Nr. 4; ferner BSG in SozR RVO § 1267 Nr. 7 und Nr. 13). Das BSG ist dabei von der Erwägung ausgegangen, daß die Ausbildung dazu bestimmt sein müsse, die Fähigkeit zur Ausübung eines entgeltlichen Berufes zu erlangen. Nach ihrem Sinn und Zweck sei die Waisenrente für den Unterhalt des Kindes gedacht. Der für die Weitergewährung nach Vollendung des 18. Lebensjahres getroffenen Regelung liege der Gedanke zugrunde, daß das Kind bis dahin seinen Lebensunterhalt im allgemeinen noch nicht selbst bestreiten könne, mit der Vollendung des 18. Lebensjahres aber in der Regel eine Erwerbstätigkeit erreicht habe, auf Grund deren es seinen Lebensunterhalt selbst verdienen könne. Deshalb solle die Waisenrente ihrem Sinn und Zweck nach nur in den Fällen über das 18. Lebensjahr hinaus gewährt werden, in denen die Waise für ihren Lebensunterhalt noch nicht selbst durch eine Erwerbstätigkeit sorgen könne, weil sie entweder ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen hat oder wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen hat das BSG entschieden, daß ein Inspektor-Anwärter sich noch in der Berufsausbildung befindet (BSG 9, 196, 198), ein Polizeibeamter auf Probe dagegen auch dann nicht mehr, wenn er an einem vor der Anstellung auf Lebenszeit vorgeschriebenen Lehrgang einer Polizeischule teilnimmt (vgl. SozR RVO § 1267 Nr. 15). Diesen Entscheidungen liegt die Erwägung zugrunde, der Vorbereitungsdienst eines Inspektoranwärters diene der näher geregelten praktischen und theoretischen Ausbildung durch die Ausbildungsbehörde für den zukünftigen Beruf. Der Inspektoranwärter werde während seines Vorbereitungsdienstes nur zu seiner Ausbildung beschäftigt, übe aber keine selbstverantwortliche Tätigkeit aus und erlange überhaupt erst durch die Ableistung des Vorbereitungsdienstes - unter Umständen nach Ablegung der vorgesehenen Prüfungen - die für seine Laufbahn erforderliche Befähigung. Der Ausbildungscharakter des Vorbereitungsdienstes werde auch dadurch gekennzeichnet, daß der Inspektorenanwärter keine Dienstbezüge, sondern nur einen Unterhaltszuschuß erhalte, dessen Zweck es sei, die wirtschaftliche Lage des Beamtenanwärters zu erleichtern, nicht aber dessen Unterhalt voll sicherzustellen; er sei auch kein Entgelt für die geleisteten Dienste. Anders verhalte es sich dagegen bei einem Beamten auf Probe. Dieser sei planmäßig angestellt und erhalte volle Dienstbezüge, mit denen er seinen Lebensunterhalt auch während der Teilnahme an einem Lehrgang so bestreiten könne wie sonst auch. Die volle Besoldung lasse es aber nicht mehr zu, noch eine Berufsausbildung anzunehmen, wobei berücksichtigt werden müsse, daß die Waisenrente ihrer Natur und ihrem Zweck nach für einen nicht mehr vorhandenen Unterhaltsanspruch Ersatz bieten solle, dessen es aber nicht mehr bedürfe, wenn es sich um einen Beamten handle, der volles Gehalt beziehe und daher selbst für seinen Unterhalt sorgen könne.
Der Senat hat keine Bedenken, sich dieser Rechtsprechung bei seiner Entscheidung zu § 45 Abs. 4 Buchst. a BVG aF anzuschließen. Auch nach dem Wortlaut wie nach dem Zweck und Ziel dieser Vorschrift liegt eine Ausbildung für den künftigen Beruf u. a. nur dann vor, wenn erst durch sie die Aufnahme in einen bestimmten Beruf erreicht werden soll. Mithin liegt sie nicht mehr vor, wenn der Beruf schon erreicht ist und die Ausbildung in einem bereits erreichten Beruf stattfindet und der Weiterbildung dient. Dieser Auslegung entspricht auch die nach der Verwaltungsvorschrift (VV) Nr. 1 zu § 45 BVG für Waisen entsprechend geltende VV Nr. 11 zu § 33 b BVG aF, wonach eine Berufsausbildung dann vorliegt, wenn die Ausbildung für eine später gegen Entgelt auszuübende Berufstätigkeit stattfindet und der Ausbildungsgang geeignet ist, in angemessener Zeit zu dem Berufsziel zu führen.
Nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG ist der Kläger am 1. Oktober 1960 unter Berufung in das Beamtenverhältnis als Polizeiwachtmeister in den niedersächsischen Polizeidienst eingestellt worden. Er ist seit der Einstellung Beamter auf Probe nach den Vorschriften des NBG gewesen, hat als planmäßiger Beamter volle Dienstbezüge nach der für ihn zuständigen Besoldungsgruppe erhalten und als Polizeivollzugsbeamter nach § 220 NBG auch während der Probezeit befördert werden können. Der Kläger ist somit bereits ab 1. Oktober 1960 Beamter gewesen. Die Zurücklegung der Probezeit diente nur der Bewährung als Voraussetzung für die spätere Verwendung auf Lebenszeit. Er konnte im Gegensatz zu dem im Vorbereitungsdienst beschäftigten Beamten auf Widerruf auch nicht jederzeit, sondern nur aus den im NBG aufgeführten Gründen entlassen werden. Unter diesen Umständen hat sich der Kläger nach der tatsächlichen, rechtlichen und finanziellen Gestaltung seines Dienstverhältnisses nicht mehr in einer Berufsausbildung befunden. Die Teilnahme an dem Grundlehrgang der Polizeischule diente nicht der Vorbereitung für den Beruf eines Polizeibeamten, sondern der Weiterbildung in diesem Beruf. Mit Recht hat daher der Niedersächsische Minister des Innern in der von der Landespolizeischule mit Schreiben vom 19. Oktober 1960 mitgeteilten Entscheidung die Grundausbildung an der Landespolizeischule nicht als Berufsausbildung im Sinne des § 18 Abs. 2 LBesG angesehen, wonach die Weitergewährung eines Kinderzuschlags nach Vollendung des 18. Lebensjahres u. a. von dem Nachweis einer Berufsausbildung abhängig ist, und daher auch nicht als Berufsausbildung im Sinne des BVG. Der Kläger hat sich somit als Polizeibeamter auf Probe auch während der Teilnahme an dem Grundlehrgang der Polizeischule nicht in Berufsausbildung befunden.
Die Revision ist sonach nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen