Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausfallzeit bei vorübergehender Erwerbsunfähigkeit

 

Orientierungssatz

Eine Ausfallzeit ist in rückschauender Betrachtungsweise zu berücksichtigen, wenn die neben der Arbeitsunfähigkeit zunächst bestehende Erwerbsunfähigkeit vor Eintritt eines neuen Versicherungsfalles behoben ist und damit nicht zu einem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben geführt hat (vgl BSG 1981-09-22 1 RJ 94/78 = BSGE 52, 108; vom 1981-10-15 = BSGE 52, 284; vom 1981-11-25 5a/5 RKn 6/79 und vom 1981-11-26 5b/5 RJ 16/79).

 

Normenkette

RKG § 57 S 1 Nr 1; RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 26.08.1980; Aktenzeichen L 15 Kn 70/79)

SG Dortmund (Entscheidung vom 04.05.1979; Aktenzeichen S 25 (14) Kn 182/78)

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Berechnung des dem Kläger gewährten Knappschaftsruhegeldes die Zeit vom 1. April 1973 bis zum 31. März 1978 als Ausfallzeit zu berücksichtigen ist.

Nach Tätigkeiten im Bergbau ua als Hauer, Aufsichtshauer, Meisterhauer und bis Ende April 1968 als Schießmeister arbeitete der Kläger anschließend als Sprengstoff- und Sprengmittelausgeber. Während dieser Beschäftigung erhielt er die Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres nach § 45 Abs 1 Nr 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG). Ab 20. Oktober 1972 war er arbeitsunfähig krank. Seit dem 1. April 1973 bezog er Knappschaftsausgleichsleistung.

Am 3. Dezember 1973 beantragte der Kläger Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 8. Mai 1974 gewährte ihm die Beklagte ab 1. Januar 1974 Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit, die sie ab 1. Oktober 1975 in Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit umwandelte (Bescheid vom 25. August 1975). In einem weiteren Verwaltungsakt vom 11. November 1975 bewilligte die Beklagte dem Kläger Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 4. Juni 1974 bis zum 3. Juni 1975 und die Widerspruchsstelle legte den Eintritt des Versicherungsfalles der Erwerbsunfähigkeit auf den 20. Oktober 1972 - den Beginn der Arbeitsunfähigkeit - vor (Widerspruchsbescheid vom 15. März 1976). Ab 1. Oktober 1975 zahlte die Beklagte erneut Knappschaftsausgleichsleistung. Seit dem 1. April 1978 erhält der Kläger vorgezogenes Knappschaftsruhegeld nach § 48 Abs 2 RKG (Bescheid vom 22. Mai 1978, Widerspruchsbescheid vom 6. November 1978), nachdem er seit dem 29. November 1974 beim Arbeitsamt als Arbeitsuchender gemeldet war. Die Zeit bis zum 31. März 1973 wurde bei der Rentenberechnung als Zurechnungszeit angerechnet.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verpflichtet, das Knappschaftsruhegeld des Klägers unter Berücksichtigung der Ausfallzeiten vom 1. April 1973 bis zum 3. Juni 1975 nach § 57 Satz 1 Nr 1 RKG und vom 4. Juni 1975 bis zum 31. März 1978 nach Nr 3 dieser Vorschrift neu festzusetzen (Urteil vom 4. Mai 1979). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG teilweise abgeändert. Hinsichtlich der Ausfallzeit vom 4. Juni bis zum 30. September 1975 ist die Klage abgewiesen und im übrigen die Berufung zurückgewiesen worden (Urteil vom 26. August 1980). Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt, in der Zeit vom 1. April 1973 bis zum 3. Juni 1975 sei der Kläger arbeits- und vorübergehend erwerbsunfähig gewesen. Schon bei Beginn der Erwerbsunfähigkeit sei die Erwartung begründet gewesen, daß der Kläger in absehbarer Zeit werde wieder am Erwerbsleben teilnehmen können. Ihm könne auch der ernsthafte Wille, nach Beendigung der Arbeitsfähigkeit erneut versicherungspflichtig tätig zu werden, nicht abgesprochen werden. Durch diese Zeit und die vorangegangene Arbeitsunfähigkeit werde die zeitliche Lücke zwischen der Beendigung der letzten knappschaftlich versicherten Tätigkeit des Klägers und dem Beginn der Arbeitslosigkeit überbrückt, so daß die Zeit vom 1. Oktober 1975 bis zum 31. März 1978 gemäß § 57 Satz 1 Nr 3 RKG als Ausfallzeit anzurechnen sei. Nicht berücksichtigt werden könne nach dieser Vorschrift dagegen der Zeitraum vom 4. Juni bis zum 30. September 1975, weil der Kläger damals keine der in § 57 Satz 1 Nr 3 RKG genannten Leistungen mangels entsprechender Antragstellung bezogen habe.

Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten und der Kläger hat hinsichtlich der Zeit vom 4. Juni bis zum 30. September 1974 Anschlußrevision eingelegt. Die Beklagte begründet ihre Revision damit, die Erwerbsunfähigkeit iS der gesetzlichen Rentenversicherung bedinge die Beendigung der versicherungspflichtigen Beschäftigung. Das gelte nicht nur bei einer bis zum Versicherungsfall des Alters oder bis zum Tode andauernden Erwerbsunfähigkeit, sondern auch dann, wenn die Erwerbsunfähigkeit vorher beseitigt worden sei. Der Empfänger einer entsprechenden Rente sei - bei vorübergehender Erwerbsunfähigkeit wenigstens für ihre Dauer - aus dem Erwerbsleben ausgeschieden, so daß man eine Beendigung der versicherungspflichtigen Beschäftigung - ggf zeitweise - annehmen müsse. Da der Zeitraum der Erwerbsunfähigkeit vom 1. April 1973 bis zum 3. Juni 1975 nicht Ausfallzeit sein könne, sei durch die folgende Zeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht unterbrochen worden. Insoweit fehle der notwendige Anschluß an das Erwerbs- und Versicherungsleben.

Die Beklagte beantragt sinngemäß, das Urteil des SG aufzuheben und das Urteil des LSG abzuändern und die Klage auch hinsichtlich der geltend gemachten Ausfallzeiten vom 1. April 1973 bis zum 3. Juni 1975 und vom 1. Oktober 1975 bis zum 31. März 1978 abzuweisen sowie die Anschlußrevision des Klägers zurückzuweisen. Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des LSG insoweit aufzuheben, als darin der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG stattgegeben worden ist.

Er hält die angefochtene Entscheidung des LSG - soweit von der Beklagten mit der Revision angegriffen - für zutreffend. Im übrigen begründet er seine Anschlußrevision wegen der Zeit vom 4. Juni bis zum 30. September 1975 damit, er habe während des Bezuges von Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit keinen Leistungsantrag beim Arbeitsamt gestellt, weil er dadurch keinen finanziellen Vorteil gehabt hätte und damals noch nicht vorauszusehen gewesen wäre, wie über seinen Widerspruch bezüglich der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit entschieden werde.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässigen Revisionen der Beteiligten sind nicht begründet, denn die angefochtene Entscheidung des LSG ist nicht zu beanstanden.

Entgegen der mit der Revision von der Beklagten vertretenen Ansicht ist die Zeit der vorübergehenden Erwerbsunfähigkeit des Klägers vom 1. April 1973 bis zum 3. Juni 1975 als Ausfallzeit nach § 57 Satz 1 Nr 1 RKG bei der Berechnung des Knappschaftsruhegeldes zu berücksichtigen. Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG war der Kläger in der Zeit vom 20. Oktober 1972 bis zum 3. Juni 1975 ausgehend von der zuletzt verrichteten Tätigkeit als Sprengmittelausgeber arbeitsunfähig und zugleich vorübergehend erwerbsunfähig. Dieser Zeitraum ist auch - wie in der erwähnten gesetzlichen Bestimmung gefordert - in Nachweisen bescheinigt, denn dazu reichen der Bescheid der Beklagten über die Gewährung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und der Widerspruchsbescheid vom 15. März 1976 aus (so der Senat in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 15. Oktober 1981 - 5b/5 RJ 24/77).

Die somit für den genannten Zeitraum feststehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers hat die versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers nicht beendet, sondern nur unterbrochen. Nach der nunmehr einheitlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist in rückschauender Betrachtungsweise eine Ausfallzeit zu berücksichtigen, wenn die neben der Arbeitsunfähigkeit zunächst bestehende Erwerbsunfähigkeit vor Eintritt eines neuen Versicherungsfalles behoben ist und damit - wie die hier nachfolgende, vom LSG festgestellte Arbeitslosigkeit des Klägers zeigt - nicht zu einem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben geführt hat (vgl Urteile des 1. Senats vom 22. September 1981 - 1 RJ 94/78 - und des Senats vom 15. Oktober 1981 aaO, 25. November 1981 - 5a/5 RKn 6/79 - und vom 26. November 1981 - 5b/5 RJ 16/79 -).

Die Anrechnung der als Ausfallzeit nach § 57 Satz 1 Nr 1 RKG geltend gemachten Zeit scheitert nicht daran, daß sie nicht unmittelbar an die letzte Erwerbstätigkeit des Klägers anschließt. Auch vom 20. Oktober 1972 bis zum 1. April 1973 war der Kläger - vor Beginn der streitigen Ausfallzeit - arbeitsunfähig krank. Dieser Zeitraum kann daher als Überbrückungstatbestand selbst dann berücksichtigt werden, wenn er nicht als Ausfallzeit geltend gemacht wird (vgl BSGE 29, 120, 122f = SozR Nr 22 zu § 1259 RVO.). Dieser Überbrückungstatbestand stellt die Verbindung zwischen der letzten knappschaftlich versicherungspflichtigen Tätigkeit des Klägers und der anrechenbaren Ausfallzeit dar.

Zutreffend hat das LSG auch die Zeit vom 1. Oktober 1975 bis zum 31. März 1978 als Ausfallzeit nach § 57 Satz 1 Nr 3 RKG berücksichtigt. Mit Ausnahme des Merkmals "Unterbrechung" wendet sich die Beklagte nicht dagegen, daß die Voraussetzungen der genannten Vorschrift erfüllt sind: Der Kläger war arbeitslos, beim Arbeitsamt als Arbeitsuchender gemeldet und sein Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhte wegen des Bezuges von Knappschaftsausgleichsleistung (§ 118 Abs 1 Nr 4 Arbeitsförderungsgesetz -AFG-). Die länger als einen Monat andauernde Arbeitslosigkeit hat auch die versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers unterbrochen. Der Anschluß an die letzte Erwerbstätigkeit als Sprengstoffausgeber ist durch Überbrückungstatbestände und durch eine weitere Ausfallzeit gewahrt. An den Überbrückungstatbestand der Arbeitsunfähigkeit vom 20. Oktober 1972 bis zum 1. April 1975 schließt sich die Ausfallzeit nach § 57 Satz 1 Nr 1 RKG bis zum 3. Juni 1975 an. Ein weiterer Überbrückungstatbestand folgt bis zum Beginn der Ausfallzeit nach Nr 3 der genannten Vorschrift. Zwar hat der Kläger vom 3. Juni bis zum 1. Oktober 1975 keine der in § 57 Satz 1 Nr 3 RKG genannten Leistungen bezogen. Für die Überbrückung dieses Zeitraumes reicht es jedoch aus, daß er - wie das LSG festgestellt hat - unfreiwillig ohne Arbeit, arbeitswillig und arbeitsfähig war (so BSGE 29 aaO). Gehen einer Ausfallzeit mehrere unmittelbar aufeinanderfolgende Ausfallzeittatbestände - einschließlich der Überbrückungstatbestände - voraus, so kommt es für die Anerkennung der hier streitigen Ausfallzeit nach § 57 Satz 1 Nr 3 RKG darauf an, ob der erste dieser Ausfallzeittatbestände eine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen hat (so BSGE 32, 229, 231 = SozR Nr 32 zu § 1259 RVO; BSG in SozR 2200 § 1259 Nr 23 vgl auch BSG-Urteil vom 22. September 1981 aaO). Da diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, ist auch die Zeit vom 1. Oktober 1975 bis zum 31. März 1978 als Ausfallzeit anzurechnen.

Die Anschlußrevision des Klägers hat ebenfalls keinen Erfolg. Die Zeit vom 4. Juni bis zum 30. September 1975 kann nicht als Ausfallzeit nach § 57 Satz 1 Nr 3 RKG berücksichtigt werden.

Wie das LSG unangegriffen festgestellt hat, war der Kläger während dieser Zeit beim Arbeitsamt als Arbeitsuchender gemeldet, er hat allerdings den nach § 100 Abs 1 AFG für die Gewährung von Arbeitslosengeld erforderlichen Antrag nicht gestellt. Voraussetzung für die Ausfallzeit wegen Arbeitslosigkeit ist aber, daß der Versicherte Arbeitslosengeld oder eine andere der in § 57 Satz 1 Nr 3 RKG genannten Leistungen, die im Falle des Klägers nicht in Betracht kommen, bezogen hat. Die Nichtgewährung einer dieser Leistungen ist nur dann unschädlich, wenn sie auf das Zusammentreffen mit anderen Bezügen, auf Einkommen oder auf die Berücksichtigung von Vermögen zurückzuführen ist. Im Falle des Klägers sind indes im noch streitigen Zeitraum nicht die im Gesetz genannten Tatbestände ursächlich für die Nichtgewährung des Arbeitslosengeldes gewesen. Vielmehr kam ein Anspruch auf diese Leistung mangels der gemäß § 100 Abs 1 AFG notwendigen Antragstellung von vornherein nicht in Betracht.

Entgegen der Auffassung des Klägers hätte eine derartige Antragstellung auch nicht zu einer "unnötigen Verwaltungsarbeit ohne finanziellen Vorteil" geführt. Da der Kläger in dem seine Anschlußrevision betreffenden Zeitraum vom 4. Juni bis 30. September 1975 nicht mehr erwerbsunfähig, aber noch berufsunfähig war und - anders als in der anschließenden Zeit ab 1. Oktober 1975 - auch keine Knappschaftsausgleichsleistung bezog, hätte bei erfolgter Antragstellung sein Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht nach § 118 Abs 1 Nr 3 bzw Nr 4 AFG geruht. In diesem Zusammenhang geht auch der Einwand des Klägers fehl, am 4. Juni 1975 sei noch nicht geklärt gewesen, ob ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zustehe. Gerade im Hinblick auf diese Ungewißheit durfte der Kläger nicht davon ausgehen, daß ein Bezug von Arbeitslosengeld wegen der Ruhensvorschrift des § 118 Abs 1 Nr 3 AFG ohnehin ausscheide. Vielmehr hätte er unter Berücksichtigung des Umstandes, daß ihm die Beklagte im streitigen Zeitraum nur die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit gewährte und es dabei womöglich verbleiben würde, die bereits erfolgte Meldung als Arbeitsuchender vorsorglich mit dem Antrag auf Gewährung des Arbeitslosengeldes verbinden können und müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660420

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Kranken- und Pflegeversicherungs Office enthalten. Sie wollen mehr?