Leitsatz (amtlich)
1. An der Rechtsprechung (Vergleiche BSG 1955-10-13 1 RA 65/55= BSGE 1, 243 und BSG 1957-04-11 7 RAr 85/56= BSGE 5, 110), daß im sozialgerichtlichen Verfahren die Berufungsschrift eigenhändig unterschrieben sein muß, wird festgehalten. Die Unterschrift kann nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr nachgeholt werden.
2. Die Rechtsmittelbelehrung im Urteil des Sozialgerichts ist auch dann richtig erteilt, wenn sie nicht den Hinweis enthält, daß die Berufung innerhalb der Berufungsfrist "auch" zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts erklärt werden kann.
3. Die Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch das Landessozialgericht ist bei einer zugelassenen Revision vom Bundessozialgericht nachzuprüfen; die Vorschriften in ZPO § 548 (SGG § 202) und in SGG § 177 stehen dem nicht entgegen.
Normenkette
SGG § 151 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, § 66 Fassung: 1953-09-03, § 67 Abs. 4 Fassung: 1953-09-03, § 177 Fassung: 1953-09-03, § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 548
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart vom 4. Dezember 1956 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Kläger erhielt wegen der Folgen einer Schädigung im zweiten Weltkrieg Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) von 30 v.H. Nach einer Nachuntersuchung entzog das Versorgungsamt Heidelberg durch Bescheid vom 10. Januar 1953 die Rente vom 1. März 1953 an, weil die MdE. nicht mehr wenigstens 25 v.H. betrage. Die Klage auf Aufhebung dieses Bescheids wies das Sozialgericht (SG.) Mannheim durch Urteil vom 21. Februar 1956 ab; das Urteil, das am 29. Februar 1956 zur Zustellung an den Kläger zur Post gegeben worden war, enthielt folgende Rechtsmittelbelehrung:
"Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg in Stuttgart, Johannesstraße 15, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt werden."
Am 21. März 1956 ging beim Landessozialgericht (LSG.) Baden-Württemberg ein mit der Maschine geschriebenes Schreiben vom 20. März 1956 ein, in dem der Kläger Berufung gegen das Urteil des SG. einlegte; das Schreiben war nicht unterzeichnet; als Kopf trug es den Namen des Klägers; dieser Name war auch auf dem Briefumschlag mit Schreibmaschine als Absender angegeben. Das LSG. sandte am 7. Mai 1956 das Schreiben an den Kläger zurück, damit er die Unterschrift nachhole; in einem Schreiben vom 9. August 1956 teilte der Kläger mit, er halte die Berufung aufrecht, am 20. August 1956 ging das von ihm nunmehr unterzeichnete Schreiben vom 20. März 1956 wieder beim LSG. ein. Auf Rückfrage teilte der Kläger mit, er habe das "Berufungsschreiben" im März 1956 von seinem Büro aus abgehen lassen und sei der festen Überzeugung gewesen, es unterschrieben zu haben. Durch Urteil vom 4. Dezember 1956 verwarf das LSG. die Berufung als unzulässig; da das Schreiben vom 20. März 1956 zunächst keine Unterschrift getragen habe, sei es auch keine formgerechte Berufungsschrift gewesen; weil die Berufungsfrist von einem Monat bei Eingang des Schreibens vom 9. August 1956 schon abgelaufen gewesen sei, sei der Formmangel durch dieses Schreiben nicht geheilt worden. Die Berufungsfrist habe nur einen Monat betragen, die Rechtsmittelbelehrung in dem Urteil des SG. sei nämlich vollständig und richtig gewesen; zwar sei der Kläger vom SG. nur dahin belehrt worden, daß die Berufung - schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten - beim LSG. einzulegen sei (§ 151 Abs. 1 SGG), nicht auch darüber, daß er die Berufung auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des SG. einlegen könne (§ 151 Abs. 2 SGG); das Fehlen des Hinweises auf diese Möglichkeit mache aber die Rechtsmittelbelehrung nicht unrichtig und unvollständig, insoweit gelte nach § 151 Abs. 2 SGG für die Berufung dasselbe wie nach § 91 SGG für die Klage; es sei unbestritten, daß die Möglichkeit der Klageerhebung bei einer beliebigen Behörde (§ 91 SGG) nicht in die Rechtsmittelbelehrung aufgenommen zu werden brauche; sowohl nach § 91 SGG als auch nach § 151 Abs. 2 SGG handele es sich um einen vom Gesetz nicht als regelrecht gewollten, sondern um einen ausnahmsweise geduldeten Weg für die Anbringung eines Rechtsbehelfs, § 66 Abs. 1 SGG fordere aber nur die Belehrung über den vom Gesetzgeber gewollten Rechtsmittelweg. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor, sie sei auch nicht deshalb geboten, weil das LSG. den Kläger erst nach Ablauf der Berufungsfrist auf die fehlende Unterschrift hingewiesen habe; der Kläger habe schuldhaft auch die Frist für eine Nachholung der versäumten Rechtshandlung versäumt (§ 67 Abs. 2 SGG). Das LSG. ließ die Revision zu. Das Urteil wurde am 9. Januar 1957 zur Zustellung an den Kläger mit Einschreibbrief zur Post gegeben.
Am 1. Februar 1957 legte der Kläger beim Bundessozialgericht (BSG.) Revision ein mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur sachlichen Entscheidung an das LSG. Baden-Württemberg in Stuttgart zurückzuverweisen.
Am 7. April 1957 begründete er die Revision: Für die Rechtsgültigkeit einer Berufungsschrift sei es, falls sie nicht unterzeichnet sei, ausreichend, wenn aus dem sonstigen Inhalt des Schreibens einwandfrei hervorgehe, wer der Absender sei; die abweichende Auffassung des BSG. entspreche nicht den Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens. Falls es auf den Umfang der Belehrung über den Rechtsbehelf ankomme, müsse die "soziale Schutzfunktion" der Rechtsmittelbelehrung allein entscheidend sein; § 151 Abs. 2 SGG habe offensichtlich den schreibungewandten Rechtsmittelkläger im Auge, den keine Rechtsnachteile wegen Fristversäumnis treffen sollen, falls er sich der Rechtshilfe des Urkundsbeamten des SG. bediene, das ihm räumlich näher liege als das LSG. Die Unterscheidung zwischen "ordentlichen" und "außerordentlichen", vom Gesetzgeber "gewollten" und "bloß geduldeten" Rechtsmittelwegen finde im Gesetz keine Stütze. Die Rechtsmittelbelehrung sei also unvollständig gewesen, die Berufungsfrist habe deshalb ein Jahr betragen (§ 66 Abs. 2 SGG) und die schriftliche Berufung sei rechtzeitig eingegangen. Das Urteil des LSG. leide auch an einem Mangel des Verfahrens; der Kläger sei durch das Schreiben des LSG. vom 9. Mai 1956 in den Glauben versetzt worden, er könne die fehlende Unterschrift ohne weiteres nachholen; erst im Termin vor dem LSG. sei erkennbar geworden, daß das LSG. möglicherweise seine Berufung als unzulässig ansehe; daraufhin habe er sofort die Wiedereinsetzung beantragt und sie damit begründet, daß er die Berufung am 20. März 1956 nur deswegen nicht unterschrieben habe, weil er an diesem Tag infolge seines Gallenleidens nur kurz im Büro gewesen sei; diesem Vorbringen habe das LSG. nachgehen müssen; nach der Bescheinigung des Vorstehers seiner Dienststelle vom 9. April 1957 sei er in der fraglichen Zeit viele Monate nicht voll arbeitsfähig und in ärztlicher Behandlung gewesen.
Der Beklagte beantragte,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.
Trotz Zulässigkeit der Revision ist vor der sachlich-rechtlichen Würdigung des Streits zunächst noch zu prüfen, ob die allgemeinen Prozeßvoraussetzungen, soweit sie unverzichtbar sind, die besonderen Prozeßvoraussetzungen des vorausgegangenen Berufungsverfahrens und die Voraussetzungen für eine entscheidende Tätigkeit des Revisionsgerichts erfüllt sind (vgl. BSG. 2 S. 225 [227], 3 S. 124 [126], 4 S. 70 [72] und S. 281 [284] sowie Urteil des BSG. vom 17.7.1957, 1 RA 141/56). Im vorliegenden Fall fragt es sich, ob das LSG. die Berufung zu Recht als unzulässig angesehen hat, weil
1.) die Berufungsschrift nicht die Unterschrift des Berufungsklägers trage (vgl. § 151 Abs. 1 SGG),
2.) die Berufungsfrist trotz des Fehlens eines Hinweises auf die Möglichkeit des § 151 Abs. 2 SGG in der Rechtsmittelbelehrung des SG. nicht zu laufen begonnen habe (vgl. § 66 Abs. 2 SGG), und
3.) der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht begründet sei (vgl. § 67 SGG).
Zu 1): Das Urteil des SG. gilt als am 3. März 1956 zugestellt (§ 4 Abs. 1 Verwaltungszustellungsgesetz vom 3. Juli 1952, BGBl. I S. 379). Die Frist für die Einlegung der Berufung ist deshalb am 3. April 1956 abgelaufen (§ 151 Abs. 1 SGG). Innerhalb dieser Frist hat der Kläger weder nach § 151 Abs. 1 SGG beim LSG. noch nach § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des SG. Berufung eingelegt. Zwar ist innerhalb dieser Frist - am 21. März 1956 - beim LSG. das Schreiben vom 20. März 1956 eingegangen, das im Kopf und auf dem Briefumschlag mit der Maschine geschrieben als Verfasser und Absender den Kläger bezeichnet; es ist aber nicht unterschrieben. Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung gegen das Urteil eines SG. - von dem hier nicht in Betracht kommenden Fall der Beurkundung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle und von dem Fall der telegraphischen Einlegung eines Rechtsmittels abgesehen - "schriftlich" einzulegen. Wie das BSG. wiederholt (BSG. 1, S. 243 ff. [mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Reichsgerichts in Zivilsachen und des Bundesgerichtshofs] und Urteil des BSG. vom 11.4. 1957 - 7 RAr 85/56 -) entschieden hat, muß die Berufungsschrift, wenn sie dem Erfordernis der Schriftform entsprechen soll, handschriftlich unterzeichnet sein (ebenso neuerdings Tietgen, DVBl. 1957, S. 360, ferner für die Revisionsschrift im sozialgerichtlichen Verfahren - § 164 Abs. 1 SGG - Beschluß des BSG. vom 8.8.1957, SozR. Nr. 26 zu § 164 SGG; anderer Ansicht Landessozialgericht Berlin, Urteil vom 2.11.1956, NJW. 1957, S. 559 f.; Heinrich, DVBl. 1957, S. 633, Dähne, Soziale Sicherheit 1955, S. 376). Auch der erkennende Senat ist der Ansicht, daß prozeßerhebliche Erklärungen im Interesse der Rechtssicherheit nicht nur im Zivilprozeß (Baumbach, 24. Aufl., § 129 ZPO Anm. 1 B) und im Verfahren vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten, sondern auch im sozialgerichtlichen Berufungsverfahren nach § 151 Abs. 1 SGG der eigenhändigen Unterschrift bedürfen; einer Erklärung, der die Unterschrift fehlt, ist nicht klar und eindeutig zu entnehmen, von wem sie herrührt und ob sie überhaupt einen rechtserheblichen Willen wiedergeben soll, ob sie nicht durch ein Versehen dessen, der als ihr Urheber erscheint, und möglicherweise sogar ohne jede Mitwirkung des angegebenen Urhebers an das Gericht gelangt ist. § 106 SGG kann nicht etwa dahin ausgelegt werden, daß das Gericht, dem ein bestimmender Schriftsatz im Prozeß zugeht, zunächst durch Rückfrage bei dem möglichen Urheber zu klären habe, ob es sich überhaupt um eine rechtserhebliche Prozeßerklärung handelt; ebensowenig lassen sich aus dem Grundsatz der Amtsermittlung (§ 103 SGG) Schlüsse auf die Formstrenge und auf die Formen von Rechtsmittelschriften ziehen; soweit das SGG Formvorschriften enthält - und § 151 Abs. 1 SGG ist eine Formvorschrift -, können die Anforderungen an die Form nicht anders sein, als für gleichlautende Formvorschriften anderer verwaltungsgerichtlicher Verfahren oder des bürgerlichen Rechts. Dagegen lassen die Besonderheiten des Strafprozesses einen Vergleich mit dem Verfahren vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten und dem sozialgerichtlichen Verfahren nicht ohne weiteres zu; der abweichenden Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen (u.a. RGSt. 63, 246; 67, 386) hat sich der Senat daher nicht anschließen können. Die Rechtsprechung des BSG. steht auch nicht im Widerspruch mit "dem sozialen Charakter des Rechtsgebiets" (LSG. Berlin a.a.O., Dähne a.a.O.); der Personenkreis, dessen Streitigkeiten im sozialgerichtlichen Verfahren zu entscheiden sind, ist hinsichtlich seiner sozialen Lage nicht ganz anders geartet als etwa der Personenkreis, dessen Streitigkeiten vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten ausgetragen werden; die soziale Lage z.B. der Empfänger von Fürsorgeleistungen oder von Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz ist keine grundsätzlich andere als die soziale Lage der Empfänger von Leistungen der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung oder der Versorgung; es gibt überhaupt keinen Gerichtszweig, der allein einen in sich abgeschlossenen Personenkreis "betreut"; kein Gerichtszweig darf deshalb davon ausgehen, daß die Verfahrensvorschriften, die für ihn gelten, wegen der Eigenart "seines" Personenkreises eine besonders geartete Auslegung erfordern. Dem Schutz des Rechtsmittelklägers, auch des anleitungsbedürftigen oder des rechtsunkundigen und schreibungewandten, dient - auch soweit es sich um die Form des Rechtsmittels handelt - im gesamten Verwaltungsprozeßrecht die Rechtsmittelbelehrung, die deshalb richtig sein muß, und je nach Lage des Falles bei Fristversäumnis auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Hält man aber die eigenhändige Unterschrift unter einen bestimmenden Schriftsatz für erforderlich, dann kann sie nach Ablauf der Rechtsmittelfrist nicht mehr nachgeholt werden; wird ein Schriftsatz erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist in die richtige Form gebracht, dann ist das Rechtsmittel erst von diesem Zeitpunkt an formgerecht - damit also verspätet - eingelegt (übereinstimmend insoweit Heinrich, a.a.O. S. 637). Das Schreiben des Berufungsklägers vom 20. März 1956, das allein vor Ablauf der Berufungsfrist beim LSG. eingegangen ist, das aber keine "schriftliche" Berufung gewesen ist, hat hiernach die Berufungsfrist nicht gewahrt.
Zu 2): Nach § 66 Abs. 2 SGG, 1. Halbsatz, ist die Einlegung eines Rechtsmittels - von den hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen in § 66 Abs. 2, 2.Halbsatz, abgesehen - noch innerhalb eines Jahres von der Zustellung, Eröffnung oder Verkündung einer Entscheidung an zulässig, wenn die Belehrung nach § 66 Abs. 1 SGG unterblieben oder unrichtig erteilt worden ist. Innerhalb der Frist von einem Jahr seit der Zustellung des Urteils ist zwar sowohl das Schreiben des Klägers vom 9. August 1956, in dem er erklärt hat, er halte die Berufung aufrecht, als auch das nachträglich von ihm unterschriebene Schreiben vom 20. März 1956 beim LSG. eingegangen. Der Kläger kann sich aber, wie das LSG. zutreffend dargetan hat, auf die Frist des § 66 Abs. 2 SGG nicht berufen, weil ihm das SG. eine richtige Belehrung erteilt hat. Zur Richtigkeit einer Belehrung gehört, daß sie vollständig ist; vollständig ist sie, wenn die Beteiligten über die für sie wesentlichen Einzelheiten des Rechtsmittels in dem durch das Gesetz vorgeschriebenen Umfang unterrichtet werden (BSG. 1, 195). Die Belehrung, die das SG. im vorliegenden Fall erteilt hat, ist vollständig; sie bezeichnet den Rechtsbehelf (Berufung), das Gericht, bei dem der Rechtsbehelf anzubringen ist (LSG.), den Sitz des Gerichts, die einzuhaltende Berufungsfrist und die Form der Berufung (schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten des LSG.); sie entspricht damit den Anforderungen des § 151 Abs. 1 SGG. Zwar ist nach § 151 Abs. 2 SGG die Berufungsfrist "auch" gewahrt, wenn die Einlegung der Berufung innerhalb der Frist zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des SG. erklärt wird. Die Belehrung, die auf diese Möglichkeit nicht hinweist, ist aber nicht unvollständig (ebenso: LSG. Hamburg, Urteil vom 17.2.1955, Breithaupt 1955, S. 1008; Schreier, Sozialversicherung 1956, S. 133 ff.; Ecker, Sozialgerichtsbarkeit 1954, S. 183; anderer Ansicht: LSG. Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8.2.1955, Breithaupt 1955, S. 781; LSG. Schleswig, Urteil vom 25.11.1955, Breithaupt 1956, S. 1160; Peters-Sautter-Wolff bei § 66 Anm. 3 b; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 248 y; Hellwitz bei § 66, Anm. 8; Miesbach-Ankenbrank, § 66 Anm. 1). Eine Rechtsmittelbelehrung erfüllt ihren Zweck, wenn sie die Beteiligten auf den "Regelweg" hinweist, auf dem das Rechtsmittel einzulegen ist (BSG. Beschl. vom 4.10.1956, SozR. SGG § 161 Nr. 5); es ist nicht erforderlich, die Beteiligten darüber zu belehren, daß der Gesetzgeber "auch" andere Möglichkeiten, ein Rechtsmittel einzulegen, zugelassen hat (vgl. hierzu auch Beschlüsse des BSG. vom 4.10.1956 und 5.8.1957, SozR. SGG § 161 Nr. 5 und Nr. 10, und Urteile des BSG. vom 28.5. und 24.7.1957, SozR. SGG § 66 Nr. 13 und Nr. 15); um eine solche "Auch-Möglichkeit" handelt es sich im Falle des § 151 Abs. 2 SGG. Das Gericht, bei dem die Berufung - schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten - einzulegen "ist", ist nach § 151 Abs. 1 SGG das LSG.; der Gesetzgeber hat nicht, wie das LSG. Nordrhein-Westfalen und das LSG. Schleswig (a.a.O.) angenommen haben, beabsichtigt, dem Kläger einen "dritten" Rechtsmittelweg als "Regelweg" zur Verfügung zu stellen. Auch nach der Begründung zu dem dem jetzigen § 151 SGG entsprechenden § 99 des Entwurfs der Sozialgerichtsordnung (Bundestagsdrucksache 4357) sollte "aus Gründen der Rechtssicherheit" die Einlegung der Berufung "nur beim LSG. möglich" sein. § 151 Abs. 2 enthält eine Ausnahme von der Regel des § 151 Abs. 1 SGG. Nicht das SG. ist "das Gericht, bei dem die Berufung anzubringen ist" (§ 66 Abs. 1 SGG), sondern das LSG.; § 151 Abs. 2 SGG bestimmt nur, daß die Frist für die beim LSG. anzubringende Berufung "auch" gewahrt ist, wenn die Berufung zur Niederschrift des Urkundsbeamten des SG., also in einer von § 151 Abs. 1 abweichenden Form erklärt wird; es wird unterstellt, daß eine Berufung form- und fristgerecht ist, obwohl sie nicht beim sachlich zuständigen LSG., sondern beim - sachlich nicht zuständigen - SG. eingelegt worden ist. Der Berufungskläger wird auch geschützt, wenn er innerhalb der Berufungsfrist die Berufung nicht auf diesem Wege, sondern zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des SG. einlegt; das Fehlen einer Belehrung über diese Möglichkeit macht jedoch die Rechtsmittelbelehrung nicht unvollständig.
Die Rechtslage ist hinsichtlich der Wahrung der Frist nicht anders als sie im Falle des § 129 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) früher gewesen ist (vgl. EuM. 7 S. 20) und im Falle des § 91 SGG heute noch ist (vgl. - zu § 91 SGG - auch Peters-Sautter-Wolff, Anm. 3 b zu § 66; Mellwitz, Anm. 8 zu § 66; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 248 y und die Urteile des SG. Nordrhein-Westfalen und Schleswig a.a.O.). Es ist unerheblich, wenn nach § 129 Abs. 2 RVO und nach § 91 SGG die Frist durch den Eingang des Rechtsbehelfs bei einer der dort genannten Stellen als gewahrt "gilt", während es in § 151 Abs. 2 SGG heißt, daß sie durch die Einlegung der Berufung beim SG. gewahrt "ist". Wenn der Unterschied in der Wortfassung der Vorschriften überhaupt Bedeutung hat, dann allenfalls insoweit, als das "gilt" des § 91 SGG - ebenso wie in § 129 Abs. 2 RVO - erkennen läßt, daß die Stellen, die hier genannt sind, mit Klagen oder Rechtsmitteln sonst nichts zu tun haben. Wie in den Fällen der §§ 129 Abs. 2 RVO und 91 SGG handelt es sich auch im Fall des § 151 Abs. 2 SGG um eine "Unterstellung" für die Wahrung der Frist; diese "Unterstellung" wäre, wie das LSG. Hamburg (a.a.O.) zutreffend ausgeführt hat, nicht erforderlich gewesen, wenn eine Belehrung ohne den Hinweis auf § 151 Abs. 2 SGG unvollständig und damit unrichtig wäre: sie würde dann nach § 66 Abs. 2 SGG die Monatsfrist des § 151 Abs. 1 Satz 1 ohnehin nicht in Lauf setzen können. Auch die Erwägung, der Kläger habe ein Recht, zu wissen, daß er unter Umständen auch noch am letzten Tag der Frist die Berufung bei dem räumlich meist nahe liegenden SG. einlegen könne - so das LSG. Nordrhein-Westfalen unter Bezug auf Klinger, Verwaltungsgerichtsbarkeit in der britischen Zone bei § 35 Anm.C 1 für den Hinweis auf § 53 Abs. 2 MRVO 165 - greift nicht durch; derjenige, der eine Frist zu wahren hat und über die Voraussetzungen für die Einhaltung dieser Frist belehrt worden ist, trägt stets das Risiko, das darin liegt, daß er sich möglicherweise zu spät entschließt und die Stelle, der er seine Erklärung abgegeben hat, nicht mehr rechtzeitig erreicht. Deshalb hat auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE. 1, S. 192/193) für den Fall des § 53 Abs. 2 MRVO 165 und der Verwaltungsgerichtshof Stuttgart (Urteil vom 16.2.1956, ESVGH 6, 160) für den Fall des § 49 Satz 2 VGG entschieden, es sei nicht notwendig, den Kläger darauf hinzuweisen, daß die Klagefrist auch durch die rechtzeitige Einreichung der Klageschrift bei der Verwaltungsbehörde gewahrt wird. Sowohl in den Fällen der §§ 129 Abs. 2 RVO, 91 SGG, 53 Abs. 2 MRVO 165, 49 Satz 2 VGG als auch im Falle des § 151 Abs. 2 SGG handelt es sich um "eine besonders gestattete Verfahrensfreiheit" (BVerwG. a.a.O.), deren Kenntnis zwar im Einzelfall für den Rechtsuchenden von Bedeutung sein kann, über die er aber nicht belehrt zu werden braucht.
u 3): Die Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung durch das LSG. ist eine Entscheidung verfahrensrechtlicher Art. Ob diese Entscheidung zu Recht ergangen ist, unterliegt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Die Vorschrift des § 548 ZPO, die über § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbar ist, steht der Nachprüfung nicht entgegen. Die Ablehnung der Wiedereinsetzung ist - anders als die Bewilligung der Wiedereinsetzung (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 2 SGG) - nicht "unanfechtbar" im Sinne des § 548 ZPO 2. Halbsatz; wird nämlich die Wiedereinsetzung durch das SG. abgelehnt, so ist nach § 172 Abs. 1 SGG Beschwerde an das LSG. möglich; lehnt das LSG. die Wiedereinsetzung ab, so kann die Entscheidung zwar nach § 177 SGG nicht "mit der Beschwerde angefochten werden", nicht ausgeschlossen ist jedoch die Nachprüfung dieser Entscheidung im Revisionsverfahren; insoweit fehlen - anders als im Falle der Bewilligung der Wiedereinsetzung - Sondervorschriften, die eine Nachprüfung der Entscheidung schlechthin ausschließen; es gilt deshalb hier der allgemeine Grundsatz des § 548 ZPO 1. Halbsatz, daß "Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind", der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegen (vgl. RGZ 167 S. 213).
Das LSG. hat dem Kläger im vorliegenden Falle im Ergebnis auch mit Recht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) gegenüber der Versäumung der Berufungsfrist versagt. Der Kläger hat dem LSG. vor der mündlichen Verhandlung auf Anfrage in seinem Schreiben vom 5. November 1956 mitgeteilt, er habe das Schreiben vom 20. März 1956 versehentlich nicht unterschrieben, den Antrag auf Wiedereinsetzung hat er erst in der Verhandlung des LSG. gestellt; selbst wenn es zutrifft, daß er schon bei dieser Verhandlung darauf hingewiesen hat, daß er infolge seines Gesundheitszustandes häufig und auch am 20. März 1956 nur kurz in seinem Büro habe sein können, und daß er aus diesem Grunde versäumt habe, das Schreiben zu unterzeichnen, so hat für das LSG. kein Anlaß bestanden, deshalb von Amts wegen weiteren Beweis über den Gesundheitszustand des Klägers zu erheben; der Kläger hat selbst angegeben, daß er am 20. März 1956 zahlreiche dienstliche Schreiben unterzeichnet habe; er ist also durch seinen Gesundheitszustand nicht gehindert gewesen, auch das von ihm diktierte Berufungsschreiben zu unterzeichnen; schon deshalb hat ihm die Wiedereinsetzung nicht gewährt werden können, im übrigen wäre ihm ein "Versehen" als eigenes Verschulden zuzurechnen. Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung eingehalten hat; es ist auch unerheblich, daß ihn das LSG. über die Möglichkeit, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen, nicht schon vor der mündlichen Verhandlung belehrt hat.
Das LSG. hat sonach die Berufung des Klägers mit Recht als unzulässig verworfen; die Revision muß deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2325735 |
BSGE, 256 |
NJW 1958, 566 |