Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff "Unterhaltsberechtigung" iS der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften
Leitsatz (amtlich)
Steht der Tochter des Versicherten ein konkreter Unterhaltsanspruch gegen den nichtehelichen Vater ihres Kindes gemäß BGB § 1615l zu, dann ist sie wegen der Subsidiarität ihres nach den BGB §§ 1601 ff gegen den Versicherten bestehenden Unterhaltsanspruchs diesem gegenüber mangels Bedürftigkeit nicht unterhaltsberechtigt iS des RVO § 205.
Orientierungssatz
1. Der in § 205 Abs 1 RVO enthaltene Begriff "Unterhaltsberechtigung" ist dem bürgerlichen Gesetzbuch entnommen und nach dessen Vorschriften zu bestimmen; die Unterhaltsberechtigung setzt deshalb einen konkreten Unterhaltsanspruch nach § 1601 BGB voraus, der Bedürftigkeit des Berechtigten (§ 1602 BGB), Leistungsfähigkeit des Verpflichteten (§ 1603 BGB) sowie dessen vorrangige Verpflichtung (§ 1606 BGB) zur Voraussetzung hat.
2. Soweit ein Verwandter aufgrund des § 1603 BGB nicht unterhaltspflichtig ist, hat - entsprechend der in § 1606 BGB festgelegten Reihenfolge - der nach ihm haftende Verwandte den Unterhalt zu gewähren; solange und soweit der Unterhaltsberechtigte den zunächst haftenden Unterhaltspflichtigen heranziehen kann, liegt im Verhältnis zu dem subsidiär haftenden Unterhaltspflichtigen keine Unterhaltsberechtigung vor.
3. Erst wenn der Unterhaltsanspruch mangels Leistungsfähigkeit des nichtehelichen Vaters ihres Kindes ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist (§ 1607 BGB), tritt die Haftung des subsidiär Verpflichteten ein.
Normenkette
RVO § 205 Abs 1 S 1 Fassung: 1977-06-27; BGB § 1601 Fassung: 1896-08-18, § 1615e Fassung: 1969-08-19, § 1602 Fassung: 1896-08-18, § 1603 Fassung: 1961-08-11, § 1606 Fassung: 1969-08-19, § 1607 Fassung: 1896-08-18
Verfahrensgang
SG Duisburg (Entscheidung vom 23.05.1979; Aktenzeichen S 21 Kr 27/79) |
Tatbestand
Der Kläger ist bei der Beklagten in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Seine am 21. Januar 1961 geborene Tochter Erika, die damals bei ihm im Haushalt lebte, unverheiratet war und noch die Schule besuchte, hat am 16. Mai 1978 ein Kind geboren. Der Kläger hat die für die Entbindungsanstaltspflege für die Zeit vom 16. bis 26. Mai 1978 angefallenen Kosten in Höhe von 1.708,55 DM bei der Beklagten geltend gemacht.
Der Beigeladene zu 2), der die Kindesmutter später geheiratet hat, ist der Vater des Kindes; er ist bei der Beigeladenen zu 1) pflichtversichert.
Mit Bescheid vom 19. Juni 1978/Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 1979 hat die Beklagte die Gewährung von Mutterschaftsfamilienhilfe abgelehnt. Durch Urteil vom 23. Mai 1979 hat das Sozialgericht (SG) die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung wurde ausgeführt: Zwar habe die Kindesmutter einen Unterhaltsanspruch gemäß § 1615l des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gegen den nichtehelichen Vater, der dem Unterhaltsanspruch gegen ihren Vater - den Kläger - vorgehe. Dieser - letztgenannte - Anspruch komme dadurch jedoch nicht zum Erlöschen. Die Beklagte könne aus der Rangordnung der beiden Ansprüche kein Recht auf Verweigerung der Familienhilfe herleiten. Der Kläger sei unstreitig auch nach der Niederkunft seiner Tochter seiner Unterhaltsverpflichtung nachgekommen. Hiervon habe er sich zwar durch Verweisung seiner Tochter an den Beigeladenen zu 2) befreien können; hierzu sei er der Beklagten gegenüber aber nicht verpflichtet gewesen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte (die zugelassene) Sprungrevision eingelegt. Hierzu hat sie vorgetragen: Wegen der Vorrangigkeit des Anspruchs nach § 1615l BGB habe für den Kläger keine Unterhaltspflicht bestanden; ein konkreter Anspruch der Kindesmutter gegen den Kläger habe nicht vorgelegen. Wenn ein Versicherter wegen der Vorrangigkeit der Unterhaltspflicht eines anderen im konkreten Fall nicht unterhaltspflichtig sei, könne seine Krankenkasse für ihn bei der Erfüllung einer Unterhaltsverpflichtung auch keine Ersatzaufgabe übernehmen. Die Tatsache, daß der Kläger den Unterhalt seiner Tochter tatsächlich bestritten habe, führe nicht zur Vorrangigkeit seiner Unterhaltsverpflichtung. Ob der Kindesvater möglicherweise mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltsverpflichtet gewesen sei, könne nicht festgestellt werden, da das SG insoweit keine Sachaufklärung betrieben habe. Darauf, daß in § 1615k BGB (- Anspruch auf Erstattung der Entbindungskosten -) nicht auf die Leistungsfähigkeit des Kindesvaters abgestellt werde, dürfte hier ohne Bedeutung sein.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom
23. Mai 1979 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und der Beigeladene zu 2) blieben unvertreten; auch die Beigeladene zu 1) hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG.
Nach § 205 Abs 1 Satz 1, erster Halbsatz der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF durch Art 1 § 1 Nr 18 des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes (KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I S 1069) erhalten Versicherte für den unterhaltsberechtigten Ehegatten und die unterhaltsberechtigten Kinder, wenn diese sich gewöhnlich im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten, kein Gesamteinkommen haben, das regelmäßig im Monat ein Fünftel der monatlichen Bezugsgröße überschreitet, und nicht anderweit einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege haben, Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten, Krankenhilfe und sonstige Hilfen unter den gleichen Voraussetzungen und im gleichen Umfang wie Versicherte.
Da der Unterhaltsanspruch des ehelichen Kindes gegen einen Elternteil kein "gesetzlicher Anspruch auf Krankenpflege" ist, der den Anspruch des anderen Elternteils auf Familienhilfe ausschließt (BSGE 11, 30, 34), und die übrigen Leistungsvoraussetzungen gegeben sind, ist hier nur zweifelhaft, ob die Tochter des Klägers diesem gegenüber "unterhaltsberechtigt" war.
Der Begriff der Unterhaltsberechtigung ist dem bürgerlichen Recht entnommen und deshalb nach dem Familienrecht des BGB zu bestimmen (BSGE 10, 28, 30 ff mwN). Ob ein Kind gegenüber dem Versicherten iS des § 205 RVO unterhaltsberechtigt ist, hängt demnach davon ab, welche einzelnen Anspruchselemente für die Unterhaltsberechtigung des Kindes nach den familienrechtlichen Vorschriften des BGB vorausgesetzt werden. Eine Unterhaltsberechtigung in diesem Sinne liegt somit nicht schon dann vor, wenn ein entsprechendes Verwandtschaftsverhältnis besteht, vielmehr muß ein konkreter Unterhaltsanspruch gegeben sein (BSGE 11, 30, 34 mit weiterem Hinweis). Dieser Anspruch richtet sich nach der "Bedürftigkeit" des Berechtigten (§ 1602 BGB), der "Leistungsfähigkeit" des Verpflichteten (§ 1603 BGB) und der "Haftung" des Verpflichteten (§ 1606 BGB).
Die Voraussetzung der "Bedürftigkeit" war im Zeitpunkt des Versicherungsfalles im Verhältnis der Tochter Erika zu ihrem Vater, dem Versicherten, an sich erfüllt. Darüber, ob der Kläger auch "Leistungsfähig" war, hat das SG keine besonderen Feststellungen getroffen; seine Leistungsfähigkeit kann aber daraus gefolgert werden, daß er, wie das SG festgestellt hat, Unterhaltsleistungen erbrachte. Nach § 1603 Abs 1 BGB ist derjenige Verwandte nicht unterhaltspflichtig, der bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Befinden sich Eltern in dieser Lage, so sind sie ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalte gleichmäßig zu verwenden (§ 1603 Abs 2 Satz 1 BGB). Dem Kläger oblag daher gegenüber seiner minderjährigen unverheirateten Tochter eine erweiterte Unterhaltspflicht. Im Falle der Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts (§ 1603 Abs 1 BGB) bestand diese erweiterte Verpflichtung des § 1603 Abs 2 Satz 1 BGB dann nicht, wenn andere leistungsfähige Verwandte vorhanden waren. Soweit ein Verwandter aufgrund des § 1603 BGB nicht unterhaltspflichtig ist, hat der - entsprechend der gemäß § 1606 BGB festgelegten Reihenfolge - nach ihm haftende Verwandte den Unterhalt zu gewähren; das gleiche gilt, wenn die Rechtsverfolgung gegen einen Verwandten im Inland ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist (§ 1607 BGB). Der subsidiär Verpflichtete wird daher erst dann unterhaltspflichtig, wenn der Vorherberufene nicht leistungsfähig ist, oder die Rechtsverfolgung gegen ihn im Inland ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist. Das heißt aber auch, daß der Berechtigte, solange und soweit er den zunächst haftenden Unterhaltspflichtigen heranziehen kann, im Verhältnis zu dem subsidiär haftenden Verpflichteten nicht bedürftig ist (Soergel/Siebert/Lange, Kommentar zum BGB, 10. Aufl 1971, RdNr 2 zu § 1606).
Für den Unterhaltsanspruch der nichtehelichen Mutter gegen den Vater des nichtehelichen Kindes enthält § 1615l Abs 3 Satz 2 BGB eine Sonderregelung dahin, daß die Verpflichtung des Vaters der Verpflichtung der Verwandten der Mutter vorgeht. Steht der nichtehelichen Mutter daher wie nach § 1615l Abs 1 BGB (für die Dauer von sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt des Kindes) ein Unterhaltsanspruch zu, für den nach § 1615l Abs 3 Satz 1 BGB die Vorschriften über die Unterhaltspflicht zwischen Verwandten (§ 1601 ff BGB) entsprechend anzuwenden sind, dann hatte die Tochter des Klägers gegen diesen, wie sich aus dem obengesagten ergibt, mangels Bedürftigkeit insoweit keinen Unterhaltsanspruch. Damit entfiele aber auch ein Anspruch des Klägers nach § 205 RVO.
Gemäß § 1615k Abs 1 BGB ist der Vater des nichtehelichen Kindes verpflichtet, der Mutter die Kosten der Entbindung zu erstatten, soweit diese Kosten nicht durch Leistungen des Arbeitgebers oder durch Versicherungsleistungen gedeckt werden. Stünde der Mutter demnach ausschließlich dieser Anspruch auf Entbindungskosten zu, so würde dies den Anspruch auf den allgemeinen Unterhalt nicht berühren, so daß dann auch ein Anspruch des Klägers aus § 205 RVO gegeben wäre. Dies schon deshalb, weil es sich bei dem Anspruch auf Erstattung der Entbindungskosten (§ 1615k BGB) nicht um einen Unterhaltsanspruch, sondern um einen gesetzlichen Entschädigungsanspruch (unabhängig von der Bedürftigkeit der außerehelichen Mutter und der Leistungsfähigkeit des Vaters) handelt (Soergel/Siebert/Lange, aaO, RdNr 6 zu § 1615k BGB, Palandt/Diederichsen, Kommentar BGB, 40. Aufl 1981, Anm 2 zu § 1615k; aM Brühl/Göppinger/Mutschler, Unterhaltsrecht, Erster Teil, 3. Aufl 1973, RdNr 90), ganz abgesehen davon, daß der Anspruch auf Ersatz der Entbindungskosten ohnehin nicht gegeben ist, sofern die Kosten durch Versicherungsleistungen gedeckt werden.
Der Tochter des Klägers stand aber, wie oben angeführt, ein (abstrakter) Unterhaltsanspruch nach § 1615l BGB gegen den Vater des Kindes zu. Dieser Unterhaltsanspruch der Mutter ist, wie ebenfalls dargelegt, wie ein Unterhaltsanspruch unter Verwandten den allgemeinen Unterhaltsvorschriften unterworfen, wird also ua auch von der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten mitbestimmt (Soergel/Siebert/Lange, aaO, RdNr 3 zu § 1615l).
Der Kläger war daher gegenüber seiner Tochter Erika nur unterhaltspflichtig, soweit ein Anspruch der Tochter nach § 1615l BGB mangels Leistungsfähigkeit des (nichtehelichen) Kindesvaters, des Beigeladenen zu 2), nicht bestanden hat. War der Beigeladene zu 2) aber leistungsfähig, dann steht dem Kläger mangels einer Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner Tochter in der Zeit von sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt auch kein Anspruch aus § 205 RVO auf Ersatz der Entbindungskosten zu.
Zur Leistungsfähigkeit des Beigeladenen zu 2) zum damaligen Zeitpunkt hat das SG jedoch keine Feststellungen getroffen. Sie wird es nachzuholen und dann unter Zugrundelegung der Rechtsansicht des Revisionsgerichts (§ 170 Abs 5 des Sozialgerichtsgesetzes) neu zu entscheiden haben. Hierbei hat es auch über die Kosten der Revisionsinstanz mitzubefinden.
Auf die Revision der Beklagten war das angefochtene Urteil daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Fundstellen