Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 05.02.1987)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Februar 1987 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt von der beklagten Bundesknappschaft die Gewährung von Kinderzuschüssen zu seiner Bergmannsrente.

Der Kläger bezieht von der Bergbau-Berufsgenossenschaft Verletztenrente wegen einer Siliko-Tuberkulose. Die Rente wurde ihm für die Zeit vom 1. September 1983 bis 13. Oktober 1983 als Vollrente und ab 14. Oktober 1983 in Höhe von 50 vH der Vollrente mit Kinderzulagen für seine drei ehelichen Kinder Bilen (geb. am 1. Mai 1970), Bilgin (geb. am 16. Oktober 1971) und Engin (geb. am 30. November 1972) gewährt. Aufgrund eines am 29. März 1982 eingetretenen Versicherungsfalles bewilligte die Beklagte dem Kläger Rente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit, die mit Bescheid vom 23. Juli 1985 mit Wirkung ab 14. Oktober 1983 ohne Kinderzuschüsse festgesetzt wurde. Nach Herabsetzung auf 30 vH der Vollrente ab 1. Juli 1985 erhält der Kläger die Verletztenrente ohne Kinderzulagen. Daraufhin beantragte er am 5. September 1985 bei der Beklagten die Zahlung von Kinderzuschüssen zu der ihm gewährten Bergmannsrente.

Mit Bescheid vom 25. September 1985 (Widerspruchsbescheid vom 19. November 1985) lehnte die Beklagte die Gewährung von Kinderzuschüssen ab. Diese stünden ab 1. Januar 1984 gemäß § 60 Abs 1 Satz 1 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) nur noch zu, wenn der Rentenberechtigte bereits vor diesem Zeitpunkt einen Anspruch darauf gehabt habe.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Bei der Gewährung von Kinderzuschüssen gemäß § 60 Abs 1 Satz 1 RKG sei für die Zeit ab 1. Januar 1984 maßgebend, daß vor diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Zahlung des Zuschusses bestanden habe. Dies setze einen vor dem 1. Januar 1984 eingetretenen Versicherungsfall voraus. Für die Zeit vor diesem Stichtag habe dem Kläger jedoch kein Kinderzuschuß zugestanden, da ihm Kinderzulagen aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt worden seien. Die Formulierung des hier anzuwendenden § 60 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RKG entspreche der vom Gesetzgeber mit dem Einführungsgesetz zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974 (BGBl I S 3656) am 1. Juli 1975 eingeleiteten Entwicklung zur Beseitigung von Doppelansprüchen für Kinder. Diese Regelung unterscheide sich von den Ruhensvorschriften, etwa § 75 Abs 1 RKG oder § 1278 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO). Allerdings führe § 60 Abs 1 Satz 1 RKG idF durch Art 3 Nr 20 des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I, – 1532 nF –) zu einer Schlechterstellung derjenigen Rentenbezieher, die vor dem 1. Januar 1984 wegen einer Kinderzulage zur Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung keinen Anspruch auf Kinderzuschuß aus der knappschaftlichen Rentenversicherung gehabt hätten, gegenüber denjenigen, denen dieser Zuschuß zu zahlen gewesen sei. Jedoch verstoße § 60 Abs 1 Satz 1 RKG nF nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG). Das Bundessozialgericht (BSG) habe mehrfach entschieden, daß der Ersetzung der kindbezogenen Leistungen der Renten- und Unfallversicherung mit Wirkung ab 1. Januar 1984 durch das Kindergeld in Zusammenhang mit der Neuordnung des Familienlastenausgleichs und der Verbesserung der Struktur der Rentenversicherung sachgerechte Erwägungen zugrunde lägen. Des weiteren sei in dem hier entschiedenen Fall nicht in einen geschützten Besitzstand eingegriffen worden. Denn der Kläger habe als Bezieher der Kinderzulagen zu seiner Verletztenrente diese ebenfalls über den 1. Januar 1984 hinaus erhalten.

Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich der Kläger mit der vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt eine Verletzung des § 60 Abs 1 RKG nF und trägt vor: Da er bereits seit 14. Oktober 1983 einen Anspruch auf Bergmannsrente habe, könne er kein „Neurentner” iS des § 60 Abs 1 RKG nF sein. § 60 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RKG nF diene der Verhinderung von Doppelleistungen innerhalb des Familienlastenausgleichs. Der Anspruch auf Kinderzulage sei deshalb in seiner Auswirkung für den Versicherten gleichzusetzen mit dem Anspruch auf Kinderzuschuß. Eine Ungleichbehandlung zwischen „Altrentnern” verstoße gegen den im GG verankerten Gleichheitsgrundsatz. Da er bereits vor 1984 einen höheren Familienlastenausgleich als das staatliche Kindergeld erhalten habe, könne er sich auf Bestandsschutz für die Leistung berufen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Februar 1987 sowie das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 14. März 1986 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 25. September 1985 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. November 1985 zu verurteilen, dem Kläger für die Kinder Bilen, Bilgin und Engin ab 1. Juli 1985 Kinderzuschüsse zur Bergmannsrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die getroffene Entscheidung für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen und die Beklagte haben zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Kinderzuschüsse verneint.

Entgegen dem Wortlaut des Revisionsantrags des Klägers, welcher lediglich auf eine Änderung der vorinstanzlichen Urteile abzielt, ist sein Begehren in Zusammenhang mit dem schriftsätzlichen Vorbringen dahin auszulegen, daß er anstelle der „Änderung” deren Aufhebung beansprucht (vgl zur Auslegung von Prozeßhandlungen, zuletzt Urteil des erkennenden Senats vom 7. September 1988 – 10 RKg 4/87 –). Unter Änderung wird durchweg nur die Teilaufhebung eines Verwaltungsaktes verstanden (vgl BSGE 59, 137, 143; Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 3. Aufl 1987, § 54 Anm 4).

Zu Recht haben die Vorinstanzen und die Beklagte die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 25. September 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 1985 nach § 60 Abs 1 Satz 1 RKG nF überprüft. Nach dieser Vorschrift erhöht sich ua die Bergmannsrente um den Kinderzuschuß für jedes Kind, „für das der Rentenberechtigte vor dem 1. Januar 1984 einen Anspruch auf Kinderzuschuß gehabt hat”. Den letzten Halbsatz enthielt die Vorschrift, ebenso wie die insoweit gleichlautenden Vorschriften der §§ 1262 RVO und 39 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG), in ihrer vor dem 1. Januar 1984 geltenden Fassung nicht.

Der 1. Senat des BSG hat in seiner Entscheidung zu § 39 AVG vom 27. Februar 1986 (BSGE 60, 18, 19) im einzelnen ausführlich und überzeugend dargelegt, daß es bei der Anwendbarkeit des Gesetzes nicht auf den Eintritt des Versicherungsfalles, sondern auf den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Bewilligung und Zahlung der fraglichen Leistung ankommt. Dem sind der 4a-Senat (BSG, SozR 1262 Nr 39; unveröffentlichte Urteile vom 26. Mai 1987 – 4a RJ 45/86 – und vom 21. Juli 1987 – 4a RJ 95/86 –) und der 5b-Senat (unveröffentlichtes Urteil vom 25. Juni 1987 – 5b RJ 4/87 –) gefolgt.

Ausgehend von dieser Rechtsprechung gilt hier nichts anderes. Der Kläger hatte vor dem 1. Januar 1984 nur einen Anspruch auf Bewilligung und Auszahlung der Bergmannsrente, jedoch keinen Anspruch auf Zahlung von Kinderzuschüssen. Deshalb kommt es bei der Anwendung des § 60 Abs 1 Satz 1 RKG nF nicht darauf an, wann der Versicherungsfall für die Gewährung von Bergmannsrente eingetreten und die Rente festgestellt bzw die Rentenzahlung aufgenommen worden ist (vgl BSGE 60, 18, 20). Anspruch auf einen Kinderzuschuß besteht erst, wenn ein Recht auf die Bewilligung dieser Leistung und auf ihre Auszahlung besteht (vgl BSG SozR 2200 § 1262 Nr 31; 6555 Art 26 Nr 1). Die Zahlung des Kinderzuschusses für die Zeit nach dem 31. Dezember 1983 setzt somit voraus, daß nicht nur der Versicherungsfall für die Rentenzahlung vor dem 1. Januar 1984 eingetreten, sondern auch bereits der Anspruch auf eine um den Kinderzuschuß erhöhte Rente entstanden ist, und daß der Versicherte die Auszahlung dieser Leistung vor dem 1. Januar 1984 beanspruchen konnte (BSGE 60, 18, 20; SozR 2200 § 1262 Nr 31). Ein Anspruch ist nach der maßgebenden Legaldefinition des § 194 Abs 1 BGB das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Dementsprechend ist hier unter dem Anspruch auf einen Kinderzuschuß das Recht auf Bewilligung dieser Geldleistung und auf ihre Auszahlung zu verstehen (BSG SozR 6555 Art 26 Nr 1 mwN; BSGE 60, 18, 19).

Dem Kläger wurde vor dem 1. Januar 1984 kein Kinderzuschuß, ihm wurden vielmehr Kinderzulagen aus der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß § 583 Abs 1 RVO gewährt. Damit bestand ein absoluter Ausschlußgrund für den Anspruch auf Kinderzuschüsse nach § 60 Abs 1 Satz 2 RKG. Nr 1 dieser Vorschrift regelt das Zusammentreffen von Kinderzulagen aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit Kinderzuschüssen aus der knappschaftlichen Rentenversicherung, wobei die vorrangige Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung den Kinderzuschuß verdrängt und ausschließt. Eine andere Auslegung lassen die in § 60 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RKG verwendeten Worte „dies gilt nicht, wenn … gewährt wird” nicht zu. Zweck der genannten Regelung, die mit Wirkung vom 1. Juli 1975 durch Art 31 Nr 2 des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974 (BGBl I, 3656) eingeführt und mit Wirkung vom 1. Januar 1978 durch Art 2 § 3 Nr 14 Buchst a des 20. Rentenanpassungsgesetzes (RAG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I, 1040) neugefaßt wurde, war in Zusammenhang mit der Neuregelung des Kindergeldrechts die Vermeidung von Doppelleistungen für Kinder (BT-Drucks 7/2945, S 4, 5). Entsprechend dieser Zielsetzung soll in der Sozialversicherung künftig nur noch eine Leistung für ein Kind gezahlt werden. Für § 60 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RKG nF ist daher allein das tatsächliche Zufließen einer kindbezogenen Leistung entscheidend (vgl BSG SozR 2600 § 60 Nr 3; SozR 6555 Art 26 Nr 1).

Mangels eines vor dem 1. Januar 1984 bestehenden Anspruchs auf Auszahlung des die Bergmannsrente erhöhenden Kinderzuschusses hat der Kläger auch für die folgende Zeit keinen Anspruch nach § 60 Abs 1 Satz 1 RKG nF. Er hat insoweit auch keinen Besitzstand vor dem 1. Januar 1984 erworben, welcher durch § 60 Abs 1 Satz 1 RKG nF über den 31. Dezember 1983 hinaus zu schützen wäre (vgl BSG SozR 2200 § 1262 Nr 31; BSGE 60, 18, 23; Zweng/Scheerer/Buschmann, Handbuch der Rentenversicherung, 2. Aufl, Stand: Januar 1988, Band II § 1262 Anm III 1).

Eine andere Beurteilung wird auch nicht durch die Überlegung des Klägers gerechtfertigt, er habe Besitzstandsschutz in Höhe der Zulagen aus der gesetzlichen Unfallversicherung erworben. Insofern gehörte er zwar zunächst zu dem privilegierten Personenkreis, der auch über den Stichtag 31. Dezember 1983 hinaus diese Zulagen erhielt. Die entfielen jedoch, weil die Voraussetzungen für eine Verletztenrente in Höhe von mindestens 50 vH der Vollrente nicht mehr vorlagen. Für diesen Fall ist ein Bestandsschutz gerade nicht vorgesehen.

Zwar ist dem Kläger zuzugeben, daß er als Bezieher einer Verletztenrente mit Kinderzulagen aus der gesetzlichen Unfallversicherung gegenüber den Rentenbeziehern der gesetzlichen Rentenversicherung, denen dieser Zuschuß weiterhin zu zahlen ist, schlechter gestellt ist. Das BSG hat jedoch in ständiger Rechtsprechung (vgl SozR 2200 § 1262 Nr 31, BSGE 60, 18, 23 ff) die Verfassungsmäßigkeit der neuen Bestimmung aus überzeugenden Gründen bejaht. Diese Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 30. Oktober 1986 (SozR 2200 § 1262 Nr 37) bestätigt und darauf hingewiesen, daß die Neuregelung des § 1262 Abs 1 Satz 1 RVO als Inhalts- und Schrankenbestimmung iS von Art 14 Abs 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich unbedenklich sei. Zum einen liege es im sozialpolitischen Gestaltungsermessen des Gesetzgebers, die Rentenversicherung durch eine allmähliche Überleitung des Kinderzuschusses in das Kindergeld zu entlasten und damit gleichzeitig eine Vereinheitlichung für alle Fälle des Familienlastenausgleiches herbeizuführen. Zum anderen sei das Vertrauen solcher Versicherter, die vor dem 1. Januar 1984 noch keinen Anspruch auf einen Kinderzuschuß gehabt hätten, nicht besonders schutzwürdig, da sie nicht für die Zukunft darauf vertrauen durften, daß die in der gesetzlichen Rentenversicherung besonders günstige Regelung auf Dauer beibehalten werde. Des weiteren hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, daß der Gleichheitsgrundsatz aus Art 3 Abs 1 GG nicht verletzt sei, da sachliche Gründe für die angeführte Ungleichbehandlung gegeben seien. Insbesondere sei die Wahl eines Stichtages unerläßlich. Die in einer solchen Regelung liegende Härte sei nicht zu vermeiden und müsse hingenommen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174581

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