Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung nur tatsächlichen, aktuellen Betroffenseins

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Beschädigter kann in seinem nachweisbar angestrebten Beruf erst von dem Zeitpunkt an besonders betroffen sein, von dem an er ohne die Schädigung den angestrebten Beruf tatsächlich hätte ausüben können.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. BVG § 30 Abs 2 S 2 Buchst a trifft zwar keine nähere Regelung darüber, wann dieses besondere berufliche Betroffensein zeitlich gegeben sein soll. Daraus folgt aber nicht, daß ein berufliches Betroffensein immer schon dann vorliegt, wenn feststeht, daß der nachweisbar angestrebte Beruf infolge der Schädigung nie wird ausgeübt werden können (hier: weil schon das für den angestrebten Beruf des Mathematikers notwendige Hochschulstudium schädigungsbedingt nicht aufgenommen werden kann).

2. Ein Beschädigter kann erst von dem Zeitpunkt an besonders beruflich betroffen sein und eine entsprechend höhere Versorgungsleistung beanspruchen, von dem an er ohne die Schädigung den angestrebten Beruf (hier Mathematiker) tatsächlich hätte ausüben können. Soweit ein faßbarer beruflicher Nachteil in dem Zeitraum, über den zu entscheiden ist, noch nicht zutage liegt, führt er nicht zu einer höheren Bewertung der MdE.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 2 S. 2 Buchst. a Fassung: 1966-12-28

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 13.10.1976; Aktenzeichen L 9 V 37/74)

SG Münster (Entscheidung vom 16.01.1974; Aktenzeichen S 4 V 195/71)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Oktober 1976 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger in seinem angestrebten Beruf besonders betroffen ist und von wann an deshalb die Minderung seiner Erwerbsfähigkeit (MdE) höher zu bewerten ist.

Der am 22. Juni 1949 geborene Kläger wechselte nach Durchlaufen der Volks- und Realschule auf das Gymnasium über, wo er am 17. Juni 1968 die Reifeprüfung ablegte. Am 1. Oktober 1968 trat der Kläger seinen Dienst bei der Bundeswehr an. Dort erlitt er am 27. Oktober 1968 einen Dienstunfall.

Nach mehrmonatigem Krankenhausaufenthalt schied der Kläger am 15. März 1969 aus dem Wehrdienst aus.

Danach war der Kläger wie folgt tätig:

Vom 8. April 1969 bis 18. Juli 1969 als Schlachtereiarbeiter,

vom 19. August 1969 bis 9. März 1970 als Bauhilfsarbeiter,

vom 16. März 1970 bis 31. Dezember 1970 als Galvanohelfer,

vom 11. Januar 1971 bis 16. Juni 1972 als Umschüler,

vom 1. August 1972 bis 31. Dezember 1972 als Datenverarbeitungskaufmann,

vom 1. Februar 1973 bis zum 30. September 1973 als Operator.

Vom 1. Oktober 1973 bis 22. September 1975 befand sich der Kläger in einem Lehrgang zwecks Fortbildung zum staatlich geprüften Betriebswirt EDV; seit dem 20. April 1976 war der Kläger als Operator in der mittleren Datentechnik gegen ein Entgelt von 1.600,- DM monatlich brutto tätig.

Mit seinem Versorgungsantrag gab der Kläger an, er habe ein Mathematikstudium angestrebt. Das Versorgungsamt Münster erkannte durch Bescheid vom 26. November 1969 "Weichteilknochennarbe am Schädel, neurologische und psychische Ausfallserscheinungen nach Hirnquetschung und epiduralem Hämatom" als Schädigungsfolgen an. Die MdE wurde auf 60 vH festgesetzt. Durch weiteren Bescheid vom 23. Februar 1971 wurde die Berücksichtigung eines besonderen beruflichen Betroffenseins mit der Begründung abgelehnt, der Kläger hätte im Sommersemester 1970 ein Hochschulstudium aufnehmen können. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Bescheid vom 17. September 1971). Mit dem während des erstinstanzlichen Verfahrens ergangenen Neufeststellungsbescheid vom 4. November 1971 wurde die MdE wegen Besserung des Gesundheitszustandes vom 1. Februar 1972 an auf 40 vH herabgesetzt.

Das Sozialgericht (SG) hat dem Antrag des Klägers voll entsprochen und durch Urteil vom 16. Januar 1974 den Beklagten verurteilt, unter Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins dem Kläger vom 1. April 1970 an eine Rente nach einer MdE von 70 vH und vom 1. Februar 1972 an nach einer solchen von 50 vH zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 13. Oktober 1976 die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Es hat dazu ausgeführt: Die Berufung sei in vollem Umfang statthaft, weil der Beklagte einen tatsächlich vorliegenden wesentlichen Mangel des Verfahrens gerügt habe (§ 150 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Der Kläger sei beruflich besonders betroffen, weil er weder den nachweisbar angestrebten Beruf des "Hochschulmathematikers" noch einen sozial gleichwertigen Beruf ausüben könne. Als Folge des Dienstunfalls, bei dem es zu einer hirnorganischen Schädigung gekommen sei, beständen beim Kläger Leistungsschwierigkeiten, die ein Studium der Mathematik nicht zuließen. Andere Gründe, die den Kläger an einem Studium der Mathematik gehindert hätten, seien nicht festzustellen. Dies gelte auch, obgleich der Kläger im Abiturzeugnis für das Fach Mathematik nur die Note "befriedigend" erhalten habe. Der Kläger vermöge keinen dem des "Hochschulmathematikers" sozial gleichwertigen Beruf auszuüben. Als staatlich geprüfter Betriebswirt und Operator verrichte er jetzt eine Tätigkeit, die eine wissenschaftliche Ausbildung an einer Hochschule nicht verlange, sondern lediglich Fachoberschulreife voraussetze. Es sei unerheblich, wann der Kläger im Falle der gesunden Entlassung aus dem Wehrdienst sein Studium beendet haben würde. Nach § 30 Abs 2 Satz 2 Buchst a des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) genüge es, daß er den angestrebten Beruf tatsächlich infolge der Schädigung nicht ausüben könne. Dieses Erfordernis sei nicht zeitlich, sondern von der Einwirkung der Schädigungsfolgen auf den Gesundheitszustand her zu sehen. Aus dem Gesetz ergebe sich nicht, daß ein besonderes berufliches Betroffensein in dem begonnenen oder nachweisbar angestrebten Beruf erst von dem Zeitpunkt an zu bejahen sei, in dem der begonnene oder nachweisbar angestrebte Beruf tatsächlich ausgeübt worden wäre. Der Kläger sei in der Vergangenheit mehrfach in sozial ungleichwertigen Stellungen eingesetzt gewesen und habe auch jetzt von April 1976 an eine solche inne. Darauf, ob der Kläger bei erfolgreichem Abschluß des Mathematikstudiums mit durchschnittlichem Ergebnis die Möglichkeit gehabt hätte, eine seiner Ausbildung entsprechende Stelle zu finden, komme es nicht an. Schon dann sei man besonders beruflich betroffen, wenn man sich entweder für einen sozial geringerwertigen Beruf ausbilden lassen oder einen solchen ausüben müsse. Außerdem sei es offenkundig, daß an den Gymnasien Nordrhein-Westfalens viele Lehrer für naturwissenschaftliche Fächer fehlten, so daß für den Kläger eine Beschäftigungsmöglichkeit nach erfolgreich bestandenem Studium der Mathematik mit Gewißheit bestanden hätte.

Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.

Der Beklagte hat die - vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassene - Revision eingelegt; er rügt die Verletzung des § 30 Abs 2 BVG und des § 128 SGG. Nach dem Text des § 30 Abs 2 Satz 2 Buchst a BVG könne ein besonderes berufliches Betroffensein zwar schon dann anerkannt werden, wenn die Schädigungsfolge die Ausübung des nachweisbar angestrebten Berufes verhindere. Dies vertrage sich aber nicht mit dem Zweck des Gesetzes, den Ausgleich zusätzlichen Schadens im beruflichen Bereich durch eine Höherbewertung der MdE zu ermöglichen. Das Unvermögen, den nachweisbar angestrebten Beruf auszuüben, sei nicht ohne weiteres ein Schaden, der über die nach § 30 Abs 1 BVG zu bewertende Beeinträchtigung der Körperfunktion hinausgehe. Ein solcher trete erst dann ein, wenn sich das Unvermögen zum Nachteil des Beschädigten auswirke. Dieser Schaden müsse kausal im Sinne der versorgungsrechtlichen Kausalitätstheorie durch die Schädigungsfolgen verursacht worden sein. Dies entspreche auch der in mehreren Urteilen zum Ausdruck gekommenen Rechtsprechung des BSG (SozR Nr 69 zu § 30 BVG; BSGE 29, 139; 40, 49; SozR 3100 § 30 Nr 22). Wenn § 30 Abs 2 Satz 2 Buchst a BVG in diesem Sinne ausgelegt werde, dann könne ein besonderes berufliches Betroffensein in dem angestrebten Beruf frühestens von dem Zeitpunkt an vorliegen, in dem der Beschädigte ohne die Schädigung den angestrebten Beruf erreicht bzw von dem an er ihn ausgeübt hätte. Die in der Vorschrift vorausgesetzte berufliche Situation (Nichtausübung des angestrebten oder eines sozial gleichwertigen Berufes) könne zwar vor dem besagten Zeitpunkt gegeben sein; für die Zeit davor könnten jedoch die Schädigungsfolgen nicht als Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne und damit erst recht nicht als Ursache im versorgungsrechtlichen Sinne verantwortlich gemacht werden. Auch als Gesunder könnte der Kläger den angestrebten Beruf eines Mathematikers erst dann ausüben, wenn er das Studium abgeschlossen hätte. Bis zu dem Zeitpunkt des vermutlichen Studienabschlusses sei die Nichtausübung des angestrebten Berufes nicht kausal durch die Schädigungsfolgen verursacht. Diesen Zeitpunkt habe das LSG nicht festgestellt. Da das Studium der Mathematik wahrscheinlich wenigstens zehn Semester gedauert hätte, hätte das LSG der Berufung des Beklagten wenigstens teilweise stattgeben müssen. Es hätte auch prüfen müssen, ob der Kläger einen der Ausbildung angemessenen Arbeitsplatz überhaupt hätte finden können. Vorsorglich werde eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gerügt. Daß viele Lehrer für naturwissenschaftliche Fächer an den Gymnasien in Nordrhein-Westfalen fehlten, reiche keineswegs für die Schlußfolgerung aus, daß für den Kläger nach erfolgreich beendetem Studium der Mathematik eine Beschäftigungsmöglichkeit bestanden hätte.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung der Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Oktober 1976 und des Sozialgerichts Münster vom 16. Januar 1974 die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache an das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er meint, das angefochtene Urteil sei zutreffend und fehlerfrei zustande gekommen; ein Mathematikstudium sei damals in acht Semestern zu bewältigen gewesen; und für Diplommathematiker bestünden auch heute noch keine Anstellungsschwierigkeiten.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und im Sinne des Hilfsantrages begründet.

Die Beteiligten streiten nur darüber, ob und von welchem Zeitpunkt an der Kläger besonders beruflich betroffen und die MdE deshalb höher zu bewerten ist. Das LSG hat hierzu folgenden Sachverhalt festgestellt: Der Kläger hatte vor seiner Einberufung zum Wehrdienst die Absicht, das Studium der Mathematik aufzunehmen und den Beruf des Mathematikers zu ergreifen. Dieses Studium konnte er wegen seiner bei dem Unfall im Wehrdienst erlittenen Schädigungsfolgen nicht aufnehmen. Er ist deshalb in einem dem Beruf des Mathematikers sozial nicht gleichwertigen Beruf tätig. Diese Feststellungen hat der Beklagte nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffen, so daß sie für den erkennenden Senat nach § 163 SGG bindend sind. Das LSG hat daraus gefolgert, daß die MdE des Klägers wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit höher zu bewerten ist. Diese Folgerung ist jedoch unzutreffend; die festgestellten Tatsachen reichen nicht aus, um einen besonderen Schaden des Klägers im Beruf zu erkennen.

Dem Kläger, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, steht nach § 80 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG zu. Nach § 30 Abs 2 Satz 1 BVG ist die MdE höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, in seinem nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen ist, den er nach Eintritt der Schädigung ausgeübt hat oder noch ausübt. Als "Beispielsfall" eines besonderen beruflichen Betroffenseins (vgl BSG SozR Nr 37 zu § 30 BVG) nennt § 30 Abs 2 Satz 2 Buchst a BVG den Fall, daß der Beschädigte weder den nachweisbar angestrebten noch einen sozial gleichwertigen Beruf infolge der Schädigung ausüben kann; diese Vorschrift trifft jedoch keine nähere Regelung darüber, wann diese Berufsbetroffenheit zeitlich gegeben sein soll. Daraus folgt jedoch nicht, daß ein besonderes berufliches Betroffensein immer dann schon vorliegt, wenn feststeht, daß der nachweisbar angestrebte Beruf nie wird ausgeübt werden können. Die Einwände des Beklagten gegen die vom LSG vertretene Auffassung greifen durch.

Nach Auffassung des erkennenden Senats kann ein Beschädigter erst von dem Zeitpunkt an besonders beruflich betroffen sein und eine entsprechend höhere Versorgungsleistung beanspruchen, von dem an er ohne die Schädigung den angestrebten Beruf tatsächlich hätte ausüben können. Das folgt aus dem Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften des BVG.

Versorgung wird gewährt für die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung (§ 1 Abs 1 BVG). Als Schaden im Sinne dieser Vorschrift stellt sich der Unterschied zwischen dem Zustand dar, der ohne das schädigende Ereignis oder Geschehen bestünde, und den entsprechenden tatsächlichen gegenwärtigen Verhältnissen. Besonders deutlich spricht das Gesetz dies für den Einkommensverlust, von dem der Berufsschadensausgleich abhängt (§ 30 Abs 3 BVG), in § 30 Abs 4 Satz 1 BVG aus (BSG SozR 3100 § 30 Nr 4 und BSG 25. April 1978 - 9 RV 61/77 -). Etwas grundsätzlich anderes gilt nicht für die berufliche Betroffenheit, ungeachtet gewisser Unterschiede im Eingehen auf die Besonderheiten des Einzelfalles bei der Schadensbeurteilung.

Für die Auffassung des Senats spricht auch § 30 Abs 8 Buchst b BVG iVm § 7 Abs 1 Satz 5 Halbsatz 1 der dazu ergangenen Verordnung vom 28. Februar 1968 (BGBl I S 194) bzw § 7 Abs 1 Satz 4 der VO vom 18. Januar 1977 (BGBl I S 162). Nach dieser Vorschrift ist der Berufsschadensausgleich frühestens nach dem vermutlichen Abschluß der beruflichen Ausbildung zu gewähren.

Der durch eine Versorgungsleistung auszugleichende Nachteil in Form eines besonderen beruflichen Betroffenseins bemißt sich - wie allgemein ein Nachteil, der durch Leistungen nach dem BVG zu entschädigen ist - allein nach den gegenwärtigen Verhältnissen (BSGE 20, 205, 208; vgl auch E 34, 216, 219; ferner E 32, 1, 7; 37, 80, 86 sowie BSG SozR 3100 § 30 Nr 22; BSG Breithaupt 1966, 150, 153 f; BSG 25. April 1978). Soweit ein faßbarer Nachteil in dem Zeitraum, über den zu entscheiden ist, noch nicht zutage liegt, führt er nicht zu einer höheren Bewertung der MdE. Wenn zukünftige Entwicklungen ausnahmsweise bereits beachtet werden, bilden nicht diese den rechtserheblichen Schaden, sondern zB die gegenwärtigen seelischen Belastungen, die durch die Befürchtung oder Erwartung künftiger Nachteile entstehen (zu § 30 Abs 1 BVG: BVBl 1962, 21 Nr 6), oder die schon in der Gegenwart erkennbare Gefährdung der Gesundheit (zu § 30 Abs 2 BVG: BSG 13, 20 = SozR Nr 8 zu § 30 BVG; SozR Nr 60 zu § 30 BVG), nicht erst deren zukünftige Auswirkungen (dazu BSGE 20, 208; BSG SozR 3100 § 30 Nr 22). In § 30 Abs 2 BVG wird nicht eine mögliche, sondern eine tatsächliche, aktuelle Berufsbetroffenheit berücksichtigt (BSGE 40, 49, 51). Solange ein Beschädigter einen angestrebten Beruf, der sozial höher als seine tatsächliche Tätigkeit einzustufen ist, auch ohne die Schädigungsfolgen nicht ausüben könnte, zB wegen der langen Dauer der Ausbildung, kann er ebensowenig einen Ausgleich nach § 30 Abs 2 BVG beanspruchen wie wegen eines besonderen beruflichen Schadens, der sich nicht mehr als Folge der Schädigung darstellt (BSGE 40, 49, 51)

Nach der Rechtsauffassung des LSG würde der Kläger bereits in einer Zeit einen Ausgleich für einen beruflichen Schaden erhalten, in dem er ohne Schädigung als Gesunder den Beruf noch gar nicht ausüben könnte.

Der hier vertretenen Auslegung steht nicht entgegen, daß bei jugendlichen Beschädigten die MdE nach dem Grad zu bemessen ist, der sich bei Erwachsenen mit gleichen Gesundheitsstörungen ergibt (§ 30 Abs 1 Satz 5 BVG). Zwar beschreibt das besondere berufliche Betroffensein wesentlich eine MdE; das folgt aus seiner Funktion, eine der Voraussetzungen für die Bemessung der MdE als Rentenmaßstab neben den Beeinträchtigungen im Sinne des § 30 Abs 1 BVG zu bilden (BSG 14. Juni 1978 - 9/10 RV 53/77 -; BSGE 36, 21, 23 = SozR Nr 66 zu § 30 BVG). Die Anbindung der MdE an das Erwerbsleben (§ 30 Abs 1 Satz 1 BVG) machte für Jugendliche, die noch nicht am Erwerbsleben aktiv teilnehmen, gerade deshalb die besondere Vorschrift nach § 30 Abs 1 Satz 5 BVG erforderlich, denn eine tatsächliche, aktuelle Beeinträchtigung im Erwerbsleben wäre für diese Beschädigten nicht feststellbar. Im übrigen ist die Einbeziehung der noch nicht erwerbstätigen beschädigten Jugendlichen in die allgemeinen Bewertungsmaßstäbe sinnvoll, denn die nach Abs 1 des § 30 BVG bestimmte Grundrente soll verschiedene Schäden ausgleichen, die schwer zu umgrenzen sind (BSG 14. Juni 1978; BSGE 30, 21, 25 = SozR Nr 39 zu § 30 BVG; BSGE 33, 112, 117 = SozR Nr 43 zu § 62 BVG; BSGE 40, 120, 123 ff = SozR 3100 § 30 Nr 8; SozR 3100 § 30 Nr 13); insbesondere umfaßt sie auch einen Ausgleich für die allgemeine Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Integrität (BSGE 30, 21, 25; 33, 151, 153). Diese Ausnahmeregelung kann nicht auch im Rahmen des besonderen beruflichen Betroffenseins angewendet werden.

Bei der vom Senat vertretenen Rechtsauffassung reicht der vom LSG festgestellte Sachverhalt für eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits nicht aus, so daß die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 SGG).

Das LSG wird - falls es bei der Annahme verbleibt, daß der Kläger einen Beruf auf der Grundlage eines Mathematikstudiums nachweisbar angestrebt hat - festzustellen haben, von wann an der Kläger ohne die Schädigungsfolgen einen Beruf als Mathematiker (etwa als Diplommathematiker oder Mathematiklehrer) tatsächlich im Erwerbsleben hätte ausüben können. Dafür wird es den hypothetischen Verlauf des Studiums und der Erwerbstätigkeiten, wie sie der Kläger ohne die Schädigungsfolgen durchlaufen hätte, mit dem real abgelaufenen Berufsleben des Klägers in Beziehung zu setzen haben (vgl BSG-Urteil 25. April 1978 - 9 RV 61/77 -). Dabei wird das LSG zu beachten haben, daß der Kläger nicht schon vor dem hypothetischen Erreichen seines Berufes besonders beruflich betroffen sein kann, weil er als Student noch nicht einen Beruf ausgeübt hätte. Der Senat hat zwar in seinem Urteil vom 25. April 1978 den Anwärterdienst als sozial gleichwertig einer Berufstätigkeit angesehen; er hat damit aber noch nicht festgelegt, ob der Anwärterdienst selbst bereits als Beruf anzusehen wäre. Das kann auch hier dahinstehen. Im Gegensatz zum Anwärterdienst wird das Studium noch außerhalb des allgemeinen Erwerbslebens durchgeführt. Dem Studium fehlt die unmittelbare Verzahnung mit dem Beruf, obgleich es heute in vielen Fällen als auf einen Beruf ausgerichtet angelegt und durchgeführt wird. In Übereinstimmung mit dem übrigen Sprachverständnis wird als Beruf die auf Dauer vorgesehene - nicht nur vorübergehende - Arbeit bezeichnet, die der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage dient (BSGE 23, 231, 233; SozR Nr 13 zu § 45 BVG; Urteil vom 23. November 1977 - 9 RV 72/76 -). Auf einen Nachteil im sozialen Ansehen, den der Kläger als ungelernter Arbeiter oder als Umschüler und sich Fortbildender gegenüber einem akademischen Studenten etwa hätte haben können, kommt es wegen der mangelnden Berufsbezogenheit nicht an. Schließlich wird das LSG zu prüfen haben, ob der Kläger einen anderen sozial gleichwertigen Beruf ausüben kann (vgl BSG vom 25. April 1978).

Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652067

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