Entscheidungsstichwort (Thema)

Heiratsabfindung

 

Orientierungssatz

1. Eine Witwe, die sich vor dem 11.8.1952 wiederverheiratet hat kann eine Heiratsabfindung nach dem BVG nur auf Grund des § 44 aF beanspruchen.

2. Der Anspruch auf Heiratsabfindung nach § 44 BVG aF ist nicht begründet, wenn im Zeitpunkt der Wiederverheiratung die Witwenrente noch nicht beantragt oder festgestellt war und auch nicht mehr festgestellt werden kann (vgl BSG 1955-08-24 9 RV 184/55 = BSGE 1, 189).

 

Normenkette

BVG § 44 Fassung: 1950-12-20, § 44 S. 2 Fassung: 1953-08-07, § 58 Fassung: 1953-08-07

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 27.08.1954)

SG Berlin (Entscheidung vom 04.05.1954)

 

Tenor

Die Urteile des Landessozialgerichts ... vom 27. August 1954 und des Sozialgerichts ... vom 4. Mai 1954 werden aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin war in erster Ehe mit ... verheiratet, der im Juni 1945 an einer Kriegsverwundung gestorben ist. Am 5. Juni 1951 heiratete sie wieder. Erst am 17. Dezember 1951 beantragte sie die Gewährung einer Heiratsabfindung. Ihr Antrag wurde durch Bescheid des Versorgungsamts ... vom 17. März 1952 mit der Begründung abgelehnt, daß sie vor der Wiederverheiratung keinen Anspruch auf Witwenrente gehabt habe und damit eine Voraussetzung für die Gewährung der Heiratsabfindung gemäß § 44 Bundesversorgungsgesetz (BVG) nicht erfülle.

Der Einspruch der Klägerin gegen diesen Bescheid blieb erfolglos. Auf ihre Klage verurteilte das Sozialgericht ( SGer .) ... mit Urteil vom 4. Mai 1954 den Beklagten, "der Klägerin eine Heiratsabfindung zu zahlen". Das SGer . wendete den § 44 BVG in der durch das Zweite Änderungsgesetz vom 7. August 1953 (BGBl.I S. 862) geänderten und nach Art. V Abs. 1 mit Wirkung vom 11. August 1953 in Kraft getretenen Fassung an. Es hielt deshalb den sechs Monate nach der Wiederverheiratung gestellten Antrag der Klägerin nicht für verspätet und die vorherige Geltendmachung des Anspruchs auf Witwenrente nicht für erforderlich. Die Berufung wurde im Urteil zugelassen.

Das Landessozialgericht (LSGer.) ... wies die Berufung des Beklagten mit Urteil vom 27. August 1954 zurück. Nach Auffassung des LSGer. durfte zwar der § 44 BVG nicht in der seit dem 11. August 1953 geltenden Fassung auf Fälle angewendet werden, die bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtskräftig entschieden waren. Jedoch erachtete das LSGer. den Anspruch der Klägerin für rechtzeitig erhoben. Es war der Ansicht, § 44 BVG a.F. schreibe einen Zeitpunkt für die Antragstellung nicht vor. Deshalb habe die Frist zur Anmeldung von Ansprüchen auf Hinterbliebenenversorgung nach den "allgemeinen Bestimmungen des § 58 BVG" erst am 31. Dezember 1953 geendet.

Die Revision wurde im Urteil zugelassen. Die Rechtsmittelbelehrung enthält nicht den Hinweis, daß die Revision einen bestimmten Antrag enthalten muß. Das Urteil wurde dem Beklagten gegen Empfangsbestätigung zugestellt, in der aber der Tag des Empfangs nicht angegeben ist.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 23. September 1954, eingegangen beim Bundessozialgericht ( BSGer .) am 27. September 1954, Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 11. Oktober 1954, eingegangen beim BSGer . am 15. Oktober 1954, begründet. Er beantragt:

unter Aufhebung der angefochtenen Urteile die Klage abzuweisen.

Er führt zur Begründung aus, daß der Antrag der Klägerin auf Heiratsabfindung nach der alten Fassung des § 44 BVG zu beurteilen sei. In diesem Falle müsse aber der wiederverheirateten Witwe mindestens für den Heiratsmonat ein Anspruch auf Witwenrente zugestanden haben, damit an dessen Stelle ein Anspruch auf Heiratsabfindung treten konnte. Im Dezember 1951 habe die Klägerin aber einen Anspruch auf Witwenrente nicht mehr mit Erfolg geltend machen können.

Die Klägerin hat hierauf mit Schriftsatz vom 8. Mai 1956 entgegnet. Sie begehrt dem Sinne ihrer Ausführungen nach die Zurückweisung der Revision und beruft sich im wesentlichen dafür auf die Gründe des angefochtenen Urteils.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Zwar steht der Tag der Zustellung des angefochtenen Urteils an den Beklagten nicht fest. Da jedoch die Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Urteil nicht den Hinweis enthält, daß die Revisionsschrift einen bestimmten Antrag (§ 162 Abs. 2 SGG) enthalten muß, ist sie nach der ständigen Rechtsprechung des BSGer . unvollständig. Gemäß § 66 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) setzte daher die Zustellung des Urteils nicht die Revisionsfrist von einem Monat (§ 164 Abs. 1 SGG) in Lauf, sondern die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG. Die am 27. September 1954 eingegangene Revision des Beklagten gegen das am 27. August 1954 verkündete Urteil des LSGer. ist daher auf jeden Fall rechtzeitig eingegangen. Das gleiche gilt für die am 15. Oktober 1954 eingegangene Revisionsbegründung. Die durch Zulassung nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist damit zulässig. Sie mußte auch Erfolg haben.

Zutreffend ist das LSGer. davon ausgegangen, daß der von der Klägerin erhobene Anspruch auf Heiratsabfindung nach § 44 Satz 1 BVG in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 1950 (a.F.) zu beurteilen ist. Wie der erkennende Senat bereits in seinen Urteilen vom 20. Dezember 1955 - 10 RV 225/54 - und vom 23. März 1956 - 10 RV 385/55 - im Anschluß an die Urteile des 9. Senats vom 24. August 1955 (BSG 1 S. 189) und vom 20. September 1955 - 9 RV 78/54 - ausgesprochen hat, ist der § 44 BVG in der alten Fassung anzuwenden, wenn die Witwe vor dem 11. August 1952 wiedergeheiratet hat.

Dagegen trifft die Ansicht des LSGer., daß der Antrag der Klägerin vom 17. Dezember 1951 auf Gewährung der Heiratsabfindung rechtzeitig gestellt war, nicht zu. In Übereinstimmung mit der im Schrifttum und in der Rechtsprechung des Reichsversorgungsgerichts gegebenen Auslegung des § 39 Abs. 1 Satz 1 RVG, des im wesentlichen gleichlautenden Vorläufers des § 44 BVG a.F., ist ein Anspruch auf Heiratsabfindung gemäß § 44 BVG a.F. nur begründet, wenn der Witwe im Zeitpunkt ihrer Wiederverheiratung ein Anspruch auf Witwenrente zustand, "an Stelle" dessen die Heiratsabfindung gewährt werden kann. Der Anspruch auf Heiratsabfindung setzt demnach, jedenfalls nach § 44 BVG a.F., einen Anspruch der Witwe auf Hinterbliebenenrente nach § 38 BVG mindestens noch für den Heiratsmonat voraus (vgl. BSG I S. 189; Urteil des BSGer . vom 20.9.1955 - 9 RV 78/54 -; Urteil des erkennenden Senats vom 20.12.1955 - 10 RV 225/54 -). Das LSGer. durfte daher nicht ohne vorherige Prüfung, ob der Klägerin ein Witwenrentenanspruch zustand, ihr einen Anspruch auf Heiratsabfindung zuerkennen. Es irrte darin, daß es, ohne das Bestehen eines Witwenrentenanspruchs zu prüfen, den Antrag der Klägerin vom 17. Dezember 1951 auf Heiratsabfindung nach § 58 BVG als rechtzeitig gestellt ansah. Das LSGer. hat auch die allgemeine Bedeutung des § 58 BVG insofern verkannt, als es aus dieser Vorschrift entnommen hat, die Hinterbliebenen seien grundsätzlich berechtigt, innerhalb der dort vorgeschriebenen Fristen ihre Ansprüche in jedem Falle noch rechtswirksam geltend zu machen. Der § 58 BVG bestimmt aber lediglich eine Ausschlußfrist für die Hinterbliebenenansprüche. Er enthält keine Vorschrift darüber, wann ein Antrag einen Anspruch auf Versorgungsleistungen zur Entstehung bringt oder bis zu welchem Zeitpunkt durch einen Antrag noch ein Anspruch entsteht, sondern er besagt nur, daß nach Ablauf der gesetzlichen Fristen Versorgungsansprüche nicht mehr geltend gemacht werden können. Im vorliegenden Falle hätte das LSGer. bei Anwendung des § 58 BVG also allenfalls prüfen können, ob die Klägerin mit ihrem Anspruch infolge Zeitablaufs ausgeschlossen war. Das trifft allerdings nicht zu.

Es kam daher darauf an, ob für die Klägerin ein Witwenrentenanspruch für die Zeit vor ihrer Wiederverheiratung entstanden ist.

Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 23. März 1956 - 10 RV 385/55 - ausgeführt hat, ist für die Entstehung des Witwenrentenanspruchs gemäß § 1 Abs. 5, § 38 BVG ein Antrag erforderlich. Erst mit dem Antrag, dem eine sachlich-rechtliche Bedeutung zukommt, entsteht der Rentenanspruch. Daher konnte die Klägerin mit ihrem Antrag vom 17. Dezember 1951 einen Witwenrentenanspruch nicht mehr erwerben, weil in diesem Zeitpunkt die übrigen Voraussetzungen für die Entstehung des Anspruchs gemäß § 38 BVG nicht gegeben waren. Die Klägerin war nämlich damals schon seit mehr als sechs Monaten nicht mehr Witwe und konnte rückwirkend für die Zeit vor ihrer Wiederverheiratung einen Witwenrentenanspruch nicht erwerben, auch nicht nach § 61 Abs. 2 BVG.

Da die Klägerin keinen Anspruch auf Witwenrente für den Monat Juni 1951 hatte, konnte sie auf ihren Antrag vom 17. Dezember 1951 auch keinen Anspruch auf Heiratsabfindung erlangen. Ihr darauf gerichteter Antrag ist mit Recht vom Versorgungsamt I Berlin durch den Bescheid vom 17. März 1952 abgelehnt worden.

Es war daher, wie geschehen, mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zu erkennen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2297112

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