Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch gegen den zuständigen Rehabilitationsträger gilt nicht nach § 6 Abs 2 RehaAnglG als erfüllt, wenn der vorleistungspflichtige Träger lediglich aufgrund der vorläufigen Vollstreckbarkeit eines gegen ihn gerichteten, noch nicht rechtskräftigen Urteils die Leistung erbringt.
2. Hat der Behinderte eine konkrete Rehabilitationsmaßnahme beantragt, so kann der Rehabilitationsträger diesen Antrag nicht schlechthin deshalb ablehnen, weil es andere Möglichkeiten gebe, das Rehabilitationsziel zu erreichen.
3. Auch bei einem zeitlich begrenzten Lehrverhältnis kann die Durchführung berufsfördernder Maßnahmen geboten sein.
Normenkette
RVO § 1236 Fassung: 1974-08-07, § 1237a Abs 1 S 1 Nr 1 Fassung: 1974-08-07; RehaAnglG § 1 Fassung: 1974-08-07, § 6 Abs 2 S 1 Halbs 2 Fassung: 1974-08-07, § 6 Abs 2 S 2 Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 14.03.1979; Aktenzeichen L 2 J 142/78) |
SG Stade (Entscheidung vom 23.05.1978; Aktenzeichen S 5 J 189/77) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung eines Zuschusses zur Anschaffung eines Kraftfahrzeuges als berufsfördernde Rehabilitationsmaßnahme.
Der im Januar 1959 geborene Kläger erlitt im Oktober 1975 einen Verkehrsunfall, der eine Amputation des linken Unterschenkels zur Folge hatte. Der Kläger hatte im August 1974 eine Lehre als Werkzeugmechaniker begonnen, die er im Juni 1976 fortsetzte. Die Beklagte lehnte den im Januar 1977 gestellten Antrag auf einen Zuschuß zum Kauf eines Kraftfahrzeuges mit Bescheid vom 28. April 1977 ab. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Nach Beiladung der Bundesanstalt für Arbeit (BA) hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte am 14. März 1979 unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils, des Widerspruchsbescheides und des Bescheides vom 28. April 1977 verurteilt, den Antrag des Klägers auf Gewährung eines Zuschusses zum Erwerb eines Kraftfahrzeuges neu zu bescheiden. Das LSG hat die vom Sozialgericht (SG) nicht zugelassene Berufung des Klägers wegen einer gerügten Verletzung der Amtsermittlungspflicht als statthaft und zulässig angesehen. Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides sei nach § 1236 Abs 1a Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der vor dem 1. Juli 1978 gültig gewesenen Fassung (aF) zu beurteilen, so daß für die Versicherteneigenschaft eine Versicherungszeit von 6 Monaten während der dem Antrag vorausgegangenen 25 Kalendermonate genüge, die der Kläger zurückgelegt habe. Der Kläger sei auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen, um seine Lehrstelle zu erreichen. Es sei ihm aus gesundheitlichen Gründen weder möglich, ein Zweirad zu benutzen noch die gesamte Wegstrecke oder den Weg bis zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel zu Fuß zurückzulegen.
Der Kläger hat im Jahre 1977 auch bei der beigeladenen BA einen Zuschuß zum Erwerb eines Kraftfahrzeuges beantragt. Die ablehnenden Bescheide der Beigeladenen sind durch Urteil des SG Stade vom 19. Juni 1978 - S 6 Ar 155/77 - aufgehoben worden; die Beigeladene ist verurteilt worden, dem Kläger einen Zuschuß zum Erwerb eines Personenkraftwagens zu gewähren. Über die hiergegen eingelegte Berufung der Beigeladenen ist bisher nicht entschieden worden. Die Beigeladene hat aufgrund dieses Urteils einen Betrag von 6.434,-- DM an den Kläger ausgezahlt.
In dem gegen sie gerichteten Verfahren hat die Beklagte das Berufungsurteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie macht im wesentlichen geltend, die Klage sei unzulässig und hätte wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses abgewiesen werden müssen, weil die beigeladene BA den Anspruch während des Berufungsverfahrens im Wege der Vorleistung erfüllt habe. Im übrigen könne die Klage aber auch aus verschiedenen Gründen sachlich keinen Erfolg haben. Die Voraussetzungen des § 1236 Abs 1a RVO in der seit dem 1. Juli 1978 gültigen Fassung (nF) seien nicht erfüllt, weil der Kläger nicht die erforderliche Versicherungszeit von 180 Monaten zurückgelegt habe. Entgegen der Ansicht des LSG sei § 1236 Abs 1a RVO aF nicht anzuwenden, da es auf den Zeitpunkt des Erwerbs des Kraftfahrzeugs ankomme. Hinzu komme, daß nach dem Übergangsrecht (Art 3 § 1 Abs 1) des 20. Rentenanpassungsgesetzes (RAG) der Rentenversicherungsträger nur für solche Maßnahmen zuständig bleibe, die er vor dem 1. Juli 1978 bewilligt habe. Im übrigen bedürfe der Kläger einer Rehabilitationsmaßnahme in der Form der Kraftfahrzeughilfe nicht. Die Tatsache, daß im Wohnbereich des Klägers öffentliche Verkehrsmittel, deren Benutzung ihm zuzumuten seien, nicht in geeigneter Form zur Verfügung ständen, falle nicht in den Risikobereich der Beklagten, zumal der Kläger seinen Wohnsitz notfalls in die Nähe der Lehrstelle verlegen könne. Darüber hinaus sei von Bedeutung, daß bereits im Zeitpunkt der Antragstellung der baldige Abschluß der Ausbildungszeit absehbar gewesen sei. Eine Weiterbeschäftigung im Ausbildungsbetrieb sei nicht beabsichtigt gewesen. Der Kläger habe sich nach Abschluß der Lehre im April 1978 vielmehr nach eigenem Wunsch schulisch fortbilden wollen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen
vom 14. März 1979 aufzuheben und nach den
zweitinstanzlich gestellten Sachanträgen der Beklagten
zu entscheiden.
In der Berufungsinstanz hatte die Beklagte beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise, die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision der Beklagten sei unbegründet. Zusätzlich trägt er vor, die Klage sei trotz des im Vollstreckungswege von der Beigeladenen gezahlten Geldbetrages weiterhin zulässig.
Die Beigeladene schließt sich dem Antrag und dem Vorbringen des Klägers an.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Das LSG hat die Beklagte mit Recht zur Erteilung eines neuen Bescheides verurteilt.
Obwohl die Beklagte im Revisionsverfahren nicht mehr ausdrücklich die Unzulässigkeit der Berufung geltend macht, war von Amts wegen über die Statthaftigkeit des nach § 144 Abs 1 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossenen Rechtsmittels zu entscheiden. Das LSG hat jedoch zutreffend die Statthaftigkeit nach § 150 Nr 2 SGG wegen eines vom Kläger gerügten Mangels des erstinstanzlichen Verfahrens angenommen. Das SG hat die ihm nach § 103 SGG obliegende Amtsermittlungspflicht dadurch verletzt, daß es genauere Ermittlungen über die Länge und Beschaffenheit des Weges und die Fähigkeit des Klägers, ihn mit einem Zweirad zurückzulegen, unterlassen hat, obwohl es sich dazu hätte gedrängt fühlen müssen.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Klage nicht wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses dadurch unzulässig geworden, daß die beigeladene BA in Erfüllung des gegen sie gerichteten Urteils des SG Stade einen Betrag von 6.334,-- DM an den Kläger zahlte. Durch diese Zahlung ist der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Erteilung eines ermessensfehlerfreien Bescheides über seinen Antrag auf Gewährung eines Zuschusses zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges nicht erfüllt worden. In diesem Zusammenhang kann es dahingestellt bleiben, ob eine Leistung der Beigeladenen eine Verpflichtung der Beklagten überhaupt erfüllen würde, ob es sich also bei der von der Beigeladenen erbrachten Leistung um dieselbe handeln würde, die womöglich von der Beklagten zu erbringen ist. Keinesfalls führt jedoch die nur aufgrund der vorläufigen Vollstreckbarkeit eines Urteils erbrachte Leistung zur Erfüllung des Anspruchs. Solange der Rechtsstreit des Klägers gegen die Beigeladene noch nicht rechtskräftig zu seinen Gunsten abgeschlossen ist, hat die auf der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhende Leistung der Beigeladenen nur vorläufigen Charakter. Der Kläger muß im Falle seines Unterliegens mit einer Rückforderung der Beigeladenen rechnen. Die auf der vorläufigen Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen Urteils beruhende Leistung der Beigeladenen erfüllt daher weder eine eigene Verpflichtung der Beigeladenen noch eine solche der Beklagten (vgl hierzu BGH MDR 1976, 1005; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 39. Aufl 1980, Einführung vor § 708 Anm 1 B; Blomeyer, JR 1979, 490 mwN). Der Anspruch gilt auch nicht nach § 6 Abs 2 des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (RehaAnglG) als erfüllt. Diese Fiktion erfaßt nicht den hier vorliegenden Fall, daß die grundsätzlich vorleistungspflichtige BA die Leistung ebenfalls abgelehnt und nur wegen der vorläufigen Vollstreckbarkeit eines nicht rechtskräftigen Urteils erbracht hat.
Die Beklagte bestreitet zu Unrecht ihre Zuständigkeit, dh ihre Passivlegitimation. Zwar ist nach § 6 Abs 2 Nr 2 Reha-AnglG die Beigeladene in Fällen berufsfördernder Maßnahmen zur Rehabilitation vorleistungspflichtig, wenn zwischen mehreren in Frage kommenden Rehabilitationsträgern die Zuständigkeit ungeklärt ist. Das ändert aber nichts an der in § 6 Abs 1 RehaAnglG geregelten Zuständigkeit, die sich für jeden Rehabilitationsträger nach dem für ihn geltenden Vorschriften richtet. Die Vorleistungspflicht der BA soll lediglich eine schnelle Durchführung solcher Maßnahmen gewährleisten, die durch eine Klärung der Zuständigkeitsfrage unnötig verzögert würden. Der zuständige Rehabilitationsträger kann den Versicherten aber nicht an den vorleistungspflichtigen Träger verweisen, insbesondere wenn dieser die Durchführung der Maßnahme ebenfalls ablehnt. Hat der zuständige Träger die Gewährung der Maßnahme zu Unrecht abgelehnt, so bleibt der ablehnende Bescheid rechtswidrig, solange der Anspruch nicht wegen der vom vorleistungspflichtigen Träger erbrachten Leistung nach § 6 Abs 2 RehaAnglG als erfüllt gilt. Wie bereits ausgeführt wurde, erfüllt die vom vorleistungspflichtigen Träger erbrachte Leistung den Anspruch nicht, wenn sie auf der vorläufigen Vollstreckbarkeit eines noch nicht rechtskräftigen Urteils beruht. In solchen Fällen, in denen es an einer endgültigen Leistung mangelt, hat der Behinderte vielmehr ein schutzwürdiges Interesse daran, im Rechtswege die Leistungspflicht des nach § 6 Abs 1 RehaAnglG zuständigen Rehabilitationsträgers feststellen zu lassen. Für den in § 1236 RVO genannten Personenkreis hat die Beklagte die in § 1237a RVO aufgezählten berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation zu erbringen. Insoweit ist sie zuständig und passiv legitimiert.
Die Frage, ob der Kläger zu dem von der Beklagten zu betreuenden Personenkreis gehört, richtet sich nach § 1236 RVO aF. Die Neufassung dieser Vorschrift durch das 20. RAG, die mit Wirkung vom 1. Juli 1978 die Betreuungspflicht der Beklagten auf solche Versicherte beschränkt, die eine Versicherungszeit von 180 Monaten zurückgelegt haben, ist auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Bei Rehabilitationsmaßnahmen bestimmt sich das anzuwendende Recht nach dem Zeitpunkt, zu dem diese Maßnahmen notwendig geworden sind (vgl BSG SozR 2200 § 182 Nr 29; § 1236 Nr 16 und § 1237 Nr 10). Daneben ist auch der Zeitpunkt der Bescheiderteilung von Bedeutung, wenn zu dieser Zeit die Maßnahme noch nicht durchgeführt ist (vgl BSG SozR 2200 § 1236 Nr 16). Nur wenn die Maßnahme zur Zeit der Bescheiderteilung schon durchgeführt worden ist, kommt für das anzuwendende Recht als spätester Zeitpunkt derjenige der Durchführung der Maßnahme in Betracht (vgl BSG SozR 2200 § 1236 Nr 3 = BSGE 44, 231). Ist die Kraftfahrzeughilfe vor Erwerb des Kraftfahrzeugs abgelehnt worden, so ist für das anzuwendende Recht und die Rechtmäßigkeit des ablehnenden Bescheides der spätere Zeitpunkt des Erwerbs nicht von Bedeutung.
Entgegen der Ansicht der Beklagten wird die Anwendung des § 1236 RVO aF nicht durch Art 3 § 1 Abs 2 des 20. RAG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift hat zwar der Rentenversicherungsträger solchen Versicherten, denen er vor dem 1. Juli 1978 berufsfördernde Maßnahmen bewilligt hat, diese bis zu ihrer Beendigung weiter zu gewähren. Daraus folgt jedoch nicht im Umkehrschluß, daß im Falle der Ablehnung das neue Recht maßgebend ist. Lagen die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rehabilitationsmaßnahme im Zeitpunkt der Bescheiderteilung bereits vor, so wird der ablehnende Bescheid durch eine Änderung des Rechts, das sich nicht ausdrücklich auf ihn erstreckt, nicht rechtmäßig (vgl hierzu Urteil des 11. Senats des BSG vom 14. September 1978 - 11 RA 70/77 -).
Der Kläger gehörte sowohl im Zeitpunkt der Antragstellung als auch zZ des Erlasses des angefochtenen Bescheides zu dem Personenkreis, den die Beklagte nach § 1236 Abs 1a Nr 1 RVO aF zu betreuen hatte, denn für ihn waren im Zeitpunkt der Antragstellung in den vorausgegangenen 24 Kalendermonaten mindestens für 6 Kalendermonate Beiträge aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung entrichtet worden. Auch die sonstigen, von der Beklagten geltend gemachten Gründe rechtfertigen die Ablehnung der beantragten Rehabilitationsmaßnahme nicht.
Nach § 1236 Abs 1 RVO kann die Beklagte zur Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit eines Versicherten ua die in § 1237a RVO genannten berufsfördernden Maßnahmen gewähren, wenn hierdurch die wegen Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte gefährdete oder geminderte Erwerbsfähigkeit voraussichtlich erhalten, wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann. Zu den berufsfördernden Maßnahmen gehört nach § 1237a Abs 1 Nr 1 RVO auch die Hilfe zur Erhaltung eines Arbeitsplatzes, die in einer finanziellen Unterstützung durch den Rentenversicherungsträger bei der Beschaffung eines Kraftfahrzeuges durch den Versicherten bestehen kann, sofern der Versicherte wegen Art und Schwere seiner Behinderung auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen ist, um seinen Arbeitsplatz zu erreichen (vgl BSG SozR 2200 § 1236 Nrn 3, 10). Die Entscheidung, ob und in welcher Weise dem Versicherten eine Rehabilitationsmaßnahme gewährt werden soll, liegt zwar im Ermessen des Rentenversicherungsträgers, das von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nur in dem von § 54 Abs 2 Satz 2 SGG gesteckten Rahmen nachgeprüft werden kann. Hat der Versicherungsträger die Rehabilitationsmaßnahme jedoch nicht aus den in sein Ermessen gestellten Gründen, sondern deshalb abgelehnt, weil er die rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Maßnahme verneint hat, so ist der angefochtene Verwaltungsakt in vollem Umfang durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nachzuprüfen (vgl BSG SozR 2200 § 1236 Nr 5 = BSGE 45, 183, 185).
Der Kläger war nach den insoweit nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen des LSG auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen, denn er war weder in der Lage, den Weg zwischen Wohnung und Lehrstelle mit einem Zweirad oder zu Fuß zurückzulegen, noch konnte er wegen des zu langen Anmarschweges ein öffentliches Verkehrsmittel benutzen. Die Beklagte hätte daher die Gewährung einer berufsfördernden Maßnahme nicht mit der gegebenen Begründung ablehnen dürfen. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist nicht allein die ungünstige Wohnlage, sondern auch die körperliche Behinderung des Klägers wesentlich ursächlich dafür, daß er zum Erreichen seiner Lehrstelle auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen ist. Zwar mag auch für einen Nichtbehinderten in gleicher Wohnlage die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ausgeschlossen sein. Ohne die körperliche Behinderung hätte der Kläger aber seine Lehrstelle auch ohne die Benutzung eines Personenkraftwagen, insbesondere - wie vor dem Unfall - mit einem Mofa erreichen können. Zwar wäre die Benutzung eines Kraftfahrzeuges dann überflüssig, wenn der Kläger seine Wohnung in die Nähe der Lehrstelle oder aber in die Nähe einer Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels verlegt hätte. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein solcher Umzug - sollte er überhaupt möglich sein - einem 18-jährigen Lehrling zugemutet werden kann. Die Frage, ob die Voraussetzungen für die Gewährung einer berufsfördernden Maßnahme vorliegen, ob insbesondere die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme wesentlich auf der körperlichen Behinderung beruht, ist unter Berücksichtigung der konkreten, tatsächlich vorliegenden Verhältnisse zu beurteilen. Dem Rentenversicherungsträger steht es allerdings im Rahmen seines Ermessens frei, dem Versicherten eine andere Möglichkeit zu verschaffen, die Arbeitsstelle zu erreichen, wenn ihm dies zweckmäßig erscheint. Dazu kann uU ein zumutbarer Umzug gehören.
Die Beklagte durfte ihre Weigerung, eine berufsfördernde Maßnahme zu gewähren, auch nicht darauf stützen, daß das Arbeits- bzw Lehrverhältnis des Klägers zeitlich bis April 1978 begrenzt und eine Weiterbeschäftigung im Ausbildungsbetrieb nicht beabsichtigt war. Zwar sollen berufsfördernde Maßnahmen zur Rehabilitation nach § 1 des RehaAnglG grundsätzlich so beschaffen sein, daß möglichst eine dauerhafte Eingliederung des Behinderten erreicht wird. Jedoch kann es, entgegen der Ansicht der Beklagten, auch im Rahmen eines zeitlich begrenzten Lehrverhältnisses notwendig sein, Hilfen zur Erhaltung des Arbeitsplatzes im Sinne des § 1237a Abs 1 Nr 1 RVO zu gewähren, wenn die weitere Durchführung und der Abschluß des Lehrverhältnisses ohne entsprechende Rehabilitationsmaßnahmen gefährdet ist. Die Dauerhaftigkeit der Erhaltung des Arbeitsplatzes hat bei einem Ausbildungsverhältnis eine andere Bedeutung als bei einem sonstigen zeitlich begrenzten Arbeitsverhältnis. Das Ausbildungsverhältnis ist - anders als ein sonstiges zeitlich begrenztes Arbeitsverhältnis - gerade darauf gerichtet, dem Auszubildenden die Grundlagen für ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis zu verschaffen. Dem hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, daß nach § 1237a Abs 1 RVO auch die Grundausbildung, die Ausbildung und Umschulung ausdrücklich als berufsfördernde Maßnahmen vorgesehen sind. Die zeitliche Begrenzung eines Ausbildungsverhältnisses kann daher im allgemeinen nur dann die Ablehnung einer Rehabilitationsmaßnahme rechtfertigen, wenn die erforderlichen Aufwendungen in keinem angemessenen Verhältnis zu dem erreichbaren Rehabilitationsziel stehen. Der Versicherungsträger hat grundsätzlich alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um dem Behinderten den Abschluß einer begonnenen Lehre und damit der Erlangung einer qualifizierten Berufsausbildung zu ermöglichen. Stehen zur Erreichung dieses Ziels bei einem Behinderten, der auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen ist, neben der Gewährung eines Zuschusses zur Anschaffung eines Kraftfahrzeuges noch andere Möglichkeiten zur Verfügung, so können diese statt der Kraftfahrzeughilfe gewährt werden, wenn sie mit einem wesentlich geringeren Aufwand erbracht werden können oder aber aus sonstigen Gründen zweckmäßiger erscheinen. Die Beklagte hätte dann jedoch bei einer Ablehnung der Kraftfahrzeughilfe allein wegen des nur noch etwas mehr als ein Jahr währenden Ausbildungsverhältnisses alternative Möglichkeiten anbieten und gewähren müssen. Die Kraftfahrzeughilfe ist nur eine aus einer Vielzahl von möglichen Maßnahmen, die zur Erhaltung eines Arbeitsplatzes eingesetzt werden können. Hat der Versicherte eine konkrete Maßnahme beantragt, so kann der Versicherungsträger diesen Antrag nicht schlechthin deshalb ablehnen, weil es andere Möglichkeiten gibt, das Rehabilitationsziel zu erreichen. Da Rehabilitationsmaßnahmen nicht nur auf Antrag, sondern auch von Amts wegen zu gewähren sind, darf der Versicherungsträger sich bei der Ablehnung nicht auf die beantragte Maßnahme beschränken, sondern muß auch erwägen, ob das Rehabilitationsziel nicht mit anderen Mitteln erreicht werden kann. Im vorliegenden Falle wäre außer der Verschaffung einer günstigeren Wohngelegenheit und der beantragten Kraftfahrzeughilfe die Verschaffung einer irgendwie gearteten Fahrgelegenheit für die Dauer des Lehrverhältnisses in Betracht gekommen. Der Beklagten wäre es auch nicht verwehrt gewesen, im Rahmen ihrer Ermessensbetätigung der Tatsache Rechnung zu tragen, daß die Kraftfahrzeughilfe im Normalfall auf die durchschnittliche Lebensdauer eines Kraftfahrzeugs abstellt. Wenn bereits bei der Bescheiderteilung feststeht, daß ein zeitlich begrenztes Ausbildungsverhältnis nicht in ein zeitlich unbegrenztes Arbeitsverhältnis übergehen wird, so könnte der Zuschuß geringer bemessen werden, da zur Überbrückung einer kurzen Zeitspanne unter Umständen auch die Anschaffung eines gebrauchten Kraftfahrzeugs ausreicht.
Nach alledem war es der Beklagten verwehrt, wegen der zeitlichen Begrenzung des Ausbildungsverhältnisses die Gewährung einer Kraftfahrzeughilfe abzulehnen, ohne dem Kläger gleichzeitig zumindest eine andere geeignete Maßnahme zu gewähren.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten in der Fassung des Widerspruchsbescheides ist daher rechtswidrig und vom Berufungsgericht mit Recht aufgehoben worden. Da die Gewährung einer berufsfördernden Maßnahme im Ermessen der Beklagten steht, hat das LSG zutreffend von einer Verurteilung zur Gewährung einer solchen Maßnahme abgesehen und die Beklagte lediglich zur Erteilung eines neuen Bescheides verurteilt, in dem sie ihr Ermessen auszuüben hat.
Der Senat hat die danach unbegründete Revision der Beklagten zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1659297 |
BSGE, 239 |