Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfähigkeit während der Arbeitslosigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Der 11. BSG-Senat hält an der Rechtsprechung fest, daß eine einjährige "ununterbrochene" Arbeitslosigkeit iS des AVG § 25 Abs 2 Fassung: 1957-02-23 nicht vorliegt, wenn eine Arbeitsunfähigkeit in dieser Zeit länger als 3 Monate gedauert hat. Das gilt auch bei wiederholten Zeiten von Arbeitsunfähigkeit. Die tarifliche Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit vor der Arbeitslosigkeit auch für 5 Tage ist insoweit ohne Bedeutung.
Normenkette
AVG § 25 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1248 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 2. Oktober 1974 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der 1909 geborene Kläger war bis September 1968 als kaufmännischer Angestellter beschäftigt; seine wöchentliche Arbeitszeit verteilte sich tariflich auf fünf Tage. Von Januar 1969 bis April 1970 war er als selbständiger Vertreter tätig. Vom 4. Mai bis 10. Oktober 1970, vom 23. November bis 10. Dezember 1970 und ab 1. Februar 1971 war der Kläger arbeitslos und in den Zwischenzeiten (12. Oktober bis 22. November 1970, 11. Dezember 1970 bis 31. Januar 1971) arbeitsunfähig krank.
Mit Bescheid vom 5. Januar 1972 bewilligte ihm die Beklagte Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit (§ 25 Abs. 2 Angestelltenversicherungsgesetz AVG- idF vor dem Rentenreformgesetz - RRG -) ab 1. Dezember 1971. Der Kläger hielt den Anspruch schon vom 1. Juni 1971 an für gegeben; der Versicherungsfall sei am 3. Mai 1971 eingetreten; die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit hätten unter Berücksichtigung der Fünftagewoche die Arbeitslosigkeit weniger als 75 Arbeitstage lang unterbrochen.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben und die Berufung zugelassen (Urteil vom 14. Dezember 1972). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage dagegen abgewiesen, weil die Krankheitszeiten die aus § 4 Abs. 2 Buchst. a AVG zu entnehmenden Grenzwerte überschritten; zusammengerechnet umfaßten sie 94 Kalendertage bei monatlicher Betrachtung oder unter Zugrundelegung der Sechstagewoche 76 Arbeitstage bei arbeitstäglicher Betrachtung. Eine Berechnung nach der Arbeitszeitregelung im Einzelfall sei abzulehnen.
Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des LSG zurückzuweisen.
Er rügt die Verletzung des § 25 Abs. 2 Satz 1 AVG. Da er nicht durchgehend arbeitsunfähig krank gewesen sei, scheide eine Berechnung nach Monaten aus. Bei arbeitstäglicher Betrachtung müsse jedoch eine tarifliche Fünftagewoche berücksichtigt werden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Der Kläger hat für Zeiten vor Dezember 1971 keinen Anspruch nach § 25 Abs. 2 AVG aF iVm § 67 Abs. 1 AVG aF, weil er erst im November 1971 "seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos gewesen ist". In dem sich an seine erste Arbeitslosmeldung am 4. Mai 1970 anschließenden Jahr liegen nämlich Zeiten von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, die in ihrer Gesamtdauer die in § 25 Abs. 2 Satz 4 iVm § 4 Abs. 2 Buchst. a AVG gekennzeichneten zeitlichen Grenzen übersteigen. Damit sind sie nicht mehr unschädlich für die Unterbrechung der Arbeitslosigkeit.
Mit dieser Auffassung folgt der Senat der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (SozR Nrn. 8, 19, 22, 39, 40, 41, 43, 45 zu § 1248 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Sie hat die Antwort auf die Frage immer mehr konkretisiert, wie lange Arbeitsunfähigkeit dauern darf, ohne die Annahme einer einjährigen "ununterbrochenen" Arbeitslosigkeit zu beeinflussen. Diese Grenze liegt äußerstenfalls bei drei Monaten (SozR Nrn. 41, 43, 45 zu § 1248 RVO).
Der Fall des Klägers gibt keine Veranlassung, von der einschlägigen Rechtsprechung abzuweichen oder sie weiter zu verzweigen, insbesondere nicht im Hinblick auf die Entscheidung des 12. Senats vom 21. Januar 1971 (BSG 32, 182 ff = SozR Nr. 58 zu § 1248 RVO). Denn auch darin ist ausgeführt, daß bei längeren zusammenhängenden Zeiträumen einer Arbeitsunfähigkeit schon aus Gründen der Praktikabilität und der Rechtssicherheit nur in Monaten gerechnet werden kann. Für diese Auffassung hat der 12. Senat u. a. auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 23. Mai 1967 (SozR Nr. 45 zu § 1248 RVO) verwiesen. In ihr ist der Grundsatz der Begrenzung auf 3 Monate aber in einem Fall wiederholter Arbeitsunfähigkeit aufgestellt und gesagt worden, es sei ohne Bedeutung, daß die Krankheit nicht fortlaufend bestanden habe; die Krankheitszeiten seien zusammenzuzählen. Diese Rechtsansicht hat der 12. Senat nicht infrage gestellt, sondern im Gegenteil mit dem Satz bekräftigt, die im Gesetz (§ 1228 Abs. 2 Buchst. a RVO = § 4 Abs. 2 Buchst. a AVG) angebotene Alternative, Unterbrechungszeiträume nach Tagen zu berechnen, könne erst maßgebend sein, wenn eine monatliche Betrachtungsweise nicht mehr möglich sei. Ihrer Anwendung steht im vorliegenden Fall indessen nichts im Wege. Ab 4. Mai 1970 bis 3. Mai 1971 ist der Kläger 42 und 52 Kalendertage krank und arbeitsunfähig gewesen, d. h. jeweils länger als einen Monat, zusammen 94 Kalendertage und damit mehr als drei Monate.
Veranlassung zu arbeitstäglicher Berechnung i. S. von § 25 Abs. 2 Satz 4 iVm § 4 Abs. 2 Buchst. a, 2. Alternative AVG, die das LSG zusätzlich angestellt hat, besteht hiernach nicht. Eine solche Berechnung brächte auch nur unnötige Komplikationen. Sie ist für tatsächlich ausgeübte Beschäftigungen und nicht für beschäftigungslose Zeiten gedacht. Bei diesen würde sie Fiktionen der Beschäftigung erfordern. Eine Arbeitsunfähigkeit und die damit verbundene fehlende Vermittlungsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt erstreckt sich aber auch auf Tage, an denen z. B. bei Fortdauer der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht zu arbeiten war. Die vom Kläger gewünschte Berechnung würde zudem, worauf der 12. Senat hingewiesen hat, Versicherte ohne einleuchtenden Grund unterschiedlich behandeln. Bei Zugrundelegung einer Fünftagewoche wäre noch eine Zeitdauer der Arbeitsunfähigkeit als unschädlich anzusehen, die beträchtlich über der Dreimonatsgrenze liegt. Dieses Ergebnis läßt sich aus Wortlaut, Sinn und Zweck des Gesetzes nicht mehr rechtfertigen, zumal der Wortlaut an sich "ununterbrochene" Arbeitslosigkeit voraussetzt.
Hieraus folgt für den vorliegenden Fall, daß es bei der monatlichen Betrachtungsweise verbleibt, obwohl die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers vor Oktober 1968 auf fünf Tage verteilt war (so auch BSG in SozR Nr. 58 zu § 1248 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, S. 314 q und die dort angegebenen weiteren Nachweise). Diesem Umstand kommt innerhalb des § 25 Abs. 2 Satz 1 iVm § 4 Abs. 2 Buchst. a AVG keine Bedeutung zu.
Die Fassung, die § 25 Abs. 2 AVG durch das RRG vom 16. Oktober 1972 gefunden hat, berührt dieses Ergebnis nicht. Für die zu entscheidende Frage ist daraus nichts zu entnehmen, weil die für die Gewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes vorgeschriebene Arbeitslosigkeit nicht mehr ununterbrochen andauern muß.
Nach alledem ist die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen