Leitsatz (amtlich)

Hat der Versicherungsträger der Witwe die falsche Auskunft erteilt, für den Versicherten bestehe kein Beitragskonto, und sie dadurch daran gehindert, die Hinterbliebenenrente innerhalb der Frist für den früheren Rentenbeginn (AVG § 41 Abs 1, RVO § 1286 Abs 1) zu beantragen, so gilt der erst nach Richtigstellung der Auskunft gestellte Rentenantrag als in dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei richtiger Auskunft vernünftigerweise gestellt worden wäre.

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Rentenantrag hat als innerhalb der für den früheren Rentenbeginn vorgesehenen Fristen gestellt zu gelten, wenn der Versicherungsträger durch ein objektiv pflichtwidriges Verhalten den Rentenberechtigten daran gehindert hat, den Rentenantrag so rechtzeitig zu stellen, daß er auf den Zeitpunkt zurückwirkt, der für den früheren Rentenbeginn gesetzlich vorgesehen ist.

 

Normenkette

RVO § 1286 Abs. 1 Fassung: 1936-12-23; AVG § 41 Abs. 1 Fassung: 1936-12-23

 

Tenor

Auf die Revisionen der Kläger werden die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 17. Juli 1968 aufgehoben.

Die Berufungen der Beklagten gegen die Urteile des Sozialgerichts Kiel vom 8. November 1967 werden zurückgewiesen.

Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Zu entscheiden ist über den Beginn von Hinterbliebenenrenten, die die Witwe und Waisen des Versicherten infolge einer im Dezember 1952 aus dem Kontenarchiv der stillgelegten Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) erteilten unrichtigen Auskunft, daß ein Beitragskonto des Versicherten nicht zu ermitteln sei, erst nach Richtigstellung der Auskunft im April 1964 beantragt haben.

Die Klägerin zu 1) ist die Witwe, die Kläger zu 2) bis 5) sind die ehelichen, in den Jahren 1933, 1935, 1937 und 1943 geborenen Kinder des am 15. März 1945 gefallenen Regierungs- und Landwirtschaftsrates Dr. K. Die Klägerin zu 1), die infolge der Kriegsereignisse die Versicherungsunterlagen ihres Ehemannes verloren hat, erhielt auf ihre Bitte um Übersendung eines Kontoauszuges vom 8. Dezember 1952 von der Treuhandverwaltung der stillgelegten Sozialversicherungsträger - RfA - mit Schreiben vom 16. Dezember 1952 die Mitteilung, daß für ihren Ehemann kein Beitragskonto zu ermitteln sei. Darauf hat sie im Dezember 1952 keine Hinterbliebenenrenten beantragt.

Im April 1964 ergab sich, daß im Kontenarchiv der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) doch auf den Namen des Ehemannes der Klägerin zu 1) ausgestellte Versicherungskarten vorhanden waren, in denen Beiträge zur Angestelltenversicherung (AnV) für die Zeit von August 1932 bis August 1934 nachgewiesen sind. Daraufhin beantragten die Kläger am 28. April 1964 die Gewährung von Witwen- und Waisenrenten.

Die Beklagte gewährte der Klägerin zu 1) Witwenrente und dem Kläger zu 5) Waisenrente vom 1. Januar 1957 an (Bescheide vom 15. August 1966). Dem Kläger zu 3) gewährte sie zunächst Waisenrente für die Zeit vom 1. Mai bis zum 31. Dezember 1960 und dem Kläger zu 4) Waisenrente zunächst für die Zeit vom 1. Mai 1960 bis zum 31. März 1962. Die entsprechenden Bescheide hob sie jedoch später auf und lehnte ihnen gegenüber die Gewährung von Waisenrente ab, weil sie zur Zeit der Antragstellung im April 1964 das 25. Lebensjahr schon vollendet und keine Rentenansprüche mehr gehabt hätten (Bescheide vom 5. August 1966). Dem Kläger zu 2) gegenüber lehnte sie mit einer ähnlichen Begründung die Waisenrente von vornherein ab (Bescheid vom 4. August 1966). Die Ansprüche auf Hinterbliebenenrente im übrigen hielt die Beklagte für unbegründet, weil es an den Rentenanträgen fehle.

Gegen die Bescheide haben die Kläger Klage erhoben, der Kläger zu 2) ursprünglich in einem getrennten Verfahren. Im Revisionsverfahren sind die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.

Das Sozialgericht (SG) Kiel hat durch die Urteile vom 8. November 1967 den Anträgen der Kläger entsprechend die Beklagte unter Änderung bzw. Aufhebung ihrer entgegenstehenden Bescheide verurteilt, den Klägern über die Gewährung von Witwen- und Waisenrenten neue Bescheide zu erteilen, wie wenn Rentenanträge nach dem Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) alter Fassung (aF) im Dezember 1952 und Rentenanträge i. S. des Art. 2 § 40 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) im Laufe des Jahres 1957 gestellt worden wären; es hat gegen die Urteile die Berufung zugelassen. Das SG war der Meinung, die Beklagte könne sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben auf die im Dezember 1952 und im Kalenderjahr 1957 unterlassene Antragstellung nicht berufen, da diese ihre Ursache im Bereich der Beklagten habe.

Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat durch die Urteile vom 17. Juli 1968 - unter Zulassung der Revision - die Urteile des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, die Gewährung der Renten für die Zeit bis zum 31. Dezember 1956 sei nach dem damals geltenden Recht ebenso von dem Rentenantrag abhängig gewesen wie die Gewährung von Waisenrente gem. Art. 2 § 40 AnVNG für die Zeit vom 1. Januar 1957 an. Vor dem 28. April 1964 sei ein Rentenantrag nicht gestellt. Das Schreiben an die Treuhandverwaltung vom 8. Dezember 1952 könne nicht als Rentenantragstellung angesehen werden, denn es habe nur der Vorbereitung eines Rentenantrages gedient. Zwar sei die Auskunft der Treuhandverwaltung vom 16. Dezember 1952 sachlich falsch und die Unrichtigkeit dieser Auskunft ursächlich dafür gewesen, daß die Kläger weder im Dezember 1952 noch im Jahre 1956 und im Jahre 1957 den Rentenantrag gestellt hätten. Es sei auch eine Amtspflicht dahin zu bejahen, daß Auskünfte, wenn sie erteilt werden, richtig und erschöpfend sein müßten. Gleichwohl bestehe für die Kläger nach Treu und Glauben kein Anspruch aus Naturalrestitution oder aus Folgenbeseitigung, sie so zu stellen, als wenn sie im Dezember 1952, im Jahre 1956 und im Jahre 1957 bei dem zuständigen Versicherungsträger die Gewährung der Hinterbliebenenrenten beantragt hätten.

Gegen die Urteil haben die Kläger Revision eingelegt, mit der sie ihre Ansprüche auf Hinterbliebenenrenten weiterverfolgen. Sie beantragen die Urteile des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 17. Juli 1968 aufzuheben und die Berufungen der Beklagten gegen die Urteile des SG Kiel vom 8. November 1967 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.

II

Die Revisionen der Kläger sind begründet.

Entgegen der Ansicht des LSG kann die beklagte BfA die Gewährung der von den Klägern beanspruchten Hinterbliebenenrenten nicht deshalb ablehnen, weil es an dem Rentenantrag fehlt. Die Kläger sind von der Beklagten vielmehr so zu stellen, als wenn ihnen von der Treuhandverwaltung der stillgelegten Sozialversicherungsträger - RfA - aus dem Kontenarchiv der RfA im Dezember 1952 statt der falschen die richtige Auskunft erteilt worden wäre, und als ob sie der richtigen Auskunft entsprechend die Hinterbliebenenrenten im Dezember 1952, im Jahre 1956 und im Jahre 1957 für den früheren Rentenbeginn rechtzeitig beantragt hätten.

Auf den Witwenrentenanspruch der Klägerin zu 1) für Zeiten vor dem 1. Januar 1957 aus dem am 15. März 1945 eingetretenen Versicherungsfall sind gemäß Art. 2 § 6 AnVNG die bis zum Inkrafttreten des AnVNG am 1. Januar 1957 (Art. 3 § 7 AnVNG) geltenden Vorschriften anzuwenden. Der aus den Beiträgen zur RfA hergeleitete, gegen die beklagte BfA gerichtete Anspruch fällt unter das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FremdRG) vom 7. August 1953 (BGBl I 848 - BSG 4, 96; SozR Nr. 5 zu § 17 FremdRG). Er ist gegen die BfA, die mit der RfA nicht identisch ist, als dem heutigen Träger der AnV erst mit Erlaß des FremdRG entstanden (BSG in SozR Nr. 2 zu § 8). Der Rentenanspruch der Klägerin zu 1) bis zum 31. Dezember 1956 richtet sich nach den Vorschriften des AVG idF bis zum 31. Dezember 1956 - aF - (§ 2 FremdRG). Gemäß § 41 Abs. 1 AVG aF i. V. m. § 1286 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Fassung (aF) beginnt die Rente mit dem Ablauf des Kalendermonats, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind; wird sie jedoch nach dem Ende des folgenden Kalendermonats beantragt, so beginnt sie erst mit dem Ablauf des Antragsmonats. Für die Leistungen nach dem FremdRG schreibt § 17 Abs. 1 FremdRG besonders vor, ergibt sich bei der Anwendung einer Vorschrift dieses Gesetzes, daß der Versicherungsfall vor dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens eingetreten ist, und ist nicht bereits eine Leistung für die Zeit vor diesem Zeitpunkt festgestellt worden, so beginnt die Leistung nach Maßgabe dieses Gesetzes mit diesem Zeitpunkt, frühestens jedoch mit dem Zeitpunkt der Begründung des Wohnsitzes des Berechtigten im Bundesgebiet oder im Land Berlin. Dies gilt auch, falls der Antrag nachher, spätestens aber bis zum Ablauf eines Jahres nach der Verkündung des Gesetzes gestellt wird. Das FremdRG ist am 10. August 1953 verkündet worden und am 1. April 1952 in Kraft getreten (§ 20 Abs. 1 Satz 1 FremdRG).

Dem LSG und der Beklagten ist darin beizupflichten, daß sowohl nach § 41 Abs. 1 AVG aF i. V. m. § 1286 Abs. 1 RVO aF als auch nach § 1 Abs. 1, § 17 Abs. 1 FremdRG Leistungen nur auf Antrag gewährt werden und der Beginn der Rente von dem Zeitpunkt der Antragstellung abhängt (vgl. zu § 1286 RVO aF, BSG 21, 129 ff; zu §§ 1, 17 FremdRG BSG in SozR Nr. 19 zu § 17 FremdRG). Die Witwenrente kann mithin dem Klageantrag der Klägerin zu 1) entsprechend gemäß § 17 Abs. 1 FremdRG frühestens vom 1. April 1952 an beginnen, wenn ein Rentenantrag bis zum 10. August 1954 gestellt worden ist. Einen förmlichen Antrag auf Gewährung der Hinterbliebenenrenten haben die Kläger jedoch erst am 28. April 1964 gestellt.

Das Schreiben der Klägerin zu 1) vom 8. Dezember 1952 an die "Versicherungsanstalt für Angestellte in B" beinhaltet, wie das LSG zu Recht angenommen hat, nur die Bitte um Erteilung einer Auskunft aus dem Kontenarchiv. Es stellt keinen Rentenantrag dar, weil es weder eine auf Gewährung einer Leistung gerichtete Willenserklärung enthält noch einen darauf gerichteten Willen erkennen läßt (vgl. hierzu BSG 2, 273, 275). Nach dem im Rentenrecht geltenden Antragsprinzip kommt es grundsätzlich nicht darauf an, aus welchen Gründen der Antrag nicht früher gestellt worden ist. Deshalb kann der Umstand allein, daß die Klägerin zu 1) wegen der ihr am 16. Dezember 1952 erteilten unrichtigen Auskunft ohne ihr Verschulden gehindert war, den Antrag früher zu stellen, auch nicht bewirken, daß die in § 1286 Abs. 1 RVO aF, § 17 Abs. 1 Satz 2 FremdRG für den früheren Rentenbeginn vorgesehenen Antragsfristen erst mit der Richtigstellung der Auskunft im Jahre 1964 begonnen haben und der Antrag am 28. April 1964 noch innerhalb der Fristen gestellt ist. Das Bundessozialgericht (BSG) hat sowohl zu § 1286 RVO aF als auch zu § 17 Abs. 1 FremdRG wiederholt ausgesprochen, daß es insbesondere nicht entscheidend ist, ob der Berechtigte ohne sein Verschulden verhindert gewesen ist, den Antrag früher zu stellen, oder ob er den Antrag nicht früher stellen konnte. Diese Auffassung hatte das Reichsversicherungsamt (RVA) zu § 1286 RVO aF unter Hinweis auf die geschichtliche Entwicklung dieser Vorschrift ebenfalls vertreten (RVA in AN 1939, 208; BSG 21, 129 ff; BSG in SozR Nr. 5 zu § 17 FremdRG).

Zwar wird von diesem allgemein geltenden Grundsatz eine Ausnahme zugelassen, wenn der Rentenberechtigte wegen Minderjährigkeit geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt und nicht in der Lage ist, den Rentenantrag selbständig zu stellen. In diesem Falle beginnt die Antragsfrist des § 1286 Abs. 1 RVO aF für den früheren Rentenbeginn - wie das RVA entschieden hat - erst mit der Bestellung des gesetzlichen Vertreters.

Die geschichtliche Entwicklung des § 1286 RVO aF läßt aber deutlich erkennen, daß die für den früheren Beginn der Renten maßgebende Frist für den Rentenantrag in der Regel auch dann zu gelten hat, wenn der Berechtigte den Antrag nicht früher stellen konnte (RVA aaO). Selbst die durch den 2. Weltkrieg geschaffenen besonderen Verhältnisse, nach denen die rechtzeitige Stellung des Rentenantrages oft nicht möglich war, hat den Gesetzgeber nicht veranlaßt, von diesem Grundsatz allgemein abzuweichen. Er hat Ausnahmen nur in ganz bestimmten Fällen zugelassen, so zB für die Hinterbliebenen von Kriegsteilnehmern, die den Tod eines Versicherten erst zu einem späteren Zeitpunkt erfuhren (vgl. § 2 Satz 1 und 3 KriegsfristenG vom 13. November 1952 idF des ÄndG vom 26. Juli 1955). Selbst diese Vorschriften hatten aber nicht ganz allgemein die Aufgabe, den Hinterbliebenen, von denen der Rentenantrag aus anderen Gründen (zB wegen Unkenntnis der Versicherung des Verstorbenen oder des Erfordernisses eines rechtzeitigen Antrages, wegen falscher Auskunft über das Versicherungsverhältnis oder wegen Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Unterlagen) nicht rechtzeitig gestellt worden war, einen früheren Rentenbeginn zu verschaffen (BSG 3, 72, 75, 76). In BSG 5, 57 ff hat der Senat die Auffassung vertreten, beim Erhalt der Todesnachricht konnten - und mußten - die Hinterbliebenen die Renten beantragen (§ 41 AVG aF, § 1286 RVO aF); für diesen Antrag sei zwar keine Frist gesetzt gewesen, wohl aber habe sich der Beginn der Renten nach dem Zeitpunkt des Antrages gerichtet. Auch diesen Entscheidungen des BSG ist zu entnehmen, daß es für § 1286 RVO aF grundsätzlich nicht entscheidend ist, aus welchen Gründen der Berechtigte den Rentenantrag nicht früher stellen konnte; die nach dem Kriege in einzelnen Ländern bestehenden Vorschriften, die darauf abstellten, ob die verspätete Antragstellung "unverschuldet" gewesen ist, sind aufgehoben worden (vgl. BSG 3, 72, 75). Daß es in der Regel ohne Belang ist, aus welchen Gründen der Rentenantrag nicht früher gestellt worden ist, hat auch im Rahmen des § 17 Abs. 1 FremdRG zu gelten, weil das Gesetz hier keine Ausnahme von diesem Grundsatz vorsieht.

Anders liegt jedoch der Fall, wenn der Versicherungsträger, der die im Gesetz vorgesehene Leistung zu erbringen hat, durch sein oder durch ein von ihm zu vertretendes pflichtwidriges Verhalten die rechtzeitige Antragstellung selbst verhindert hat, nämlich durch eine falsche Auskunft über das Vorhandensein eines Beitragskontos in dem vom Versicherungsträger selbst verwalteten Kontenarchiv. Bei der Versäumung von gesetzlichen Ausschlußfristen gilt - wenn ihr Zweck dem nicht entgegensteht - der aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§§ 242, 162 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) hergeleitete Grundsatz, daß sich derjenige nicht auf die Versäumung der Ausschlußfrist berufen kann, der durch sein eigenes rechtswidriges wenn auch schuldloses Verhalten den Berechtigten von der Einhaltung der Frist abgehalten, also die Versäumung der Frist verursacht hat (RG 148, 298; BGH 9, 5; Palandt, BGB, 28. Aufl., § 242 Anm. 4 d und Überblick vor § 194 Anm. 4; BVerwG 9, 89 ff; vgl. auch BGH in VersR 1969, 796). In einem solchen Fall gilt die Frist als gewahrt. Die in § 1286 Abs. 1 RVO aF und in § 17 Abs. 1 Satz 2 FremdRG für den früheren Beginn der Renten vorgesehenen Antragsfristen stellen zwar keine Ausschlußfristen im eigentlichen Sinne dar, denn in diesen Vorschriften wird für die Stellung des Rentenantrages keine Frist in dem Sinne gesetzt, daß der Berechtigte von dem Recht, den Rentenantrag zu stellen, nach Ablauf der Frist ausgeschlossen wird. Nur der Beginn der Rente richtet sich nach dem Zeitpunkt des Rentenantrages (vgl. hierzu BSG 5, 57 und 59). Gleichwohl wird im Gesetz der frühere Beginn der Renten davon abhängig gemacht, daß der Antrag binnen einer bestimmten Frist gestellt ist. Der Rentenberechtigte wird also, wenn er den Rentenantrag nicht innerhalb der gesetzten Frist stellt, für die Vergangenheit mit seinem Anspruch auf Rente ausgeschlossen. Der Berechtigte kann sein Recht, den Antrag mit der Wirkung des früheren Rentenbeginns zu stellen, nur innerhalb bestimmter Fristen ausüben; insofern kommt dem Nichteinhalten der Antragsfrist eine echte ausschließende Wirkung zu, so daß die Antragsfristen jedenfalls in diesem Sinne als Ausschlußfristen in Betracht kommen dürften. Dies braucht indessen nicht abschließend geklärt zu werden; denn der für die Versäumung einer Ausschlußfrist geltende Grundsatz, daß derjenige sich nicht auf die Fristversäumnis berufen kann, der durch sein eigenes pflichtwidriges Verhalten den Berechtigten daran gehindert hat, die Frist einzuhalten, hat jedenfalls entsprechend zu gelten, wenn der Versicherungsträger durch ein objektiv pflichtwidriges Verhalten den Rentenberechtigten daran gehindert hat, den Rentenantrag innerhalb der vorgeschriebenen Fristen so rechtzeitig zu stellen, daß er auf den Zeitpunkt zurückwirkt, der für den früheren Rentenbeginn vorgesehen ist. Der Zweck, den das Gesetz mit der Regelung verfolgt, daß nur der innerhalb bestimmter Fristen gestellte Antrag den früheren Beginn der Renten zur Folge haben soll, steht dem nicht entgegen, bei der Berufung auf die Versäumung der Frist jedenfalls die Grundsätze von Treu und Glauben anzuwenden. Die Ausübung aller Rechte und die Erhebung von Einwendungen stehen unter dem Grundsatz von Treu und Glauben. Niemand darf Rechte ausüben oder Einwendungen erheben, wenn er sich damit mit seinem früheren Verhalten in Widerspruch setzt und dies mit den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht zu vereinbaren ist.

Der 11. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 23. Juni 1964 (BSG 21, 129 = SozR Nr. 14 zu § 1286 RVO aF) dargelegt, daß echte Ausschlußfristen, nach deren Ablauf ein Anspruch auf Rente überhaupt nicht mehr geltend gemacht werden könne, in erster Linie den Zweck hätten, den Versicherungsträger wegen der Schwierigkeit der Aufklärung länger zurückliegender Vorgänge vor unbegründeten Ansprüchen zu schützen. Wenn dagegen in der Rentenversicherung der Antrag später gestellt werde als dies nach dem Gesetz ohne Nachteile für den Beginn der Rente möglich sei, so führe dies nicht zum Verlust des "Stammrechts", sondern nur zu einem späteren Beginn der Einzelleistungen aus dem Stammrecht. Die Vorschrift des § 1286 RVO aF habe im wesentlichen "Ordnungscharakter"; sie solle der Verwaltung den Überblick über die zu erbringenden Leistungen erleichtern und beruhe auf der Erwägung, daß ebenso wie Unterhalt nicht für die Vergangenheit gefordert werden könne (§ 1613 BGB) auch die Rente nicht gewährt werde für eine Zeit, für die sie nicht durch den Antrag geltend gemacht sei.

Wenn es hiernach auch dem gesetzlichen Zweck des § 1286 RVO aF entspricht, den Berechtigten bei späterem Antrag in der Regel selbst mit solchen Ansprüchen auszuschließen, die bei früherem innerhalb der gesetzten Antragsfristen gestellten Antrag zweifelsfrei begründet gewesen wären, so gilt dieser Grundsatz doch nicht ausnahmslos, wie schon die Entscheidung des RVA (AN 1939, 208) zeigt (vgl. hierzu auch BSG 19, 173). Mit dem Zweck des Gesetzes ist es aber ebensowenig zu vereinbaren, den Versicherten mit an sich begründeten Ansprüchen für die Vergangenheit wegen eines verspätet gestellten Rentenantrages auszuschließen, wenn der Berechtigte durch ein pflichtwidriges Verhalten des Versicherungsträgers selbst daran gehindert worden ist, einen Rentenantrag früher und fristgerecht zu stellen. Wird dem Versicherten oder seinen Hinterbliebenen durch Gesetz dem "Ordnungscharakter" des § 1286 RVO aF entsprechend "zugemutet", selbst an der Ordnung seines Versicherungsverhältnisses insoweit mitzuwirken, als er seinen Anspruch "anzumelden" hat - wie der 11. Senat in seinem Urteil weiterhin ausgeführt hat -, so widerspräche es doch dem Zweckgedanken des § 1286 RVO aF, einen Berechtigten wegen des Unterlassens seiner Mitwirkung an der Ordnung seines Versicherungsverhältnisses - nämlich durch Anmeldung seines Anspruchs - von einem sonst begründeten Anspruch auszuschließen, wenn er nur deshalb seinen Rentenantrag - als aussichtslos - nicht früher gestellt hat, weil ihm auf seine ausdrückliche Anfrage hin von der zuständigen Stelle die unrichtige Auskunft erteilt worden ist, daß ein Beitragskonto für den Versicherten nicht zu ermitteln ist; der Berechtigte also durch den Versicherungsträger selbst an der Mitwirkung zur Ordnung seines Versicherungsverhältnisses durch einen fristgerechten Antrag gehindert worden ist.

Dieser Rechtsgedanke ist bereits in dem Urteil des 4. Senats des BSG vom 28. Oktober 1968 - 4 RJ 553/64 - zum Ausdruck gekommen. In diesem Urteil ist ausgeführt, trotz unterlassener Antragstellung wäre die Entstehung des Anspruchs nur dann in Erwägung zu ziehen, wenn der Versicherungsträger durch unrichtige Auskunft den Berechtigten an der Antragstellung gehindert hätte, sei es auch nur in der Weise, daß er die Antragstellung in Anbetracht der Auskunft für aussichtslos gehalten hätte. Unter Hinweis auf die Entscheidungen des BSG in SozR Nr. 3 zu § 1233 RVO, Nr. 21 zu Art. 2 § 42 ArVNG, in SozVers 1963, 62 und in Praxis 1964, 450 hat der 4. Senat hervorgehoben, die Fürsorgepflicht des Versicherungsträgers gegenüber dem Versicherten und dessen Hinterbliebenen könne es dem Versicherungsträger je nach den Umständen gebieten, den Versicherten oder seine Hinterbliebenen zu beraten, vor allem die im Hinblick auf den Rentenanspruch erforderlichen Auskünfte zu erteilen; die Erteilung einer falschen Auskunft könne aber allenfalls dann eine Verpflichtung zur Rentengewährung trotz Fehlens einer Anspruchsvoraussetzung herbeiführen, wenn durch die Auskunft der Eintritt der Voraussetzung verhindert worden sei (vgl. hierzu Weyreuther in Verhandlungen des 47. Deutschen Juristentages, Band I Teil B).

Mag dem § 1286 Abs. 1 RVO aF sowie dem § 17 Abs. 1 Satz 2 FremdRG auch Ordnungscharakter in dem Sinne zukommen, daß der Berechtigte von dem früheren Rentenbeginn ausgeschlossen bleiben soll, wenn er die dafür vorgesehenen Antragsfristen nicht einhält, so steht dem doch nicht entgegen, daß der Rentenantrag ausnahmsweise als innerhalb dieser Antragsfrist gestellt zu gelten hat, wenn der Berechtigte durch ein pflichtwidriges Verhalten des Versicherungsträgers oder seines Hilfsorgans an der rechtzeitigen Anmeldung seines Anspruchs, also gerade an der Einhaltung dieser Antragsfristen gehindert worden ist. Der 12. Senat hat in seinem Urteil vom 24. März 1964 (BSG in SozR Nr. 21 zu Art. 2 § 42 ArVNG) bereits den Rechtsgedanken geäußert, daß ein Versicherter grundsätzlich beanspruchen kann, in seinem Vertrauen auf die Richtigkeit einer ihm von dem zuständigen Versicherungsträger erteilten Auskunft geschützt zu werden, wenn er danach handelt. Ein solcher Versicherungsschutz könnte aber nur beinhalten, den Versicherten so zu stellen, wie er stände, wenn ihm die Auskunft nicht oder richtig erteilt worden wäre. Auch der Bundesfinanzhof hat sich dahin ausgesprochen, daß, wenn eine unrichtige Auskunft des Finanzamtes einen Steuerpflichtigen zu steuerlich ungünstigen Dispositionen veranlaßt hat, er so zu stellen ist, als wenn ihm die unrichtige Auskunft nicht erteilt worden wäre. Die Bindung des Finanzamtes an seine unrichtige Auskunft führe allerdings nicht dazu, daß dem Steuerpflichtigen ein Vorteil gewährt werden müsse, der ihm auch bei richtiger Auskunft nicht zugeflossen wäre (BFH 86, 148). Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat nicht nur in seinem Urteil vom 22. November 1957 (ZLA 1958, 55) entschieden, daß die Behörde eine Leistung nicht wegen Nichteinhaltung einer Antragsfrist ablehnen darf, wenn sie oder ihr Hilfsorgan die verspätete Antragstellung verschuldet hat. Auch in seinem Urteil vom 15. Juli 1959 (BVerwG 9, 90) hat es für den Fall, daß die Geltendmachung eines Anspruchs von der Einhaltung einer Frist abhängt, ausgesprochen, daß die Frist als gewahrt gilt, wenn die Einhaltung der Frist durch pflichtwidriges Verhalten des Sachbearbeiters der zuständigen Verwaltungsbehörde verhindert worden ist.

In dem gegenwärtigen Streitfall stellt die unrichtige schriftliche Auskunft der Treuhandverwaltung vom 16. Dezember 1952 ein pflichtwidriges Verhalten dar und die Klägerin zu 1) ist auch durch dieses pflichtwidriges Vorhalten daran gehindert worden, den Witwenrentenantrag innerhalb der in § 17 Abs. 1 Satz 2 FremdRG für den früheren Beginn ihrer Witwenrente gesetzten Frist zu stellen.

Nach der einhelligen Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte muß die Auskunft, die eine Behörde dem Staatsbürger gibt, nicht nur richtig, sondern auch unmißverständlich sein, nämlich so klar und vollständig, daß der Empfänger entsprechend disponieren kann. Aufgrund der Fürsorge- und Betreuungspflicht hat der Beamte dem Staatsbürger, soweit er mit dessen Angelegenheiten befaßt ist, zu helfen, um das zu erreichen, was ihm zusteht oder was er im Rahmen des Möglichen und Zulässigen zu erreichen wünscht. Deshalb müssen Auskünfte eines Beamten richtig, eindeutig und vollständig sein, weil andernfalls bewirkt werden kann, daß der Empfänger der Auskunft über seine Rechte in einer Weise disponiert, die ihn benachteiligt (vgl. hierzu BGH Urt. v. 27.4.1970 in MdR 1970, 746 und die dort aufgeführten Entscheidungen). Den Beamten trifft sogar eine entsprechende Aufklärungs- und Belehrungspflicht, wenn er bei Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erkennt oder erkennen muß, daß ein Bürger, der mit der Behörde durch die Stellung eines Gesuches verbunden ist, Maßnahmen beabsichtigt, deren Unterlassung für ihn nachteilige Rechtsfolgen haben oder haben können (vgl. hierzu BGH Urt. v. 17.9.1970 in BB 1970, 1279). Die Nichtbeachtung dieser Pflichten führt in der Regel zur Haftung der Behörde mit dem Ziel, dem Bürger keine rechtlichen und wirtschaftlichen Nachteile daraus erwachsen zu lassen, daß er zur Wahrung seiner Rechte im Vertrauen auf die Richtigkeit der behördlichen Auskunft notwendige Handlungen unterlassen hat, die er bei richtiger Auskunft vorgenommen hätte. Diese Grundsätze haben in gleicher Weise im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung zu gelten; denn hier gehört es in besonderem Maße zu den Pflichten der mit der Betreuung der zumeist sozial schwachen Volkskreise betrauten Stellen, den Betreuten zur Wahrnehmung und Erlangung der ihnen vom Gesetz zugedachten Rechte nach Kräften beizustehen.

Die Treuhandverwaltung der stillgelegten Sozialversicherungsträger - RfA - verwaltete im Jahre 1952 zusammen mit dem Gemeinschaftsbüro der westdeutschen Landesversicherungsanstalten die vorhandenen Beitragskonten der RfA und stellte auch Ersatzbescheinigungen aus; zudem oblag ihr die Auskunftserteilung an Behörden, Versicherungsträger und Versicherte über die bei der RfA zentral geführten Akten und Konten der Versicherten (Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst, AVG, 2. u. 3. Aufl., Bd. 1 S. 572; Hoernigk, BArbBl. 1953, 649). Die Treuhandverwaltung und das Gemeinschaftsbüro der westdeutschen Landesversicherungsanstalten waren also mit den Rentenangelegenheiten der Versicherten in der Angestelltenversicherung und deren Hinterbliebenen insoweit befaßt, als sie ihnen Auskünfte aus den Beitragskonten der RfA zu erteilen hatten. Die der Klägerin zu 1) am 16. Dezember 1952 gegebene Auskunft hatte richtig, unmißverständlich und vollständig zu sein. Falls seitens der Treuhandverwaltung die Möglichkeit des Vorhandenseins von Unterlagen über ein Beitragskonto des Ehemannes der Klägerin zu 1) nicht mit Sicherheit auszuschließen war - weil bei der Verwaltung von etwa insgesamt 9,5 Millionen Konten eine absolut richtige Auskunft nicht möglich gewesen sein sollte (vgl. Tannen, DRV 1970, 68), so hätte in der schriftlichen Auskunft vom 16. Dezember 1952 ein entsprechender Vorbehalt oder Hinweis aufgenommen werden müssen, um die Klägerin zu 1) eindeutig und vollständig zu unterrichten und sie nicht zu einem für ihre Rechte nachteiligen Verhalten zu veranlassen, nämlich die Stellung der Hinterbliebenenrentenanträge zu unterlassen (vgl. hierzu BGH in BB 1970, 1279).

Daß die Auskunft der Treuhandverwaltung vom 16. Dezember 1952 falsch gewesen ist, hat das LSG unangefochten festgestellt, so daß das Revisionsgericht an diese Feststellung gebunden ist (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Ebenso hat das LSG für das Revisionsgericht bindend festgestellt, daß die falsche Auskunft ursächlich dafür gewesen ist, daß die Klägerin zu 1) im Dezember 1952 ihren Antrag auf Witwenrente nicht gestellt hat. Um diesen Antrag innerhalb der für den früheren Rentenbeginn nach § 17 Abs. 1 Satz 2 FremdRG vorgesehenen Frist als gestellt gelten zu lassen, kommt es aber des weiteren darauf an, ob die Treuhandverwaltung durch ihre falsche Auskunft die Klägerin zu 1) daran gehindert hat, den Witwenrentenantrag im Dezember 1952 zu stellen.

Der Rentenantrag sowohl nach § 1286 Abs. 1 RVO aF als auch nach § 17 Abs. 1 Satz 2 FremdRG ist an keine besondere Form gebunden; er kann auch mündlich gestellt werden. Die Klägerin zu 1) hätte zur Wahrung der Antragsfristen für den früheren Rentenbeginn trotz der ihr erteilten falschen Auskunft - also unabhängig von dieser Auskunft - bei dem zuständigen Versicherungsträger die Witwenrente im Dezember 1952 beantragen können. Gleichwohl ist sie durch die falsche Auskunft daran gehindert worden. Auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der ihr von der zuständigen Stelle schriftlich gegebenen Auskunft durfte sie vertrauen. Sie mußte deshalb davon ausgehen, daß für ihren Ehemann Beiträge zur AnV nicht entrichtet worden sind, ein Versicherungsverhältnis ihres Ehemannes in der AnV nicht bestanden hat und deshalb der Antrag auf Witwenrente aussichtslos sein würde. Die über die Kriegswirren erhaltenen Beitragsübersichten und Kontoauszüge der früheren RfA bieten auch sonst in aller Regel lückenlos Beweis über die Beitragsentrichtung (Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst, AVG 2. u. 3. Aufl., Band I, S. 364). Die Auskunft der das Kontenarchiv der früheren RfA verwaltenden Stelle, daß ein Beitragskonto für eine Person - für dessen Namen die Beitragsübersichten und Kontoauszüge erhalten geblieben sind - nicht besteht, erbringt in der Regel, also wenn nicht besondere Verhältnisse vorliegen, auch für die Gerichte und die Versicherungsträger den Beweis, daß Beiträge nicht entrichtet worden sind.

Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin zu 1) die Versicherungsunterlagen ihres Ehemannes durch die Kriegsverhältnisse verloren. Weder nach dem Vorbringen der Beteiligten noch nach den Feststellungen des LSG bestehen Anhaltspunkte für die Annahme, daß die Klägerin zu 1) trotz der ihr erteilten Auskunft der Treuhandverwaltung Anlaß hätte haben müssen, die Versicherung ihres Ehemannes in der AnV und das Vorhandensein von Beitragsunterlagen an anderer Stelle zu vermuten und für deren Feststellung weitere Schritte zu unternehmen. Vielmehr hat die Klägerin als Hinterbliebene eines Versicherten durch die Anforderung eines Kontoauszuges von der dafür zuständigen Stelle die nach den Umständen des Falles gebotenen Vorkehrungen getroffen, um das Versicherungsverhältnis ihres Ehemannes zur AnV aufzuklären und die für einen Witwenrentenantrag unentbehrlichen Beitragsunterlagen zu erlangen.

Sie mußte zur Wahrung ihrer Rechte für den früheren Rentenbeginn den Antrag auf Witwenrente im Dezember 1952 auch nicht vorsorglich stellen. Die Klägerin befände sich allerdings in einer günstigeren Rechtslage, wenn sie trotz der ihr erteilten negativen Auskunft und ohne jede Beweisunterlagen im Dezember 1952 die Hinterbliebenenrenten aus der AnV ihres Ehemannes bei dem zuständigen Versicherungsträger beantragt und sich den damals zu erwartenden ablehnenden Bescheid hätte erteilen lassen. Nach Auffindung der Beitragsunterlagen im Jahre 1964 hätte sie gegen einen solchen bindenden Bescheid nach § 1744 RVO die an keine Fristen gebundene neue Prüfung ihres Anspruchs beantragen und die Nachzahlung der Rente verlangen können, ohne dem Einwand der Verjährung begegnen zu müssen (vgl. hierzu BSG 6, 283 = SozR Nr. 1 zu § 1744 RVO; BSG in SozR Nr. 5 zu § 1744 RVO und Nr. 5 zu § 1300 RVO). Hätte sie unter entsprechender Ausfüllung der üblichen Antragsformulare im Dezember 1952 den Witwenrentenantrag gestellt, so ist allerdings auch nicht auszuschließen, daß der damals für die Invalidenversicherung und Angestelltenversicherung zuständige Versicherungsträger - die Landesversicherungsanstalt (LVA) Schleswig-Holstein - aufgrund der Angaben in dem Rentenantrag und der vom Versicherungsträger - von Amts wegen - durchzuführenden Ermittlungen andere Unterlagen über die Versicherung und Beitragsleistung des Ehemannes der Klägerin zur AnV in den Jahren 1932 bis 1934 herangezogen (zB Auskünfte von den Arbeitgebern eingeholt oder Zeugen vernommen) und sie für die Gewährung der Witwenrente als ausreichend erachtet hätte. In der Regel sind die Versicherten und ihre Hinterbliebenen aufgrund ihrer Mitwirkungspflicht gehalten, die entsprechenden Rentenanträge formgerecht zu stellen, damit der Versicherungsträger das förmliche Rentenfeststellungsverfahren durchführen und dabei selbst die erforderlichen Ermittlungen anstellen kann. Dem Versicherungsträger muß wenigstens durch den Rentenantrag angezeigt werden, daß Rente beansprucht wird und ihm muß die Möglichkeit der eigenen Ermittlung, Beurteilung und Feststellung eingeräumt werden. Diese Möglichkeit ist dem damals zuständigen Versicherungsträger durch die Unterlassung des Rentenantrages im Dezember 1952 nicht gegeben worden. Gleichwohl kann von einem einsichtigen und vernünftigen Betroffenen nicht erwartet werden, daß er die Versicherungsträger mit Rentenanträgen befaßt, die deshalb von vornherein aussichtslos sein müssen, weil nach Auskunft der dafür allein zuständigen, Stelle keine Beiträge entrichtet sind und deshalb überhaupt kein Versicherungsverhältnis bestanden haben kann.

Das LSG hat keine Feststellungen darüber getroffen, ob die Klägerin vor oder nach Erhalt der negativen Auskunft der Treuhandverwaltung vom 16. Dezember 1952 von sich aus irgendwelche weiteren Nachforschungen unternommen hat, um zu klären, ob nicht doch eine Versicherung ihres Ehemannes in der AnV bestanden hat und für ihn Beiträge entrichtet worden sind, und ob sie insbesondere bei den früheren Arbeitgebern ihres Ehemannes, der Personalabteilung seiner letzten Dienststelle oder bei seinen früheren Mitarbeitern Erkundigungen eingezogen hat. Selbst wenn die Klägerin zu 1) derartiges unterlassen und nur im Vertrauen auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskunft der Treuhandverwaltung den Rentenantrag im Dezember 1952 unterlassen hat, ist die Annahme gerechtfertigt, daß sie durch das pflichtwidrige Verhalten der Treuhandverwaltung daran gehindert worden ist, den Rentenantrag im Dezember 1952 zu stellen; denn es ist nicht erforderlich, daß dieses pflichtwidrige Verhalten die alleinige Ursache für das Unterlassen des Antrages gewesen ist. Es genügt, daß es dafür die wesentliche Bedingung gesetzt hat, also die Unterlassung der Antragstellung vorwiegend in den Verantwortungsbereich der Treuhandverwaltung fällt. Da dies der Fall ist, kommt es auch nicht mehr darauf an, daß die Klägerin zu 1) in der Zwischenzeit bis zum Jahre 1964 nicht erneut eine Anfrage bei der BfA über das Vorhandensein eines Beitragskontos ihres Ehemannes gehalten oder einen neuen Rentenantrag gestellt hat.

Anders als in dem vom 4. Senat entschiedenen Fall (Urteil vom 28.10.1968 - 4 RJ 553/64 -) ist in der gegenwärtigen Streitsache das pflichtwidrige Verhalten der Treuhandverwaltung, nämlich die falsche Auskunft vom 16. Dezember 1952 für die Unterlassung des Witwenrentenantrages im Dezember 1952 nicht nur ursächlich, sondern auch geeignet gewesen, die Antragstellung zu verhindern.

Die beklagte BfA beruft sich zwar darauf, die falsche Auskunft der Treuhandverwaltung brauche sie nicht zu verantworten; sie sei weder mit der RfA und mit der Treuhandverwaltung identisch noch sei sie deren Rechtsnachfolger. Dies trifft zwar zu, ist aber letztlich nicht entscheidend.

Im Dezember 1952 war die BfA noch nicht errichtet. Damals wurden im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland die Aufgaben der AnV von den LVAen treuhänderisch verwaltet. Die BfA ist erst durch das Errichtungsgesetz vom 7. August 1953 (BGBl 1953 I 857) errichtet worden. Sie hat nunmehr das AVG durchzuführen, und zwar auch soweit es sich um Ansprüche aus Beiträgen zur früheren RfA handelt. Nach dem FremdRG hat sie derartige Ansprüche vom 1. April 1952 an zu gewähren. Die BfA hat zwar nicht die Funktion der RfA übernommen, aber die der westdeutschen LVAen, die bis dahin die AnV treuhänderisch verwaltet haben. Soweit es sich um Rentenansprüche aus Beiträgen zur früheren RfA handelt, richteten sie sich gegen die BfA zwar ausschließlich nach dem FremdRG. Die BfA tritt aber für sie nach den gleichen Maßstäben ein, nach denen bisher die westdeutschen LVAen für sie eingetreten sind (vgl. Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst, AVG, 2. u. 3. Aufl., Bd. I S. 589). Sogar über das Inkrafttreten des Errichtungsgesetzes am 1. August 1953 hinaus (§ 34 Errichtungsgesetz) blieb die Auftragsverwaltung der LVAen hinsichtlich der laufenden Verwaltungsgeschäfte bis zum 31. Januar 1954 erhalten (§ 26 Abs. 1 Errichtungsgesetz). Nach Beendigung der von den LVAen wahrgenommenen Auftragsverwaltung in der AnV hat die BfA zwar nicht als Rechtsnachfolger sondern als Funktionsnachfolger für alle von den LVAen im Rahmen ihrer treuhänderischen Verwaltung vorgenommenen versicherungsrechtlichen Handlungen einzutreten. So wirken z. B. Anerkenntnisse und Begünstigungen durch die LVAen gegen die BfA in gleicher Weise wie gegen die LVAen (Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst aaO S. 593). Der Senat hat in diesem Zusammenhang bereits in einem anderen Falle ausgesprochen, daß die BfA, obschon sie an der früheren fehlerhaften Rentenfeststellung der damals zuständigen LVA im Juni 1952 nicht beteiligt gewesen war, sich entgegenhalten lassen muß, daß die LVA bei Feststellung der Renten aus der AnV nicht alles getan habe, was zur Klärung des Sachverhalts erforderlich gewesen wäre, und daß sie die Verjährung nur einwenden könne, wenn und soweit die LVA dies hätte tun können (BSG in SozR Nr. 5 zu § 1300 RVO). In gleicher Weise muß die heute für die Ansprüche aus der AnV zuständige BfA einen Rentenantrag im Dezember 1952 als gestellt gegen sich gelten lassen, wenn die damals für die AnV zuständige LVA dies hätte tun müssen.

Die bis zur Errichtung der BfA für die Gewährung von Leistungen aus der AnV zuständige LVA hätte den Witwenrentenantrag der Klägerin zu 1) aber als im Dezember 1952 gestellt gelten lassen müssen, weil sie sich als Versicherungsträger der AnV die falsche Auskunft der Treuhandverwaltung der stillgelegten Sozialversicherungsträger - RfA - vom 16. Dezember 1952 hätte zurechnen lassen müssen. Denn diese Auskunft ist mit in ihrem Namen erteilt worden, weil die Treuhandverwaltung die vorhandenen Beitragskonten der früheren RfA zusammen mit dem Gemeinschaftsbüro der westdeutschen LVAen verwaltete, die Auskunft aus dem Beitragskonto der RfA also auch für dieses Gemeinschaftsbüro und somit für die westdeutschen LVAen gegeben worden ist. Es ist deshalb so anzusehen, als ob die damals im Dezember 1952 für den Wohnsitz der Klägerin zu 1) und ihren Rentenanspruch zuständige LVA Schleswig-Holstein die falsche Auskunft selbst erteilt hätte. Dann aber hat der für die Leistung aus der AnV zuständige Versicherungsträger selbst die falsche Auskunft erteilt und dadurch die Rentenberechtigte daran gehindert, die für den früheren Rentenbeginn in § 17 Abs. 1 Satz 2 FremdRG vorgesehene Antragsfrist einzuhalten, so daß gegenüber der LVA Schleswig-Holstein der Rentenantrag als innerhalb der vorgesehenen Frist gestellt zu gelten hat. Diesen Rentenantrag hat die beklagte RfA aufgrund der Funktionsnachfolge in gleicher Weise gegen sich gelten zu lassen.

Die Verpflichtung der beklagten BfA, der Klägerin zu 1) die Witwenrente vom 1. April 1952 an zu gewähren, ergibt sich auch aus § 17 Abs. 1 FremdRG. Da der Versicherungsfall am 15. März 1945, also vor Inkrafttreten des FremdRG am 1. April 1952 (§ 20 Abs. 1 FremdRG) eingetreten ist, der Witwenrentenantrag als im Dezember 1952 bei der zuständigen LVA Schleswig-Holstein als gestellt gilt und über den Antrag bei Inkrafttreten des FremdRG durch die zuständige LVA aufgrund der Sozialversicherungsanordnung Nr. 1 betr. Zahlung von Renten der Sozialversicherung an Flüchtlinge vom 29. Januar 1947 (ArbBl f. d. britische Zone S. 74) noch nicht entschieden war, hat nunmehr die BfA unter Berücksichtigung der Vorschriften des FremdRG über den Antrag zu entscheiden. Die BfA hat die Leistungen nach Maßgabe des FremdRG vom Inkrafttreten dieses Gesetzes, also vom 1. April 1952 an zu gewähren, wenn von diesem Zeitpunkt an alle Voraussetzungen für die Witwenrente erfüllt sind. Zu diesen Voraussetzungen gehört an sich auch der Rentenantrag; da dieser frühestens im Dezember 1952 als gestellt gilt, könnte die Witwenrente nach der Vorschrift des § 1286 Abs. 1 RVO aF erst vom 1. Januar 1953 an beginnen. Nun besagt aber § 17 Abs. 1 Satz 2 FremdRG, daß die Leistungen nach diesem Gesetz vom 1. April 1952 an beginnen, wenn der Antrag spätestens bis zum Ablauf eines Jahres nach der Verkündung des FremdRG, also bis zum 10. März 1954 gestellt ist. Diese Regelung muß für eine vor Verkündung des FremdRG (10.3.1953) aber nach Inkrafttreten des FremdRG (1.4.1952), nämlich im Dezember 1952 beantragte aber noch nicht festgestellte Leistung ebenfalls gelten, so daß die BfA der Klägerin zu 1) auf ihr Begehren, so gestellt zu werden als habe sie den Antrag im Dezember 1952 gestellt, die Witwenrente vom 1. April 1952 an nachzuzahlen hat.

Eine Verjährung des Anspruchs auf Witwenrente der Klägerin zu 1) für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 könnte die Beklagte nicht einwenden, weil die Versäumung der Verjährungsfrist vorwiegend in ihren Verantwortungsbereich bzw. in den der früher zuständigen LVA fällt (vgl. hierzu BSG in SozR Nr. 5 zu § 1300 RVO).

Die vorstehenden Ausführungen sind entsprechend anzuwenden auf die Anträge auf Gewährung von Waisenrenten an die Kläger zu 2) bis 5). Unter Berücksichtigung der für die Gewährung von Waisenrenten an die Kläger zu 2) bis 5) in Betracht kommenden gesetzlichen Vorschriften haben die Anträge als innerhalb der Fristen gestellt zu gelten, die im Gesetz für den früheren Beginn der Waisenrenten festgesetzt sind; sie haben also, soweit dies in Betracht kommt, im Dezember 1952, im Jahre 1956 und im Jahre 1957 als gestellt zu gelten.

Mit dieser Entscheidung wird das im Rentenrecht geltende Antragsprinzip nicht durchbrochen, nämlich der Grundsatz, daß dort, wo nach dem Gesetz Leistungen nur auf Antrag gewährt werden, die Leistungen auch nur gewährt werden können, wenn der Rentenantrag gestellt ist. Sowohl für die Witwenrente als auch für die Waisenrenten haben die Anträge als fristgerecht gestellt zu gelten. Da damit diese gesetzliche Voraussetzung für die Gewährung der Renten erfüllt ist, tritt auch nicht der Fall ein, daß die Beklagte verpflichtet wird, den Leistungsanspruch einer falschen Auskunft entsprechend gesetzwidrig zu regeln, was die Rechtsprechung des BSG mit Recht abgelehnt hat (BSG 25, 219). Vielmehr wird der Versicherungsträger gehalten, die Hinterbliebenen so zu stellen, als wenn der Versicherungsträger die Auskunft richtig und vollständig erteilt und die Berechtigten ihre Rentenanträge der richtigen Auskunft entsprechend rechtzeitig gestellt hätten. Der Versicherungsträger hat mithin keine anderen Leistungen zu erbringen, als diejenigen, die er bei richtiger Auskunft ohnehin hätte gewähren müssen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 60

NJW 1971, 822

MDR 1971, 429

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