Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufspraktikum
Leitsatz (amtlich)
Die Zeit zwischen dem Ende einer Fachschulausbildung und dem Beginn eines Berufspraktikums ist keine Ausfallzeit iS von § 1259 Abs 1 S 1 Nr 4 RVO (Weiterentwicklung von BSG 12.8.1982 11 RA 66/81 = SozR 2200 § 1259 Nr 66).
Orientierungssatz
Das Berufspraktikum umfaßt einen Ausbildungsabschnitt, der, insbesondere wegen seiner Eigenschaft als Beitragszeit, als schon dem Arbeitsleben zugehörig zu betrachten ist. Damit steht es den Lehrzeiten, die seit 1949 versicherungspflichtig sind und darum als Ausfallzeiten seitdem nicht in Betracht kommen, zumindest in versicherungsrechtlicher Hinsicht sehr nahe.
Normenkette
RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b; AVG § 36 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 28.06.1985; Aktenzeichen L 1 An 24/85) |
SG Lüneburg (Entscheidung vom 13.12.1984; Aktenzeichen S 14 An 37/84) |
Tatbestand
Im Streit steht die Vormerkung des Monats Juli 1982 als Ausfallzeit der Fachschulausbildung iS von § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG).
Die Klägerin ließ sich von August 1979 bis Juli 1983 als "staatlich anerkannte Erzieherin" ausbilden. Hierfür hatte sie ein einjähriges Vorpraktikum, zwei Jahre Fachschule und ein einjähriges Berufspraktikum zu absolvieren. Laut Bescheinigung der Fachschule umfaßte die Ausbildung dort die Zeit vom 1. August 1980 bis zum 31. Juli 1982. Die Abschlußprüfung an der Fachschule legte die Klägerin am 18. Juni 1982 ab; danach fand für sie kein Unterricht mehr statt. Am 1. August 1982 nahm sie das versicherungspflichtige Berufspraktikum auf.
Die Beklagte lehnte es ab, die Zeit ab der Abschlußprüfung (gemäß § 36 Abs 4 AVG: ab 1. Juli 1982) bis zum Berufspraktikum als Ausfallzeit vorzumerken, weil die Fachschulausbildung mit der Prüfung geendet habe (Bescheid vom 22. Juni 1983, Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 1984).
Das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) haben der dagegen gerichteten Klage stattgegeben (Urteile vom 13. Dezember 1984 und 28. Juni 1985). Nach Ansicht des LSG ist auch der Monat Juli 1982 eine Ausfallzeit. Zwar könne es zweifelhaft sein, ob § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG seinem Wortlaut nach erfüllt sei, da nach der am 18. Juni 1982 abgelegten Abschlußprüfung kein Unterricht mehr stattgefunden habe. Doch seien die Voraussetzungen nach den vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Grundsätzen erfüllt (Hinweis auf BSGE 24, 241, 242 = SozR Nr 16 zu § 1259 RVO). Daß zwischen Abschnitten eines einheitlichen Ausbildungsvorganges, der hier vorliege, Zeiten verblieben, sei ein häufiger und typischer Sachverhalt, vergleichbar dem Fall des Abschlusses der Schulausbildung und Aufnahme eines Hochschulstudiums. Auch handele es sich um eine nur kurze Pause und die Klägerin habe sich den vorgegebenen Ausbildungsabschnitten nicht entziehen können. Die Entscheidung des BSG in SozR 2200 § 1259 Nr 66 nötige zu keiner abweichenden Beurteilung. Dort sei allerdings ausgesprochen, BSGE 24 aaO treffe für eine Zeit zwischen einem als Ausfallzeit zu bewertenden Ausbildungsabschnitt und einer Ausbildungszeit mit Versicherungspflicht nicht zu. Indes habe das BSG keinen einheitlichen, notwendig zusammenhängenden Ausbildungsgang zu beurteilen gehabt.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG. Sei der Monat Juli 1982 - unbestritten - nicht mehr Teil der Fachschulausbildung, so stehe seine gleichwohl für rechtens gehaltene Vormerkung als unvermeidbare Übergangszeit im Widerspruch zu Gesetz und Rechtsprechung. Letztere bejahe eine Anerkennung als Ausfallzeit allein im Hinblick darauf, daß die Übergangszeit zwischen zwei anrechenbaren Ausfallzeiten liege.
Die Beklagte beantragt, die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet; diese ist nicht verpflichtet, den Monat Juli 1982 zusätzlich als Ausfallzeit vorzumerken. Der gegenteiligen Ansicht der Vorinstanzen vermag der Senat nicht zu folgen.
Ausfallzeiten nach § 36 Abs 1 AVG sind nur die Zeiten, in denen die in den Nrn 1 bis 6 des Gesetzes aufgeführten Tatbestände erfüllt sind; von ihnen kommt vorliegend allein die Nr 4 Buchst b in Betracht. Danach sind Ausfallzeiten Zeiten einer abgeschlossenen Fachschulausbildung bis zur Höchstdauer von vier Jahren. Innerhalb dieser zeitlichen Grenze liegt die von der Klägerin am 1. August 1980 begonnene und am 18. Juni 1982 mit der Prüfung abgeschlossene Fachschulausbildung. Daß sie eine Ausfallzeit iS des Gesetzes darstellt, ist zwischen den Beteiligten ebensowenig streitig wie der Umstand, daß das davorliegende Praktikum und das sich ab August 1982 anschließende Berufspraktikum nicht zur Fachschulausbildung zählen, auch wenn beide mit der Fachschulausbildung zu einer die Höchstdauer nicht überschreitenden Gesamtausbildung verbunden waren (s hierzu den erkennenden Senat in SozR 2200 § 1259 Nr 69 mit Hinweisen auf die st Rspr). Der Juli 1982 wird von § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG nicht unmittelbar erfaßt, denn das Merkmal der Ausbildung an einer Fachschule war während seines Verlaufes nicht (mehr) erfüllt. Seine Qualifizierung als Ausfallzeit könnte daher nur in entsprechender Anwendung oder Ergänzung des Gesetzes erfolgen.
Das BSG hat als "Ausfallzeit iS von § 36 Abs 1 Nr 4 AVG" vom Gesetzeswortlaut losgelöst auch die Zeit angesehen, die zwischen der Schulentlassung des Abiturienten und dem zum nächstmöglichen Termin aufgenommenen Hochschulstudium liegt, soweit die für Schule und Studium insgesamt mögliche Höchstdauer nicht schon ohne sie erreicht wurde (BSGE 24, 241 = SozR Nr 16 zu § 1259 RVO); für den Fall des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes zwischen Schulabschluß und Studiumsbeginn hat sie die Zeit zwischen Schulentlassung und Einberufung unter bestimmten weiteren Voraussetzungen in gleicher Weise gewertet, und ferner auch bei einer Unterbrechung der Schulausbildung durch Not- und Kriegsdienstverpflichtung die Zeit zwischen dem Wegfall der Zwangsunterbrechung und dem Wiederbeginn der Schulausbildung als Ausfallzeit anerkannt (SozR 2200 § 1259 Nrn 39 und 51).
Diesen von der Fallgestaltung her unterschiedlich gelagerten Sachen war gemeinsam, daß sie zwischen zwei anrechenbare Ausbildungsausfallzeiten eingelagerte Zeitabschnitte betrafen. Erst die gemeinsame Umschließung der Zwischenzeiten durch Ausfallzeiten iS des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG ließ es gerechtfertigt erscheinen, auch die unvermeidliche Zeit zwischen zwei Ausbildungen an dem beiderseits gleichen Rechtscharakter der vorangehenden sowie der nachfolgenden Zeit teilnehmen zu lassen. Nur unter dieser Voraussetzung konnten die anrechenbare Höchstdauer für die Schulausbildung von vier Jahren und die anrechenbare Höchstdauer für die Hochschulausbildung von fünf Jahren zusammengerechnet und für Schulausbildung, Zwischenzeit und Hochschulausbildung eine anrechenbare Gesamthöchstdauer von neun Jahren angenommen werden (so geschehen in BSGE 24, 241 ff). Demzufolge hat es der erkennende Senat in SozR 2200 § 1259 Nr 66 nicht für zulässig anzusehen vermocht, § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG auf Fälle zu erstrecken, in denen eine Zeit zwar von Ausbildungszeiten umschlossen wird, die vorherige und die nachfolgende Ausbildungszeit aber nicht gleichermaßen den Rechtscharakter von Ausfallzeiten haben. In der betreffenden Sache hatte es sich um einen derart gelagerten Fall gehandelt; dort war nur die vorhergehende Zeit als Fachschulausbildung eine Ausfallzeit, die folgende dagegen als Lehrzeit nicht. Die Zeit zwischen dem Ende der Fachschule und dem Beginn der - versicherungspflichtigen - Lehre konnte daher auch in erweiternder Auslegung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG nicht als Ausfallzeit in Betracht kommen.
Auch im vorliegenden Fall fehlt es an einer Möglichkeit dazu. Er ist zwar dadurch gekennzeichnet, daß die der Fachschulausbildung nachfolgende Ausbildung nicht als Lehre, sondern als Berufspraktikum durchgeführt wurde, das einen - für die staatliche Anerkennung unabdingbaren - Teil der Gesamtausbildung darstellte. Mag es sich darum, was das LSG besonders betont hat, um einen notwendig mit der übrigen Ausbildung zusammenhängenden Ausbildungsteil gehandelt haben, wohingegen die einer Fachschulausbildung nachfolgende Lehre im allgemeinen eine eigenständige Ausbildung sein wird, so ist gleichwohl die Konstellation den Sachverhalten der früheren Urteile des BSG (BSGE 24, 241; SozR 2200 § 1259 Nrn 39 und 51) nicht zureichend vergleichbar. Zwangloser ist vielmehr ein umgekehrter Vergleich. Denn das Berufspraktikum umfaßt einen Ausbildungsabschnitt, der, insbesondere wegen seiner Eigenschaft als Beitragszeit, als schon dem Arbeitsleben zugehörig zu betrachten ist. Damit steht es den Lehrzeiten, die seit 1949 versicherungspflichtig sind und darum als Ausfallzeiten seitdem nicht in Betracht kommen, zumindest in versicherungsrechtlicher Hinsicht sehr nahe. Rechnet das Berufspraktikum aber zum Arbeitsleben, dann vermag es im übrigen auch aus diesem Grunde mit der Fachschulausbildung keine derart eng aufeinanderbezogene Einheit zu bilden, wie sie vorauszusetzen ist, um eine unvermeidliche Zwischenzeit ausnahmsweise als Ausfallzeit qualifizieren zu können.
Der Erwägung des LSG, daß die Zwischenzeit § 36 Abs 4 AVG zufolge als Ausfallzeit nur einen Monat umfassen würde, also jedenfalls von daher eine iS der Rechtsprechung "kurze" Zeit darstellte, kommt hier keine wesentliche Bedeutung zu. Die Zwischenzeit muß - in tatsächlicher Hinsicht - nicht nur kurz sein, sondern überdies noch häufig und in typischer Weise auftreten (BSGE 24, 241, 242). Daß dies (auch) der Fall sei, hat das LSG zwar angenommen, jedoch keine Begründung gegeben. In Wahrheit muß ein ausbildungsfreier Zeitabschnitt zwischen Fachschule und Praktikum von etwa sechs Wochen nicht häufig vorkommen und typisch sein. Im Falle der Klägerin war er jedenfalls nicht vorgegeben. Wie das LSG festgestellt hat, sollte die Fachschulausbildung ursprünglich die Zeit bis zum 31. Juli 1982 umfassen, so daß ein nahtloser Übergang zum Praktikum hergestellt war. Aus welchen Erwägungen die Abschlußprüfung vorgezogen wurde, geht aus dem Sachverhalt nicht hervor. Daß hierfür schulorganisatorische Gründe maßgebend waren, die bei der betreffenden Berufsausbildung im allgemeinen typischerweise aufzutreten pflegen, ist nicht ersichtlich.
Hiernach ist die Klägerin nicht anders zu behandeln als die Versicherten, die nicht im unmittelbaren Anschluß an eine Ausbildungszeit, sondern erst nach einer Zwischenzeit Beitragszeiten erwerben; sie erhalten keine Ausfallzeiten, selbst wenn sie, was auch für die Klägerin zutrifft, an dem Beitragsausfall kein Verschulden tragen.
Die Bescheide der Beklagten stellen sich nach alledem als rechtmäßig dar. Das führte zur Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und zur Abweisung der Klage.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen