Entscheidungsstichwort (Thema)
Frühstückspause. Weg von der Teeküche zum Arbeitsplatz. Ausrutschen auf glattem Fußboden. Nahrungsaufnahme
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob ein Arbeitsunfall vorliegen kann, wenn eine Versicherte auf dem Rückweg von der betrieblichen Teeküche zu ihrem Arbeitsplatz während der Frühstückspause zu Fall kommt.
Orientierungssatz
Die Nahrungsaufnahme als solche gehört im allgemeinen zum unversicherten persönlichen Lebensbereich der Versicherten. Anders verhält sich dies bei solchen Tätigkeiten, welche der Nahrungsaufnahme vorangehen oder ihr nachfolgen. Wirken dabei betriebsbedingte Umstände wesentlich mit, kann der erforderliche Sachzusammenhang gegeben sein (vgl BSG 23.6.1982 9b/8 RU 18/81 = USK 82217).
Normenkette
RVO § 548 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beklagte wendet sich mit der vom Landessozialgericht (LSG) zugelassenen Revision gegen ihre Verurteilung zur Entschädigung der Klägerin wegen der Folgen ihres Unfalles am 15. Oktober 1982 (Sozialgericht -SG Speyer, Urteil vom 10. Oktober 1984; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. April 1986). Sie meint weiterhin, die Klägerin habe keinen Arbeitsunfall erlitten.
Die Klägerin ist mit zwei anderen Versicherten in der Bücherei eines großen Unternehmens angestellt. Auf entsprechende Anordnung wird der Kaffee für die Frühstückspause im Wechsel von jeweils einer Angestellten für alle drei in der betriebseigenen Teeküche bereitet und dann gereicht. Wer an der Reihe ist, hat auch für den Abtrag des Geschirrs und das Spülen zu sorgen. Am Unfalltag hatte die Klägerin allein von dem Kaffee getrunken und restlichen Kaffee sowie Geschirr zurückgebracht und gespült. Beim Austritt auf dem Flur machte sie einen Ausweichschritt, um nicht mit einer anderen Person zusammenzustoßen. Dabei stürzte sie zu Boden und zog sich Verletzungen zu, die ihre Erwerbsfähigkeit noch um ein Fünftel mindern.
Durch ihren Bescheid vom 14. Januar 1983 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen an die Klägerin ab, weil sie keinen Arbeitsunfall erlitten habe. Das Kaffeekochen und Spülen für sich allein habe mit ihrer Betriebstätigkeit nicht in Zusammenhang gestanden.
In dem Urteil des SG heißt es dagegen ua, die Klägerin habe jedenfalls deswegen einen Arbeitsunfall erlitten, weil der Sturz durch eine objektiv gefährliche Betriebseinrichtung, nämlich den sehr glatten frisch gebohnerten Fußboden, wesentlich mitverursacht worden sei. Auch das LSG teilt diese Auffassung. Das Kaffeetrinken und die mit der Zubereitung zusammenhängenden Verrichtungen seien am Unfalltage eine private Angelegenheit der Klägerin gewesen. Dennoch habe der Unternehmer die (Neben-)Verpflichtung gehabt, erkennbare und vermeidbare Gefahren auf den zugehörigen Wegen auszuschalten. Der Fußboden sei "sehr glatt gebohnert" (S 7) gewesen. Die Bodenglätte sei für den Sturz wesentlich mitursächlich geworden. Es habe sich dabei um eine Betriebsgefahr gehandelt, obwohl auch andernorts die Fußböden häufig glatt gebohnert würden.
Auch die Revision nimmt an, die Klägerin sei auf dem "eigenwirtschaftlich veranlaßten Weg" zur Nahrungsaufnahme nicht versichert gewesen. Bei dem gebohnerten Fußboden habe es sich nicht um eine spezifische betriebliche Gefahr gehandelt, zumal da moderne Pflegemittel den Boden zwar spiegeln ließen, jedoch nicht glatt seien. Letzteres habe das LSG festzustellen unterlassen. Im übrigen seien zuvor keine entsprechenden Unfälle im Unternehmen vorgekommen. Es habe sich bei dem Sturz der Klägerin um ein alltägliches Ereignis gehandelt.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. April 1986 sowie das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 10. Oktober 1984 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Kaffeebereiten wegen der dabei zu beachtenden betrieblichen Regelung nicht für eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit der Angestellten. Jedenfalls aber führe die nachgewiesene Glätte des Fußbodens im Bürogebäude zur Bejahung von Versicherungsschutz, weil darin eine besondere Gefahr zu sehen sei. Diese habe den Sturz wesentlich mitverursacht.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der erkennende Senat ist mit dem SG und LSG der Überzeugung, daß die Klägerin am 15. Oktober 1982 einen Arbeitsunfall erlitt.
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO ist ein Arbeitsunfall ua gegeben, wenn eine Versicherte bei Tätigkeiten, welche mit ihrem Arbeitsverhältnis zusammenhängen, verunglückt. Das Gesetz verlangt einen inneren Zusammenhang zwischen der Betriebstätigkeit und der zum Unfall führenden Handlung. Dieser Zusammenhang ist gegeben, wenn die Handlung der versicherten Tätigkeit dient. Das ist der Fall, wenn das unfallbringende Verhalten der Sache nach mit der versicherten Tätigkeit verknüpft ist (BSGE 58, 76, 77). Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls aus den schon von SG und LSG dargelegten Gründen gegeben.
Zunächst steht außer Frage, daß die Nahrungsaufnahme für sich genommen nicht "im engen sachlichen Zusammenhang mit den Unternehmenszwecken" (BSG SozR 2200 § 548 Nr 17) stand. Anders als etwa beim Abschmecken durch einen Küchenbediensteten, wenn also "außergewöhnliche Begleitumstände" (BSG, Breithaupt 1969, 755, 756) vorliegen, gehört die Nahrungsaufnahme als solche im allgemeinen zum unversicherten persönlichen Lebensbereich der Versicherten. Anders verhält sich dies bei solchen Tätigkeiten, welche der Nahrungsaufnahme vorangehen oder ihr nachfolgen. Wirken dabei betriebsbedingte Umstände wesentlich mit, kann der erforderliche Sachzusammenhang gegeben sein (s ua BSGE 50, 100 = Weg zur Nahrungsaufnahme während einer Dienstreise; BSG SozR Nr 41 zu § 542 aF RVO - Trinken zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit; hierzu ferner BSG USK 7462 - Weg zur Nahrungsaufnahme und besondere Betriebsgefahr; hierzu ferner BSG USK 82 217; LSG NRW VersR 1981, 832 und Bayer. LSG Breithaupt 1981, 124; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, § 481 d ff mit umfangreichen Nachweisen; Wulfhorst, VSSR 11, 233, 247 f; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 548, Anm 47; Gitter in Sozialgesetzbuch - Sozialversicherung - Gesamtkommentar, § 548 S 28/10; Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 4. Aufl, § 548 S B 095; Böhme ZfS 1974, 301; Benz BG 1981, 154, 156). Der erkennende Senat hat zu dieser Fragestellung zuletzt entschieden, daß ein Lkw-Fahrer bei der Essenszubereitung auf einem Autobahnrastplatz versichert sein kann (Urteil vom 29. Oktober 1986 - 2 RU 7/86 -, zur Veröffentlichung bestimmt).
Der Senat läßt hier offen, ob ein vom Unternehmen vorgezeichneter feststehender Weg zur betrieblichen Teeküche stets als ein Umstand anzusehen ist, welcher den inneren Zusammenhang zwischen der Betriebstätigkeit und dem Gang dorthin entstehen läßt. Hierfür sprechen jedenfalls auch deshalb unfallrechtliche Gesichtspunkte, weil während Betriebspausen, jedenfalls soweit sie zur Nahrungsaufnahme vorgesehen sind, der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung bestehen bleibt (Brackmann, aaO S 481 b mit umfangreichen Nachweisen; Benz, BG 1981, 154 ff). Im hier zu entscheidenden Fall waren, wie das LSG ausdrücklich festgestellt hat, jedenfalls Umstände vorhanden, welche den Schutz in der gesetzlichen Unfallversicherung haben entstehen lassen.
Anders als die Revision annimmt, hat das LSG klar und eindeutig festgestellt, daß der Weg vom Arbeitsplatz der Klägerin zur Teeküche "sehr glatt" gebohnert war. Es hat das Ausgleiten der Klägerin bei "einem schnellen Schritt zur Seite" als "typisch für einen glatten Boden" angesehen (S 7). Soweit die Revision demgegenüber davon ausgeht, dies könne sich angesichts neuzeitlicher Pflegemittel nicht so verhalten haben, erhebt sie ihre Vorstellung zur Realität, ohne die vom LSG - und übrigens auch vom Unternehmen und vom SG - erkundeten Tatsachen zu beachten oder die Tatsachenfeststellungen des LSG mit begründeten Verfahrensrügen anzugreifen.
Infolge der festgestellten Beschaffenheit des Fußbodens und des betriebsbedingten unerwarteten Zusammentreffens mit einem anderen Versicherten sowie der dabei gegebenen Notwendigkeit, einen schnellen Schritt zur Seite zu machen, erhielt der Weg der Klägerin von der Teeküche zu ihrem Arbeitsplatz eine betriebliche Ausprägung besonderer Art, durch welche es zum Sturz kam. Ob sie einen ähnlichen Unfall auch andernorts hätte erleiden können, ist rechtsunerheblich. Liegt nämlich der erforderliche Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit vor, kann der Versicherungsschutz nicht verneint werden, weil er unter anderen Umständen ggfs nicht vorgelegen haben würde.
Die Revision konnte keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen