Leitsatz (amtlich)

1. Zur Frage der Anrechnung eines neu erworbenen Versorgungs- Unterhalts- oder Rentenanspruchs beim Zusammentreffen mehrerer wiederaufgelebter Hinterbliebenenrenten.

2. Der Ausgleich zwischen den beteiligten Versicherungsträgern richtet sich nach dem Größenverhältnis, in dem die wiederaufgelebten Rentenansprüche vor der Anrechnung zueinander gestanden haben. Dies gilt auch dann, wenn Schuldner des neuen Anspruchs und der einen wiederaufgelebten Rente ein und derselbe Versicherungsträger (hier der Träger der Rentenversicherung) ist (Weiterführung von BSG 1975-06-25 4 RJ 31/74 = SozR 2200 § 1291 Nr 5).

 

Normenkette

RVO § 615 Abs. 2 Fassung: 1972-10-16, § 1278 Fassung: 1972-10-16, § 1279 Fassung: 1963-04-30, § 1291 Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; BGB § 428 Fassung: 1896-08-18, § 430 Fassung: 1896-08-18

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. März 1974 wird aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 23. Februar 1970 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die klagende Berufsgenossenschaft begehrt von der beklagten Landesversicherungsanstalt die Erstattung eines Betrages in Höhe von 1.497,93 DM als Ausgleich dafür, daß sie durch die Gewährung einer Hinterbliebenenrente die Beklagte von Rentenleistungen freigestellt habe. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 23. Februar 1970), das Landessozialgericht (LSG) dagegen das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 20. März 1974).

Der Entscheidung des LSG liegen die folgenden Feststellungen zugrunde: Sowohl die Beklagte als auch die Klägerin gewährten der Witwe F. nach dem Tode ihres dritten Ehemannes G. eine Witwenrente. Nach der Verehelichung mit K. fielen beide Renten weg; nach dessen Tod bewilligte die Beklagte eine Witwenrente in Höhe von monatlich 199,90 DM. Die gemäß § 1291 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) wiederaufgelebte Witwenrente aus der Versicherung des G. stellte sie auf monatlich 78,90 DM fest. Auf diese Rente rechnete sie die Witwenrente nach K. an, so daß sie diese in Höhe von 121,- DM, jene in Höhe von 78,90 DM zur Auszahlung brachte. Die Klägerin stellte die gemäß § 615 Abs. 2 RVO wiederaufgelebte Unfallwitwenrente aus der Versicherung des G. auf monatlich 286,80 DM fest. Auf diese Rente brachte sie den von der Beklagten aus der Versicherung des K. noch nicht zur Anrechnung verbrauchten Rententeil in Höhe von 121,- DM zur Anrechnung. Sie gewährte der Versicherten deshalb eine Unfallwitwenrente aus der Versicherung des G. in Höhe von 165,80 DM. Nach Auffassung des LSG steht der Klägerin der geltend gemachte Ausgleichsanspruch nicht zu. Eine gesetzliche Regelung, aus der sich ergebe, wie im Falle konkurrierender Anrechnungsmöglichkeiten unter verschiedenen Versicherungsträgern in deren Verhältnis zueinander ein Ausgleich vorzunehmen sei, bestehe nicht. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) im Anschluß an eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) für einen solchen Fall die Vorschriften der §§ 428, 430 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) über die Gesamtgläubigerschaft herangezogen (BSG 24, 293). Diese Rechtsprechung, nach der sich ein Ausgleich unter den beteiligten anrechnungsberechtigten Versicherungsträgern nach dem Verhältnis der wiederaufgelebten Leistungen zueinander anbiete, könne uneingeschränkt jedoch nur dann Gültigkeit haben, wenn die Rentenleistungen nach dem zweiten Ehemann von einem nicht anrechnungsberechtigten Versicherungsträger zu erbringen seien. Müsse ein Versicherungsträger, der eine wiederaufgelebte Leistung zu gewähren habe, zusätzlich eine Leistung nach dem zweiten Ehemann erbringen, so sei er hinsichtlich dieser Leistung vorrangig anrechnungsberechtigt.

Das LSG hat die Revision zugelassen, die Klägerin das Rechtsmittel eingelegt. Sie rügt eine Verletzung der §§ 1291, 615 RVO. Zur Begründung beruft sie sich auf die Rechtsprechung des BSG. Hiernach habe ein Ausgleich stattzufinden, er richte sich nach dem Verhältnis, in dem die wiederaufgelebten Renten zueinander gestanden hätten (hier 78,90 zu 286,80). Der Beklagten stehe demgemäß ein Anteil nur von 21,6%, der Klägerin ein solcher von 78,4% der Witwenrente aus der Versicherung des K. (199,90 DM monatlich) zu. Daraus ergebe sich der - bei dieser Berechnung unstreitige - Ausgleichsanspruch in Höhe von 1.497,93 DM.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil.

Die Revision ist begründet. Die Klägerin kann von der Beklagten einen Ausgleich in Höhe des von ihr geltend gemachten Betrages verlangen. Die Leistungsverpflichtung der Beklagten ergibt sich aus der analogen Anwendung der §§ 428, 430 BGB i. V. m. §§ 615 Abs. 2, 1291 Abs. 2 RVO. Dem LSG ist darin zuzustimmen, daß eine ausdrückliche gesetzliche Regelung darüber, wie in Fällen der vorliegenden Art zu verfahren ist, fehlt. In § 1291 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz RVO ist ebenso wie in § 615 Abs. 2 Satz 2 RVO lediglich bestimmt, daß dann, wenn ein früherer Witwer oder eine frühere Witwe aus einer zweiten Ehe aufgrund deren Auflösung einen neuen Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenanspruch erworben hat, dieser Anspruch auf wiederaufgelebte Witwen-, Witwer- oder Geschiedenenwitwenrenten anzurechnen ist. Diese Regelungen geben unmittelbar nur Aufschluß über das Verhältnis anrechnungsberechtigter Versicherungsträger zu mehrfach anspruchsberechtigten Hinterbliebenen. Es soll sichergestellt werden, daß wiederauflebende Ansprüche aus der früheren Ehe nur zu gewähren sind, wenn und soweit sie neu erworbene Ansprüche aus der zweiten Ehe übersteigen. Die Frage, wie das sog. Innenverhältnis verschiedener anrechnungsberechtigter Versicherungsträger zueinander, insbesondere in bezug auf einen möglichen Ausgleich von Anrechnungsvorteilen zu beurteilen ist, hat im Gesetz keine ausdrückliche Regelung erfahren. Mit dieser Problematik hat sich der erkennende Senat in einem Urteil vom 25. Juni 1975 (Az.: 4 RJ 31/74 = SozR 2200 Nr. 5 zu § 1291) auseinandergesetzt. Im Anschluß an die Entscheidung des BSG vom 23. März 1966 (BSG 24, 293) hat der Senat unter Fortführung der dort entwickelten Grundsätze für das Innenverhältnis verschiedener anrechnungsberechtigter Versicherungsträger die Vorschriften der Gesamtgläubigerschaft (§§ 428, 430 BGB) entsprechend herangezogen. § 430 BGB regelt, daß die Gesamtgläubiger im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen berechtigt sind, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Einen Ausgleich zu gleichen Teilen, wie ihn diese Vorschrift vorsieht, hat der Senat allerdings aus der Erwägung heraus, daß damit eine unvertretbare Ungleichbehandlung der anrechnungsberechtigten Versicherungsträger verbunden wäre, abgelehnt. In Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH (vgl. BGHZ 28, 68) hat der Senat vielmehr als Maßstab für die Ausgleichung von Anrechnungsvorteilen das Größenverhältnis gewählt, in dem die wiederaufgelebten Rentenansprüche vor der Anrechnung zueinander gestanden haben.

Das LSG hält einen solchen Ausgleich nur dann für sachangemessen, wenn der neu erworbene Anspruch, der auf die wiederaufgelebten Ansprüche anzurechnen ist, von einem bisher der Hinterbliebenen gegenüber nicht leistungspflichtigen Leistungsträger zu erbringen ist (ebenso Scherer, Der Ausgleichsanspruch zwischen Leistungsträgern wiederaufgelebter Witwenrenten aus der Anrechnung neu erworbener Unterhalts- und Versorgungsansprüche, SGb 1969, 43 ff). Diese Differenzierung ist nicht gerechtfertigt. Ziel des Ausgleichs von Anrechnungsvorteilen ist es, die wiederaufgelebten Leistungsansprüche in ihrem Umfang durch Anrechnungen so zu reduzieren, daß keiner der beteiligten Versicherungsträger gegenüber einem anderen bevorzugt wird.

Hat ein Leistungsträger sowohl einen wiederaufgelebten als auch einen aus einer neuen Ehe erworbenen Renten-, Pensions- oder Versorgungsanspruch zu erfüllen, so handelt es sich dabei um zwei, in ihrem Entstehungstatbestand voneinander unabhängige Leistungen. In einem solchen Fall einer mehrfachen Leistungsverpflichtung wäre eine bevorzugte Anrechnungsbefugnis des Leistungspflichtigen gegenüber demjenigen, der nur eine Leistung zu erbringen hat, nur dann sachangemessen, wenn sich nachweisen ließe, daß gerade der Tatbestand einer mehrfachen Leistungsverpflichtung zu einer bevorzugten Ausgleichung von Anrechnungsvorteilen führen soll. Ein solcher Rechtsgedanke läßt sich jedoch dem Gesetz nicht entnehmen. Aus der Regelung des § 1291 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz RVO ergibt sich - ebenso wie aus derjenigen des § 615 Abs. 2 RVO - nur, daß der wiederaufgelebte Anspruch gegenüber dem aus zweiter Ehe neu erworbenen Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenanspruchs subsidiär ist. Wiederauflebende Ansprüche sollen eine nach Auflösung der zweiten Ehe möglicherweise entstandene Versorgungslücke schließen. Die Witwe soll nach Auflösung der zweiten Ehe finanziell nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt sein, als vor ihrer Wiederverheiratung. Die Subsidiarität von wiederauflebenden gegenüber neu erworbenen Ansprüchen gibt aber keinen Hinweis darauf, daß mit ihr auch ein bestimmter Versicherungsträger von seiner Leistungspflicht entlastet werden soll. Ein Entlastungseffekt tritt freilich dann ein, wenn nur ein Versicherungsträger sowohl wiederauflebende als auch neu erworbene Ansprüche zu erbringen hat. In diesem Fall kann - worauf das LSG mit Recht hingewiesen hat - der Gesamtbetrag der Leistungen nach erfolgter Anrechnung nicht höher sein als der Betrag der höchsten Einzelleistung. Wenn das LSG allerdings meint, dieses Zahlenverhältnis von Gesamtleistung zu Einzelleistungen dürfe auch dann nicht zu Ungunsten des mehrfach leistungspflichtigen Versicherungsträgers verändert werden, wenn noch ein weiterer Leistungsträger wiederaufgelebte Ansprüche zu erfüllen habe, so kann dem nicht zugestimmt werden. Bei dieser Auffassung wird nicht berücksichtigt, daß die Anrechnungsvorschriften nur gegenüber der Hinterbliebenen zu einer Begrenzung der Leistungspflicht führen sollen. Unter Berücksichtigung dieses Normzwecks ist es durchaus sachgemäß, daß die Träger wiederaufgelebter Leistungen auch in Fällen der vorliegenden Art die Anrechnungsvorteile nach dem Verhältnis aufteilen, in dem die wiederaufgelebten Ansprüche vor der Anrechnung zueinander gestanden haben. Nur diejenigen Leistungspflichten, die zu diesem Zeitpunkt bestanden haben, können also Maßstab für die Verteilung von Anrechnungsvorteilen sein. Daß bei dieser Sachverhaltsgestaltung und Berechnungsweise derjenige Versicherungsträger, der sowohl einen wiederaufgelebten als auch einen neu erworbenen Anspruch zu erfüllen hat, als Gesamtbetrag möglicherweise mehr leisten muß, als die höchste der von ihm zu erbringenden Einzelleistungen betragen würde, ergibt sich daraus, daß er sich die Anrechnungsvorteile mit einem anderen - ebenfalls anrechnungsberechtigten - Leistungsträger zu teilen hat.

Schließlich vermag auch die Ansicht des LSG nicht zu überzeugen, die Vorschriften über die Gesamtgläubigerschaft fänden im vorliegenden Fall deshalb keine Anwendung, weil die aus der Rentenversicherung des G. zu zahlende Hinterbliebenenrente gegenüber der Hinterbliebenenrente aus der Unfallversicherung nach § 1279 RVO subsidiär gewesen sei. Auch mit dieser Problematik hat sich der erkennende Senat in der bereits zitierten Entscheidung auseinandergesetzt. Er hat eine entsprechende Anwendung der §§ 1278, 1279 RVO abgelehnt. An dieser Auffassung hält er auch weiterhin fest.

Hiernach hat das SG zu Recht die Beklagte zur Ausgleichszahlung verurteilt. Das angefochtene Urteil muß daher aufgehoben, die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647469

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