Leitsatz (amtlich)
1. Der Begriff der Hochschulausbildung in AVG § 36 Abs 1 Nr 4 ist gleichbedeutend mit dem des Hochschulstudiums. Eine Assistententätigkeit an der Hochschule nach dem Studium ist keine Hochschulausbildung.
2. Das Hochschulstudium kann sowohl durch eine bestandene Prüfung (Hochschul- oder Staatsprüfung) als auch durch eine Promotion abgeschlossen werden. Die Erreichung des ersten möglichen Abschlusses ist der Endzeitpunkt der anrechnungsfähigen Ausfallzeit und zugleich der Beginn der Zweijahresfrist für die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit.
Normenkette
AVG § 36 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1259 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revisionen der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Juli 1960 werden zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Hinterbliebenenrenten, die die Beklagte den Klägern gewährt. Der Streit betrifft die bis 1957 anzurechnende Ausfallzeit und geht im wesentlichen darum, wann die Hochschulausbildung des 1958 verstorbenen Versicherten abgeschlossen war und ob er innerhalb von zwei Jahren im Anschluß daran eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hat (§ 36 Abs. 1 Nr. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -).
Die Kläger wollen statt der nach Art. 2 § 14 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) zugebilligten Pauschale von 17 Monaten die längere Schul- und Hochschulausbildung des Versicherten bis zur Dauer von 106 Monaten als nachgewiesene Ausfallzeit angerechnet haben. Die Beklagte hat dies abgelehnt, weil sie die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG nicht für erfüllt hält. Das Landessozialgericht (LSG) hat das der Klage stattgebende Urteil des Sozialgerichts (SG) aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen.
Nach den Feststellungen des LSG studierte der Versicherte nach der im März 1924 bestandenen Reifeprüfung an der Technischen Hochschule in D. Chemie und erlangte dort nach der Ablegung der Diplom-Hauptprüfung am 19. April 1929 den Grad eines Diplom-Ingenieurs. Vom 1. Februar 1929 bis 31. Januar 1935 war er am Festigkeitslaboratorium und Materialprüfungsamt der Hochschule entgeltlich als Assistent tätig und promovierte am 2. Juni 1931 zum Dr.-Ing. Vom Februar 1935 an war er pflichtversichert. Durch seine Beiträge wird die "Halbdeckung" des § 36 Abs. 3 AVG erreicht.
Das LSG billigte im angenommenen Widerspruch zu BSG 11, 274 den Klägern zu, daß der nach Art. 2 § 14 AnVNG mögliche Nachweis der längeren Ausfallzeit nicht wie die Pauschale ihre Begrenzung durch die - hier geringen - Zeitlücken zwischen dem ersten und letzten Versicherungsbeitrag finde (Art. 2 § 14 Satz 2 AnVNG); gleichwohl könne eine die Pauschale übersteigende Ausfallzeit nicht angerechnet werden, weil der Versicherte nicht innerhalb von zwei Jahren nach dem Abschluß der Hochschulausbildung eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen habe (die Hinausschiebung der Frist durch eine Ersatzzeit kommt nicht in Betracht). Die Hochschulausbildung sei, wenn nicht schon mit dem Diplom-Examen, so doch spätestens mit der Promotion abgeschlossen gewesen; die folgenden - auf das Berufsziel einer leitenden Stellung in einem Großbetrieb ausgerichteten - Assistentenjahre könnten zwar als weitere wissenschaftliche Ausbildung (in der Festigkeitstechnik), aber nicht mehr als Hochschulausbildung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG gelten. In den sonach spätestens am 2. Juni 1931 beginnenden Zweijahreszeitraum falle keine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Der Ansicht der Kläger, die versicherungsfreie Assistentenzeit stelle nach Ablauf von vier Jahren, somit vom 1. Februar 1933 an, im Hinblick auf den Erlaß des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 28. Februar 1936 (EuM 39 S. 374) sowie auf Grund der Vorschriften in Art. 6 § 18 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) und § 16 des Fremdrentengesetzes (FRG) eine versicherungspflichtige Beschäftigung dar, könne nicht zugestimmt werden. Der genannte Erlaß folgere zwar die Versicherungsfreiheit der Assistenten nach Ablauf von vier Jahren nicht mehr aus § 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG aF, sondern aus § 11 Abs. 1 AVG aF und nehme daher eine Nachversicherungspflicht für die vier Jahre übersteigende Assistentenzeit an, wenn der Assistent - wie hier der Versicherte - ohne Versorgung ausscheide (§ 18 AVG aF). Der Erlaß wirke jedoch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1936 nicht zurück und habe auch für das Gebiet des ehemaligen Freistaates Danzig nicht gegolten. Im übrigen habe eine Nachversicherung nicht stattgefunden, so daß dahingestellt bleiben könne, ob eine ursprünglich versicherungsfreie, später aber nachversicherte Beschäftigung mit gleicher zeitlicher Wirkung einer von Anfang an versicherungspflichtigen Beschäftigung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG gleichstehe; denn keinesfalls gelte dies bei einer unterbliebenen Nachversicherung. Der eine Nachversicherung fingierende Art. 6 § 18 FANG beziehe sich nach seinem Abs. 1 nur auf Personen, die aus dem deutschen öffentlichen Dienst ausgeschieden sind, und sei daher - abgesehen davon, daß die nach Abs. 7 zuständige Dienstbehörde die hierfür erforderlichen Feststellungen zu treffen hätte - auf den 1935 aus dem Dienst der Freien Stadt D. ausgeschiedenen Versicherten nicht anwendbar. Ebensowenig gehöre dieser zu den Vertriebenen und den in § 1 c FRG genannten Personen, für die allein § 16 FRG gelte (Urteil vom 19. Juli 1960).
Mit der Revision beantragten die Kläger (sinngemäß),
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Sie halten § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG sowie Art. 6 § 18 FANG für verletzt und machen geltend, daß der Erlaß von 1936 nur eine - auch in D. - zuvor schon geübte Handhabung sanktionierte. Zur Feststellung, ob der Versicherte im deutschen öffentlichen Dienst gestanden habe (Art. 6 § 18 Abs. 1 FANG), sei nicht das LSG, sondern nur der Regierungspräsident von Nordwürttemberg zuständig gewesen.
Die Beklagte beantragte,
die Revisionen der Kläger zurückzuweisen.
Die Beteiligten erklärten sich damit einverstanden, daß ohne mündliche Verhandlung entschieden wird.
Die Revisionen der Kläger sind zulässig, aber unbegründet.
Zu Recht hat das LSG das Begehren der Kläger nicht an Art. 2 § 14 Satz 2 AnVNG scheitern lassen. Die dort vorgesehene Kürzung auf die Lücken zwischen dem ersten und letzten Beitrag (vor 1957) betrifft nur die nach Satz 1 ermittelte Pauschale, nicht auch die im Einzelfall nachgewiesene höhere Ausfallzeit. Die gegenteilige Ansicht in BSG 11, 274 vertritt der Senat seit längerem nicht mehr.
Auch sonst ist dem angefochtenen Urteil im Ergebnis zu folgen. Die Zeit der Schul- und Hochschulausbildung des Versicherten ist keine Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG. Auf Grund des vom LSG (insoweit) bindend festgestellten Sachverhalts ist die Hochschulausbildung schon mit der Diplomhauptprüfung abgeschlossen worden. Die von den Klägern erstrebte Anrechnung wäre daher nur möglich, wenn der Versicherte innerhalb von zwei Jahren danach eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen hätte. Das hat er nicht getan.
Der Begriff der Hochschulausbildung in § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG ist gleichbedeutend mit dem des Hochschulstudiums in § 4 Abs. 1 Nr. 4 AVG. Auf den sachlichen Zusammenhang beider Vorschriften hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 19. Juli 1963 - 1 RA 282/61 - hingewiesen. Nur das Studium ist die für die Hochschule typische Ausbildung. Demgemäß stehen sich Studium und Hochschulausbildung im allgemeinen Sprachgebrauch gleich. Andere Ausbildungen sind nicht in derselben Weise an die Hochschule gebunden. Sie sind darum selbst dann keine Hochschulausbildung, wenn sie im Einzelfalle an einer Hochschule stattfinden. Das gilt auch für die nach dem Studium an einer Hochschule verbrachte Assistentenzeit, die der wissenschaftlichen Fortbildung dient. Der Sprachgebrauch versteht sie nicht mehr als Hochschulausbildung. Auch der Gesetzgeber tut das nicht. Er wertet eine heutige Assistententätigkeit als versicherungspflichtige Beschäftigung (Versicherungszeit) und rechnet die Hochschulausbildung nur bis zur Höchstdauer von fünf Jahren an. Diese Zeitspanne entspricht bei verallgemeinernden Betrachtungsweise der regelmäßigen Dauer des Studiums. Das LSG hat daher zu Recht nur das Studium des Versicherten als Hochschulausbildung angesehen.
Wenn § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG von der Hochschulausbildung verlangt, daß sie "abgeschlossen" ist, so ist das qualitativ und nicht zeitlich (im Sinne von beendet) zu verstehen. Die Ausbildung soll von Erfolg gewesen sein. Über den Erfolg des Studiums entscheiden in der Regel die anschließenden Prüfungen (Hochschul- und Staatsprüfungen); aber auch die in allen Studienfächern mögliche Promotion kann den Erfolg des Studiums bekunden (vgl. den Erlaß des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, BABl 1959 S. 364).
Das Studium kann daher sowohl durch eine bestandene Prüfung als auch durch die Promotion "abgeschlossen" werden. Jeder dieser Abschlüsse beweist indessen schon den Erfolg des Studiums und macht es - unter den weiteren Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG - als Ausfallzeit anrechnungsfähig. Eine abgeschlossene Hochschulausbildung liegt darum schon vor, wenn einer der möglichen Abschlüsse erreicht ist, weil dieser dem Gesetzgeber für die Anrechnungsfähigkeit der Hochschulausbildung als Ausfallzeit genügt. Die Erreichung des ersten möglichen Abschlusses bedeutet daher den Endpunkt der anrechnungsfähigen Ausfallzeit, wie auch infolge der Verknüpfung beider Zeitpunkte den Beginn der Zweijahresfrist für die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit.
Das Studium des Versicherten ist hiernach am 19. April 1929 durch die Diplomhauptprüfung abgeschlossen worden, die im Fach der Chemie den ordnungsgemäßen Abschluß des Studiums bildet (BSG 18, 136, 139). In die sonach im April 1931 endende Zweijahresfrist fällt keine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit des Versicherten. Da die Frist schon vor dem Ablauf einer vierjährigen Assistentenzeit (Februar 1933) beendet war, wird insbesondere das Vorbringen der Kläger über die Nachversicherungspflicht der vier Jahre übersteigenden Assistentenzeit gegenstandslos. Eine Nachversicherung für den hier maßgebenden Zweijahreszeitraum kann auch nicht auf Grund des Art. 6 § 18 FANG als durchgeführt gelten, weil der Versicherte - selbst wenn er im Jahre 1935 aus dem "deutschen öffentlichen Dienst" ausgeschieden wäre, was offenbleiben kann - in der Zeit bis April 1931 nur oder doch auch auf Grund des § 12 Abs. 4 AVG aF versicherungsfrei war und die nach dieser Vorschrift versicherungsfreien Personen keiner Nachversicherungspflicht unterlagen. Daß § 16 FRG keine Anwendung findet, hat das LSG zutreffend dargelegt und wird auch von der Revision nicht beanstandet.
Die Revisionen der Kläger sind daher zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 2379890 |
BSGE, 35 |
NJW 1963, 2390 |