Entscheidungsstichwort (Thema)
Verneinung des Rechtswegs
Leitsatz (amtlich)
Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist jedenfalls dann nicht durch VwGO § 40 Abs 2 S 1 ausgeschlossen, wenn ein Ersatzkassenversicherter allein einen Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung der Treue- und Sorgfaltspflicht aus dem Versicherungsverhältnis gegen die Ersatzkasse geltend macht (Ergänzung zu BSG 1967-02-28 3 RK 15/67 = BSGE 26, 129-135).
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein wesentlicher Mangel des Verfahrens liegt auch dann vor, wenn der Rechtsweg zu dem angegangenen Gericht zu Unrecht verneint und deshalb die Klage als unzulässig abgewiesen worden ist.
2. Wird nur ein Schadensersatzanspruch aus dem Versicherungsverhältnis, nicht aber auch zugleich ein Anspruch aus Amtspflichtverletzung geltend gemacht, so handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit iS des SGG § 51.
Normenkette
SGG § 51 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; VwGO § 40 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1960-01-21; SGG § 162 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 1969 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Klägerin war seit April 1958 bei der beklagten Ersatzkasse freiwillig versichert, desgleichen ihr Ehemann. Nach der Geburt eines Kindes ließ er am 21. Juli 1962 seine Versicherung in eine solche mit Familienhilfe umwandeln. Im Januar 1967 beantragte er die Rückzahlung der für die Klägerin weitergezahlten Beiträge, da er diese mit Rücksicht auf die mögliche Mitversicherung nicht hätte aufzuwenden brauchen. Die Beklagte erkannte das Erlöschen der Mitgliedschaft zum 31. Januar 1967 an, lehnte aber den Antrag auf Rückzahlung der Beiträge ab.
Das Sozialgericht hat die Klage auf Erstattung der Beiträge abgewiesen, weil die Klägerin ihre Versicherung erst zum 31. Januar 1967 gekündigt habe und weil keine Pflicht der Beklagten bestanden habe, auf die Möglichkeit eines Austritts hinzuweisen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Da sie Mitglied bis zum 31. Januar 1967 gewesen sei, sei sie auch verpflichtet gewesen, die Beiträge bis zu diesem Zeitpunkt zu zahlen. Für den von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruch sei der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht gegeben. Vielmehr hätten nach § 40 Abs. 2 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) über Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten die ordentlichen Gerichte zu entscheiden. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen. Die Klägerin hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie rügt Verletzung des § 51 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG): Das LSG habe zu Unrecht die Zuständigkeit der Sozialgerichte für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch verneint. Bei diesem Schadensersatzanspruch handele es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne des § 51 SGG. § 40 Abs. 2 VwGO sei im Rahmen des § 51 SGG nicht anwendbar, weil das SGG eine abschließende Sonderregelung für die Zuständigkeit der Sozialgerichte enthalte. Auf keinen Fall sei § 40 VwGO einschlägig; denn der geltend gemachte Anspruch falle nicht unter den Begriff Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten; hierunter seien im wesentlichen nur Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung oder dergleichen gemeint, ein solcher Amtshaftungsanspruch werde aber nicht geltend gemacht.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 26. Februar 1969 aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
sie als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Da das LSG die Revision nicht zugelassen hat ist sie nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG gerügt wird und auch vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG und BSG 1, 150). Diese Voraussetzung ist erfüllt.
Es liegt ein wesentlicher Mangel des Verfahrens vor, wenn ein Gericht zu Unrecht die Klage als unzulässig abweist, obwohl es sachlich hätte entscheiden müssen (BSG 4, 200, 201; 7, 112, 113; 15, 52; SozR SGG § 55 Nr. 23, RGZ 145, 45; BGH in Lindenmeyer-Möhring, § 551 der Zivilprozeßordnung, Nr. 4). Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsweg zu dem angegangenen Gericht zu Unrecht verneint und deshalb die Klage als unzulässig abgewiesen worden ist. Das ist im vorliegenden Fall geschehen. Denn der Rechtsweg zu den Sozialgerichten für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch ist nach § 51 SGG gegeben und nicht durch § 40 Abs. 2 VwGO ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist für vermögensrechtliche Ansprüche aus Aufopferung für das gemeine Wohl und aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung sowie für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten der ordentliche Rechtsweg gegeben. Wie der Senat in BSG 26, 129, 134 ausgesprochen hat, sind mit dieser Vorschrift bestimmte Streitigkeiten durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen, und zwar in Abweichung von dem Grundsatz des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der den Verwaltungsrechtsweg für alle öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art eröffnet. Damit werden aber keineswegs alle Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten den ordentlichen Gerichten zugewiesen (BGHZ 43, 278), sondern es wird nur der bisherige "Besitzstand" der Zivilgerichte aus Zweckmäßigkeitsgründen auf gewissen Teilgebieten des öffentlichen Rechts aufrechterhalten. Diese Vorschrift ist deshalb einschränkend auszulegen, insbesondere für die den Zivilgerichten vorbehaltenen Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten; nicht dazu gehören jedenfalls solche Ansprüche, über die die Zivilgerichte niemals zu entscheiden hatten.
Diese Grundsätze gelten auch für den Schadensersatzanspruch der vorliegenden Art. Dieser wird damit begründet, daß die beklagte Ersatzkasse es unterlassen habe, entgegen ihren Pflichten aus dem Versicherungsverhältnis die Klägerin bzw. ihren Ehemann bei Abschluß der Versicherung mit Familienhilfe darauf hinzuweisen, daß sie ihre freiwillige Versicherung kündigen könne; ihr Schaden bestehe darin, daß sie mehrere Jahre unnötig Beiträge für einen überflüssigen Versicherungsschutz gezahlt habe. Es handelt sich also nicht um einen Anspruch auf Amtspflichtverletzung (einen solchen will die Klägerin nicht geltend machen, sie hat auch nichts dazu vorgetragen), vielmehr wird der Anspruch auf die Verletzung der Treue- und Sorgfaltspflichten aus dem Versicherungsverhältnis gestützt. Wenngleich dieses Versicherungsverhältnis auch bei Ersatzkassen öffentlich-rechtlicher Art ist, so kann eine Verletzung von Pflichten aus dem Versicherungsverhältnis doch keineswegs mit dem andersgearteten Sachverhalt der Amtspflichtverletzung gleichgesetzt werden, den § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO mit den "Schadensersatzansprüchen aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten" in erster Linie meint. Hierbei kann offen bleiben, wie die Rechtswegfrage zu beurteilen ist, wenn beide Klagegründe nebeneinander geltend gemacht werden. Jedenfalls handelt es sich dann um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung (§ 51 Abs. 1 SGG), wenn nur ein Schadensersatzanspruch aus dem Versicherungsverhältnis, nicht aber zugleich auch ein Anspruch aus Amtspflichtverletzung geltend gemacht wird.
Die Revision ist mithin nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft. Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet; denn es ist zumindest mit der Möglichkeit zu rechnen, daß das LSG bei Einhaltung eines den Prozeßgesetzen entsprechenden Verfahrens zu einem für die Klägerin günstigeren Urteil gekommen wäre. Das Urteil des LSG muß daher aufgehoben werden.
Weil Feststellungen fehlen, die dem Bundessozialgericht eine abschließende Entscheidung ermöglicht hätten, muß die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Diesem bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.
Fundstellen