Leitsatz (amtlich)

Postulat und Noviziat zur Vorbereitung einer Tätigkeit als Ordensschwester sind Berufsausbildung iS des BVG § 45 Abs 3 Buchst a.

 

Leitsatz (redaktionell)

"Beruf" ist eine für die Dauer vorgesehene Arbeit, die der Existenzsicherung dient und die geeignet ist, materielle oder geistige in der Gesellschaft auftretende Bedürfnisse zu befriedigen, und zu der die Befähigung durch Ausbildung - und Erziehung - erworben wird (vergleiche BSG 1965-08-11 4 RJ 29/62 = BSGE 23, 231). Berufsausbildung ist danach die Ausbildung für einen zukünftigen, gegen Entgelt auszuübenden Beruf, der die Arbeitskraft und Arbeitszeit des Auszubildenden ausschließlich oder überwiegend in Anspruch nimmt (vergleiche BSG 1962-11-22 4 RJ 371/60, = BSGE 18, 116 und BSG 1965-07-07 12 RJ 180/62 = BSGE 23, 166).

 

Orientierungssatz

Zu der Frage, ob auch die Ausbildung für einen zweiten Beruf durch die Gewährung einer Waisenrente unterstützt werden kann.

 

Normenkette

BVG § 45 Abs. 3 Buchst. a Fassung: 1964-02-21; BVG § 45 Abs. 3 Buchst. a Fassung: 1966-12-28

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Mai 1971 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die ... 1943 geborene Klägerin bezog Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach ihrem am 17. Dezember 1944 gefallenen Vater Max W. Sie besuchte die "Mittelschule für Mädchen der Kongregation der Armen Schulschwestern von Unserer Lieben Frau" in M und wurde von September 1960 bis Juli 1963 vom Provinzialat dieser Kongregation zur Kindergärtnerin ausgebildet (ein Jahr Vorpraktikum, zwei Jahre Seminar). Das Versorgungsamt L bewilligte ihr durch Bescheid vom 24. April 1961 die Waisenrente auch über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus bis zum Abschluß der Berufsausbildung im Juli 1963. Anschließend war die Klägerin als Kindergärtnerin in einem Pfarrkindergarten tätig.

Mit Schreiben vom 28. Juli 1966 beantragte sie die Weitergewährung der Waisenrente für die Zeit vom 1. August 1966 bis zum 31. August 1967, da sie sich während dieser Zeit in Berufsausbildung befinde. Sie fügte eine Bescheinigung des Provinzialats der Armen Schulschwestern bei. Danach sollte sie in dieser Zeit zwecks Ausbildung für den Beruf der Ordensschwester das für die Aufnahme in die Kongregation vorgeschriebene Postulat und Noviziat absolvieren. Der Antrag wurde durch Bescheid des Versorgungsamt Landshut vom 6. September 1966 mit der Begründung abgelehnt, das für den Eintritt in einen Orden vorgeschriebene Postulat und Noviziat sei keine Berufsausbildung. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23. März 1967).

Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 19. Februar 1970 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten verurteilt, der Klägerin Waisenrente für die Zeit vom 1. August 1966 bis zum 31. August 1967 zu gewähren. Es hat die Berufung zugelassen. Die Berufung des Beklagten hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 11. Mai 1971 zurückgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, die Klägerin habe sich in der Zeit vom 1. August 1966 bis zum 31. August 1967 in Berufsausbildung befunden. Sie sei während ihres Noviziats und Postulats zur Aufnahme in die Kongregation der Armen Schulschwestern zum Beruf der Ordenskindergärtnerin ausgebildet worden. Während dieser Zeit habe sie keinen Beruf ausgeübt; mit Kindern sei sie nicht in Berührung gekommen. Die Klägerin habe zwar den Beruf der Kindergärtnerin bereits erreicht gehabt, sie habe aber "hinsichtlich der wirtschaftlichen Komponente des Berufsbegriffs" einen Wechsel vorgenommen, indem sie nunmehr Ordensschwester mit dem Recht auf "Sorge für zeitliches und ewiges Wohl" während der Dauer der Ordenszugehörigkeit habe werden wollen. Zur Erreichung dieses Zieles aber seien Postulat und Noviziat unabdingbar notwendig gewesen. Wegen dieser Umstellung auf eine neue Existenzgrundlage könne auch nicht von einer bloßen Weiterbildung vom Beruf der weltlichen Kindergärtnerin zu dem der Ordensschwester gesprochen werden. Die Tätigkeit im Rahmen eines Ordens falle unter den Berufsbegriff des BVG. Der vom Orden seinen Angehörigen gewährte Unterhalt beruhe zwar auf einem familienähnlichen Gemeinschaftsverhältnis. Wirtschaftliche Grundlage hierfür seien aber im wesentlichen die Arbeitsleistungen bzw. Werke der Ordensangehörigen, die den Orden zur Unterhaltsleistung überhaupt erst befähigten. Die Ordensangehörigkeit einer Kindergärtnerin diene auch der Befriedigung geistiger Bedürfnisse der Bevölkerung; denn weite Bevölkerungskreise in Bayern bevorzugten Kindergärten, die von Ordensschwestern geleitet würden.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Beklagte hat gegen das ihm am 28. Mai 1971 zugestellte Urteil am 21. Juni 1971 Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 28. August 1971 durch einen Schriftsatz vom 26. Juli 1971, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 27. Juli 1971, begründet.

Er beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Mai 1971 und das Urteil des Sozialgerichts München vom 19. Februar 1970 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid des Versorgungsamtes L vom 6. September 1966 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. März 1967 als unbegründet abzuweisen.

In seiner Revisionsbegründung rügt der Beklagte die Verletzung des § 45 Abs. 3 Buchst. a BVG i.d.F. des 2. und 3. Neuordnungsgesetzes (NOG) und führt dazu aus, Berufsausbildung sei die Ausbildung für einen zukünftigen, gegen Entgelt auszuübenden Beruf, die die Arbeitskraft und Arbeitszeit des Auszubildenden ausschließlich oder überwiegend in Anspruch nehme; eine bloße Vertiefung der Kenntnisse in dem bereits erlernten Beruf könne nicht als eine Berufsausbildung i.S. der genannten Vorschrift angesehen werden. Ein Ordensangehöriger erziele kein eigenes Erwerbseinkommen. Der ihm vom Orden gewährte Unterhalt sei nicht von einer Berufstätigkeit abhängig, er werde vielmehr aufgrund eines familienähnlichen Gemeinschaftsverhältnisses geleistet. Das Argument, die Reichsversicherungsordnung (RVO), behandle in §§ 160 Abs. 1 und 1228 Abs. 1 Nr. 2 den Unterhalt als Arbeitsentgelt, übersehe, daß die RVO aaO nur das Versicherungsverhältnis für diese spezielle Art von Gegenleistung für eine geleistete Arbeit regeln wolle. Innerhalb der Ordensgemeinschaft fehle aber das von der RVO vorausgesetzte gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis zwischen Arbeit und Entgelt. Daß ein Novize für den Orden irgendeine Arbeit leiste, sei nicht rechtliche Voraussetzung für die Aufnahme in die Gemeinschaft (wenn auch regelmäßige Nebenfolge). Postulat und Noviziat bildeten den Novizen nicht dazu heran, durch eigene Arbeitsleistung seinen Unterhalt zu verdienen. Der Eintritt in einen Orden diene auch nicht dazu, eine höher zu wertende Tätigkeit als klösterliche Kindergärtnerin zu erreichen. Auch wenn die Klägerin davon ausgehe, daß sie den ihr anvertrauten Kindern als Ordensschwester mehr auf den Lebensweg mitzugeben habe als in ihrer Eigenschaft als "weltliche" Kindergärtnerin, so würde dies doch nur eine "Weiterbildung" bedingen, nicht aber eine Ausbildung für einen "neuen" Beruf. Die Klägerin erweitere durch ihre religiöse Bindung nicht ihren Tätigkeitsbereich, sondern enge ihn ein.

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht ordnungsgemäß (§ 166 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) vertreten. Sie beantragt sinngemäß,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist kraft Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG); der Beklagte hat sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 164, 166 SGG). Die Revision ist daher zulässig; sachlich konnte sie dagegen keinen Erfolg haben. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Klägerin für die Zeit vom 1. August 1966 bis zum 31. August 1967 Waisenrente nach Vollendung des 18. Lebensjahres zusteht.

Streitig ist hier nur Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume, so daß die Berufung an sich nach § 148 Nr. 2 SGG ausgeschlossen wäre. Das SG hat sie aber in seinem Urteil ausdrücklich zugelassen (§ 150 Nr. 1 SGG), so daß das Berufungsgericht ein Sachurteil erlassen mußte.

Die von der Klägerin für die Zeit nach der Vollendung des 18. Lebensjahres begehrte Waisenrente ist eine laufende Versorgungsleistung. Daher ist nacheinander das für die jeweiligen Zeiträume geltende Recht heranzuziehen, hier also für die Zeit bis zum 31. Dezember 1966 das BVG idF des 2. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (vom 21. Februar 1964, BGBl I Seite 85 - 2. NOG -) und für die folgende Zeit idF des 3. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (vom 28. Dezember 1966, BGBl I Seite 750 - 3. NOG -). Nach § 45 Abs. 3 Buchstabe a BVG idF des 2. NOG ist die Waisenrente nach Vollendung des 18. Lebensjahres für eine unverheiratete Waise zu gewähren, die sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet, längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres. Nach § 45 Abs. 3 Buchstabe a BVG idF des 3. NOG ist unverheirateten Waisen nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Waisenrente zu gewähren, wenn sie sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befinden, die ihre Arbeitskraft überwiegend in Anspruch nimmt und nicht mit der Zahlung von Dienstbezügen, Arbeitsentgelt oder sonstigen Zuwendungen in entsprechender Höhe verbunden ist, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Da die Klägerin in der gesamten streitigen Zeit das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte und die sonstigen, durch das 3. NOG neu in den Gesetzeswortlaut aufgenommenen Voraussetzungen bereits im zeitlichen Geltungsbereich des 2. NOG zu beachten waren (vgl. BSG 25, 276; SozR BVG Nr. 11 zu § 45; Urteil vom 12. Juli 1966 - 10 RV 879/64 -), besteht bei der Beurteilung der beiden Zeiträume rechtlich kein Unterschied.

Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin zunächst den Beruf der Kindergärtnerin erlernt und - von 1963 bis Juli 1966 - ausgeübt. Eine Wiedergewährung der Waisenrente nach Vollendung des 18. Lebensjahres ("verlängerte" Waisenrente) kommt nur dann in Betracht, wenn sich die Klägerin während der Zeit des Postulats und Noviziats in Berufsausbildung - eine Schulausbildung während dieser Zeit scheidet ohnehin aus - befunden hat und wenn die Waisenrente nach § 45 Abs. 3 BVG auch bei einem Berufswechsel nach Abschluß einer früheren Berufsausbildung zu gewähren ist. Beide Fragen sind in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen zu bejahen. Das SG ist davon ausgegangen, daß die Klägerin während des Postulats und Noviziats zur Ordensschwester ausgebildet worden ist. Die Ausführungen des LSG sind nicht so eindeutig. Auf der einen Seite wird als Ausbildungsziel die Ordensschwester angesehen; andererseits spricht das LSG aber davon, daß die Klägerin zur "klösterlichen Kindergärtnerin" ausgebildet werden sollte, wobei das LSG darin einen eigenständigen Beruf gesehen hat. Insoweit handelt es sich jedoch nicht um tatsächliche Feststellungen, die gemäß § 163 SGG für das Revisionsgericht bindend wären, sondern um die Rechtsauffassung des LSG, die bei einer zugelassenen Revision voll nachprüfbar ist.

Das Postulat, das im Fall der Klägerin einen Monat gedauert hat, ist die erste Bewährungszeit des Bewerbers (vgl. "Der Große Brockhaus", Stichwort "Postulat"). Das anschließende Noviziat ist die vom Kirchenrecht geforderte Probe- und Einführungszeit zu Beginn des Ordenslebens; sie dauert wenigstens ein Jahr. Aufgabe des Noviziats ist es, den Novizen mit den Pflichten des Ordenslebens vertraut zu machen und ihn darin zu üben. Dazu gehören das Studium der Ordenssatzungen, die Belehrung über die Ordensgelübde und klösterlichen Tugenden sowie das betrachtende Gebet. Ziel des Noviziats ist demnach die Formung einer "religiös geprägten Persönlichkeit" (vgl. "Der Große Herder" und "Lexikon für Theologie und Kirche", 2. Auflage, jeweils unter Stichwort "Noviziat"; BSG 23, 231 mit weiteren Nachweisen). Da Ordensangehörige verpflichtet sind, auf ihre Umwelt nicht durch ihr Wissen und Können, sondern auch durch ihre Persönlichkeit einzuwirken (vgl. "Lexikon für Theologie und Kirche" unter Stichwort "Orden"; Hanstein, Ordensrecht, 2. Aufl., § 31 "Der Ordensberuf"), ist die während dieser Zeit durchgeführte Formung der Persönlichkeit unerläßlich für eine Tätigkeit als Ordensschwester. Der Eintritt in den Orden ist unabhängig davon, ob und welchen Beruf die Novizin erlernt hat. Die Ausbildung ist eine eigenständige, die auf die besonderen Aufgaben der Ordensschwester abgestellt ist, wobei das Streben nach "christlicher Vollkommenheit" im Vordergrund steht (vgl. Hanstein aaO § 31 Anm. I, 3), dem die Erfüllung der Sonderaufgaben der Ordensgemeinschaft nachgeordnet wird. Die Ordensschwester übt demnach keine "höher zu wertende" zivile Tätigkeit, sondern eine ganz anders geartete Tätigkeit aus, die gegenüber dem zivilen Beruf ein aliud darstellt.

Im konkreten Fall kann daher das Noviziat der Klägerin nicht als bloße Weiterbildung im Beruf der Kindergärtnerin angesehen werden. Diese Auffassung wird dadurch bestätigt, daß die Klägerin nach den Feststellungen des LSG während dieser Zeit mit Kindern überhaupt nicht in Berührung gekommen ist, so daß eine praktische Ausbildung für diesen Beruf nicht möglich war. Die Klägerin hatte bei ihrem Eintritt in den Vorbereitungsdienst des Ordens bereits eine abgeschlossene Ausbildung zur Kindergärtnerin. Das Noviziat fiel weder zeitlich noch fachlich mit dieser Ausbildung zusammen, sondern es sollte die Klägerin, wie jede andere Bewerberin auch, mit den besonderen Anforderungen des Ordenslebens vertraut machen (vgl. BSG 23, 231, dort für den Beruf des künftigen Ordenspriesters). Postulat und Noviziat nehmen auch die Zeit und Arbeitskraft des Novizen ausschließlich oder zumindest überwiegend in Anspruch (vgl. Hanstein aaO §§ 33 und 38). Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin während dieser Zeit auch keinen anderen Beruf ausgeübt. Die Absicht der Klägerin, später wieder als Kindergärtnerin im Rahmen des Ordens tätig zu werden, berührt deshalb nicht die Frage, mit welcher Zielsetzung sie während des Noviziats ausgebildet wurde. Da Ordensangehörige nach den Feststellungen des LSG gewöhnlich nach ihrer Aufnahme in den Orden wieder einer Arbeitstätigkeit nachgehen, wäre es im Fall der Klägerin nur naheliegend, wenn sie auf den früher bereits ausgeübten Beruf zurückgreifen würde. Unabhängig davon und in strenger Scheidung von diesem zivilen Beruf ist aber auch die Tätigkeit als Ordensschwester als Beruf anzusehen.

Der Begriff "Beruf" im Sinne des § 45 Abs. 3 BVG ist im Gesetz nicht definiert oder auch nur umschrieben. Für die insoweit gleichlautende Vorschrift des § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO fehlt ebenfalls eine gesetzliche Definition. Der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat in der bereits zitierten Entscheidung (BSG 23, 231) "Beruf" bezeichnet als eine für die Dauer vorgesehene Arbeit, die der Existenzsicherung dient und die geeignet ist, materielle oder geistige in der Gesellschaft auftretende Bedürfnisse zu befriedigen, und zu der die Befähigung durch Ausbildung - und Erziehung - erworben wird. Berufsausbildung ist danach die Ausbildung für einen zukünftigen, gegen Entgelt auszuübenden Beruf, die die Arbeitskraft und Arbeitszeit des Auszubildenden ausschließlich oder überwiegend in Anspruch nimmt (vgl. BSG 18, 116; 23, 166). Es bestehen keine Bedenken, diese Definitionen aus dem Rentenrecht auch für § 45 Abs. 3 BVG zu übernehmen, da hierin keine spezifisch versicherungsrechtlichen Gesichtspunkte zum Ausdruck kommen (vgl. BSG in SozR Nr. 11 zu § 45).

Nach den Feststellungen des LSG leistet die Ordensschwester eine für die Dauer ausgerichtete Arbeit. Dabei ist es üblich, daß Ordensangehörige auf den Gebieten tätig werden, denen sich der Orden nach seiner Satzung widmen will, weil nur so die wirtschaftliche Grundlage des Ordens sichergestellt werden kann. Diese Arbeit dient auch der Existenzsicherung. Ordensangehörigen, die sich mit einem Gelübde gemäß den "Evangelischen Räten" (vgl. "Der Große Herder", Stichwort "Orden") zur Armut verpflichtet haben, ist es zwar verwehrt, bare Entgeltleistungen entgegenzunehmen. Die Ordensangehörigen verzichten auch nach Kirchenrecht und ständiger klösterlicher Übung auf Vermögen und Erwerb zugunsten des Klosters. Andererseits ist der Orden aber verpflichtet, seinen Mitgliedern in gesunden, kranken und alten Tagen einen - bescheidenen - Unterhalt und eine angemessene Versorgung zu gewährleisten (vgl. BSG 23, 231). Der Beklagte scheint insoweit zu verkennen, daß als Gegenleistung für die einzelne Leistung oder für das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft nicht stets ein in seinem Wertverhältnis angemessenes Entgelt in Form eines Geldbetrages gewährt werden muß, sondern daß auch der freie Unterhalt allein schon als "Entgelt" bezeichnet wird (vgl. §§ 1228 Abs. 1 Nr. 2, 160 Abs. 1 RVO). Das heute allgemein im Vordergrund stehende Gewinnstreben wird um so schwächer ausgebildet sein, je mehr die Berufstätigkeit einem inneren seelischen Bedürfnis folgt und die Persönlichkeit des Menschen im Ganzen erfaßt (vgl. BVerfG 7, 377, 397). Gehört doch in einzelnen Bereichen zum Berufsbewußtsein gerade der Einsatz der ganzen Persönlichkeit, ohne Rücksicht auf den augenblicklichen materiellen Gewinn (vgl. BSG 23, 231; s. auch Urteil des erkennenden Senats in BSG 30, 48 zum Hausfrauenberuf; LSG Rheinland-Pfalz in Breithaupt 1964, 130 und Urteil vom 9. April 1970 - L 5 Kg 1/69 -). Die genannten Fälle betrafen männliche Ordensangehörige, Ordenspriester und Laienbrüder. Nach Auffassung des Senats bestehen aber keine Bedenken, diese Gesichtspunkte auch auf eine Ordensschwester entsprechend anzuwenden. Die Gemeinschaft der Armen Schulschwestern von Unserer Lieben Frau bezeichnet sich zwar als "Kongregation". Eine solche unterscheidet sich aber von einem Orden nur dadurch, daß ihre Mitglieder nicht wie zukünftige Ordensangehörige feierliche, sondern einfache Gelübde ablegen; die sonstigen Ordensregeln sind aber von den Kongregationen übernommen worden (vgl. Evangelisches Kirchenlexikon, 2. Aufl., Stichwort "Orden und Kongregationen").

Die Tätigkeit einer Ordensschwester, die als Kindergärtnerin oder in sonstiger Weise tätig wird, befriedigt auch in der Gesellschaft vorhandene Bedürfnisse. Das LSG hat hierzu festgestellt, daß weite Kreise der religiös gebundenen Bevölkerung Bayerns Kindergärten bevorzugen, die von Ordensschwestern geleitet werden. Der Beklagte hat begründete Revisionsangriffe gegen diese Feststellung nicht erhoben, so daß sie für das Revisionsgericht bindend ist (§ 163 SGG). Danach sind aber alle Voraussetzungen erfüllt, um die Tätigkeit einer Ordensschwester als "Beruf" i.S. des § 45 Abs. 3 BVG anzusehen. Eine weitere Bestätigung für seine Auffassung findet der Senat in dem Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 17. Juli 1970 (BVBl 1970 S. 83 Nr. 42). Dort wird hervorgehoben, daß auch der schwerbeschädigte Ordensangehörige beruflich besonders geschädigt sein kann und daß lediglich die normale Methode der Schadensermittlung bei der Gewährung und Berechnung des Berufsschadensausgleichs versagt, so daß deshalb im Wege des Härteausgleichs auf eine vergleichbare Tätigkeit in der privaten Wirtschaft zurückgegriffen werden soll. In ähnlicher Weise hatte der BMA bereits in seinem Rundschreiben vom 16. Oktober 1961 (BVBl 1961 S. 140 Nr. 79) bestimmt, daß der wirtschaftliche Erfolg der Tätigkeit des Ordensangehörigen bei der Feststellung der Ausgleichsrente als Einkommen zu werten ist. Der BMA hat dabei zum Ausdruck gebracht, daß den besonderen Verhältnissen der Ordensgemeinschaften - im Gegensatz zur reinen Erwerbswirtschaft - Rechnung getragen werden muß und daß davon auszugehen ist, daß jeder Ordensangehörige verpflichtet ist, durch seine Arbeit seinen Teil zur wirtschaftlichen Sicherung der Ordensgemeinschaft beizutragen. Diese aber gewährleistet als Gegenleistung, d.h. als Entgelt, den laufenden Unterhalt und die lebenslange Versorgung in alten und kranken Tagen.

Der Gewährung der Waisenrente an die Klägerin steht nicht entgegen, daß diese, als sie das Noviziat begann, bereits den Beruf einer Kindergärtnerin erlernt und mehrere Jahre ausgeübt hatte. In § 45 Abs. 3 BVG kommt nicht zum Ausdruck, daß das Gesetz nur die Erlernung eines Berufes fördern will und daß Waisenrente nach Vollendung des 18. Lebensjahres nur für das erste Ausbildungsverhältnis zu gewähren ist. Das BSG hat für die entsprechende Vorschrift des § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO bereits ausgesprochen, daß auch die Ausbildung in einem zweiten Beruf durch die Gewährung einer Waisenrente finanziell unterstützt werden kann (vgl. SozR § 1267 RVO Nr. 17). Für § 45 Abs. 3 BVG ist dies bisher nicht ausdrücklich vom BSG ausgesprochen worden; jedoch hat der 9. Senat in einem Urteil (vgl. SozR § 45 BVG Nr. 11) darauf hingewiesen, daß der Anspruch auf die verlängerte Waisenrente nicht davon abhängig ist, daß die Waise noch nicht in der Lage ist, ihren Unterhalt durch eine - erlernte - Berufstätigkeit zu bestreiten. In den Verwaltungsvorschriften zu § 33 b BVG, die bei § 45 BVG entsprechend anzuwenden sind, wird überdies ausdrücklich bestimmt (vgl. VV Nr. 11 Satz 2 zu § 33 b BVG idF vom 26. Juni 1969), daß es beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen unerheblich ist, ob der Berufsausbildung bereits eine andere - "selbst eine abgeschlossene" - Berufsausbildung vorangegangen ist (vgl. auch VV Nr. 10 Satz 2 idF vom 23. Januar 1965). Die Verwaltungsvorschriften entsprechen somit der heute allgemein, auch vom Gesetzgeber, vertretenen Auffassung, daß die Ausbildung zu einem zweiten Beruf durchaus sinnvoll und förderungswürdig sein kann (vgl. Urteil des BFH vom 10.12.1971 - VI R 255/70 -). Niemand soll gehindert werden, seinen Beruf zu wechseln und einen seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden neuen Beruf zu erlernen, sofern er bereit ist, die damit verbundenen Mühen und Einschränkungen auf sich zu nehmen. Das Ausbildungsförderungsgesetz (vom 26. August 1971, BGBl I 1409) bestimmt in seinem § 7 Abs. 2 ausdrücklich, daß auch eine weitere Berufsausbildung gefördert werden kann (vgl. auch § 5 Abs. 2 des inzwischen außer Kraft getretenen Ausbildungsförderungsgesetzes vom 19. September 1969 - BGBl I 1719 -).

Die bisherige Rechtsprechung des BSG steht dieser Auffassung nicht entgegen. Das BSG hat, wenn eine Waise einen zweiten Beruf erlernte, die Gewährung einer Waisenrente nur dann versagt, wenn die Ausbildung sich im Rahmen einer Berufstätigkeit vollzogen und die Waise während der Ausbildungszeit für den zweiten Beruf noch volles Gehalt aus ihrem bisherigen Beruf bekommen hat (vgl. zu § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO: BSG 25, 289; SozR Nrn. 15 und 31; Urteil vom 22. Juni 1972 - 12 RJ 174/71 -; zu § 45 Abs. 3 BVG: Urteil vom 12. Juli 1966 - 10 RV 879/64 -). Dies war bei der Klägerin nicht der Fall, denn die Klägerin war während des Noviziats nicht "nebenbei" als Kindergärtnerin tätig; sie hat aus dieser Tätigkeit auch kein Gehalt bekommen. Als Novizin stand ihr auch noch kein Anspruch auf volle, lebenslange Versorgung zu, so daß ihre Ausbildung auch nicht mit der Zahlung von "sonstigen Zuwendungen in entsprechender Höhe" verbunden war (vgl. § 45 Abs. 3 Buchst. a BVG idF des 3. NOG).

Das LSG hat daher im Ergebnis zutreffend der Klägerin die Waisenrente für die Zeit vom 1. August 1966 bis 31. August 1967 zugesprochen. Die vom Beklagten hiergegen eingelegte Revision ist somit unbegründet und mußte zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669332

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