Entscheidungsstichwort (Thema)
Wann ist ein Verwaltungsverfahren abgeschlossen
Leitsatz (redaktionell)
1. Aus der in VwVfG § 9 enthaltenen Begriffsbestimmung kann kein Aufschluß darüber gewonnen werden, was unter "Abschluß des Verwaltungsverfahrens" iS des SGB 1 Art 2 § 23 Abs 2 S 1 zu verstehen ist.
2. Damit kann nur das Verfahren gemeint sein, an dessen Ende die positive - zusprechende - Entscheidung über den fällig gewordenen Anspruch steht. Das kann auch das am 1978-01-01 noch nicht abgeschlossene Gerichtsverfahren oder etwa das mit dem Ausführungsbescheid endende Verwaltungsverfahren sein.
3. Wird der Verwaltungsakt in einem gerichtlichen Verfahren angefochten, bewirkt dies das Hinausschieben des verwaltungsmäßigen Abschlusses zumindest in den Fällen, in denen die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsentscheidung festgestellt wird. Das zusprechende Urteil, das auf die kombinierte Aufhebungs- und Leistungsklage hin ergeht, ersetzt den Verwaltungsakt, den der Kläger von dem Leistungsträger erwarten durfte. Das Gericht tritt funktionell an die Stelle der Verwaltungsbehörde; das Urteil wirkt wie ein materieller Verwaltungsakt. Es ist - als Grundurteil - ein Endurteil. Ein Verfahren über die Höhe der Leistung bleibt nicht anhängig (vgl BSG vom 1967-07-27 12 RJ 92/64 = BSGE 27, 81 mwN). Aber der verurteilte Leistungsträger ist noch verpflichtet, das Urteil auszuführen und über den Betrag der zugestandenen Leistungen selbständig zu entscheiden. Es beginnt damit jedoch kein neues Verwaltungsverfahren; dieses wird nach dem Prozeß lediglich fortgeführt. Die sodann zu treffende Verwaltungsentscheidung befindet letztlich über den ursprünglich gestellten Leistungsantrag; erst sie schließt, sofern die Entscheidung in Rechtsbindung erwächst, das Verwaltungsverfahren endgültig ab.
4. Gleiches gilt bei Verpflichtungsklagen (SGG § 131 Abs 2), die beispielsweise bei Zugunstenbescheiden (vgl BSG vom 1968-07-31 11 RA 244/67 = BSGE 28, 174) oder sonstigen Ermessensleistungen in Betracht kommen.
5. Bei Verurteilung erwächst ebenfalls die Verpflichtung des Leistungsträgers, das durch das gerichtliche Verfahren unterbrochene Verwaltungsverfahren durch Erlaß eines Verwaltungsaktes - endgültig - zum Abschluß zu bringen.
Orientierungssatz
Verzinsung von Sozialleistungen - Abschluß des Verwaltungsverfahrens iS von SGB 1 Art 2 § 23 Abs 2 S 2:
1. Die Verwaltung ist - wie die Rechtsprechung - an Gesetz und Recht gebunden (GG Art 20 Abs 3). Die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns ist eine selbstverständliche Voraussetzung unserer Rechtsordnung. Es kann nicht unterstellt werden, daß der Gesetzgeber hiervon habe abweichen wollen, indem er das Verwaltungsverfahren selbst dann als abgeschlossen gelten läßt, wenn sich in einem anschließenden gerichtlichen Verfahren die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts herausstellen sollte.
2. Wird der Verwaltungsakt in einem gerichtlichen Verfahren mit dem Ziel einer Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit angefochten, bewirkt dies das Hinausschieben des verwaltungsmäßigen Abschlusses zumindest in den Fällen, in denen die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsentscheidung festgestellt wird.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3 Fassung: 1949-05-23; SGB 1 § 44 Fassung: 1975-12-11; SGB 1 Art. 2 § 23 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1975-12-11; SGG § 131 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; VwVfG § 9 Fassung: 1976-05-25
Verfahrensgang
SG Reutlingen (Entscheidung vom 27.11.1978; Aktenzeichen S 2 V 1076/78) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27. November 1978 aufgehoben, der Bescheid des Beklagten vom 6. April 1978 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 1978 abgeändert und der Beklagte verurteilt, die gesetzlichen Zinsen aus den mit Bescheid vom 6. April 1978 festgestellten,
a) vor dem 1. Januar 1978 fällig gewordenen, noch nicht verjährten Rückständen vom 1. Januar 1978 an,
b) ab 1. Januar 1978 fälligen Versorgungsleistungen,
bis zum Ende des der Zahlung vorangehenden Monats zu gewähren.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Gründe
I
Der Kläger begehrt die Zahlung von 4 vom Hundert (vH) Zinsen ab 1. Januar 1978 für die mit Ausführungsbescheid vom 6. April 1978 ab 1. Mai 1971 zuerkannte höhere Versorgungsrente.
Der Beklagte bewilligte dem Kläger, der ursprünglich Versorgungsrente entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 vH bezogen hatte, im gerichtlichen Verfahren durch Vergleich vom 16. Februar 1978 ab 1. Mai 1971 Versorgungsrente nach einer MdE um 70 vH. Die Klage war bereits im April 1974 erhoben worden. Der Beklagte lehnte es ab, die Nachzahlung zu verzinsen (Ausführungsbescheid vom 6. April 1978 und Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 1978).
Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen und die Sprungrevision zugelassen. In der Begründung hat es ua ausgeführt, die Nachzahlung sei nicht zu verzinsen, weil das Verwaltungsverfahren zum 31. Dezember 1977 im Sinne des Art II § 23 Abs 2 Satz 2 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Tel]. - (SGB 1) abgeschlossen gewesen sei. Es habe mit dem Widerspruchsbescheid vom 1. April 1974 sein Ende gefunden. Ein Verwaltungsverfahren ende notwendigerweise dann, wenn gegen den Bescheid Klage erhoben werde. Der Gesetzgeber habe mit der Übergangsvorschrift zum Ausdruck bringen wollen, daß die Verwaltung für Fälle, die sie vor dem 1. Januar 1978 beende, hinsichtlich einer Verzinsung nicht einzustehen habe.
Der Kläger hat mit schriftlicher Zustimmung des Beklagten Revision eingelegt und rügt die Verletzung des § 44 SGB 1 und des Art II § 23 Abs 2 Satz 2 SGB 1. Die Nachzahlung sei zu verzinsen, weil das Verwaltungsverfahren zum 31. Dezember 1977 noch nicht im Sinne dieser Vorschrift abgeschlossen gewesen sei. Eine Beendigung trete nur dann ein, wenn der Verwaltungsakt nicht oder erfolglos angefochten werde oder wenn die Leistungen bereits bindend festgestellt worden seien. Andernfalls habe es die Verwaltung in der Hand, die Bescheide in einer solchen Weise zu erlassen, daß eine gerichtliche Überprüfung notwendig sei. So könne sie ihre Zinsverpflichtung möglicherweise umgehen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und in Abänderung der Verwaltungsbescheide zu verurteilen, ihm die gesetzlichen Zinsen aus dem im Ausführungsbescheid vom 6. April 1978 festgestellten Betrag ab 1. Januar 1978 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Sprungrevision des Klägers zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
II
Der zulässigen Revision des Klägers war der Erfolg nicht zu versagen. Die im Ausführungsbescheid vom 6. April 1978 festgestellten Rückstände von Versorgungsleistungen, die ab 1. Mai 1971 festgestellt und vor dem 1. Januar 1978 fällig geworden waren, sind von diesem Stichtag an - ebenso wie die am 1. Januar 1978 fälligen und später fällig gewordenen Versorgungsleistungen - zu verzinsen.
Ansprüche auf Geldleistungen sind nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 vH zu verzinsen (§ 44 Abs 1 SGB 1). Diese gesetzliche Regelung trat am 1. Januar 1978 in Kraft (Art II § 23 Abs 2 Satz 1 SGB 1). Sie erfaßt alle am 1. Januar 1978 und später fällig werdenden Geldleistungen. Die vor dem 1. Januar 1978 fällig gewordenen, noch nicht verjährten Ansprüche auf Geldleistungen sind indessen nur zu verzinsen, "soweit das Verwaltungsverfahren hierüber zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen ist" (Art 2 § 23 Abs 2 Satz 2 SGB 1).
Ein einleuchtender Anhalt dafür, wie der Begriff "Abschluß des Verwaltungsverfahrens" zu interpretieren ist, ist allein Sinn und Zweck des Gesetzes abzugewinnen. Sein Wortlaut erlaubt unterschiedliche Deutungen. Aus der Entstehungsgeschichte läßt sich ein klarer Gesetzeswille nicht ableiten. Nach Art II § 15 des Regierungsentwurfs zum SGB 1 vom 26. Mai 1972 (BR-Drucks 305/72) und zu Art II S 17 des Regierungsentwurfs zum SGB 1 vom 27. Juni 1973 (BT-Drucks 7/868) sollten nach Inkrafttreten des Gesetzes fällig werdende Geldleistungen mit 4 vH verzinst werden. Demgegenüber lehnte der Bundesrat eine Verzinsung wegen der finanziellen Belastung, des zusätzlichen Verwaltungsaufwands und der präjudiziellen Wirkung für andere Bereiche der öffentlichen Verwaltung überhaupt ab (Protokoll über die 394-. Sitzung des Bundesrats vom 25. Mai 1973, BR-Drucks 286/73 S 14, und Protokoll über die 422. Sitzung des Bundesrats vom 11. Juli 1975, BR-Drucks 395/75 S 8). Auf Anregung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestags (BT-Drucks 7/5738 und 7/3786) beschloß der Bundestag in seiner 181. Sitzung am 19. Juni 1975 - 7. Wahlperiode - S 12697 C und D eine Anhebung des Zinssatzes auf 6 vH. Die Verzinsung sollte ferner auf die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes fällig gewordenen, noch nicht verjährten Ansprüche auf Geldleistungen ausgedehnt werden, soweit das Verwaltungsverfahren hierüber bei Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht abgeschlossen sei. Dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses (BT-Drucks 7/4067), den Zinssatz von 6 auf 4 vH herabzusetzen und das Inkrafttreten der Zinsbestimmungen auf den 1. Januar 1978 hinauszuschieben, stimmten schließlich Bundestag und Bundesrat zu (Niederschrift über die 191. Bundestagssitzung vom 3. Oktober 1975 - 7. Wahlperiode - S 13290 A und C; Protokoll über die 424. Sitzung des Bundesrats vom 17. Oktober 1975 S 287 A - C; BR-Drucks 600/75).
Diesem Ablauf der Gesetzesberatungen ist eine nähere Erläuterung dessen, was mit dem Abschluß des Verwaltungsverfahrens gemeint war, nicht zu entnehmen. Ebensowenig ist aus der erklärten sozialpolitischen Zielsetzung, wie sie in der Begründung zum Regierungsentwurf eines Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - zum Ausdruck kommt (BT-Drucks 7/868 S 30), der Sinn der erwähnten übergangsrechtlichen Klausel erkennbar. Die Pflicht zur Verzinsung wurde eingeführt, um Nachteile der Berechtigten auszugleichen, die auf die Erfüllung ihrer Geldansprüche warten müssen. Mit der besonders hier in Rede stehenden Vorschrift war namentlich beabsichtigt, auf eine Beschleunigung des Verwaltungshandelns hinzuwirken. Damit ist aber die Vorstellung, die mit dem Abschluß des Verwaltungsverfahrens verbunden wurde, nicht hinreichend erläutert.
Ferner kann aus der in § 9 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vom 25. Mai 1976 (BGBl I 1253) enthaltenen Begriffsbestimmung kein Aufschluß darüber gewonnen werden, was unter "Abschluß des Verwaltungsverfahrens" zu verstehen ist. Nach dieser Legaldefinition ist Verwaltungsverfahren die "nach außen wirkende Tätigkeit der Behörde, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlaß eines Verwaltungsakts oder auch den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist; es schließt den Erlaß des Verwaltungsaktes oder den Abschluß des öffentlich-rechtlichen Vertrages ein". § 9 VwVfG gilt nach § 2 Abs 2 Nr 4 VwVfG ua nicht für die in § 51 SGG bezeichneten Angelegenheiten. § 9 VwVfG ist aber mit § 8 des Entwurfs eines Sozialgesetzbuchs - 10. Buch "Verwaltungsverfahren" - (BT-Drucks 8/2034) inhaltsgleich. Jedoch ist nicht zu übersehen, daß diese Begriffsbestimmung lediglich den für das Verwaltungsverfahren im engeren Sinne - dazu § 1 VwVfG - umschriebenen Anwendungsbereich betrifft und auf bestimmte Formen des Verwaltungshandelns eingeschränkt ist. Dagegen ist jegliches Verwaltungshandeln, dem kein Regelungscharakter zukommt, wie aber auch das Verwaltungshandeln etwa durch Rechtsverordnung, Satzung oder allgemeine Verwaltungsvorschriften ausgenommen (vgl Stelkens/Bonk/Leonhardt, Kommentar zum VwVfG, Rdz 2, 5 und 6 zu § 9). Zudem sind etwa Form und Bekanntmachung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen sowie deren Vollzug, die ebenfalls dem Verwaltungsverfahrensrecht zuzuordnen sind (vgl Bettermann, VVDStRL 17, 123, 124), nicht erfaßt. Daraus erwachsen auch die grundsätzlichen Bedenken, die gegen die in § 9 VwVfG enthaltene Begriffsbestimmung des Verwaltungsverfahrens vorgebracht werden (W. Schmidt/Glaeser, "Verwaltungsverfahren", Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Richard-Boorberg-Verlags, S 29 f). Vorbehalte gegen die Legaldefinition äußert selbst die Begründung zum Gesetzentwurf (Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 7. Wahlperiode, BT-Drucks 7/910 S 29), indem sie im Hinblick auf den sogenannten Verwaltungsvorakt auf die noch nicht abgeschlossene Rechtsentwicklung und die mangelnde dogmatische Verfestigung hinwies und meinte, seine abschließende Regelung im Verwaltungsverfahrensgesetz würde vorzeitig die notwendige Rechtsfortbildung abschneiden und damit einer weiteren rechtsstaatlichen Durchdringung hinderlich sein.
Lassen sich daraus keine allgemein gültigen Erkenntnisse gewinnen, wann das Verwaltungsverfahren abgeschlossen ist, so ergibt sich die Lösung in einem anderen Zusammenhang. Einleitung und Ablauf des Verwaltungsverfahrens werden durch die unterschiedlichen Verwaltungszwecke bestimmt, denen das Verfahren dient (Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht III, 4. Aufl, § 156 RdZ 1). Folglich ist das Verwaltungsverfahren nicht isoliert zu sehen, sondern wird von der im Gesetz enthaltenen Zielvorstellung geprägt. Art II § 23 Abs 2 SGB 1 regelt in Satz 2 diejenigen Ansprüche, die vor dem 1. Januar 1978 fällig geworden sind (§ 41 SGB 1), deren Fälligkeit aber erst nachträglich, mit anderen Worten rückwirkend, festgestellt wurden. Somit wird einerseits von Gesetzes wegen das Bestehen eines Anspruchs auf Geldleistungen vorausgesetzt, ohne die eine Verzinsung nicht denkbar ist, andererseits eine Feststellung Über den Anspruch selbst für notwendig erachtet. Somit kann mit dem im Nebensatz des Art II § 23 Abs 2 Satz 2 erwähnten "noch nicht abgeschlossenen Verwaltungsverfahren" nur das Verfahren gemeint sein, an dessen Ende die positive - zusprechende - Entscheidung über den fällig gewordenen Anspruch steht. Das kann auch das am 1. Januar 1978 noch nicht abgeschlossene Gerichtsverfahren oder etwa das mit dem Ausführungsbescheid endende Verwaltungsverfahren sein. Denn zwischen dem Verwaltungsverfahren im engeren Sinne und dem anschließenden Verwaltungsprozeß besteht ein enger innerer Zusammenhang. Erst in dem Prozeß, der sich anschließt, kann über den Anspruch, für den Zinsen zu zahlen sind, entschieden werden. Infolgedessen kann es auf die in § 24 Abs 2 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVwVfG) enthaltene relative Bindungswirkung nicht ankommen.
Die Verwaltung ist - wie die Rechtsprechung - an Gesetz und Recht gebunden (Art 20 Abs 3 des Grundgesetzes -GG-). Die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns ist eine selbstverständliche Voraussetzung unserer Rechtsordnung. Es kann nicht unterstellt werden, daß der Gesetzgeber hiervon habe abweichen wollen, indem er das Verwaltungsverfahren selbst dann als abgeschlossen gelten läßt, wenn sich in einem anschließenden gerichtlichen Verfahren die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts herausstellen sollte. Vielmehr muß das Verwaltungsverfahren solange als unvollendet angesehen werden, als die Behörde die Verantwortung für die Nichterfüllung der öffentlich-rechtlichen Geldschuld trägt.
Für die hier zu entscheidende Frage ist es rechtlich unerheblich, ob man das Widerspruchsverfahren noch als Teil des Verwaltungsverfahrens oder als ein dem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltetes Verfahren oder als einen in die Verwaltung hineinreichenden Teil des sozialgerichtlichen Verfahrens bezeichnet (vgl zum Meinungsstreit ua von Mutius "Das Widerspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung", 1968; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 8. Aufl, S 234 a II; Uhle, Verwaltungsprozeßrecht, 5. Aufl, § 23 I). Denn auch hier handelt es sich um ein im Organisationsbereich des Beklagten liegendes Verfahren der Widerspruchsstelle, das ebenfalls bei Anhängigkeit eines gerichtlichen Verfahrens noch nicht als - endgültig - abgeschlossen gelten kann.
Überdies erkennt § 77 SGG dem Verwaltungsakt eine Bindungswirkung nur zu, wenn der gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird. Der Gesetzgeber stellt somit grundsätzlich auf die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes ab. Dies ist ebenfalls ein gewisses Indiz dafür, daß das Verwaltungsverfahren nur dann als abgeschlossen gelten kann, wenn eine für die Beteiligten bindende Verwaltungsentscheidung vorliegt. Bestärkt wird der Senat in seiner Auffassung durch Art 4 § 1 (Übergangsvorschrift) des 8. Anpassungsgesetzes KOV vom 14. Juli 1976 (BGBl I 1481), worin es wörtlich heißt, "Art 1 Nr 7 ist insoweit anzuwenden, als die dort genannten Leistungen vor Inkrafttreten dieser Vorschrift bereits bindend festgestellt waren". Eine Parallele dazu liefert Art 6 (Übergangsvorschrift) des 10. Anpassungsgesetzes KOV vom 10. August 1978 (BGBl I 1217), der bestimmt, "die am 31. Dezember 1978 bindend zuerkannten Elternrenten bleiben unberührt". Beide Übergangsvorschriften setzen die - formelle - Bindungswirkung voraus und kennzeichnen damit den "Abschluß" des Verwaltungsverfahrens.
Wird der Verwaltungsakt in einem gerichtlichen Verfahren mit dem Ziel einer Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit angefochten, bewirkt dies das Hinausschieben des verwaltungsmäßigen Abschlusses zumindest in den Fällen, in denen die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsentscheidung festgestellt wird. Das zusprechende Urteil, das im Sozialleistungsrecht auf die kombinierte Aufhebungs- und Leistungsklage hin ergeht, ersetzt den Verwaltungsakt, den der Kläger von dem zuständigen Leistungsträger (§ 12 SGB 1) statt des angefochtenen und aufgehobenen Verwaltungsaktes erwarten durfte. Das Gericht tritt funktionell an die Stelle der Verwaltungsbehörde (Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, 21. Nachtrag, Anm 1 zu § 130). Es verstößt nicht gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art 20 Abs 2 GG), wenn die der Klage stattgegebenen Urteile der Verwaltungsgerichte - das SG ist nach § 1 SGG ein besonderes Verwaltungsgericht - wie materielle Verwaltungsakte wirken, wenn auch das Verwaltungs- durch, das richterliche Ermessen nie ersetzt werden kann. Es ist gerade die in Art 19 Abs 4 Satz 1 iVm Art 96 Abs 1 GG festgelegte Aufgabe der Verwaltungsgerichte, rechtwidrige Verwaltungsakte zu beseitigen. Ein auf Aufhebungs- und Leistungsklage erlassenes Grundurteil (§ 130 SGG) ist ein Endurteil. Es erledigt den Rechtsstreit. Es bleibt kein Verfahren über die Höhe der Leistung anhängig (BSGE 27, 81 mwN). Aber danach ist der verurteilte Leistungsträger noch verpflichtet, das Urteil auszuführen und über den Betrag der zugestandenen Leistungen selbständig zu entscheiden. Für sein Tätigwerden ist kein neuer Antrag des Berechtigten nötig. Selbst mit Beendigung des Klageverfahrens beginnt kein neues Verwaltungsverfahren; dieses wird nach dem Prozeß lediglich fortgeführt. Die sodann zu treffende Verwaltungsentscheidung befindet letztlich über den ursprünglich gestellten Leistungsantrag; es schließt - sofern die Entscheidung in Rechtsbindung erwächst - das Verwaltungsverfahren endgültig ab. Gleiches gilt bei Verpflichtungsklagen (§ 131 Abs 2 SGG), die beispielsweise bei Zugunstenbescheiden (BSG 20, 199; 28, 174) oder sonstigen Ermessensleistungen in Betracht kommen. Ist die Verpflichtungsklage begründet, geht die Verurteilung entweder dahin, den beantragten bestimmten Verwaltungsakt zu erlassen (beispielsweise bei der Reduzierung des Ermessens auf Null; vgl BSG 9, 232), oder der Beklagte wird verpflichtet, den Kläger - unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts - zu bescheiden (Bescheidungsurteil). Daraus erwächst ebenfalls die Verpflichtung des verurteilten Leistungsträgers, das durch das gerichtliche Verfahren unterbrochene Verwaltungsverfahren durch Erlaß eines Verwaltungsaktes - endgültig - zum Abschluß zu bringen.
Die mit der Übergangsvorschrift zur Verzinsung auch verfolgte Zielsetzung einer tunlichen Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens wird durch die vom Senat gegebene teleologische Interpretation nicht beeinträchtigt. Dieser Zweck wurde erreicht, wenn die Behörde die ihr obliegende Entscheidung möglichst bald, und zwar vor dem 1. Januar 1978, fällte. Damit war sie aber nicht ein für allemal aus ihrer Verantwortung entlassen. Vielmehr oblag es ihr - je nach Lage der Sache den Prozeß durch Anerkenntnis oder Vergleich zu einem Ende zu bringen. Ihre Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG) kann unter Umständen sogar als Verpflichtung zur Abgabe eines Anerkenntnisses oder zum Abschluß eines Vergleiches - wie dies im vorangegangenen Klageverfahren geschehen - verstanden werden. Wenn die Versorgungsverwaltung im Rahmen ihrer Verfügungsbefugnis eine umstrittene Leistung in solcher Weise zuerkennt, damit also die Entscheidung, diese Leistung zu gewähren, in einem förmlichen Gerichtsverfahrensakt bekanntgibt, hat diese Erklärung die Bedeutung eines "Bescheids" im Sinne des § 22 KOWwVfG (Urteil des erkennenden Senats in SozR 3100 § 89 Nr 6). Selbst Schriftsätze in einem Rechtsstreit können diese Wirkung haben (BSG 10, 218, 221; Urteile vom 2. August 1977 - 9 KV 102/76 -und vom 23. November 1977 - 8 RV 84/76 - ). Die Versorgungsverwaltung hat es mithin noch im gerichtlichen Verfahren in der Hand, das Verwaltungsverfahren zu beenden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen