Leitsatz (amtlich)

Während einer stationären Heilbehandlung (Heilverfahren) steht der Versicherte der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung und ist deshalb nicht arbeitslos iS des RVO § 1248 Abs 2.

 

Normenkette

RVO § 1248 Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; AFG § 103 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1969-06-25

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 24.06.1976; Aktenzeichen L 4 J 85/76)

SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 16.02.1976; Aktenzeichen S 5 J 142/75)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Juni 1976 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger beansprucht das ihm bewilligte Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit (Arbeitslosenruhegeld, § 1248 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) von einem früheren Zeitpunkt an. Er ist am 31. Oktober 1914 geboren, war früher abhängig beschäftigt und seit 1960 selbständig tätig, zuletzt als Handelsvertreter. Nachdem er sein Gewerbe zum Ende des Monats Oktober 1973 aufgegeben hatte, meldete er sich am 30. Oktober 1973 beim Arbeitsamt arbeitslos, bezog jedoch von dort keine Leistungen, weil er als Selbständiger eine Anwartschaftszeit nicht zurückgelegt hatte. Bis Ende 1974 sprach er wiederholt vergeblich beim Arbeitsamt wegen Vermittlung einer Arbeit vor, auch mehrere private Stellenbewerbungen hatten keinen Erfolg. Auf einen schon im August 1973 gestellten Antrag gewährte ihm die Beklagte vom 28. Mai bis zum 9. Juli 1974 wegen eines depressiven Erschöpfungszustandes ein Heilverfahren in Oberstdorf.

Nachdem er am 10. September 1974 das Arbeitslosenruhegeld beantragt hatte und in einem ärztlichen Gutachten für fähig gehalten worden war, leichte Tätigkeiten mit bestimmten Einschränkungen ganztätig zu verrichten, entsprach die Beklagte seinem Antrag, jedoch erst mit Wirkung vom 1. Januar 1975 (Bescheid vom 24. Februar 1975); sie nahm an, der Kläger habe während der Zeit des Heilverfahrens der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden, sei in dieser Zeit also nicht arbeitslos gewesen und habe deshalb das gesetzliche Erfordernis einer mindestens 52wöchigen Arbeitslosigkeit erst im Laufe des Monats Dezember 1974 erfüllt.

Der Kläger meint dagegen, auch während der genannten Zeit arbeitslos gewesen zu sein und beansprucht die Rente schon vom 1. November 1974 an: Er habe während der Kur in telefonischem Kontakt mit seiner Familie gestanden und hätte die Kur im Falle eines Arbeitsangebots durch das Arbeitsamt vorzeitig abgebrochen; auch habe er regelmäßig die Stellenangebote einer Tageszeitung seines Wohnortes ausgewertet.

Das Sozialgericht (SG) hat seiner Klage - nach erfolglosem Widerspruchsverfahren - stattgegeben (Urteil vom 16. Februar 1976). Auf die - vom SG zugelassene - Berufung der Beklagten hat des Landessozialgericht (LSG) die Klage abgewiesen: Entgegen der Ansicht des SG habe der Kläger während der Zeit des Heilverfahrens der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden; das ergebe sich nicht nur aus einem Runderlaß der Bundesanstalt für Arbeit, sondern vor allem aus dem Sinn der gesetzlichen Regelung; soweit ein Heilverfahren, wie hier, den Eintritt auch des Versicherungsfalles nach § 1248 Abs 2 RVO verhindern solle, könne die Zeit des Heilverfahrens nicht zugleich eine Zeit der Arbeitslosigkeit iS der genannten Vorschrift sein (Urteil vom 24. Juni 1976).

Der Kläger rügt mit der zugelassenen Revision eine Verletzung der §§ 1248 Abs 2 und 1290 Abs 1 Satz 2 RVO durch das LSG. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 1248 Abs 2 RVO aF seien krankheitsbedingte Unterbrechungen der Arbeitslosigkeit bis zu 3 Monaten für den Versicherten unschädlich gewesen; das gleiche müsse für eine - einem Erholungsurlaub vergleichbare - Kur ("Kurlaub") gelten. An dieser Rechtslage habe sich durch die Neufassung des § 1248 Abs 2 RVO durch das Rentenreformgesetz nichts geändert. Im übrigen sei der Kläger auch während des Heilverfahrens für die Arbeitsvermittlung verfügbar gewesen.

Er beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die frühere Rechtsprechung zu § 1248 Abs 2 RVO aF durch die Neufassung der Vorschrift für überholt, wie auch das BSG schon entschieden habe.

Sie beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Er hat keinen Anspruch auf einen früheren Beginn seines Altersruhegeldes, wie das LSG zutreffend entschieden hat.

Nach § 1290 Abs 1 Satz 2 RVO idF des - insoweit am 1. Januar 1973 in Kraft getretenen - Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) ist Altersruhegeld nach § 1248 Abs 1 bis 3 vom Ablauf des Monats an zu gewähren, in dem seine Voraussetzungen erfüllt sind, jedoch vom Beginn des Antragsmonats an, wenn der Antrag später als 3 Monate nach Erfüllung der Voraussetzungen gestellt wird. Unter welchen Voraussetzungen das Altersruhegeld nach § 1248 Abs 2 zu gewähren ist, ergibt sich für die Zeit vom 1. Januar 1973 an aus der Neufassung der Vorschrift durch das RRG; danach erhält Altersruhegeld auf Antrag auch der Versicherte, der das 60. Lebensjahr vollendet, die Wartezeit nach Abs 7 Satz 2 (180 Kalendermonate) erfüllt hat und nach einer Arbeitslosigkeit von mindestens 52 Wochen innerhalb der letzten eineinhalb Jahre arbeitslos ist. Bis zu dieser Neufassung galt die Vorschrift idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I 45). Danach erhielt Altersruhegeld auf Antrag auch der Versicherte, der das 60. Lebensjahr vollendet, die Wartezeit erfüllt hatte und seit mindestens 1 Jahr ununterbrochen arbeitslos war, für die weitere Dauer der Arbeitslosigkeit (§ 1248 Abs 2 Satz 1 RVO aF). Da diese Vorschrift eine "ununterbrochene" Zeit der Arbeitslosigkeit von mindestens 1 Jahr forderte, waren Unterbrechungen, auch infolge einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des Arbeitslosenruhegeldes grundsätzlich zu beachten. Nur wenn sie die Dauer von 3 Monaten oder 75 Arbeitstagen nicht überschritten, wurden sie als geringfügig und deshalb im Rechtssinn als unbeachtlich angesehen (so die ständige Rechtsprechung des BSG, vgl zuletzt BSGE 32, 182, 183 f mwN = SozR § 1248 RVO Nr 58).

Diese Rechtsprechung ist mit der Neufassung des § 1248 Abs 2 RVO durch das RRG überholt. Anstelle einer mindestens einjährigen ununterbrochenen Arbeitslosigkeit fordert das Gesetz jetzt nur noch eine "Arbeitslosigkeit von mindestens zweiundfünfzig Wochen innerhalb der letzten eineinhalb Jahre". Das bedeutet einerseits, daß die Arbeitslosigkeit auch für länger als 3 Monate oder 75 Arbeitstage unterbrochen werden kann, sofern nur die Mindestdauer von 52 Wochen in der Rahmenfrist von eineinhalb Jahren zurückgelegt wird. Die neue Regelung bedeutet andererseits - und darin liegt gegen früher eine gewisse Verschlechterung der Rechtslage für die Versicherten -, daß die Zeit der Arbeitslosigkeit während der genannten Rahmenfrist insgesamt "volle 52 Wochen angedauert hat" (Urteil des 5. Senats des BSG vom 13. März 1976, SozR 2200 § 1248 Nr 11, dem sich der erkennende Senat im Urteil vom 30. September 1976, aaO Nr 16, S 32 oben, angeschlossen hat). Anders als früher (vgl BSGE 32, 182, 183 unten) muß es sich also bei den jetzt geforderten 52 Wochen um Zeiten "echter" Arbeitslosigkeit handeln.

An dieser Rechtsprechung hält der Senat nach nochmaliger Prüfung - unter Berücksichtigung der von der Revision vorgetragenen Gründe - fest. Dabei kann dahinstehen, ob die früher vertretene Auffassung, die sich auf § 1248 Abs 2 Satz 4 RVO aF stützte (Eine Beschäftigung oder Tätigkeit, die über eine gelegentliche Aushilfe nicht hinausgeht, bleibt außer Betracht) und die diese - zunächst für die Fortzahlung des Altersruhegeldes geschaffene - Sonderbestimmung auch auf die Anspruchsvoraussetzung der einjährigen Arbeitslosigkeit anwendete, dem Wortlaut und Sinn des Gesetzes voll gerecht wurde. Nachdem es nunmehr auf die Zahl und Dauer der Unterbrechungen grundsätzlich nicht mehr ankommt, müssen nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers wenigstens 52 Wochen "echter" Arbeitslosigkeit vorliegen, um einen Anspruch auf das Altersruhegeld zu begründen; andernfalls hätte diese Anspruchsvoraussetzung in vielen Fällen kaum noch praktische Bedeutung. Offenbar geht auch der Gesetzgeber davon aus, daß nur eine Zeit der Arbeitslosigkeit von mindestens 52 Wochen iVm der Vollendung des 60. Lebensjahres ein genügend sicheres Indiz dafür ist, daß der betreffende Versicherte nicht wieder in das Arbeitsleben eingegliedert werden kann und deshalb das Recht haben soll, vorzeitig in den Ruhestand zu treten und Altersruhegeld zu beziehen (vgl dazu BSGE 35, 85, 86). Dabei muß in Kauf genommen werden, daß früher auf die Dauer der Arbeitslosigkeit anrechenbar gewesene Unterbrechungszeiten heute nicht mehr angerechnet werden können und daß dieser Nachteil für die Versicherten im Einzelfall auch durch die Beseitigung des Erfordernisses einer "ununterbrochenen" Arbeitslosigkeit nicht ausgeglichen wird.

Der Kläger war, nachdem er sich am 30. Oktober 1973 beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet hatte, bis zu dem von ihm beanspruchten Tage des Rentenbeginns (1. November 1974) nicht mindestens 52 Wochen arbeitslos im Sinne des § 1248 Abs 2 RVO in der hier anzuwendenden neuen Fassung. Daß im Sinne dieser Vorschrift nicht jeder arbeitslos ist, der "vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausübt" (Begriff der Arbeitslosigkeit nach § 101 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes - AFG -), sondern darüber hinaus erforderlich ist, daß der Versicherte der Arbeitsvermittlung objektiv und subjektiv zur Verfügung steht, dh arbeitsfähig (vermittlungsfähig) und arbeitsbereit ist (vgl § 103 Abs 1 AFG), entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl Urteil des Senats vom 29. Juli 1976, SozR 2200 § 1248 Nr 15, S 28 mwN).

Der Kläger war während der Zeit des ihm gewähren Heilverfahrens (28. Mai bis 9. Juli 1974) nicht vermittlungsfähig. Um den Zweck dieses Heilverfahrens zu erreichen, nämlich die durch Krankheit geminderte Erwerbsfähigkeit des Klägers wiederherzustellen oder zu bessern (vgl § 1236 Abs 1 RVO idF des ArVNG), konnte der Kläger keine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausüben (vgl § 103 Abs 1 Nr 1 AFG). Er hätte das Heilverfahren, das ihm die Beklagte auf seinen Antrag und mit seiner Zustimmung bewilligt hatte, auch nicht vorzeitig abbrechen dürfen; denn damit hätte er gegen seine Verpflichtung verstoßen, bei Durchführung des Heilverfahrens nach Kräften mitzuwirken (so jetzt ausdrücklich § 4 Abs 1 Satz 2 des Rehabilitationsangleichungsgesetzes - RehaAnglG - vom 7. August 1974, BGBl I 1881; vgl auch §§ 60 ff des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - vom 11. Dezember 1975, BGBl I 3015, insbesondere § 63). Der Kläger war also während der Dauer des Heilverfahrens "rechtlich gebunden" iS des § 103 Abs 1 AFG und deshalb für die Arbeitsvermittlung nicht verfügbar. Dementsprechend sieht die Neuregelung der Rehabilitationsleistungen durch das RehaAnglG für Bezieher von Arbeitslosengeld, die sich einer medizinischen Maßnahme zur Rehabilitation unterziehen, anstelle des (mangels Verfügbarkeit) nicht weiter zu zahlenden Arbeitslosengeldes die Gewährung eines Übergangsgeldes vor (vgl § 1241 Abs 3 iVm § 1240 Satz 1 RVO idF des RehaAnglG). Auch die Verwaltungspraxis der Bundesanstalt für Arbeit geht davon aus, daß "während der Durchführung einer stationären Heilbehandlung (vgl §§ 1236 ff RVO) der Arbeitslose der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung steht" (Runderlaß der Bundesanstalt 18/65.4 vom 28. Dezember 1964, Nr 27 der Weisungen zu § 76 AVAVG, abgedruckt bei Schmitz/Specke/Picard, Kommentar zum AFG, Stand 1. Mai 1976, zu § 103, Amtliche Verlautbarungen; Funderlaß der Bundesanstalt 176/69.4 vom 6. Juni 1969, Dienstblatt Ausgabe A 1969, S 673, 684, Nr 5 der Weisungen zu § 103 AFG).

Daß die Verfügbarkeit von Arbeitslosen während eines zweiwöchigen, allenfalls dreiwöchigen Erholungs"urlaubs" unter bestimmten Voraussetzungen erhalten bleibt (vgl Runderlaß der Bundesanstalt 15/76.4.1 vom 22. Dezember 1975, Dienstblatt 1976, S 71; Urteil des 7. Senats des BSG vom 21. Juli 1977, 7 RAr 38/76), hat besondere Gründe; die insoweit geltende Regelung kann auf Fälle eines - meist 4- bis 6wöchigen Heilverfahrens - nicht entsprechend angewendet werden. Im übrigen hatte der Kläger dem Arbeitsamt vom Antritt der Kur nichts gesagt; dieses hatte daher keine Gelegenheit gehabt, vorher zu prüfen, ob während der Kur voraussichtlich Stellenangebote eingehen werden. Nur unter dieser Voraussetzung - vorherige Prüfung des Arbeitsmarktes durch das Arbeitsamt -, käme aber eine "Beurlaubung" des Arbeitslosen in Betracht (vgl das genannte Urteil des 7. Senats).

Ob ferner ein Versicherter während der Dauer einer Rehabilitationsmaßnahme ausnahmsweise dann als vermittlungsfähig angesehen werden könnte, wenn der Träger der Maßnahme für den Fall, daß dem Versicherten während der Durchführung der Maßnahme wider Erwarten eine geeignete Arbeit angeboten wird, dem Abbruch der Maßnahme vorher zugestimmt hat, braucht nicht entschieden zu werden, da auch ein solcher Fall hier nicht vorliegt.

War der Kläger somit während der Zeit des Heilverfahrens nicht vermittlungsfähig und damit nicht arbeitslos iS des § 1248 Abs 2 RVO, so hat er die in dieser Vorschrift geforderte Mindestdauer der Arbeitslosigkeit von 52 Wochen nicht vor dem Monat Dezember 1974 zurückgelegt. Demgemäß steht ihm das Altersruhegeld, wie die Beklagte und das LSG zutreffend entschieden haben, erst sei dem 1. Januar 1975 zu Der Senat hat deshalb seine Revision als unbegründet zurückgewiesen und über die Kosten nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes entschieden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651519

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