Entscheidungsstichwort (Thema)
Kinderzuschuß für die Zeit der Unterbringung der Enkelin in Fürsorgeerziehung in einem Heim
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Halbs in RVO § 119a aF, "soweit solche Leistungen für die Zeit der Unterbringung zustehen" zeigt, daß es nicht auf den Anspruch des Rentners bis zur Heimunterbringung ankommt, sondern auf die materiell-rechtliche Gestaltung dieses Anspruchs in der Zeit, in der die Heimunterbringung durchgeführt wird. Es ist daher entscheidend, ob der Rentner auch für die Zeit der Fürsorgeerziehung einen Anspruch auf Kinderzuschuß hat, der dann übergehen kann.
2. In Fällen der Fürsorgeerziehung in einem Erziehungsheim kann der Großelternteil seine Erziehung als wesentlichen Teil der Aufnahme des Enkels in seinen Haushalt nicht fortsetzen. 2. Der Halbs in RVO § 119a aF, "soweit solche Leistungen für die Zeit der Unterbringung zustehen" zeigt, daß es nicht auf den Anspruch des Rentners bis zur Heimunterbringung ankommt, sondern auf die materiell-rechtliche Gestaltung dieses Anspruchs in der Zeit, in der die Heimunterbringung durchgeführt wird. Es ist daher entscheidend, ob der Rentner auch für die Zeit der Fürsorgeerziehung einen Anspruch auf Kinderzuschuß hat, der dann übergehen kann. 3. In Fällen der Fürsorgeerziehung in einem Erziehungsheim kann der Großelternteil seine Erziehung als wesentlichen Teil der Aufnahme des Enkels in seinen Haushalt nicht fortsetzen.
Normenkette
RVO §§ 119a, 1262 Abs. 2 Nr. 8 Fassung: 1964-04-14; BKGG § 2 Abs. 1 Nr. 7
Tenor
Die Revision des Beigeladenen gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Dezember 1970 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Umstritten ist, ob der Kinderzuschuß an das Kreisjugendamt für die Zeit zu gewähren ist, in der die Enkelin des Klägers in Fürsorgeerziehung in einem Heim untergebracht war (§ 1262 Abs. 1, 2 und 7 der Reichsversicherungsordnung - RVO -, § 119 a RVO aF).
Der Kläger hatte seine im Dezember 1951 geborene Enkelin seit Geburt in seinen Haushalt aufgenommen. Im August 1968 wurde die Enkelin durch Beschluß des Vormundschaftsgerichts in Fürsorgeerziehung überwiesen. Das Kreisjugendamt übergab sie einem Mädchenheim zur Erziehung. Die Kosten von monatlich etwa 350,- DM wurden durch die Mutter des Mädchens, durch seine Waisenrente und durch das Kreisjugendamt bestritten. Der Kläger wurde auf seinen Einspruch gegen die Heranziehung zu einem Teil der Kosten von der Kostenpflicht befreit. Am 1. November 1969 wurde die Enkelin aus der Heimerziehung entlassen und kehrte in den Haushalt des Klägers zurück.
Der Kläger erhielt seit Mai 1962 einen Kinderzuschuß für die Enkelin zu seiner Rente. Die Beklagte entzog den Kinderzuschuß zu Ende August 1968, weil die Enkelin aus dem Haushalt des Klägers ausgeschieden sei (Bescheid vom 29. Oktober 1968). Die auf Weitergewährung des Kinderzuschusses gerichtete Klage blieb ohne Erfolg. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 10. Dezember 1970).
Das LSG hat auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG 29, 294) verwiesen, wonach ein Pflegekindschaftsverhältnis durch die Unterbringung des Pfleglings in Fürsorgeerziehung nicht in dem Sinne beendet werde, daß nach Heimentlassung ein neues Pflegekindschaftsverhältnis begründet würde; das alte Verhältnis lebe nur wieder auf, wenn der Versicherte während der Heimerziehung seine Absicht zur Fortsetzung der häuslichen Familiengemeinschaft habe erkennen lassen und das Kind nachher wieder aufgenommen habe. Dies treffe hier zu. Der Kläger habe die Verbindung mit der Enkelin aufrecht erhalten. Er habe sie besucht; die Enkelin habe im Sommer 1969 eine Woche Urlaub in seinem Haushalt verbracht und sei schließlich wieder in seinen Haushalt zurückgekehrt. Mit der Einweisung in das Heim sei es dem Kläger jedoch nicht mehr möglich gewesen, die Enkelin zu erziehen und zu betreuen. Die Fürsorgeerziehung werde gerade in einem Heim durchgeführt, weil das Kind aus seiner bisherigen Umgebung entfernt werden müsse, um seine Verwahrlosung zu verhüten oder zu beheben. Die Anstaltserziehung trete an die Stelle der elterlichen Erziehung. Die Erscheinungsformen einer Haushaltsaufnahme, wie Versorgung, Erziehung, Beaufsichtigung, lägen in der Hand der Heimleitung. Demgegenüber träten die briefliche Verbindung, der einmalige Besuch des Klägers im Erziehungsheim und die Urlaubswoche der Enkelin in seinem Haushalt in den Hintergrund. Wesentlich sei auch, daß der Unterhalt der Enkelin während des Heimaufenthaltes durch ihre eigene Waisenrente, die Leistungen der Mutter und aus öffentlichen Mitteln bestritten worden sei, während der Kläger sich erfolgreich gegen seine Heranziehung zu einem Teil der Kosten gewehrt habe. Deshalb sei der Kinderzuschuß für die Zeit der Heimerziehung nach § 1262 Abs. 7 RVO weggefallen.
Das vom Sozialgericht (SG) im Hinblick auf § 119 a RVO beigeladene Kreisjugendamt hat Revision eingelegt und sinngemäß beantragt, das Urteil des LSG insoweit aufzuheben, als die Berufung des Klägers zurückgewiesen wurde, das Urteil des SG und den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Kinderzuschuß für die Zeit vom 1. September 1968 bis 31. Oktober 1969 zu zahlen.
Das Kreisjugendamt rügt eine Verletzung des § 1262 Abs. 1 Nr. 8 RVO. Es meint, in der verhältnismäßig kurzen Zeit der Heimerziehung seien der menschliche Kontakt und das familiäre Band zwischen dem Kläger und der Enkelin erhalten geblieben. Die Aufnahme in den Haushalt ende nicht dadurch, daß das Kind zur Erziehung oder Ausbildung in einer Erziehungs- oder Lehranstalt untergebracht worden sei. Das Band zwischen den Erziehungsberechtigten und dem Kind solle nicht getrennt werden. Gerade bei Heimunterbringung sei es für die Entwicklung des Kindes sehr fruchtbar, wenn der Erziehungsberechtigte im positiven Sinne mit der Fürsorgeerziehungsbehörde zum Wohl des Kindes zusammenarbeite.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie meint, die Haushaltszugehörigkeit im Sinne des § 1262 Abs. 2 Nr. 8 RVO hätte bestenfalls dann fortbestanden, wenn die Enkelin vom Kläger während des Heimaufenthaltes materiell und ideell in nennenswertem Umfang betreut worden wäre. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Bei der Enkelin sei wegen "erzieherischer Schwierigkeiten" die großelterliche Erziehung durch die Anstaltserziehung ersetzt worden.
Der Kläger ist nicht vertreten.
II
Die Revision ist nicht begründet. Der Entscheidung des LSG ist zuzustimmen.
Das Kreisjugendamt stützt den Anspruch auf Zahlung des Kinderzuschusses auf § 119 a RVO aF. Danach geht bei Fürsorgeerziehung des Kindes der Anspruch auf Kinderzuschuß auf den Kostenträger der Fürsorgeerziehung über. Dieser Forderungsübergang kraft Gesetzes läßt zunächst daran denken, daß der Anspruch auf den Kinderzuschuß, so wie der Rentner ihn nach § 1262 RVO bis zum Beginn der Fürsorgeerziehung hat, dem Grunde nach auf den Kostenträger der Fürsorgeerziehung übergeht. Der Halbsatz in § 119 a RVO aF "soweit solche Leistungen für die Zeit der Unterbringung zustehen" zeigt jedoch, daß es nicht auf den Anspruch des Rentners bis zur Heimunterbringung ankommt, sondern auf die materiell-rechtliche Gestaltung dieses Anspruchs in der Zeit, in der die Heimunterbringung durchgeführt wird. Es ist daher entscheidend, ob der Rentner auch für die Zeit der Fürsorgeerziehung einen Anspruch auf Kinderzuschuß hat, der dann übergehen kann. Dies ist nach § 1262 Abs. 2 RVO verschieden, je nachdem, ob es sich um eheliche, für ehelich erklärte, adoptierte Kinder und nichteheliche Kinder des Rentners (Nr. 1, 3, 4, 5, 6 des § 1262 Abs. 2 RVO) oder um Stief- und Pflegekinder, Enkel und Geschwister des Rentners handelt (Nr. 2, 7, 8 aaO). Bei der letzten Gruppe ist der Anspruch des Rentners im Gegensatz zu den Kindern der ersten Gruppe nicht allein durch das Kindschaftsverhältnis begründet, sondern an weitere Merkmale geknüpft, wie Aufnahme in den Haushalt oder überwiegender Unterhalt bei Enkeln. Ob der Anspruch auf Kinderzuschuß für ein Enkelkind während der Heimunterbringung fortbesteht, hängt demnach davon ab, ob die zur Eigenschaft als Enkelkind hinzukommenden Merkmale der Haushaltsaufnahme oder des überwiegenden Unterhalts weiter erfüllt sind.
Als der Kinderzuschuß für die Enkelin bewilligt wurde, galt § 1262 Abs. 2 Nr. 7 RVO idF vom 23.2.1957 mit der Verweisung auf § 2 Abs. 1 Satz 3 des Kindergeldgesetzes (KGG). Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 KGG idF vom 27.7.1957 galten als Pflegekinder Kinder, die in den Haushalt von Großeltern oder Geschwistern aufgenommen sind oder von ihnen überwiegend unterhalten werden. Der zur Zeit der Heimerziehung der Enkelin des Klägers geltende § 1262 Abs. 2 Nr. 8 RVO idF des § 36 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) vom 14.4.1964 mit der Verweisung auf § 2 Abs. 1 Nr. 7 BKGG ist hier für den Anspruch auf Kinderzuschuß während der Zeit der Heimunterbringung maßgeblich. Im übrigen sind die hier wesentlichen gesetzlichen Merkmale für die Eigenschaft von Enkeln als "Kinder" ihrem Inhalt nach gleich geblieben: Aufnahme in den Haushalt oder überwiegender Unterhalt.
Diese Merkmale haben während der Heimunterbringung der Enkelin nicht fortbestanden. Unzweifelhaft hat der Kläger die Enkelin während dieser Zeit nicht überwiegend unterhalten. Aber auch die Haushaltsaufnahme war während dieser Zeit unterbrochen. "Aufnahme in den Haushalt" bedeutet, daß der Berechtigte dem Enkelkind Dienste und Leistungen, die Unterhaltscharakter haben, zuwendet, wie Beaufsichtigung, Erziehung, Pflege, dem Enkel geltende Hausarbeiten (4 RJ 3/70 vom 23.6.1971), Fürsorge, Versorgung, die einen gewissen Unterhalt mitumfaßt (SozR Nr. 10 zu § 2 KGG, Nr. 19 zu § 1262 RVO, Nr. 43 zu § 1267 RVO), Tragung von Kosten des Haushalts (SozR Nr. 4 zu § 2 BKGG). Der Aufenthalt in der Wohnung des Großelternteils ist nicht unbedingt erforderlich, um von einer Aufnahme im Haushalt sprechen zu können. Eine Aufnahme in den Haushalt liegt auch noch vor, wenn das Kind sich zu Schul- oder Berufsausbildung auswärts befindet (SozR Nr. 14 zu § 2 KGG). In solchen Fällen setzt der Großelternteil die Erziehung mittelbar fort, indem er bestimmte Personen seines Vertrauens mit Erziehungsmaßnahmen, die in seinem Sinn liegen und seiner Auffassung von Erziehung entsprechen, beauftragt, z.B. bei Unterbringung in einem Internat zwecks Schulbesuchs.
Bei Fürsorgeerziehung eines Kindes durch gerichtliche Anordnung und Unterbringung in einem Erziehungsheim liegen die Verhältnisse jedoch anders. In solchen Fällen kann der Großelternteil seine Erziehung als wesentlichen Teil der Aufnahme des Enkels in seinen Haushalt nicht fortsetzen. Sie wird ihm vielmehr durch die Anordnung der Fürsorgeerziehung und Heimunterbringung entzogen. Voraussetzung der Fürsorgeerziehung ist, daß der Minderjährige zu verwahrlosen droht oder verwahrlost ist und daß keine ausreichende andere Erziehungsmaßnahme gewährt werden kann (§§ 64, 70, 71 JWG hier idF vom 11.8.1961). Die Anordnung der Fürsorgeerziehung besagt damit mittelbar, daß die bisherige Erziehung nicht den Erfolg hatte, der mit der Erziehung Jugendlicher erstrebt wird und daß deshalb die bisherige "Erziehung" durch die Fürsorgeerziehung ersetzt wird (vgl. auch SozR Nr. 20 zu § 1262 RVO).
Mit der Einweisung der Enkelin in das Erziehungsheim hat sie nicht nur vorübergehend einen anderen Aufenthaltsort erhalten. Es wurde damit vielmehr dem Kläger unmöglich gemacht, seine Erziehungsmaßnahmen fortzusetzen oder in seinem Sinn durch Dritte ausüben zu lassen. Damit ist ein wesentlicher Teil der Aufnahme in seinen Haushalt nicht mehr gegeben. Infolgedessen sind die Voraussetzungen der Gewährung des Kinderzuschusses mit der Einweisung in das Heim entfallen (§ 1262 Abs. 7 RVO).
Dem steht nicht entgegen, daß während der Heimerziehung das Band zwischen dem Jugendlichen und seinen Angehörigen aufrechterhalten werden soll und daß die Fürsorgebehörde mit den Angehörigen zum Wohl des Jugendlichen zusammenarbeitet. Die aufrechterhaltene Verbindung zwischen dem Kläger und der Enkelin hat aber nur bewirkt, daß nach Beendigung der Heimerziehung und Rückkehr der Enkelin in den Haushalt des Klägers nicht eine "Aufnahme in den Haushalt" neu begründet wurde, sondern daß die frühere Haushaltsaufnahme wieder aufgelebt ist (SozR Nr. 20 zu § 1262 RVO). Der briefliche Verkehr zwischen dem Kläger und der Enkelin, sein Besuch im Erziehungsheim und die eine Woche Urlaub der Enkelin in seinem Haushalt sprechen ebenfalls dafür, daß die frühere Haushaltsaufnahme mit der Einweisung in das Heim nicht beendet, sondern nur unterbrochen worden und nach der Rückkehr der Enkelin in den Haushalt des Klägers wieder aufgelebt ist. Diese Vorgänge ändern aber nichts daran, daß dem Kläger ein sehr wesentlicher Teil der Haushaltsaufnahme, nämlich die Ausübung von Erziehungsmaßnahmen nach seinem Gutdünken, während der Heimerziehung nicht möglich war. Das LSG hat deshalb zu Recht entschieden, daß der Kläger für die Zeit der Fürsorgeerziehung der Enkelin keinen Kinderzuschuß beanspruchen kann. Somit konnte auch kein Anspruch auf das Kreisjugendamt übergehen. Die Revision des beigeladenen Kreisjugendamtes ist deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen