Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 05.11.1976) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 5. November 1976 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, wann die Antragsfrist für die Gewährung von Konkursausfallgeld (Kaug) nach § 141 e Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) im Falle der Abweisung des Antrages auf Konkurseröffnung mangels Masse (§ 141 b Abs. 3 Nr. 1 AFG) beginnt.
Der Kläger war bis 22. August 1973 bei der Fa. H. in B. beschäftigt. Den Lohn für den Monat August 1973 in Höhe von 1.689,82 DM netto blieb die Arbeitgeberin dem Kläger schuldig. Über diese Forderung erwirkte der Kläger am 14. November 1973 ein inzwischen rechtskräftiges Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart. Am 12. Februar 1975 wies das Amtsgericht Stuttgart einen Antrag der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) für den Rems-Murr-Kreis, Waiblingen, auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Fa. H. mangels Masse ab. Hiervon erfuhr der Kläger erst, als das Amtsgericht Stuttgart im Rahmen eines vom Deutschen Gewerkschaftsbund eingeleiteten Konkursverfahrens mit Schreiben vom 17. April 1975 auf seinen früheren Beschluß hinwies. Am 15. Mai 1975 beantragte der Kläger die Gewährung von Kaug für die Restlohnforderung von 1.689,82 DM netto. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, daß die Ausschlußfrist des § 141 e Abs. 1 Satz 2 AFG versäumt worden sei (Bescheid vom 30. Juli 1975). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10. November 1975). Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Kiel die angefochtenen Bescheide aufgehoben und dem Kläger Kaug in der begehrten Höhe zugesprochen (Urteil vom 8. April 1976). Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 5. November 1976). Zur Begründung wird ausgeführt, daß der Zeitpunkt der Eröffnung des Konkursverfahrens derjenige Zeitpunkt sei, an dem der Beschluß erlassen worden sei, nicht aber der Zeitpunkt, an dem er zugestellt oder veröffentlicht worden sei. Da nach § 141 b Abs. 3 Nr. 1 AFG die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse der Eröffnung des Konkursverfahrens bei der Anwendung aller Vorschriften über das Kaug gleichzustellen sei, müsse man auch für den Fall der Abweisung des Konkursantrages mangels Masse von dem Zeitpunkt ausgehen, an dem der Richter den Beschluß erlassen habe.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, aus dem Gedanken des sozialen Rechtsstaats (Art. 20 und 28 des Grundgesetzes –GG–) müsse gefolgert werden, daß die Ausschlußfrist solange nicht beginnen könne, wie der Arbeitnehmer nicht wenigstens die Möglichkeit einer Kenntnisnahme gehabt habe. Außerdem müsse es als Rechtsmißbrauch angesehen werden, wenn sich die Beklagte auf eine Ausschlußfrist berufe, deren Beginn der Kläger überhaupt nicht wahrnehmen konnte.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden wird (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Dem Kläger stellt für seine Restlohnforderung in Höhe von 1.689,82 DM netto für den Monat August 1975 ein Anspruch auf Kaug nicht zu. Das LSG hat deshalb die Klage zu Recht abgewiesen.
Nach § 141 e Abs. 1 Satz 2 AFG ist der Antrag auf Kaug innerhalb einer Ausschlußfrist von zwei Monaten nach der Eröffnung des Konkursverfahrens zu stellen. Eröffnungszeitpunkt ist nach § 108 der Konkursordnung (KO) stets der Zeitpunkt, in dem der Richter den Beschluß unterzeichnet (BGHZ 50, 242, 245; Jäger, KO, 8. Aufl, § 108 Anm. 1; Mentzel-Kuhn, KO, 8. Aufl, § 108 Anm. 1; Böhle-Stamschräder, KO, 12. Aufl, § 108 Anm. 1). Zu Unrecht hat das Berufungsgericht aus der Regelung des § 141 b Abs. 3 Nr. 1 AFG, wonach die Abweisung des Antrags auf Konkurseröffnung mangels Masse bei der Anwendung der Vorschriften über das Kaug der Eröffnung des Konkursverfahrens gleichgestellt ist, geschlossen, daß auch hier die Ausschlußfrist im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abweisungsbeschlusses durch den Richter beginnt. Wie der Senat durch Urteil vom heutigen Tage in einem ähnlich gelagerten Fall (– 12 RAr 93/76 – zur Veröffentlichung bestimmt) entschieden hat, beginnt bei Abweisung eines Antrags auf Konkurseröffnung mangels Masse die Ausschlußfrist des § 141 e Abs. 1 Satz 2 AFG erst in dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller Kenntnis von dem Abweisungsbeschluß erhalten hat. Diese dem Wortlaut des § 141 e Abs. 1 Satz 3 iVm § 141 b Abs. 3 Nr. 1 AFG gegenüber einengende Rechtsanwendung rechtfertigt sich aus den objektiven Unterschieden zwischen der Publizität im Fall der Konkurseröffnung und derjenigen bei Ablehnung der Eröffnung eines Konkursverfahrens mangels Masse (vgl. BSG Urteil vom 20. Oktober 1977 – 12 RAr 93/76 –).
Auch wenn demnach davon ausgegangen werden kann, daß der Antrag des Klägers auf Kaug am 15. Mai 1975 noch rechtzeitig gestellt worden ist, weil er frühestens am 17. April 1975 von der Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse erfahren hat, steht ihm dennoch ein Anspruch auf Kaug für die Restlohnforderung aus dem Monat August 1973 nicht zu.
Nach § 141 b Abs. 2 AFG können nur solche Ansprüche auf Arbeitsentgelt der Gewährung von Kaug zugrunde gelegt werden, die Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 3 a KO sein können. Masseschulden nach dieser Vorschrift können nur Förderungen auf Arbeitsentgelt sein, die für die letzten sechs Monate vor der Eröffnung des Konkursverfahrens rückständig sind. Die Vorschrift des § 141 b AFG sieht demnach eine doppelte Begrenzung vor. Die Ansprüche auf Arbeitsentgelt, für die Kaug begehrt wird, müssen für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses bestehen (§ 141 b Abs. 1 AFG) und dürfen gemäß § 141 b Abs. 2 AFG nicht für Zeiten geschuldet werden, die länger als sechs Monate vor Konkurseröffnung liegen (Mentzel-Kuhn, KO, 8. Aufl § 59 Anm. 15). Im Falle der Abweisung eines Konkursantrages mangels Masse gilt gemäß § 141 b Abs. 3 AFG das gleiche.
Bei dieser Auslegung wird nicht verkannt, daß in der Erstfassung des § 141 b AFG nach dem Gesetz über das Kaug vom 17. Juli 1974 (BGBl I Seite 1481) der Absatz 2 bei gleichem Wortlaut eine andere Funktion hatte. Da Abs. 1 damals ohnehin Kaug nur für Arbeitsentgelt vorsah, das für die letzten drei Monate vor der Eröffnung des Konkursverfahrens geschuldet wurde, war der längere Zeitrahmen des § 59 Abs. 1 Nr. 3 a KO insoweit ohne Bedeutung. Die Regelung des § 141 b Abs. 2 AFG konnte zu dieser Zeit demnach lediglich den Zweck haben, den Begriff des Arbeitsentgelts zu definieren, dh diejenigen Forderungen ihrem Charakter nach abzugrenzen, für die Kaug gewährt werden sollte und andere Forderungen, denen Entgeltcharakter zugesprochen werden könnte, für die aber kein Kaug gezahlt werden sollte, auszuschließen. Diese Funktion der Vorschrift hat sich aber verändert. Durch Art. 27 Nr. 20 des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974 (BGBl I Seite 3649) wurde die heutige Fassung des § 141 b Abs. 1 AFG rückwirkend eingeführt. Maßgebend waren nunmehr nicht die letzten drei Monate vor Konkurseröffnung, sondern die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor Konkurseröffnung. Damit gewann auch die zeitliche Begrenzung in § 59 Abs. 1 Nr. 3 a KO für das Kaug Bedeutung. Aus den Motiven ist allerdings kein Anhalt ersichtlich, daß der § 141 b Abs. 2 AFG durch die Änderung des Absatzes 1 der gleichen Vorschrift nunmehr neben dem Definitionscharakter auch noch die Funktion einer zeitlichen Begrenzung erhalten sollte (vgl. BT-Drucks 7/2931 S. 29 Nr. 19 a und BT-Drucks 7/2945 S. 4 zu Art. 23). Diese Funktion ergibt sich aber aus dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes. Die Nichtbeachtung des zeitlichen Rahmens von § 59 Abs. 1 Nr. 3 KO würde nämlich dazu führen, daß auch Arbeitsentgelt aus weiter zurückliegenden Zeiten berücksichtigt werden müßte, das – sofern es in die Zeit zwischen dem 6. und 12. Monat vor Eröffnung des Konkursverfahrens fällt – Konkursforderung nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO wäre oder – sofern es noch für weiterzurückliegende Zeiten geschuldet würde – zu den Konkursforderungen nach § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO gehörte. Bereits der Gebrauch des Wortes „Masseforderung” in § 141 b Abs. 2 AFG zeigt deutlich, daß derartige Konkursforderungen nach § 61 KO für die Gewährung von Kaug nicht in Betracht kommen können. Dies verbietet sich auch aus systematischen Gründen. Es würde dann nämlich den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt, die nur den Rang von Konkursforderungen nach § 61 KO haben, durch die Gewährung von Kaug im Ergebnis eine Absicherung zuteil, die größer ist als die der sonstigen Masse- und Konkursforderungen von Arbeitnehmern, die ihrem Charakter nach nicht zur Inanspruchnahme von Kaug berechtigen, konkursrechtlich aber einen besseren Rang haben. Dieses Ergebnis würde der Wertung widersprechen, die in der von der KO festgelegten Rangfolge zum Ausdruck kommt (vgl. § 60 Abs. 1 und § 61 Abs. 2 KO). Aus diesen Gründen muß § 141 b Abs. 2 AFG nach der Gesetzesänderung durch das Einführungsgesetz zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974 dahin verstanden werden, daß er auch eine zeitliche Begrenzung für die Gewährung von Kaug auf Forderungen von Arbeitsentgelt enthält, die für die letzten sechs Monate vor Konkurseröffnung oder einem nach § 141 b Abs. 3 AFG gleichgestellten Tatbestand bestehen.
In diesen Zeitraum fallen die von dem Kläger seinem Anspruch zugrunde gelegten Forderungen nicht. Sie werden für August 1973 geschuldet, also für eine Zeit, die über ein Jahr vor dem Zeitpunkt (12. Februar 1975) liegt, in dem der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers des Klägers mangels Masse abgelehnt wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen