Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.07.1966) |
Tenor
Die Revision der beigeladenen Landesversicherungsanstalt gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Juli 1966 wird zurückgewiesen.
Die beigeladene Landesversicherungsanstalt hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beigeladenen Dorfhelferinnen während ihrer Beschäftigung beim klagenden „Dorfhelferinnenwerk” seit dem 1. Oktober 1962 in der Rentenversicherung der Arbeiter (ArV) oder der Angestellten (AV) versichert waren. Sie wurden vom Kläger, einem eingetragenen Verein zur Förderung des Berufes der Dorfhelferin, seit 1961 im sog. fliegenden Einsatz verwendet und von ihm für ihre Tätigkeit nach Gruppe VIII des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) entlohnt. Die auf diese Zeit entfallenden Beiträge wurden zur AV entrichtet.
Mit Bescheid vom 6. Juni 1963 stellte die Beklagte dem Kläger gegenüber fest, daß die bei ihm beschäftigten Dorfhelferinnen zur ArV versicherungspflichtig seien und ab 1. Oktober 1962 umgestuft würden, weil sie nach dem festgestellten Beschäftigungsbild überwiegend körperlich tätig seien. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 11. November 1963 zurück.
Das Sozialgericht (SG) Stuttgart (Urteil vom 15. Juli 1964) und das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (Urteil vom 26. Juli 1966) haben die beigeladenen Dorfhelferinnen dagegen für angestelltenversicherungspflichtig gehalten. Das LSG hat ausgeführt, die Versicherungspflicht der Beigeladenen sei nicht nach der im Einzelfall etwa tatsächlich ausgeübten körperlichen Beschäftigung, sondern nach dem durch Ausbildung und Prüfung festgelegten Berufsbild der Dorfhelferinnen zu beurteilen. Danach würden diese als selbständige und eigenverantwortliche Vertreterinnen der Bäuerin, Hausfrau und Mutter im bäuerlichen Familieneinsatz, in der Betreuung der ländlichen weiblichen Jugend und in der Wirtschaftsberatung des Dorfes überwiegend mit Aufgaben leitender und überwachender Art betreut, die – unter Berücksichtigung auch des fürsorgerischen Zwecks des Berufseinsatzes – als überwiegend geistige Tätigkeiten der Fürsorge im Sinne des § 3 Abs. 1 Ziff. 6 AVG einzustufen seien.
Die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) hat die zugelassene Revision eingelegt und vorgetragen, die Tätigkeit einer Dorfhelferin sei nach ihrem tatsächlichen Erscheinungsbild überwiegend körperlicher Art. Dies gelte insbesondere für ihre Betätigung im Rahmen des bäuerlichen Familieneinsatzes, die tatsächlich ihre Hauptbeschäftigung, wenn nicht sogar ausschließliche Tätigkeit darstelle.
Die beigeladene LVA beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 26. Juli 1966 und das Urteil des SG Stuttgart vom 15. Juli 1964 aufzuheben und festzustellen, daß die beigeladenen Dorfhelferinnen der Versicherungspflicht in der ArV unterliegen.
Die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) hat sich dem Vorbringen der LVA angeschlossen.
Die weiteren Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der LVA ist unbegründet. Wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, waren die beigeladenen Dorfhelferinnen während der streitigen Zeit in der AV rentenversichert.
Eine ausdrückliche normative Zuordnung zur AV fehlt allerdings für den – erst nach dem letzten Kriege geschaffenen – Beruf der Dorfhelferin; er wird weder im AVG noch im Berufsgruppenverzeichnis der AV genannt (Gleiches gilt für den „Zwillingsberuf” der Haus- und Familienpflegerin, deren ländliche „Sonderform” die Dorfhelferin ist, vgl. Reichmann, Ausbildung und Beschreibung des Berufs der Hauspflegerin, Kleinere Schriften des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Heft 24, 1967, S. 12, 26, 38; zur Versicherungszugehörigkeit der Haus- und Familienpflegerin vgl. LSG Niedersachsen in Breithaupt 1968, 191). Auch eine feste Verkehrsanschauung hatte sich, jedenfalls für die streitige Zeit, insoweit noch nicht gebildet. Erst seit dem 1. Juli 1965 sind Dorfhelferinnen in der Anlage 1a zum BAT (Allgemeine Vergütungsordnung) aufgeführt, und zwar in den Vergütungsgruppen VI b (Dorfhelferinnen, denen mindestens fünf Dorfhelferinnen ständig unterstellt sind), VII (Dorfhelferinnen nach mehrjähriger Bewährung in dieser Tätigkeit) und VIII (Dorfhelferinnen), vgl. den Tarifvertrag vom 26. Oktober 1965, abgedruckt im Gemeinsamen Ministerialblatt 1966, 107.
Die Versicherungszugehörigkeit der beigeladenen Dorfhelferinnen (AV oder ArV) richtete sich deshalb nach ihren Tätigkeitsmerkmalen. Dabei ist, soweit für einen Beruf, wie hier, ein „Berufsbild” besteht, von dessen Merkmalen auszugehen, es sei denn, daß entweder das „realtypische” Erscheinungsbild des Berufes allgemein nicht dem „Idealtyp” des Berufsbildes entspricht oder daß im Einzelfall die Tätigkeit, obwohl unter der betreffenden Berufsbezeichnung ausgeübt, in nicht unerheblichem Umfange und nicht nur vorübergehend vom Berufsbild abweicht. Beides trifft für die Beigeladenen nicht zu.
Für das Land Baden-Württemberg, in dem die Beigeladenen als Dorfhelferinnen tätig waren, ergibt sich das Berufsbild der Dorfhelferin insbesondere aus den Bestimmungen des Landesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft, Weinbau und Forsten über Ausbildung, Prüfung und staatliche Anerkennung von Dorfhelferinnen vom 7. März 1959 (GABl 1959, 179) und den ab 1. Mai 1959 gültigen Richtlinien für die Arbeit und den Einsatz der Dorfhelferinnen in Württemberg, erlassen von den dortigen Dorfhelferinnenwerken im Einvernehmen mit dem Landesministerium. Hiernach umfaßt die Tätigkeit einer Dorfhelferin im sog. Familieneinsatz –entsprechend ihrem Berufsauftrag, die Bäuerin und Mutter in Notfällen (z. B. Krankheit, Wochenbett, Kur) vorübergehend zu ersetzen– vor allem folgende Aufgaben; Führung des landwirtschaftlichen Haushalts, Betreuung und Erziehung der Kinder und –in vielen Fällen– außerdem die häusliche Versorgung und Pflege von Kranken, Alten oder Wöchnerinnen, gegebenenfalls neben und unter Anleitung des Arztes, der Gemeindeschwester oder der Hebamme (vgl. auch: Die Dorfhelferin, Kleinere Schriften des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Heft 20, 2. Aufl. 1966, S. 10 ff, Reichmann aaO 13).
Von diesen drei Tätigkeitsbereichen ist namentlich der erste, der in der Regel den Hauptteil der Arbeitskraft der Dorfhelferin beanspruchen wird, der AV zuzuordnen. Die selbständige Führung eines Landhaushaltes einschließlich der Versorgung des Viehs und der Vermarktung gewisser Produkte erfordert auch bei kleineren und mittleren Betrieben, in denen die Dorfhelferinnen vorzugsweise eingesetzt werden (vgl. Die Dorfhelferin aaO S. 10), ein so erhebliches Maß von geistiger Beweglichkeit, Planung und Einteilungsvermögen, daß diese Merkmale trotz der sicher sehr wesentlichen körperlichen Mitarbeit der Gesamttätigkeit das Gepräge geben (vgl. die Anführung der Wirtschafter(in) im Berufsgruppenverzeichnis der AV unter Abschnitt A XVI und XIX, die sich in etwa als Vergleichsberuf anbietet). Ähnliches gilt auch für die geistige Komponente bei der Betreuung und Erziehung der Kinder (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 6 AVG: Angestellte in Berufen der Erziehung, des Unterrichts….). Allerdings wird sich die Eigeninitiative der Dorfhelferin wegen ihres von vornherein zeitlich beschränkten Einsatzes sowohl bei der Haushaltsführung, als auch bei der Kindererziehung häufig nicht voll entfalten können, wenn es auch mit zu ihren Aufgaben gehört, insoweit durch ihr Beispiel aufklärend und „stilbildend” zu wirken, wie die vom SG gehörten Sachverständigen näher dargelegt haben. Andererseits fordert gerade der häufige Wechsel der Einsatzstelle besonders große persönliche Wendigkeit, Umsicht, Anpassungsfähigkeit und Einfühlungsvermögen seitens der Dorfhelferin; ihr – dem geistigen Bereich zuzurechnendes – „Organisationstalent” kennzeichnet geradezu ihren Beruf (vgl. Die Dorfhelferin aaO S. 13, Reichmann aaO S. 9). Vom Berufsbild her, das als „gemischtes” Tätigkeiten vor allem der Wirtschafterin, aber auch der Erzieherin, der Kinderpflegerin, der Kranken–, Säuglings- und Kinderschwester, der Hebamme und der Sozialarbeiterin mitumfaßt (vgl. Reichmann aaO S. 13), gehört die Dorfhelferin somit in die AV (anders eine Empfehlung der Spitzenverbände der Versicherungsträger vom 27./28. Juni 1963, DOK 1963, 337, vgl. ferner DOK 1964, 167; dagegen aber schon eine Entschließung des Bayer. Staatsministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge vom 17. März 1964, angeführt bei Braun-Bäumler, Die Versicherungspflicht, Stichwort: Dorfhelferinnen; ferner Reinecke, Die Ersatzkasse 1965, 246, 249 f).
Daß die Tätigkeit einer Dorfhelferin in Württemberg allgemein wesentlich von ihrem Berufsbild abweicht, haben die Vorinstanzen nicht festgestellt und – mangels entsprechender Anhaltspunkte – offenbar nicht einmal als Möglichkeit erwogen. Das LSG hat es lediglich für denkbar gehalten, daß einzelne Dorfhelferinnen vorübergehend überwiegend körperliche Arbeiten verrichten, hat dies jedoch nicht als erheblich angesehen. Dem ist beizutreten; denn es kann gerade bei einem Beruf wie dem der Dorfhelferin, der durch den ständigen Wechsel des Arbeitsplatzes gekennzeichnet ist, nicht jeweils auf dessen besondere Verhältnisse ankommen. Vielmehr erscheint gerade hier eine gewisse generalisierende Betrachtungsweise geboten, wenn eine praktisch unerträgliche Verschiedenheit in der Beurteilung der Versicherungszugehörigkeit von Angehörigen desselben Berufes vermieden werden soll. Unerheblich ist ferner, ob die Beigeladenen während ihrer Tätigkeit als Dorfhelferinnen „Öffentlichkeitsarbeit” (Betreuung der weiblichen Jugend des Dorfes, Wirtschaftsberatung der Bäuerinnen) geleistet haben; diese Aufgabe kann – als allenfalls mitwahrzunehmende – Nebenfunktion außer Betracht bleiben. Da die Beigeladenen somit während der fraglichen Zeit der AV-Pflicht unterlagen, wie die Vorinstanzen mit Hecht festgestellt haben, ist die Revision der LVA als unbegründet zurückgewiesen worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Unterschriften
Dr. Langkeit, Dr. Krebs, Spielmeyer
Fundstellen