Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitlicher Umfang des Ruhens nach § 117 AFG. Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts. Ermessensausübung

 

Orientierungssatz

1. § 117 Abs 2 S 1 Halbs 2 iVm Abs 3 AFG legt den Zeitraum des Ruhens eines Arbeitslosengeldanspruchs kalendermäßig fest, so daß es für die Ruhenswirkung unerheblich ist, von wann ab innerhalb des vom Gesetz bestimmten Ruhenszeitraumes der Arbeitslosengeldanspruch erhoben wird. Hierauf hat auch eine zwischenzeitliche Beschäftigung keinen Einfluß. Der Arbeitslosengeldanspruch ruht auch in solchen Fällen vom Zeitpunkt seiner Entstehung bis zum jeweiligen Ende des Ruhenszeitraumes (vgl BSG 29.10.1986 7 RAr 48/85).

2. Die Rücknahme eines Verwaltungsakts nach § 45 Abs 1 SGB 10 erfordert die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens (vgl BSG 14.11.1985 7 RAr 123/84 = SozR 1300 § 45 Nr 19).

 

Normenkette

AFG § 117 Abs 2 S 1 Halbs 2; AFG § 117 Abs 3; SGB 10 § 45 Abs 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 15.02.1985; Aktenzeichen L 1 Ar 120/83)

SG Itzehoe (Entscheidung vom 15.08.1983; Aktenzeichen S 2 Ar 76/83)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg) teilweise ruht.

Der im Dezember 1927 geborene schwerbehinderte Kläger arbeitete 16 Jahre bei der Firma H.AG, zuletzt mit einem festen Arbeitsentgelt von monatlich 2.486,00 DM zuzüglich 52,00 DM Vermögensbildung. Der Kläger und sein Arbeitgeber waren tarifgebunden. Nach dem für sie maßgeblichen, ab 1. Januar 1981 gültigen Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer in der Nährmittelindustrie in Hamburg und Schleswig-Holstein (MTV), geschlossen zwischen dem Landesverband der Nährmittelindustrie Nord eV für Hamburg und der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten, Landesbezirk Hamburg/Schleswig-Holstein, konnte dem Kläger wegen seines Alters und der Betriebszugehörigkeit nicht mehr ordentlich gekündigt werden (§ 2 Nr 4 Satz 1 MTV). Das galt ua nicht für Kündigungen wegen einer Betriebsänderung iS von § 111 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Nachdem es bei dem Arbeitgeber des Klägers zu einer Betriebsänderung gekommen und ein Interessenausgleich iS des § 111 BetrVG vereinbart worden war, wurde dem Kläger nach Anhörung des Betriebsrats und mit Zustimmung der Fürsorgestelle mit Schreiben vom 31. August 1982 zum Ablauf des 30. September 1983 gekündigt. Aufgrund eines Sozialplans sollte er, wenn er zu diesem Zeitpunkt ausschied, eine Abfindung von 31.521,00 DM erhalten. Am 26. Oktober 1982 schloß der Kläger mit seinem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag und schied schon am 31. Oktober 1982 aus. Er erhielt nunmehr aufgrund des Sozialplans eine Abfindung von 36.776,00 DM. Hinzu kam eine Urlaubsabgeltung von 365,12 DM. Bei Gewährung in Anschluß an das Arbeitsverhältnis hätte der abgegoltene Urlaub bis einschließlich 9. November 1982 gedauert.

Vom 1. November 1982 bis 7. Januar 1983 arbeitete der Kläger sodann bei der Standortverwaltung (STOV) I.. Diese Tätigkeit gab er aus gesundheitlichen Gründen auf. Am 7. Januar 1983 meldete er sich arbeitslos und beantragte Alg. Mit Bescheid vom 8. Februar 1983 bewilligte die Beklagte ihm Alg ab 1. April 1983 für 312 Tage, nachdem sie mit Bescheid vom 3. Februar 1983 das Ruhen des Anspruchs für die Zeit bis zum 31. März 1983 festgestellt hatte. Sie begründete dies im wesentlichen damit, daß der Kläger wegen der Beendigung seines vorletzten Arbeitsverhältnisses von seinem damaligen Arbeitgeber eine Abfindung erhalten habe und daß dieses Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden sei.

Mit Bescheid vom 24. Februar 1983 nahm die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung des Alg gemäß § 45 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) ab 1. April 1983 "ganz" zurück. Zur Begründung gab sie an, sie habe im Nachhinein festgestellt, daß der Kläger von der Firma H.AG zusätzlich zu der Abfindung noch eine Urlaubsabgeltung erhalten habe. Um die Zeit des abgegoltenen Urlaubs verlängere sich der bereits festgestellte Ruhenszeitraum; dieser umfasse nunmehr die Zeit vom 8. Januar bis 9. April 1983. Die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide vom 3. Februar 1983 und 24. Februar 1983 hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 26. April 1983).

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 15. August 1983 die Bescheide vom 3. Februar 1983 und 24. Februar 1983 sowie den Widerspruchsbescheid vom 26. April 1983 aufgehoben und die Berufung zugelassen. Durch Urteil vom 15. Februar 1985 hat das LSG auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen folgendes ausgeführt: Der vom Kläger erhobene Anspruch auf Alg ruhe auf jeden Fall bis zum 9. April 1984. Das folge für die Zeit bis zum 31. März 1983 aus § 117 Abs 2 Sätze 1 bis 4 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) idF des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497), dessen Voraussetzungen hier vorlägen. Der Kläger habe wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der H.AG und nicht nur anläßlich der Beendigung eine Abfindung erhalten. Dadurch, daß der Kläger später aufgrund des Aufhebungsvertrages vor Ablauf der Kündigungsfrist ausgeschieden sei, weil er in ein neues Arbeitsverhältnis eintreten konnte, bleibe die Ursächlichkeit des Ausscheidens für die Abfindung unberührt.

Der Anwendung des § 117 Abs 2 AFG stehe es nicht entgegen, daß die Ruhenswirkung nicht aufgrund der Beendigung des letzten, sondern des vorletzten Arbeitsverhältnisses eingetreten sei. Sinn und Zweck der Vorschrift, nämlich Doppelleistungen von Arbeitsentgelt und Alg zu vermeiden, erforderten ihre entsprechende Anwendung auch auf Fälle dieser Art.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers sei auch ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden. Die gesetzliche Kündigungsfrist habe für den Kläger 6 Monate zum Vierteljahresschluß betragen. Mit dem Sozialplan sei allerdings auf eine zwölfmonatige Kündigungsfrist wegen § 117 AFG abgestellt worden. Es könne dahingestellt bleiben, welche der beiden Fristen als ordentliche Kündigungsfrist anzusehen sei. In jedem Fall sei das Arbeitsverhältnis früher beendet worden. Dies habe zur Folge, daß ein Anspruch auf Alg vom Ende des Arbeitsverhältnisses an, hier dem 31. Oktober 1982, bis zu dem Tage ruhe, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist, die grundsätzlich mit der Kündigung begonnen habe, geendet hätte. Ob eine Kündigungsfrist von einem Jahr gelte, könne dahingestellt bleiben. Die Beklagte habe eine sechsmonatige Kündigungsfrist angenommen. Der Kläger könne durch das Gericht nicht schlechter gestellt werden.

Eine Verkürzung des Ruhenszeitraums nach § 117 Abs 3 Satz 2 Nr 1 AFG komme nicht in Betracht. Die Beklagte habe zwar unter Anwendung dieser Vorschrift zu Recht ein Ruhen bis zum 22. April 1983 errechnet. Hier gelte jedoch der kürzere Ruhenszeitraum, dh derjenige bis zum 31. März 1983. Auch aus § 117 Abs 3 Nr 3 AFG könne eine Verkürzung des Ruhenszeitraums nicht hergeleitet werden. Es seien keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß die Firma H.AG das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grunde habe kündigen können.

Die teilweise Rücknahme der Bewilligung des Alg für die Zeit vom 1. bis 9. April 1983 mit dem Bescheid vom 24. Februar 1983 sei gleichfalls rechtmäßig. Sie richte sich nach § 45 SGB 10. Dessen Voraussetzungen seien hier gegeben. Bei der Bewilligung handele es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt, der für den hier in Betracht kommenden Zeitraum rechtswidrig sei, weil der Anspruch auf Alg nach § 117 Abs 1a iVm Abs 2 Satz 5 AFG wegen der Urlaubsabgeltung geruht habe. Die Beklagte hätte den Ruhenszeitraum um die Zeit des abgegoltenen Urlaubs verlängern müssen. Bei dem Bewilligungsbescheid vom 8. Februar 1983 habe es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt gehandelt, der in dem vorstehend aufgezeigten Umfang von Anfang an rechtswidrig iS von § 45 SGB 10 gewesen sei. Die Entscheidung über die Rücknahme habe die Beklagte grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Allerdings müsse sie den Verwaltungsakt auch zurücknehmen, wenn die Voraussetzungen der Abs 2 bis 4 dieser Vorschrift vorlägen. Das sei hier der Fall. Es komme insbesondere auf Abs 2 Satz 1 dieser Vorschrift an, wonach ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden dürfe, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut habe und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig sei. Dieses Vertrauen sei in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen habe, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen könne. Das öffentliche Interesse an der gesetzmäßigen Anwendung dieser Vorschriften habe hier mehr Gewicht als das Vertrauen des Klägers auf den Bestand der Bewilligung. Zum einen habe sich die Bewilligung noch in keiner Weise auf die Lebensführung des Klägers auswirken können. Die Leistung sollte erst am 1. April 1983 zur Auszahlung kommen. Zum anderen sei der Rücknahmebescheid vom 24. Februar 1983 dem Kläger vor der Auszahlung bekanntgegeben worden. Die Beklagte habe daher den Verwaltungsakt insoweit zurücknehmen dürfen.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 100, 117 AFG und des § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch das LSG. Er führt dazu im wesentlichen aus: Er habe zwar wegen der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zur H.AG eine Abfindung erhalten. Dieses Arbeitsverhältnis sei auch ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden. Dies erfülle die Tatbestandsmerkmale der Ruhensvorschrift in § 117 Abs 2 Satz 1 AFG nur scheinbar. Das LSG habe verkannt, daß die Prüfung, ob ein Ruhenstatbestand gegeben sei, auch die Prüfung einschließen müsse, ob überhaupt ein Alg-Anspruch bestehe. Der Eintritt der im Gesetz bestimmten Rechtsfolge setze notwendig voraus, daß auch ein Anspruch vorhanden sei, der zum Ruhen kommen könne. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur H.AG sei der Kläger nicht arbeitslos iS von § 100 Abs 1 AFG gewesen. Er habe auch die sonstigen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg nicht erfüllt. Infolgedessen habe ein derartiger Anspruch nicht ruhen können. Nicht die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses und die Zahlung einer Abfindung sei Voraussetzung für den Anspruch auf Alg, sondern der Eintritt des Versicherungsfalles und die Erfüllung der im Gesetz bestimmten Anspruchsmerkmale.

Der § 117 Abs 2 AFG verbiete den Rückgriff auf ein früheres Arbeitsverhältnis. Dies folge aus dem Wortlaut des Gesetzes, wonach Voraussetzung sei, daß der Arbeitslose wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung erhalten habe. Damit habe der Gesetzgeber eindeutig das Arbeitsverhältnis bestimmt, dessen Beendigung ursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalles Arbeitslosigkeit und daher auch für den Anspruch auf Alg sei. Der Auffassung des LSG, eine Abfindung wegen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, die nicht ursächlich für den Anspruch auf Alg sei, wirke gegebenenfalls über mehrere weitere Arbeitsverhältnisse als Ruhenstatbestand fort, könne daher nicht gefolgt werden. Auch auf die Gleichwohlgewährung von Alg nach § 117 Abs 4 AFG könne die Auffassung des LSG nicht gestützt werden. Diese Regelung stelle darauf ab, daß der Arbeitslose Arbeitsentgelt beanspruchen könne, aber nicht erhalte. Eine Doppelversorgung finde nicht statt. Der Anspruch des Arbeitslosen auf Arbeitsentgelt gehe in Höhe des Alg auf das Arbeitsamt über. Auch insoweit handele es sich nicht um ein fingiertes, sondern um ein tatsächliches Ruhen für den Fall, daß Alg gezahlt werde. Schließlich sei die Annahme des LSG nicht gerechtfertigt, daß der Anspruch ruhe, solange der Arbeitslose Geldbezüge aus einem Arbeitsverhältnis habe, die nicht als verbraucht gelten. Einen derartigen Tatbestand enthalte § 117 Abs 2 AFG nicht.

Dem LSG könne auch nicht darin gefolgt werden, daß das Ende des Ruhenszeitraums wegen der Urlaubsabgeltung zu Recht vom 1. auf den 9. April 1983 verlegt worden sei. Der Kläger habe diese Abgeltung nur für 6 Tage und nicht, wie die Beklagte meine, für 9 Tage erhalten. Nach § 117 Abs 1a AFG beginne der Zeitraum, in dem wegen des Zusammentreffens von Alg mit einer Urlaubsabgeltung der Anspruch auf Alg ruhe, mit dem Ende des die Urlaubsabgeltung begründenden Arbeitsverhältnisses. Dieses sei das Arbeitsverhältnis des Klägers zur STOV gewesen. Es habe am 7. Januar 1983 geendet. Der Anspruch des Klägers auf Alg habe daher nur im Anschluß an dieses Arbeitsverhältnis, also vom 8. Januar bis 14. Januar 1983 ruhen können. In diesem Zeitraum habe der Kläger Alg überhaupt nicht in Anspruch genommen. Dies habe das LSG nicht nur verkannt. Es habe auch seine Pflicht, den Sachverhalt vollständig aufzuklären, verletzt. Es habe versäumt festzustellen, daß die Urlaubsabgeltung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers zur STOV und für 6 Arbeitstage zu zahlen war. Auf diese Feststellung komme es nach dem Wortlaut des § 117 Abs 1a AFG entscheidend an. Wenn das LSG seiner Pflicht zur vollständigen Sachverhaltsaufklärung nachgekommen wäre, hätte es erkennen können, daß das Ruhen des Anspruchs des Klägers nur im Anschluß an das Arbeitsverhältnis zur STOV habe eintreten können. Die Entscheidung des LSG wäre sicherlich anders ausgefallen, soweit der Ruhenszeitraum wegen der Urlaubsabgeltung streitig sei.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 15. August 1983 zurückzuweisen, hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich im wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Urteils.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist im wesentlichen unbegründet.

Gegenstand der Klage sind gemäß § 95 SGG die Bescheide vom 3. Februar 1983 und 24. Februar 1983, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 1983. Mit dem Bescheid vom 3. Februar 1983 hat die Beklagte entschieden, daß der dem Kläger dem Grunde nach seit 8. Januar 1983 zustehende Anspruch auf Alg bis zum 31. März 1983 ruht. Mit dem Bescheid vom 24. Februar 1983 hat sie diesen Ruhenszeitraum bis zum 9. April 1983 verlängert und unter teilweiser Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 8. Februar 1983 die Zahlung von Alg auch für die Zeit vom 1. bis 9. April 1983 abgelehnt. Mit der Klage will der Kläger die Zahlung von Alg schon ab 8. Januar 1983 erreichen. Hierfür besteht ein Rechtsschutzinteresse, obwohl ihm Alg für die Zeit ab 11. April 1983 für 312 Tage bewilligt und gezahlt worden ist. Der Kläger bezieht seit dem 11. August 1984 Anschlußarbeitslosenhilfe. Dieser Anspruch würde sich verlängern, wenn er mit seiner Klage durchdringen würde (s BSGE 50, 121, 122 = SozR 4100 § 117 Nr 3). Soweit sich die Klage gegen den Bescheid vom 3. Februar 1983 richtet, ist sie allerdings nicht begründet. Dieser Bescheid ist nicht rechtswidrig. Hingegen ist der Bescheid vom 24. Februar 1983 rechtswidrig.

Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG erfüllte der Kläger für die Zeit ab 8. Januar 1983 die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg gemäß § 100 AFG. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Zu Recht hat die Beklagte jedoch die Auszahlung des Alg für die Zeit vom 8. Januar bis 31. März 1983 verweigert; denn in diesem Zeitraum ruhte der Anspruch des Klägers gemäß § 117 Abs 2 AFG in der hier anzuwendenden Fassung des AFKG. Die Vorschrift ordnet diese Rechtsfolge in bestimmtem Umfange an, wenn der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung zu erhalten oder zu beanspruchen hat und das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden ist. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Nach den Feststellungen des LSG ist bei der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses des Klägers zur Firma H.AG zum 31. Oktober 1982 die dem Arbeitgeber eingeräumte ordentliche Kündigungsfrist nicht eingehalten und die Abfindung von 36.776,00 DM dem Kläger wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt worden. Der Senat folgt dem LSG, daß für diese Beurteilung die vorangegangene Kündigung des Arbeitgebers zum 30. September 1983 keine Rolle spielt.

Hinsichtlich des Umfanges des Ruhens bestimmt § 117 Abs 2 Satz 1 AFG, daß dieses in Fällen der vorliegenden Art vom Ende des Arbeitsverhältnisses an beginnt und bis zu dem Tage währt, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers geendet hätte. War vor dem tatsächlichen Ende des Arbeitsverhältnisses eine ordentliche Kündigung des Arbeitgebers ausgesprochen, so begrenzt das Ende dieser Kündigungsfrist den Ruhenszeitraum (§ 117 Abs 2 Satz 1 AFG), sofern nicht eine Verkürzung des Ruhenszeitraumes nach § 117 Abs 3 AFG in Betracht kommt. Aufgrund dieser Rechtslage stünde es außer Frage, daß ein bereits am 1. November 1982 tatsächlich entstandener Alg-Anspruch des Klägers auf jeden Fall bis zum 31. März 1983 geruht hätte. Aus den Feststellungen des LSG folgt, daß ein früheres Ende der Ruhenswirkung in diesem Falle nach § 117 Abs 3 AFG nicht eingetreten wäre. Ohne Rechtsfehler hat das LSG erkannt, daß weder der nach dem Lebensalter des Klägers zu berücksichtigende Teil der Abfindung (§ 117 Abs 3 Satz 2 Nr 1 iVm Satz 3 AFG) noch ein Recht des Arbeitgebers zur fristlosen Kündigung (§ 117 Abs 3 Satz 2 Nr 3 AFG) zu einer Verkürzung des oa Ruhenszeitraumes führen konnte; das Arbeitsverhältnis war auch nicht befristet (§ 117 Abs 3 Satz 2 Nr 2 AFG).

Steht danach fest, daß dem Kläger im Falle einer anspruchsbegründenden Arbeitslosmeldung und Antragstellung zum 1. November 1982 wegen der Ruhenswirkung des § 117 Abs 2 AFG ein Anspruch auf Auszahlung von Alg nicht früher als vom 1. April 1983 an zustand, so verblieb es bei dieser Rechtswirkung ungeachtet des Umstandes, daß der Kläger vom 1. November 1982 bis 7. Januar 1983 in einem anderen Arbeitsverhältnis gestanden hat und er folglich erst für die Zeit vom 8. Januar 1983 an Alg begehrt. Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 117 AFG, jedoch aus dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift und der dementsprechend ausgestalteten Festlegung des Ruhenszeitraumes, was der Senat bereits in seinem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 29. Oktober 1986 - 7 RAr 48/85 - entschieden hat. Danach legt § 117 Abs 2 S 1 Halbs 2 iVm Abs 3 AFG den Zeitraum des Ruhens eines Alg-Anspruchs kalendermäßig fest, so daß es für die Ruhenswirkung unerheblich ist, von wann ab innerhalb des vom Gesetz bestimmten Ruhenszeitraumes der Alg-Anspruch erhoben wird. Hierauf hat auch eine zwischenzeitliche Beschäftigung keinen Einfluß. Der Alg-Anspruch ruht auch in solchen Fällen vom Zeitpunkt seiner Entstehung bis zum jeweiligen Ende des Ruhenszeitraumes.

Zu Unrecht ist das LSG davon ausgegangen, daß auch der Bescheid vom 24. Februar 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 1983 rechtmäßig ist. Nach dem Inhalt dieses Bescheides hat die Beklagte das Ruhen des Anspruchs auf Alg auch für die Zeit vom 1. bis 9. April 1983 festgestellt und insoweit die Bewilligung des Alg in dem Bescheid vom 8. Februar 1983 zurückgenommen. Rechtsgrundlage hierfür ist § 45 SGB 10. Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlichen Vorteil begründet oder bestätigt hat, soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Bei dem Bewilligungsbescheid vom 8. Februar 1983 handelt es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt. Die Rechtsauffassung des LSG, daß dieser Verwaltungsakt für den hier in Betracht kommenden Zeitraum vom 1. bis 9. April 1983 rechtswidrig ist, weil der Kläger von seinem vorletzten Arbeitgeber eine Urlaubsabgeltung erhalten hat und der abgegoltene Urlaub bis zum 9. November 1982 gedauert hätte, trifft entgegen der Auffassung des Klägers zu. § 117 Abs 1a AFG, eingefügt durch das AFKG, bestimmt, daß der Anspruch auf Alg für die Zeit des abgegoltenen Urlaubs ruht, wenn der Arbeitslose wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Urlaubsabgeltung erhalten oder zu beanspruchen hat und daß der Ruhenszeitraum mit dem Ende des die Urlaubsabgeltung begründenden Arbeitsverhältnisses beginnt. Damit sollte der Zeitraum bestimmt werden, für den die Ruhenswirkung eintreten kann und zwar für alle im Ruhenszeitraum bestehenden Ansprüche. Das folgt auch aus der Regelung des § 117 Abs 2 Satz 5 AFG, wonach sich der Ruhenszeitraum nach Satz 1 um die Zeit des abgegoltenen Urlaubs verlängert.

Da der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der Firma H.AG eine Abfindung und Urlaubsabgeltung erhalten hat, hat das LSG zutreffend diesen Sachverhalt seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Gründe, die für die Auffassung des Klägers sprechen, das LSG habe bei seiner Entscheidung davon ausgehen müssen, daß die Urlaubsabgeltung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der STOV gewährt worden sei und nur für 6 Arbeitstage zu zahlen war, sind nicht erkennbar. Entsprechende Feststellungen hat das LSG nicht getroffen. Es handelt sich insoweit um neues tatsächliches Vorbringen, das in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden kann. Die Rüge des Klägers, das LSG habe gegen § 103 SGG verstoßen, kann nicht durchgreifen. Der Kläger hat nicht schlüssig vorgetragen, weshalb sich das LSG von seinem Rechtsstandpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den Sachverhalt aufzuklären.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hätte bei Gewährung im Anschluß an das Arbeitsverhältnis der abgegoltene Urlaub bis einschließlich 9. November 1982 gedauert. Ob dies im Hinblick auf die Höhe der Urlaubsabgeltung zutrifft, mag zweifelhaft erscheinen; indessen hat der Kläger gegen diese Feststellungen des LSG keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht, so daß der Senat an diese Feststellungen gebunden ist (§ 163 SGG). Hiernach ist der Bescheid vom 8. Februar 1983 von Anfang an rechtswidrig, soweit er Alg für die Zeit vom 1. bis 9. April 1983 bewilligt hat. Der Anspruch des Klägers ruhte nämlich wegen der Urlaubsabgeltung vom 1. bis 9. November 1982. Um die Zeit des abgegoltenen Urlaubs verlängert sich damit gemäß § 117 Abs 2 Satz 5 AFG der Ruhenszeitraum nach § 117 Abs 2 Satz 1 AFG, dh, der Kläger konnte erst ab 10. April 1983 Alg beanspruchen.

Folgt aus alledem, daß die Bewilligung von Alg für die Zeit vor dem 10. April 1983 rechtswidrig war, hängt die in dem angefochtenen Bescheid vom 24. Februar 1983 ausgesprochene Rücknahme des Bewilligungsbescheides für die Zeit vom 1. bis 9. April 1983 davon ab, ob die weiteren Voraussetzungen des § 45 SGB 10 vorlagen. Die Rücknahme eines wie hier rechtswidrigen begünstigenden und bestandskräftigen Verwaltungsakts für die Zukunft ist nach § 45 Abs 1 iVm Abs 2 SGB 10 nur zulässig, soweit nicht ein bestehendes Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand des Verwaltungsakts unter Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Liegen diese Rechtsvoraussetzungen für eine Rücknahmeberechtigung vor, kommt es weiterhin darauf an, ob die Verwaltung ermessensfehlerfrei davon Gebrauch gemacht hat.

Der Senat stimmt dem LSG darin zu, daß sich der Kläger nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Alg-Bewilligung im oa Sinne berufen kann. Der Tatbestand des § 45 Abs 2 Satz 2 SGB 10, wonach das Vertrauen in der Regel schutzwürdig ist, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann, scheidet aus. Das LSG hat festgestellt, daß Anhaltspunkte für einen entsprechenden Sachverhalt zugunsten des Klägers nicht vorliegen. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falles stimmt der Senat auch der Auffassung des LSG zu, daß dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme der Bewilligung hier mehr Gewicht zukommt als dem Vertrauen des Klägers auf den Bestand des Bewilligungsbescheides. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hat sich die fehlerhafte Bewilligung noch in keiner Weise auf die Lebensführung des Klägers auswirken können. Zum anderen ist der Rücknahmebescheid dem Kläger bereits vor der Auszahlung bekanntgegeben worden.

Ungeachtet des Vorliegens der Rechtsvoraussetzungen für die streitige Rücknahme nach § 45 SGB 10 ist der Rücknahmebescheid rechtswidrig, weil die Beklagte dabei von ihrer Pflicht zur Ausübung sachgerechten Ermessens keinen Gebrauch gemacht hat. Entgegen der Auffassung des LSG ist die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts auch in Fällen wie dem vorliegenden eine Ermessensentscheidung. Das folgt aus dem Wortlaut von Abs 1 Satz 1 des § 45 SGB 10, wonach ein solcher Verwaltungsakt bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen zurückgenommen werden darf. Der erkennende Senat hat sich insoweit der Rechtsprechung des 9. und 11. Senats des Bundessozialgerichts angeschlossen (vgl BSGE 59, 157, 169 mwN = SozR 1300 § 45 Nr 19). Infolgedessen hat der Sozialleistungsträger bei Rücknahmeentscheidungen nach § 45 SGB 10 sein Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und dabei die Grenzen des Ermessens einzuhalten. Fehlt es daran, ist der Verwaltungsakt rechtswidrig (§ 39 Abs 1 SGB - Allgemeiner Teil - SGB 1).

Für die Frage, ob die Beklagte überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen hat und falls ja, ob diese rechtmäßig war, kommt es auf den Inhalt des Rücknahmebescheides, insbesondere seine Begründung an. Diese muß auf jeden Fall erkennen lassen, daß die Beklagte eine Ermessensentscheidung treffen wollte und getroffen hat. Hier hat die Beklagte die angefochtenen Bescheide lediglich damit begründet, daß die Voraussetzungen für ein Ruhen des Anspruchs auf Alg wegen der Urlaubsabgeltung gegeben seien. Diese Begründung erhellt, daß sie eine Ermessensentscheidung nicht getroffen hat. Damit ist die Entscheidung rechtswidrig, weil es an der durch den Zweck der Ermächtigung vorgeschriebenen Abwägung und angemessenen Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles fehlt (BSGE 59, 157, 170 = SozR 1300 § 45 Nr 19). Zu Recht hat daher der Kläger die Aufhebung der Rücknahmeentscheidung begehrt. Ohne die wirksame Ausübung des Ermessens durch die Beklagte läßt sich nicht feststellen, daß keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können (§ 42 Satz 1 SGB 10).

Auf die Revision des Klägers muß deshalb in diesem Umfang und auch hinsichtlich der Kostenentscheidung das angefochtene Urteil aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen werden.

Die weitergehende Revision war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662860

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Kranken- und Pflegeversicherungs Office enthalten. Sie wollen mehr?