Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderungsbescheid. Anwendung alten oder neuen Rechts
Orientierungssatz
1. Die wörtliche Anwendung des SGB 10 ergibt, daß ein nach dem 31.12.1980 erlassener Rückforderungsbescheid nach § 50 Abs 1 SGB 10 zu beurteilen ist, weil die bisher anzuwendende Vorschrift des § 1301 S 2 RVO mit dem 31.12.1980 gestrichen worden ist. Die Überleitungsvorschriften des Art 2 §§ 37 Abs 1 und 40 Abs 2 SGB 10 ändern daran nichts. Hier besteht jedoch eine Gesetzeslücke, die zu schließen ist. Nach dem Plan des Gesetzes ist bei der Rückforderung von Sozialleistungen der Leistungsempfänger in doppelter Hinsicht zu schützen: War er an der Überzahlung schuldlos oder ist die Rückforderung wegen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht vertretbar, dann muß es bei der Überzahlung verbleiben. Dieser Gedanke war nach altem Recht erst bei Erlaß des Rückforderungsbescheides (§ 1301 S 2 RVO), er ist nach neuem Recht schon bei Erlaß des Aufhebungsbescheides (§§ 45 ff SGB 10 iVm § 76 SGB 4) zu berücksichtigen. Der Fall, daß der Aufhebungsbescheid vor 1980, also ohne die erforderliche Prüfung, der Rückforderungsbescheid dagegen nach 1980, also wiederum ohne eine solche Prüfung erlassen wird, ist weder im SGB 10 noch in den Überleitungsvorschriften behandelt. Es war aber mit Sicherheit nicht die Absicht des Gesetzgebers, die verhältnismäßig kleine Gruppe von Leistungsempfängern, gegen die Bescheide dieser Art erlassen wurden, ungeschützt zu lassen.
2. Von den beiden Möglichkeiten, die Lücke zu schließen, entweder die vollständige Anwendung des alten oder die vollständige Anwendung des neuen Rechts, ist die erstere, weil dem Grundgedanken des Art 2 § 40 Abs 2 SGB 10 nähere, zu wählen.
Normenkette
SGB 1 § 50 Abs 1 Fassung: 1980-08-18; SGB 10 Art 2 § 4 Nr 1 Fassung: 1980-08-18, § 37 Abs 1 Fassung: 1980-08-18, § § 40 Abs 2 Fassung: 1980-08-18; RVO § 1301 S 2 Fassung: 1965-06-09
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 16.08.1983; Aktenzeichen L 2 J 1352/82) |
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 15.10.1982; Aktenzeichen S 17 J 322/82) |
Tatbestand
Der Kläger bezieht seit 1972 von der S-B (BG) wegen eines Arbeitsunfalls Verletztenrente, die sich zunächst nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 vH berechnete. Mit Bescheid vom 6. März 1975 gewährte die Beklagte ihm eine Erwerbsunfähigkeitsrente für die Zeit vom 1. Juli 1974 an, die jedoch wegen des Zusammentreffens mit der Verletztenrente gem § 1278 der Reichsversicherungsordnung (RVO) teilweise ruhte. Im Bewilligungsbescheid heißt es ua: "Der Bezug einer weiteren Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung
der Bezug solcher Leistungen ggfs eine Änderung der Rentenhöhe (auch Rentenminderung) zur Folge hat. Wir behalten uns vor, überzahlte Beträge zurückzufordern, wenn der Mitteilungspflicht nicht genügt werden sollte".
Auf einen entsprechenden Antrag des Klägers vom 2. September 1975 bewilligte die BG dem Kläger unter Abänderung ihres früheren Bescheides für die Zeit vom 7. August 1972 bis 6. Januar 1974 und ab 15. Juni 1975 fortlaufend durch Bescheid vom 26. Mai 1978 Verletztenrente nach einer MdE von 60 vH . Hiervon wurde die Beklagte durch die BG am 29. Mai 1978 unterrichtet. Diese stellte eine Überzahlung an den Kläger in Höhe von 4.198,80 DM für die Zeit vom 15. Juni 1975 bis 31. August 1978 fest, weil man bei der Berechnung der Rente unter Berücksichtigung der Ruhensvorschrift des § 1278 RVO noch von einer niedrigeren Verletztenrente ausgegangen war. Darüber erteilte sie dem Kläger am 12. Juli 1978 einen Bescheid, gegen den dieser kein Rechtsmittel eingelegt hat. Mit Bescheid vom 22. August 1978 verlangte sie vom Kläger den Gesamtbetrag von 4.198,80 DM zurück und kündigte gleichzeitig die Aufrechnung mit der laufenden Rente in Höhe von monatlich 400,-- DM an.
SG und LSG haben den Rückforderungsbescheid aufgehoben. In der Begründung des Berufungsurteils ist ausgeführt: Es stehe zwar fest, daß dem Kläger für den noch streitigen Zeitraum der festgestellte Rückforderungsbetrag nicht zugestanden habe. Die Beklagte treffe auch kein Verschulden an der Überzahlung, während der Kläger leicht fahrlässig in Unkenntnis darüber gewesen sei, daß ihm dieser Betrag nicht zugestanden hätte. Dies ergebe sich daraus, daß er mit dem Antrag auf höhere Verletztenrente bei der BG seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht habe, ihm stehe zumindest ab Oktober 1975 eine höhere Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu. Dem Rentenbescheid vom 6. März 1975 habe er allerdings nur entnehmen können, daß der "Bezug" einer erhöhten Unfallrente zu einer Rentenminderung der Erwerbsunfähigkeitsrente führen konnte. Die höhere Unfallrente habe er zwar erst durch den BG-Bescheid vom 26. Mai 1978 rückwirkend bezogen. Seiner subjektiven Überzeugung entsprechend hätte der Kläger jedoch folgern müssen, daß ihm Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in der empfangenen Höhe gar nicht mehr zustehe. Dies sei zumindest wie Wissenmüssen um den unrechtmäßigen Leistungsbezug zu werten. Trotz dieser Fahrlässigkeit, und obwohl die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers einer Rückforderung in monatlichen Raten von 400,-- DM nicht entgegenstünden, könne der Rückforderungsbescheid keinen Bestand haben, da die Beklagte es versäumt habe, ihre Ermessenserwägungen im Bescheid mitzuteilen und insbesondere nicht zur Frage Stellung genommen habe, ob sie dem Kläger ein leicht fahrlässiges oder ein grob fahrlässiges Verhalten vorwerfe. Die von der Beklagten gegen das Urteil erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundessozialgericht (BSG) zurückgewiesen.
Am 9. Oktober 1981 erließ die Beklagte nach Anhörung des Klägers einen erneuten Rückforderungsbescheid in Höhe von 3.414,50 DM für die in der Zeit vom 1. Oktober 1975 bis 31. August 1978 überzahlten Rentenleistungen und kündigte gleichzeitig die Aufrechnung dieses Betrages mit der laufenden Rente an. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben auch diesen Rückforderungsbescheid aufgehoben. Im Berufungsurteil ist ausgeführt: Der Erstattungsanspruch der Beklagten richte sich seit Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB X) nicht mehr nach § 1301 RVO aF, sondern nach § 50 SGB X. Im Gegensatz zu dem gestrichenen § 1301 RVO aF sei der Erstattungsanspruch des § 50 SGB X zwar nicht mehr vom Verschulden der Behörde oder des Bürgers oder dem Grade des beiderseitigen Verschuldens abhängig, zum Schutze der Betroffenen sei es jedoch geboten, daß die Beklagte eine Rückforderung nur dann geltend machen könne, wenn der bindende Bescheid vom 12. Juli 1978 auch nach den ab 1. Januar 1981 geltenden Bestimmungen hätte ergehen dürfen. Nach neuem Recht (§ 48 Abs 1 Ziff 2 und Ziff 4 SGB X) sei es jedoch nicht ausreichend, wenn dem Kläger leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne, wie dies für § 1301 RVO aF genügt habe, sondern Voraussetzung für eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides und damit auch des Rückforderungsanspruchs sei grobe Fahrlässigkeit. Diese könne dem Kläger jedoch nicht vorgeworfen werden, wie bereits im früheren Urteil dargelegt worden sei.
Gegen das Urteil hat die Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie ist der Ansicht, ihr Rückforderungsanspruch beruhe weiterhin auf § 1301 RVO aF, nicht auf den §§ 48, 50 SGB X. Sie sei auch nicht daran gehindert gewesen, nach Aufhebung des ersten Rückforderungsbescheides einen neuen Rückforderungsbescheid zu erstellen. Der erste Rückforderungsbescheid sei nur deshalb rechtswidrig gewesen, weil er nicht kenntlich gemacht habe, daß es sich um eine Ermessensentscheidung gehandelt habe. Diesem Erfordernis sei jedoch jetzt Rechnung getragen.
Sie beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, § 1301 RVO aF könne nicht mehr angewandt werden; da ihm nur leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne und dies nach § 48 SGB X nicht mehr genüge, ergebe sich auch kein Erstattungsanspruch der Beklagten aus § 50 SGB X.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig.
Die Revision greift zunächst die Auffassung des LSG an, daß die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides der Beklagten vom 9. Oktober 1981 an § 50 SGB X, und nicht an § 1301 Satz 2 RVO aF zu messen sei. Der Senat teilt die Rechtsansicht der Revision.
Zwar gilt seit 1. Januar 1981 für die Rückforderung von bereits erbrachten Sozialleistungen allein § 50 SGB X. Die bislang für solche Fälle anzuwendende Vorschrift des § 1301 RVO ist mit dem Inkrafttreten der beiden ersten Kapitel des SGB X - das ist der 1. Januar 1981 (Art II § 40 SGB X) - gestrichen worden (Art II § 4 Nr 1 SGB X). Die gegenüber dem Grundsatz des Art II § 37 Abs 1 SGB X eingreifende Sonderregelung des Art II § 40 Abs 2 SGB X gilt nur für Aufhebungs- (Rücknahme- und Widerrufs-) Bescheide nach den §§ 44 bis 49 SGB X, nicht aber für Rückforderungsbescheide. Deshalb wäre hier an sich das allgemeine Prinzip anzuwenden, daß bei der Anfechtungsklage der Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsaktes für die Sach- und Rechtslage maßgebend ist (BSGE 43, 1, 5 = SozR 2200 § 690 Nr 4 S 16 mwN), das wäre hier der 9. Oktober 1981.
Dem steht aber entgegen, daß die Anwendung des § 50 SGB X in (Übergangs-) Fällen wie dem hier zu entscheidenden zu einer vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollten Benachteiligung des Leistungsempfängers führen kann. Nach dem Plan des Gesetzes ist bei der Rückforderung von Sozialleistungen, die in der Regel zwei Verwaltungsakte, auf Aufhebung des gewährenden Verwaltungsaktes und auf Rückforderung gerichtet, voraussetzt, der Leistungsempfänger jedenfalls dann zu schützen, wenn er an der Überzahlung schuldlos war. Dieser Gedanke war nach altem Recht erst bei Erlaß des Rückforderungsbescheides (§ 1301 Satz 2 RVO), er ist nach neuem Recht schon bei Erlaß des Aufhebungsbescheides (insbes § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 und 4 SGB X) zu berücksichtigen. Der Fall, daß der - bindende - Aufhebungsbescheid vor 1981, also ohne die erforderliche Prüfung, der Rückforderungsbescheid dagegen nach 1980, also wiederum ohne eine solche Prüfung, erlassen wird, ist weder im SGB X noch in den Überleitungsvorschriften behandelt. Es war aber mit Sicherheit nicht die Absicht des Gesetzgebers, allein für die verhältnismäßig kleine Gruppe von Leistungsempfängern, gegen die Bescheide dieser Art erlassen wurden, keine Regelung zu treffen.
Diese Gesetzeslücke kann an sich auf zweierlei Weise geschlossen werden: Entweder gilt für Aufhebung und Rückforderung nur neues Recht; das bedeutet, daß der bindend gewordene Aufhebungsbescheid nach den §§ 44 ff SGB X überprüft wird. Oder für die beiden Bescheide ist die Prüfung nach altem Recht vorzunehmen mit der Folge, daß die Rückforderung noch an der Vorschrift des § 1301 Satz 2 RVO aF gemessen wird. Der Senat hält die zweite Möglichkeit für sachdienlicher, weil insbesondere die Beurteilung des schon bindend gewordenen Aufhebungsbescheides nach neuem Recht stärkeren rechtssystematischen Bedenken ausgesetzt ist als die für eine Übergangszeit anzunehmende Fortgeltung alten Rechts, die auch dem Grundgedanken des Art II § 40 Abs 2 SGB X näher liegt.
Dieser Auffassung stehen die Urteile des BSG vom 19. März 1981 - 4 RJ 1/80 - (SozR 2200 § 1301 Nr 14), vom 16. Februar 1983 - 7 RAr 105/81 - (SozR 1200 § 31 Nr 1 S 7) und vom 22. August 1984 - 7 RAr 46/84 - nicht entgegen, da sie Fälle betreffen, in denen der Rückforderungsbescheid vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden war.
Die Revision leitet die Anwendung alten Rechts insbesondere aus dem Umstand her, daß der im Jahr 1981 erlassene Rückforderungsbescheid nur eine Wiederholung des Rückforderungsbescheides aus dem Jahr 1978 war. Darauf kommt es jedoch nicht an, weil die Anwendung alten Rechts sich schon aus Erwägungen ergibt, die über den Einzelfall hinausgehen.
Bei dem angefochtenen Bescheid liegen die Voraussetzungen des § 1301 Satz 2 RVO aF vor.
Daß eine Überzahlung in Höhe von 3.414,50 DM eingetreten ist, hat das LSG unangefochten festgestellt. Daran ist der Senat gebunden.
Die Beklagte selbst trifft an der Überzahlung kein Verschulden, wie dies auch vom Hessischen LSG in seinem Urteil vom 1. Juli 1980 entschieden wurde. Der Senat ist an diese Wertung gebunden, da hierauf die damalige Entscheidung beruhte. Im Urteil ist festgestellt, daß es die Beklagte versäumt habe, ihre Ermessenserwägungen mitzuteilen und insbesondere nicht zur Frage Stellung genommen habe, ob sie dem Kläger ein leicht fahrlässiges oder ein grob fahrlässiges Verhalten vorwerfe. Diese Überlegung setzte zwangsläufig die Feststellung voraus, daß die Beklagte jedenfalls die Überzahlung nicht verschuldet hatte. Anhaltspunkte sind im übrigen hierfür auch nicht vorhanden. Weiter hat das Hessische LSG ausgeführt, daß angesichts des nur leicht fahrlässigen Verhaltens des Klägers bei Inempfangnahme der überzahlten Rentenbeträge nicht ausgeschlossen werden könne, daß von einer Rückforderung Abstand genommen worden wäre, wenn die Beklagte dies in ihre Ermessenserwägungen miteinbezogen hätte. Damit hat das LSG rechtskräftig eine leichte Fahrlässigkeit des Klägers bei Empfang des Geldes bejaht, so daß der Senat an diese Entscheidung ebenfalls gebunden ist. Unabhängig hiervon beruhte auch diese Wertung des LSG auf richtigen Überlegungen. Nachdem das BSG zunächst davon ausgegangen ist, daß bei rückwirkender Zuerkennung einer höheren Rente, die eine andere Rente teilweise zum Ruhen brachte, nicht automatisch anzunehmen sei, der Rentenempfänger hätte wissen müssen, daß ihm die Rente, die zum Ruhen kam, nicht mehr in der früheren Höhe zustand (vgl BSG Urteil vom 30. August 1960, 9 RV 854/57 - BSGE 13, 56 ff, 60 = SozR Nr 8 zu § 62 BVG), hat das BSG später in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß der Empfänger einer Rente, wenn ihm rückwirkend unter Billigung seiner Auffassung eine höhere Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung rechtskräftig zuerkannt wird, der Rückforderung der wegen Zusammentreffens mit dieser Rente ruhenden und daher überzahlten Rente aus der Rentenversicherung nicht entgegenhalten kann, er habe bei ihrem Empfang nicht gewußt oder nicht wissen müssen, daß sie ihm nicht in dieser Höhe zustand (BSG SozR 2200 Nr 4 zu § 1301 RVO mwN).
Da der Kläger unstreitig ein Gesamtrenteneinkommen von 2.398,40 DM besaß, so daß die Rückforderung - in monatlichen Raten von 400,-- DM - auch wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers vertretbar war, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1301 RVO aF erfüllt. Die Beklagte hat unter Beachtung dieser Tatbestandsvoraussetzungen ihr Ermessen korrekt gebraucht. Daß es sich bei § 1301 RVO aF um eine regelrechte Ermessensnorm handelt, hat der Senat schon früher entschieden (BSG Urteil vom 10. Juni 1980, 4 RJ 103/79, SGb 1981, 78 ff, 179). Zwar ergibt sich aus dem Wortlaut des Bescheides vom 9. Oktober 1981 nicht zwangsläufig, daß die Beklagte eine Ermessensentscheidung getroffen hat. Spätestens aus dem Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 1982 geht jedoch eindeutig hervor, daß die Beklagte nach der konkreten Prüfung der Rückforderungsvoraussetzungen auch Überlegungen dahin angestellt hat, ob von einer Rückforderung aus Ermessensgesichtspunkten abgesehen werden könne. Da das Verwaltungsverfahren erst mit dem Widerspruchsbescheid endet, genügt es, wenn die Widerspruchsstelle ihr Ermessen erkannt hat (BSG Urteil vom 10. Juni 1980, 4 RJ 103/79, aa0). Ein sonstiger Ermessensmangel iS von § 39 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I) ist nicht ersichtlich. Insbesondere hat die Beklagte unter Beachtung des früheren LSG-Urteils vom 1. Juli 1980 unter Abwägung aller maßgeblichen Tatsachen ihre erneute Entscheidung getroffen.
Der Bescheid ist auch nicht wegen fehlender oder fehlerhafter Begründung rechtswidrig. Zwar bestimmt § 35 Abs 1 Satz 2 SGB X, daß die Begründung von Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen muß, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist - eine Nachholung ist im übrigen nur möglich bis zum Abschluß des Vorverfahrens (§ 41 Abs 1 Ziff 2 iVm Abs 2 SGB X) -, andererseits macht § 35 Abs 2 Ziff 2 SGB X hiervon eine Ausnahme, soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen ist, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne schriftliche Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist. Konkrete Ausführungen über die Gründe, die der Ermessensentscheidung zugrunde lagen, hat die Beklagte weder im Bescheid vom 9. Oktober 1981 noch im Widerspruchsbescheid selbst angeführt; einer solchen besonderen - zusätzlichen - Begründung bedurfte es jedoch im Hinblick auf § 35 Abs 2 Ziff 2 SGB X nicht. Schon in der Vergangenheit hat der Senat vor Inkrafttreten des SGB X entschieden, daß es letztlich entscheidend ist, ob der Versicherte über die Ermessensgesichtspunkte belehrt werden muß, um seine Rechte sachgemäß verteidigen zu können (BSG Urteil vom 10. Juni 1980 - 4 RJ 103/79, SozR 2200 § 1301 Nr 12 mwN).
Die konkreten Voraussetzungen des § 1301 Satz 2 RVO aF waren festgestellt, und die Beklagte selbst traf keine Schuld an der Überzahlung, so daß der Kläger wegen des Vorbehaltes im Leistungsbescheid wissen mußte, daß ihm die Rente bei nachträglicher Gewährung höherer Verletztenrente nicht mehr in früherer Höhe zustand. Da er aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage zur Rückzahlung imstande war und die Beklagte auch die Tatsache berücksichtigt hat, daß dem Kläger nur leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen war, hätte gegen eine Rückforderung allenfalls eine bei der Beklagten bestehende anderweitige Übung sprechen können. Ein besonderer Hinweis auf das Nichtbestehen einer solchen Übung ist jedoch nicht erforderlich, da diese eine extreme Ausnahme von den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung darstellt. Gemäß § 76 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB IV) ist nämlich die Beklagte verpflichtet, Einnahmen vollständig zu erheben. Jede denkbare weitere Begründung der Ermessensentscheidung als die, daß auf die Erstattung des Betrages nicht verzichtet werden könne, wie dies die Beklagte ausgedrückt hat, wäre letztlich nur eine leere Formel, die dem Kläger keineswegs die sachgerechte Verteidigung seiner Rechte erleichtern würde.
Die Höhe des Rückforderungsanspruchs ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, darüber hinaus jedoch im angefochtenen Bescheid mit 3.414,50 DM korrekt angegeben.
Schließlich ist auch nicht die Ankündigung der Beklagten im angefochtenen Bescheid zu beanstanden, sie werde mit monatlichen Beträgen von 400,-- DM gegenüber der laufenden Rente aufrechnen.
Die Urteile der Vorinstanzen waren sonach aufzuheben, die Klage war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen