Leitsatz (amtlich)
1. Arbeitnehmer sind durch die Konkursausfallversicherung nur geschützt, wenn das maßgebliche Insolvenzereignis erst während des bestehenden Arbeitsverhältnisses eintritt.
2. Einem Arbeitnehmer steht auch im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kein Konkursausfallgeld zu, wenn das Arbeitsamt ihm einen Arbeitsplatz bei einem insolventen Arbeitgeber vermittelt hat.
Normenkette
AFG § 141b Abs 1; AFG § 141b Abs 3; AFG § 141b Abs 4
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 30.06.1988; Aktenzeichen L 9 Al 51/87) |
SG Landshut (Entscheidung vom 18.12.1986; Aktenzeichen S 6 Al 67/85) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger für die Zeit vom 20. März bis 24. Juni 1984 Konkursausfallgeld (Kaug) zusteht.
Der Kläger arbeitete seit dem 20. März 1984 aufgrund einer Vermittlung des Arbeitsamts Passau bei der Firma H. K. in E. . Er kündigte das Arbeitsverhältnis zum 25. Juni 1984. Die Wirksamkeit der Kündigung wurde in einem vor dem Arbeitsgericht Passau am 23. August 1984 geschlossenen Vergleich bestätigt. Gleichzeitig sagte der Arbeitgeber dem Kläger die Zahlung eines noch ausstehenden Restlohns in Höhe von insgesamt 3.356,83 DM zu.
Schon vor Arbeitsaufnahme durch den Kläger hatte das Amtsgericht Passau mit Beschluß vom 7. September 1983 einen Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Firma H. K. mangels Masse abgelehnt. Mit Bescheid vom 7. November 1984 untersagte das Landratsamt Freyung-Grafenau dem früheren Arbeitgeber des Klägers die Ausübung des Gewerbes und ordnete die Einstellung mit Ablauf des 20. Dezember 1984 an. Einen Antrag des Klägers auf Kaug für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses lehnte die Beklagte mit den Bescheiden vom 15. Januar und 13. März 1985 ab.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die vom SG zugelassene Berufung des Klägers zurückgewiesen. Maßgebliches Insolvenzereignis sei der Beschluß des Amtsgerichts Passau vom 7. September 1983 über die Ablehnung der Eröffnung des Konkurses mangels Masse. Von diesem Zeitpunkt bis zur Untersagung der Betriebsfortführung durch das Landratsamt Freyung-Grafenau vom 7. November 1984 zum 20. Dezember 1984 habe der Arbeitgeber die Zahlungsschwierigkeiten nicht beheben können. Es sei deshalb Ende 1984 auch kein Insolvenzereignis eingetreten. Sei der Kläger aber erst nach dem Beginn der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers in das Arbeitsverhältnis eingetreten, dann könne das entgangene Arbeitsentgelt nicht durch Kaug ausgeglichen werden. Dies folge aus § 141b Abs 1 und 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Entgegen der Auffassung des Klägers dürfe § 141b Abs 4 AFG hier nicht analog angewendet werden. Der Begriff des "Weiterarbeitens" in der genannten Vorschrift sei - wie das Bundessozialgericht (BSG) entschieden habe - wörtlich zu verstehen. Der Kläger könne sich auch nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch berufen. Zwar habe das Arbeitsamt ihn zu einem zahlungsunfähigen Arbeitgeber vermittelt. Der Arbeitsvermittlung obliege aber nicht eine vorausgehende Prüfung der wirtschaftlichen Beschaffenheit und Qualität des Betriebes. Im übrigen würde eine Verletzung der Auskunfts- und Beratungspflicht nicht zur Beseitigung der tatsächlichen Folgen des Verwaltungshandelns führen oder der rechtlichen Folgen, soweit diese außerhalb der Herstellungsbefugnis der Beklagten lägen. Der Abschluß eines Arbeitsverhältnisses betreffe nicht die Zuständigkeit der Beklagten.
Der Kläger rügt mit der - vom LSG zugelassenen - Revision eine Verletzung des § 141b AFG und der Grundsätze über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Im Unterschied zu dem vom BSG in dem Urteil vom 19. März 1986 - 10 RAr 8/85 - (SozR 4100 § 1610 Nr 3) entschiedenen Streitfall müsse hier - wegen der besonderen Fallgestaltung - § 141b Abs 4 AFG analog angewendet werden. Zumindest sei er, der Kläger, im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs materiell so zu stellen, wie er ohne die rechtswidrige Vermittlung in ein Arbeitsverhältnis bei einem insolventen Arbeitgeber einkommensmäßig gestanden hätte. Zwar sei die Kaug-Regelung grundsätzlich für das Insolvenzereignis gedacht, das während des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses eintrete. Daran knüpfe auch die Vorschrift des § 141b Abs 4 AFG an. Die gesetzliche Regelung sei indessen insoweit unvollständig, als die Beklagte einen arbeitslosen Arbeitnehmer in ein insolventes Unternehmen vermittle. Da durch die Bundesanstalt für Arbeit nur zumutbare Arbeitsangebote gemacht werden dürften, könne bei einer Vermittlungstätigkeit der Beklagten davon ausgegangen werden, daß der im Arbeitsangebot bezeichnete Betrieb zahlungsfähig sei. Entgegen der Ansicht des LSG sei es dem Arbeitsamt zuzumuten, die Zahlungsfähigkeit des Betriebes festzustellen. Die Auferlegung einer solchen Pflicht könne schon deshalb zugemutet werden, weil sie aufgrund von Kaug-Anträgen meistens schon sehr viel früher von der Insolvenz eines Arbeitgebers Kenntnis erhalte. Demgegenüber dürfe der Arbeitslose nicht durch Fragen über die Zahlungsfähigkeit den Arbeitgeber verärgern und die Vermittlung vereiteln. Geschehe dies, dann werde durch die Beklagte der Eintritt einer Sperrzeit festgestellt. Wende man § 141b Abs 4 AFG nicht analog an, so käme es zu einem schlechthin unakzeptablen Ergebnis. Der Arbeitnehmer würde weder Kaug noch Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe für die Zeit des Arbeitsverhältnisses erhalten. Aber selbst wenn er keinen Anspruch auf Kaug habe, so stehe ihm jedenfalls im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs Arbeitslosengeld zu. Denn die Beklagte habe ihm das Arbeitsangebot bei der insolventen Firma K. nicht unterbreiten dürfen. Ohne diese rechtswidrige Vermittlung wäre er in der fraglichen Zeit arbeitslos geblieben und hätte weiterhin Arbeitslosengeld bezogen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. Juni 1988, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 18. Dezember 1986 sowie den Bescheid des Arbeitsamts Passau vom 15. Januar 1985 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. März 1985 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 20. März bis 24. Juni 1984 Konkursausfallgeld zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und macht ergänzend geltend, das Arbeitsamt Passau habe dem Kläger zwar einen Arbeitsplatz bei dem insolventen Arbeitgeber vermittelt, jedoch in Unkenntnis von dessen Zahlungsunfähigkeit. Der geltend gemachte sozialrechtliche Herstellungsanspruch auf Gewährung von Kaug bestehe nicht, weil der Kläger auch bei richtiger Information durch das Arbeitsamt keinen Anspruch auf Kaug hätte.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
Nach § 141b Abs 1 AFG hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Kaug, der bei Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen seines Arbeitgebers für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Für die Berechnung des Dreimonatszeitraumes, für den ausgefallenes Arbeitsentgelt bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers durch Kaug ausgeglichen wird (Kaug-Zeitraum), sind die in § 141b Abs 1 und 3 AFG genannten Insolvenzereignisse maßgebend. Der Kaug-Zeitraum liegt danach grundsätzlich vor dem Eintritt dieser Ereignisse (BSG SozR 4100 § 141b Nr 37).
Für die Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf Kaug hat, ist hier nicht die Untersagungsverfügung des Landratsamts Freyung-Grafenau vom 7. November 1984, mit der die Einstellung des Betriebes der Firma H. K. mit Ablauf des 20. Dezember 1984 angeordnet wurde, sondern die Ablehnung der Eröffnung des Konkursverfahrens durch Beschluß des Amtsgerichts Passau vom 7. September 1983 das maßgebliche Insolvenzereignis. Solange nämlich die Insolvenz andauert, kann ein neues Insolvenzereignis iS von § 141b Abs 1 und 3 AFG keine Ansprüche auf Kaug auslösen (vgl dazu BSG SozR 4100 § 141b Nrn 6 und 37). Aufgrund der für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Tatsachenfeststellungen des LSG ist davon auszugehen, daß der Arbeitgeber des Klägers seine Zahlungsfähigkeit seit dem Beschluß des Amtsgerichts Passau vom 7. September 1983 nicht wiedererlangt hatte. Insbesondere wird dies aus der Feststellung deutlich, daß dem Kläger für die gesamte Zeit seines Arbeitsverhältnisses bei der Firma K. kein Lohn gezahlt worden ist. Aber auch sonst ergeben sich aus den Tatsachenfeststellungen des LSG keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß der Arbeitgeber des Klägers wieder zahlungsfähig geworden wäre. Selbst wenn er einzelne Zahlungsverpflichtungen nach dem 7. September 1983 erfüllt haben sollte, hätte dies nichts an seiner Zahlungsunfähigkeit geändert. Ein Gemeinschuldner bleibt nämlich zahlungsunfähig, solange er wegen eines Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im allgemeinen zu erfüllen (vgl dazu BSG SozR 4100 § 141b Nr 37; Böhle-Stamschräder/Kilger, Konkursordnung, Kommentar, 14. Aufl, § 30 Anm 5 mzwN).
Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Arbeitnehmer, der - nach Eintritt eines Insolvenzereignisses - mit dem Gemeinschuldner ein Arbeitsverhältnis eingeht, durch die Vorschriften der §§ 141a ff AFG nicht geschützt. Insbesondere kann die Vorschrift des § 141b Abs 4 AFG nicht zugunsten von Arbeitnehmern, die bei einem insolventen Arbeitgeber eine Arbeit aufnehmen, analog angewendet werden. Der Gesetzgeber hat nur die Arbeitnehmer geschützt, die im Zeitpunkt des Eintrittes des Insolvenzereignisses in einem Arbeitsverhältnis mit dem Gemeinschuldner standen. Der erkennende Senat hat dies schon in seinem Urteil vom 19. März 1986 (BSG SozR 4100 § 141b Nr 37) unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte einzelner Vorschriften des Kaug-Rechts dargelegt und hieran in seinem Urteil vom 11. Januar 1989 - 10 RAr 7/87 - nach erneuter Prüfung festgehalten. Zwar unterscheidet sich der vorliegende Fall von den früher entschiedenen Fällen vor allem darin, daß der Kläger aufgrund einer Vermittlung durch das Arbeitsamt den Arbeitsplatz bei der Firma K. erhalten hat. Dieser Unterschied hat aber für die Anwendung des § 141b AFG rechtlich keine Bedeutung. Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Vermittlungstätigkeit der Arbeitsverwaltung in besonderem Maße geeignet ist, sei dem Arbeitnehmer unrichtige Vorstellungen über die Zahlungsfähigkeit des Unternehmers hervorzurufen, kommt es darauf bei neu eingegangenen Arbeitsverhältnissen nach einem Insolvenzereignis nicht an. Ein Arbeitnehmer wird nach § 141b Abs 4 AFG nur insoweit geschützt, als er in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weiterarbeitet (s auch BSG SozR 4100 § 141b Nr 37), dh wenn das Insolvenzereignis in der Zeit des schon bestehenden Arbeitsverhältnisses eintritt, der Arbeitnehmer hiervon zunächst nichts erfährt und seine Arbeit fortsetzt.
Dem Kläger steht das begehrte Kaug auch nicht im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch wird von der ständigen Rechtsprechung des BSG aus einer Verletzung der Betreuungspflicht des Versicherungsträgers hergeleitet, die als Nebenpflicht eines Sozialrechtsverhältnisses gegenüber dem Versicherten besteht (BSGE 50, 12, 13 f mzwN aus der Rechtsprechung). Die Verletzung dieser Betreuungspflicht führt zum Anspruch auf Herstellung des Zustandes, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger sich pflichtgemäß verhalten hätte (BSGE 48, 211, 213 mwN). Zwar bestand zwischen dem Kläger als Arbeitslosem und der Beklagten als Trägerin der Arbeitslosenversicherung ein Sozialrechtsverhältnis, das die Beklagte zur Auskunft und Belehrung sowie zur verständnisvollen Förderung - gegebenenfalls in Form besonderer sachdienlicher Hinweise - verpflichtete (vgl BSGE 50, 12, 14 mwN). Der Senat kann hier offenlassen, ob die Beklagte verpflichtet war, sich vor einer Vermittlung des Klägers in das Arbeitsverhältnis bei der Firma K. über deren Zahlungsfähigkeit zu unterrichten und den Kläger darüber aufzuklären, daß bereits ein Beschluß des Amtsgerichts Passau über die Ablehnung eines Konkursverfahrens mangels Masse vorlag. Der Anspruch auf Gewährung von Kaug im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs scheitert daran, daß der Kläger möglicherweise nicht bei der Firma K. tätig geworden wäre, wenn die Beklagte ihn von der wirtschaftlichen Situation dieses Arbeitgebers unterrichtet hätte. Dann aber wäre ihm auch Arbeitsentgelt nicht entgangen, so daß die Gewährung von Kaug auch unter Berücksichtigung der Grundsätze über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht in Betracht kommt.
Ob der Kläger wegen des ihm gemachten Vermittlungsangebots oder wegen Verletzung von Betreuungspflichten einen Anspruch auf Schadensersatz oder Weiterzahlung der Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung für den hier streitigen Zeitraum hat, kann der Senat nicht entscheiden, weil es sich dabei um einen anderen Anspruch handelt, der nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen