Entscheidungsstichwort (Thema)
Streitgegenstand im Berufungsverfahren. erste Feststellung der Dauerrente im sozialgerichtlichen Verfahren. Abweichung um 5 vH bei der MdE-Bewertung. Grundsatz der Rechtmäßigkeit der Verwaltung
Leitsatz (amtlich)
In der gesetzlichen Unfallversicherung fehlt es an einer Rechtsgrundlage für eine unabhängig von einer Rentengewährung getroffene Feststellung einer ziffernmäßig bestimmten MdE.
Orientierungssatz
1. Im Berufungsverfahren ist Streitgegenstand nicht das erstinstanzliche Urteil, das etwa vom LSG auf seine Richtigkeit hin zu überprüfen wäre, sondern, wie schon in der ersten Instanz, der Verwaltungsakt der Beklagten.
2. Mit der Klageerhebung ist das Wahlrecht zwischen der Gewährung vorläufiger Verletztenrente und Verletztendauerrente gemäß § 1585 Abs 1 S 3 RVO auf das SG übergegangen. Allerdings kann es zu einer vorläufigen Entschädigung nur "in der gleichen Frist" des § 1585 Abs 1 S 1 RVO - also während der ersten 2 Jahre nach dem Unfall - verurteilen.
3. Das BSG hält in ständiger Rechtsprechung Abweichungen um 5 vH in der Schätzung der MdE durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gegenüber den Unfallversicherungsträgern nicht für zulässig, weil eine genauere Differenzierung des medizinischen Befundes und der abschließenden Schätzung innerhalb der allen Schätzungen eigenen Schwankungsbreite liegt (vgl BSG 1975-12-17 2 RU 35/75 = BSGE 41, 99).
4. Der in Art 20 Abs 3 GG zu Verfassungsrang erhobene Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebietet, daß belastende Eingriffe in die Rechtsposition der Versicherten einer gesetzlichen Ermächtigung bedürfen; sie können vom Träger der gesetzlichen Unfallversicherung nicht aus eigener Kompetenz beliebig vermehrt werden.
Normenkette
RVO § 581 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1963-04-30, § 581 Abs 1 Nr 2 Fassung: 1963-04-30, § 1569a Abs 1; SGG § 157; RVO § 1585 Abs 1 S 1; GG Art 20 Abs 3
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 24.11.1981; Aktenzeichen L 3 U 115/81) |
SG Osnabrück (Entscheidung vom 12.05.1981; Aktenzeichen S 4 U 38/80) |
Tatbestand
Der Kläger ist mit seinem auf die Feststellung weiterer Unfallfolgen sowie die Zahlung von Verletztenrente gerichteten Begehren im erstinstanzlichen (Urteil des Sozialgerichts -SG- Osnabrück vom 12. Mai 1981) und im zweitinstanzlichen Verfahren (Urteil des Landessozialgerichts -LSG- Niedersachsen vom 24. November 1981) erfolgreich gewesen. Gegen die erfolgte Feststellung weiterer Unfallfolgen sowie gegen die Verurteilung zur Zahlung von Verletztenrente über den 1. November 1980 hinaus wendet sich die Beklagte.
Wegen des Unfalles am 2. November 1978 gewährte die Beklagte mit ihrem Bescheid vom 25. Juni 1979 eine Gesamtvergütung in Höhe von 20 vH der Vollrente für den Zeitraum vom 23. April bis 31. Oktober 1979. Auf Betreiben des Klägers erteilte sie den weiteren nunmehr angefochtenen Bescheid vom 25. Januar 1980. Darin lehnte sie die Zahlung einer Verletztenrente ab und stellte gleichzeitig fest, die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) infolge der Unfalleiden betrage ab 1. November 1979 15 vH. Die Beklagte stützte sich auf eine gutachterliche Äußerung ihres Beratungsarztes. Demgegenüber hatte ein in einem Vorprozeß gehörter Gutachter die durch Unfallfolgen bedingte MdE mit 20 vH bewertet (Gutachten des Dr. L. vom 19. November 1979).
Das SG hat nach Einholung eines weiteren Gutachtens von Dr. L., Facharzt für Chirurgie, vom 9. September 1980, in seinem Urteil die Unfallfolgen neu umschrieben und dabei zusätzlich das Vorhandensein einer Muskelverschmächtigung des linken Ober- und Unterschenkels als Folge des Unfalles festgestellt sowie die Beklagte zur Zahlung von Verletztenrente ab 1. November 1979 in Höhe von 20 vH der Vollrente verurteilt. In den Entscheidungsgründen ist ua ausgeführt, das SG sei nicht gehindert, von der Bewertung der MdE durch die Beklagte um 5 vH abzuweichen, weil die Beklagte die Folgen des Unfalles nicht erschöpfend berücksichtigt habe. Der Gesamtleidenszustand rechtfertige die Zahlung von Verletztenrente in Höhe von 20 vH der Vollrente.
Die Beklagte hat in ihrem Schriftsatz vom 14. September 1981 zur Begründung ihrer gegen dieses Urteil eingelegten Berufung ua ausgeführt: "... fechten wir das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück nunmehr nur noch insoweit an, als wir verurteilt wurden, über die 2-Jahres-Frist, also über den 01.11.1980 hinaus dem Kläger eine Verletztenrente zu gewähren". In der mündlichen Verhandlung vom 24. November 1981 hat sie die Aufhebung des Urteils des SG auch bezüglich der als Unfallfolge festgestellten Muskelverschmächtigung des linken Ober- und Unterschenkels beantragt.
Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Die Berufung, so heißt es in den Urteilsgründen, betreffe ausschließlich die Gewährung von Verletztendauerrente. Das SG habe die genannte weitere Unfallfolge zutreffend festgestellt. Es habe von der Bewertung der MdE durch die Beklagte um 5 vH abweichen dürfen, weil dabei die Einbeziehung weiterer von der Beklagten nicht anerkannter Gesundheitsstörungen entscheidend gewesen sei. Da von den im angefochtenen Bescheid und im Urteil des SG verbindlich festgestellten Unfallfolgen auszugehen sei, sei es dem LSG verwehrt, die unfallbedingte MdE entsprechend dem Verlangen der Beklagten statt mit 20 vH mit 15 vH zu bewerten. Es gebe auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz, welcher dies im Hinblick auf die Art der Unfallfolgen rechtfertigen könnte.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Revision gegen das Urteil des LSG durch Beschluß vom 26. Mai 1982 zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie meint, das LSG habe seine Entscheidung unter dem Gesichtspunkt der Gewährung vorläufiger Rente getroffen, während es - nach Ablauf der sog. 2-Jahres-Frist - um die erste Feststellung der Dauerrente gegangen sei. Es hätte daher die MdE ohne Rücksicht auf die vorläufige Rente neu festsetzen müssen und wäre dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß die unfallbedingte MdE ab 2. November 1980 etwa 10 bis 15 vH betragen habe. Jedenfalls sei das LSG zu Unrecht davon ausgegangen, es dürfe bei der Bewertung der MdE nicht um 5 vH von der Entscheidung des SG abweichen. Sie meint weiter, der Muskelschwund im linken Ober- und Unterschenkel sei keine Unfallfolge. Das hätte das LSG auf dem Wege weiterer notwendiger Sachaufklärung, wie sie von ihr hilfsweise beantragt worden ist, feststellen können.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. November 1981 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 12. Mai 1981 abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen als 1. ein Muskelschwund am linken Ober- und Unterschenkel als Folge des Unfalles am 2. November 1978 festgestellt und 2. die Beklagte verurteilt worden ist, über den 1. November 1980 hinaus Verletztenrente zu zahlen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Nach seiner Meinung entspricht die Revisionsbegründung nicht den gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Formerfordernissen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei sich das LSG darüber im klaren gewesen, daß es um die Entscheidung über eine Dauerrente gegangen sei. Die Beklagte habe in dem angefochtenen Bescheid eine negative Feststellung der Dauerrente vorgenommen. Hierüber hätten SG und LSG - bewußt - entschieden. Die Beklagte habe ihre Berufung bezüglich der vom SG festgestellten Unfallfolgen mit ihrem Schriftsatz vom 14. September 1981 zurückgenommen, so daß hierüber vom LSG nicht mehr zu befinden gewesen sei. Das LSG habe auch im Ergebnis zutreffend an der Schätzung der MdE durch das SG festgehalten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist zum Teil begründet. Sie führt, soweit die Beklagte zur Zahlung von Verletztenrente verurteilt worden ist, zur Aufhebung des Urteils des LSG und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Bezüglich der festgestellten weiteren Unfallfolgen ist die Revision nicht begründet.
Das SG hat ua die gem § 55 Abs 1 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Feststellung getroffen, daß die beim Kläger vorhandene Muskelverschmächtigung des linken Ober- und Unterschenkels Folge seines Unfalles am 2. November 1978 ist. Das LSG hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten nach sachlicher Überprüfung zurückgewiesen. Der erkennende Senat läßt offen, ob die Berufung - wie der Kläger annimmt - insofern infolge Einschränkung der Berufung durch die Beklagte im Schriftsatz vom 14. September 1981 unzulässig geworden war; denn die Revision der Beklagten ist in diesem Punkte auch dann zurückzuweisen, wenn man davon ausgeht, der von der Beklagten in der Berufung zuletzt gestellte Antrag habe ein zulässiges Begehren umschrieben.
Das LSG ist bezüglich des Ursachenzusammenhanges zwischen der Muskelverschmächtigung und dem Unfall am 2. November 1978 den Gutachten des Dr. L. vom 19. November 1979 und 9. September 1980 gefolgt. Es hat dabei berücksichtigt, daß auch der Facharzt für Chirurgie Dr. M. in seiner von der Beklagten vorgelegten Stellungnahme vom 3. November 1980 zum Ausdruck gebracht hat, daß zumindest für einen Teil des Leidens ein solcher Zusammenhang gegeben sei. Das LSG hat nicht übersehen, daß Dr. M. bei seiner Einschränkung gegenüber Dr. L. unzutreffend annahm, der Kläger sei nur am linken Knie aus unfallfremder Ursache operiert worden, während in Wirklichkeit am rechten Kniegelenk ebenfalls eine Meniskusoperation durchgeführt worden war. Bei dieser Sachlage hat das LSG nicht die Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten, als es mit dem SG die Muskelverschmächtigung am linken Ober- und Unterschenkel in dem gesamten vorhandenen Ausmaß auf den Unfall - bzw die Entnahme von Transplantaten nach dem Unfall - zurückgeführt hat. Die Beklagte selbst hat im übrigen die Frage von Unfallfolgen im Bereich des linken Unter- und Oberschenkels in dem von ihr im Berufungsverfahren vorgelegten Gutachten des Dr. G. vom 24. August 1981 unerörtert gelassen. Der Senat vermag nicht zu erkennen, aus welchen Gründen das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, den medizinischen Sachverhalt durch Einholung eines weiteren Gutachtens aufzuklären. Das LSG ist somit ohne Verletzung von Verfahrensvorschriften zu dem Ergebnis gekommen, die fragliche Muskelverschmächtigung sei eine Folge des Unfalles vom 2. November 1978. Insoweit war die Revision zurückzuweisen.
Demgegenüber macht die Revision mit Recht geltend, daß das LSG aus den Gründen des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten hinsichtlich der Zahlung einer Verletztenrente nicht hätte zurückweisen dürfen. Das LSG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß es gehindert sei, die MdE um 5 vH geringer zu bewerten als das SG.
Nach § 157 SGG prüft das LSG den Streitfall im gleichen Umfang wie das SG. Das LSG hatte demnach nicht zu entscheiden, ob die Schätzung der MdE durch das SG zutreffend war, sondern ihm oblag es, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides zu überprüfen. Offensichtlich hat das LSG die Rechtsprechung des BSG mißverstanden, wonach ein Bescheid über die Feststellung der ersten Dauerrente nicht schon dann rechtswidrig ist, wenn bei unstreitigen Unfallfolgen die der Bewertung zugrunde liegenden ärztlichen Feststellungen sich lediglich um 5 vH unterscheiden und damit innerhalb der allen ärztlichen Schätzungen eigenen Schwankungsbreite liegen (BSGE 41, 99, 101). Im Berufungsverfahren ist Streitgegenstand nicht das erstinstanzliche Urteil, das etwa vom LSG auf seine Richtigkeit hin zu überprüfen wäre, sondern, wie schon in der ersten Instanz, der Verwaltungsakt der Beklagten (Bescheid vom 25. Januar 1980). Das LSG hat infolge seiner von der Rechtsprechung des BSG (BSGE 41, 99, 100; Urteil vom 14. Dezember 1978 - 2 RU 10/78 -; Urteil vom 8. Oktober 1981 - 2 RU 2/81 -) abweichenden Rechtsauffassung eine Überprüfung des angefochtenen Bescheides nicht vorgenommen. Da das BSG gehindert ist, die hierfür notwendigen Tatsachen selbst festzustellen, mußte die Sache insofern zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Bei seiner Entscheidung wird das LSG allerdings nicht, wie die Revision annimmt, darüber zu befinden haben, ob die MdE nach Ablauf von zwei Jahren nach dem Unfall unter dem Gesichtspunkt der erstmaligen Zahlung einer Dauerrente erneut unabhängig von bisherigen Schätzungen festzustellen ist. Durch die Ablehnung des Rentenanspruchs mangels ausreichender MdE lehnte die Beklagte nicht nur die vorläufige, sondern auch die Dauerrente ab (BSGE 37, 177, 178 mwN), so daß hier offenbleiben kann, ob schon der Bescheid über die Gesamtvergütung eine negative Entscheidung über die Dauerrente enthielt (s LSG Rheinland-Pfalz Breithaupt 1976, 200, 202; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl, S 594 c). Mit der Klageerhebung ist das Wahlrecht zwischen der Gewährung vorläufiger Verletztenrente und Verletztendauerrente gem § 1585 Abs 1 Satz 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) auf das SG übergegangen. Allerdings konnte es zu einer vorläufigen Entschädigung nur "in der gleichen Frist" des § 1585 Abs 1 Satz 1 RVO - also während der ersten zwei Jahre nach dem Unfall - verurteilen. Da das Urteil des SG nach Ablauf dieser Zeit - Unfall am 2. November 1978, Urteil des SG vom 12. Mai 1981 - ergangen ist, hat das SG zutreffend zur Gewährung von Verletztenrente - also zur Zahlung von Verletztendauerrente - verurteilt (zur rückwirkenden Feststellung der ersten Dauerrente s BSGE 32, 11, 12; 37, 186, 187; 44, 274, 276; Brackmann aaO S 584 f).
Bei seiner Entscheidung wird das LSG davon auszugehen haben, daß sich die Frage einer um 5 vH abweichenden Bewertung der im Bescheid festgestellten Unfallfolgen nicht stellt. Zwar hat die Beklagte in ihrem Bescheid vor dessen Begründung die Feststellung getroffen: "Die Minderung der Erwerbstätigkeit beträgt ab 1. November 1979 nur noch 15 vH (siehe Erläuterungen)". Diese nicht in Verbindung mit einer Rentengewährung in einem Verfügungssatz des Bescheides getroffene Feststellung eines bestimmten MdE-Grades unter 20 vH ist unzulässig.
Die Unfallversicherungsträger haben - jedenfalls von Amts wegen und ohne Antrag des Berechtigten - über die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu entscheiden (s § 1569a RVO). Die selbständige Feststellung eines bestimmten Grades der unfallbedingten MdE ist keine Leistung (s zur KOV schon BSGE 7, 126, 128). Der Grad der unfallbedingten MdE ist in der gesetzlichen Unfallversicherung vielmehr rechtlich bedeutsam nur im Zusammenhang mit der Rentengewährung. Die Verletztenrente setzt eine bestimmte Mindesthöhe der MdE voraus (s § 581 Abs 1 Nr 2 und Abs 3 RVO) und bemißt sich grundsätzlich nach dem Jahresarbeitsverdienst (JAV) und dem Grad der MdE. Eine selbständige Bedeutung hat die Höhe der MdE für die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung nicht. Dies gilt bei einer MdE unter 20 vH auch im Hinblick auf eine möglicherweise erst später wegen des Eintritts oder der Verschlimmerung der Folgen eines anderen Arbeitsunfalles nach § 580 Abs 3 RVO zu gewährenden Verletztenrente; denn maßgebend ist insoweit der zur Zeit des Beginns der Verletztenrente noch bestehende und nicht ein früher festgestellter Grad der MdE (s ua RVA AN 1939, 190; BSG SozR Nr 5 zu § 581 RVO; BSG Urteil vom 30. Juli 1968 - 2 RU 79/67 - und vom 7. März 1969 - 2 RU 53/67 -; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Aufl, Seite 571 mwN; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 581 Anm 15 Buchst a; Gitter in SGB- Sozialversicherung-Gesamtkommentar, § 581 Anm 8; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl, Kennzahl 480, Seite 4; Bereiter- Hahn/Schicke/Mehrtens, Unfallversicherung, 4. Aufl, § 581 RdNr 9). Ebenso könnte bei einer Verschlimmerung der Folgen des Arbeitsunfalles nicht zu Gunsten des Versicherten von einem bestimmten unter 20 vH festgestellten Grad der MdE ohne Nachprüfung seiner Richtigkeit ausgegangen werden, da die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen darf, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt (s § 48 Abs 3 SGB X; s Brackmann aaO, Seite 584a ff). Die Feststellung eines bestimmten unter 20 vH liegenden Grades der MdE in einem Verfügungssatz unabhängig von der Rentengewährung wirkt sich vielmehr grundsätzlich zu Ungunsten des Verletzten aus. Das BSG hält in ständiger Rechtsprechung Abweichungen um 5 vH in der Schätzung der MdE durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gegenüber den Unfallversicherungsträgern nicht für zulässig, weil eine genauere Differenzierung des medizinischen Befundes und der abschließenden Schätzung innerhalb der allen Schätzungen eigenen Schwankungsbreite liegt (s ua BSGE 32, 245; 37, 177, 181; 41, 99, 101; Brackmann aaO Seite 599d mwN). Somit könnten bei der ersten Entscheidung über die Gewährung der vorläufigen oder der Dauerrente die Gerichte den Unfallversicherungsträger nicht zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer von ihnen aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens geschätzten MdE um 20 vH verurteilen, wenn in einem Verfügungssatz des angefochtenen Bescheides die MdE mit 15 vH festgestellt ist, was Podzun (aaO, Kennzahl 520, Seite 9) "zur Vermeidung ungerechtfertigter Verurteilungen" sogar ausdrücklich empfiehlt. Ebenso würde eine losgelöst von der Rentengewährung in einem Verfügungssatz mit 15 vH festgestellte MdE bei ihrer Verschlimmerung auf 20 vH eine Rentengewährung ausschließen, weil eine Verschlimmerung der MdE um nur 5 vH keine wesentliche Änderung bedingt (s ua BSGE 32, 245; Brackmann aaO, Seite 583e mwN; Podzun aaO, Seite 6). Für eine unabhängig von der Rentengewährung getroffene Feststellung des Grades der MdE in einem Verfügungssatz enthalten auch die Verfahrensvorschriften keine Ermächtigung. Vielmehr sieht § 1569a RVO eine förmliche Feststellung - insoweit - nur für die Gewährung von Renten und die Änderung, die Entziehung und das Ruhen von Renten vor, nicht aber für einzelne Voraussetzungen des Rentenanspruchs (so schon Lehmann, Komm zur RVO, 5. und 6. Buch, 4. Aufl 1926, § 1569a Anm 3) und damit auch nicht für eine von der Rentengewährung unabhängige selbständige Feststellung der MdE. Dem entspricht es, daß auch nach § 55 SGG eine Klage auf Feststellung eines bestimmten Grades der MdE nicht zulässig ist (s BSGE 7, 126, 129; Brackmann aaO, Seite 240n). Der Verletzte hat somit, was das BSG zur Kriegsopferversorgung bereits entschieden hat (s BSGE 7, 126, 128), keinen Anspruch auf Feststellung eines ziffernmäßig bestimmten Grades der MdE unabhängig von der Rentengewährung (ebenso zu Faktoren der Rentenberechnung in der Rentenversicherung BSGE 4, 184). Dem würde es aber widersprechen, dem Unfallversicherungsträger dagegen ohne gesetzliche Ermächtigung das Recht zuzubilligen, eine sich grundsätzlich zu Ungunsten des Verletzten auswirkende und damit diesen belastende selbständige, von der Rentengewährung unabhängige Feststellung eines bestimmten Grades der MdE unter 20 vH in einem Verfügungssatz eines Bescheides aufzunehmen. Vielmehr gebietet der in Art 20 Abs 3 Grundgesetz zu Verfassungsrang erhobene Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, daß belastende Eingriffe in die Rechtsposition der Versicherten einer gesetzlichen Ermächtigung bedürfen; sie können vom Träger der gesetzlichen Unfallversicherung nicht aus eigener Kompetenz beliebig vermehrt werden (s ua BVerwGE 2, 114, 115; Leibholz/Rinck/ Hesselberger, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 6. Aufl, Art 20 Anm 30 und Anm 1 vor Art 70 bis 82; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl, Seite 183; Ossenbühl in Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl 1981, S 57 ff; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl, S 183).
Dieser Entscheidung steht nicht die Rechtsprechung des BSG entgegen, daß die in die Begründung eines Bescheides über die Ablehnung einer Verletztenrente aufgenommenen Ausführungen zu der nichtrentenberechtigenden Höhe der MdE nicht an der Bindungswirkung teilnimmt (s ua BSGE 37, 177, 180; 41, 99, 101; BSG Urteil vom 8. Oktober 1981 - 2 RU 2/81 -). Diese Rechtsprechung geht lediglich davon aus, daß eine tatsächlich getroffene und vom Verletzten nicht angefochtene Feststellung eines bestimmten Grades der unfallbedingten MdE in einem Verfügungssatz an der Bindungswirkung des Bescheides auch dann teilnimmt, wenn dieser MdE-Grad unter 20 vH liegt und unabhängig von einer Rentengewährung festgestellt ist; denn die Bindungswirkung eines vom Betroffenen nicht angefochtenen Bescheides tritt auch ein, wenn der Verfügungssatz rechtswidrig ist. Das BSG hat aber bisher nicht entschieden, daß die Feststellung einer MdE um unter 20 vH in einem besonderen Verfügungssatz unabhängig von der Rentengewährung zulässig ist.
Das LSG wird deshalb zu prüfen haben, ob die Beklagte in ihrem Bescheid vom 25. Januar 1980 zu Recht die Voraussetzungen für die Gewährung einer Verletztenrente an den Kläger verneint hat. Dem Berufungsgericht obliegt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens.
Fundstellen
Haufe-Index 1662778 |
BSGE, 32 |
Breith. 1984, 32 |