Leitsatz (amtlich)
Die Klage, mit der ein Versicherter gegenüber seiner Krankenkasse die Höhe seines Beitrags feststellen lassen will (§ 55 Abs 2 SGG), ist unzulässig, wenn ein Verwaltungsverfahren nicht durchgeführt worden ist und die Kasse zur Erhebung einer Feststellungsklage keinen besonderen Anlaß gegeben hat.
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Unter diese Vorschrift fällt gemäß § 55 Abs 2 SGG auch die Feststellung, in welchem Umfang Beiträge zu berechnen oder anzurechnen sind.
2. Ein streitig gewordenes öffentlich-rechtliches Verhältnis zwischen Versicherten und ihrer Krankenkasse ist grundsätzlich zunächst in einem Verwaltungsverfahren durch Verwaltungsakt zu regeln. Erst danach steht der Weg zu den Gerichten offen. Eine Feststellungsklage ohne vorangegangenes Verwaltungsverfahren ist in der Regel unzulässig. Dies gilt in besonderem Maße, wenn um die Beitragshöhe gestritten wird. Entsprechend sind auch Arbeitgeber und Versicherte selbst zunächst auf ein Verwaltungsverfahren zu verweisen. Dies gilt zwar ausdrücklich nur für die Beiträge der Renten- und Arbeitslosenversicherung, also Versicherungszweige, für die die Krankenkassen als Einzugsstellen tätig werden. Für die Geltendmachung der "eigenen" Beiträge zur Krankenversicherung kann jedoch nichts anderes gelten.
3. Dem danach grundsätzlich bestehenden Vorrang einer Aufhebungsklage gegenüber der Feststellungsklage im Prozeß entspricht es, von einem Versicherten, der die Beitragshöhe beanstanden will, zu verlangen, daß er zunächst mit einem Antrag ein Verwaltungsverfahren einleitet, das durch einen Bescheid abgeschlossen wird. Es wäre unverständlich, einem Prozeß vorrangig auf die Aufhebungsklage zu verweisen, einem anderen Versicherten, der nicht einmal ein Verwaltungsverfahren eingeleitet hat, aber ohne weiteres die Klärung einer Streitfrage im Wege der Feststellungsklage zu ermöglichen. Dieses kann auch dann nicht zugelassen werden, wenn die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes geltend gemacht wird. Auch in solchen Fällen gilt keine Ausnahme von dem Grundsatz, daß zunächst ein Verwaltungsverfahren stattzufinden hat.
Normenkette
SGG § 55 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03, § 78 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 04.05.1984; Aktenzeichen L 4 Kr 1191/83) |
SG Heilbronn (Entscheidung vom 17.05.1983; Aktenzeichen S 3 Kr 1233/81) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung, daß er zur Krankenversicherung einen niedrigeren Beitrag als den von seinem Lohn einbehaltenen zu entrichten hat.
Der Kläger ist als Wartungsmonteur bei der Beigeladenen beschäftigt und erhält einen Lohn, der - zumindest zeitweise - über der für Angestellte bestehenden Versicherungspflichtgrenze (§ 165 Abs 1 Nr 2 Reichsversicherungsordnung -RVO-) liegt. Als Arbeiter ist er bei der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse pflichtversichert (§ 165 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 2 RVO).
Im Juli 1981 hat der Kläger, ohne sich vorher an die Beklagte zu wenden, Klage erhoben. Er hat ua beanstandet, daß das Gesetz Arbeiter und Angestellte bei der Einbeziehung in die Krankenversicherungspflicht ungleich behandelt (§ 165 Abs 1 Nr 1 und Nr 2 RVO), daß den Allgemeinen Ortskrankenkassen in verschiedener Hinsicht schlechte Risiken zugewiesen seien und ihre Mitglieder daher höhere Beiträge zahlen müßten als die Mitglieder anderer Kassen, ferner daß Beiträge auch zur Deckung der durch Schwangerschaftsabbrüche erbrachten Leistungen erhoben würden (§ 200 f RVO). Das Sozialgericht (SG) Heilbronn hat die Klage durch Urteil vom 17. Mai 1983 abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat der Kläger zuletzt beantragt, das Urteil des SG aufzuheben und festzustellen, daß die Beklagte Krankenversicherungsbeiträge nur auf der Grundlage des günstigsten im Raum Stuttgart geltenden Beitragssatzes abzüglich des Beitragsanteils für Ausgaben aufgrund des § 200 f RVO vom Kläger erheben dürfe. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung durch Urteil vom 4. Mai 1984 zurückgewiesen. Es hat die Klage für zulässig, aber für unbegründet gehalten.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, soweit es auf die Rechtswidrigkeit unterschiedlicher Beitragssätze gestützt wird. Er hält eine Feststellungsklage für zulässig, weil die Vorschriften über die Struktur der gesetzlichen Krankenversicherung den Beitragssatz und damit auch die Höhe des Beitrags beeinflußten. Indem der Arbeitgeber den so berechneten Beitrag vom Lohn einbehalte, werde in die Vermögensverhältnisse des versicherten Arbeitnehmers eingegriffen. Dagegen müsse dieser sich wehren können. In der Sache ist der Kläger der Ansicht, der von der Beklagten erhobene Beitragssatz sei rechtswidrig, weil die ihn beeinflussende Gliederung der gesetzlichen Krankenversicherung wegen Verstoßes gegen Art 2 Abs 1, Art 3 Abs 1, Art 9 Abs 1 und Art 20 Abs 1 Grundgesetz (GG) verfassungswidrig sei. Deshalb seien die einschlägigen Organisationsvorschriften (§§ 225, 505 RVO) dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorzulegen. Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung dürfe die Beklagte höchstens Beiträge auf der Grundlage des günstigsten im Raum Stuttgart geltenden Beitragssatzes erheben. Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. Mai 1984 und des Sozialgerichts Heilbronn vom 17. Mai 1983 aufzuheben und festzustellen, daß die Beklagte Krankenversicherungsbeiträge nur auf der Grundlage des günstigsten im Raum Stuttgart geltenden Beitragssatzes von ihm erheben dürfe, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuweisen, weiter hilfsweise, die Sache nach Art 100 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.
Die Beklagte und die Beigeladene haben sich nicht geäußert und auch keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das LSG hat dem Begehren des Klägers im Ergebnis zu Recht den Erfolg versagt. Die Feststellungsklage ist - entgegen der Auffassung des LSG - bereits unzulässig.
Nach § 55 Abs 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Unter diese Vorschrift fällt gemäß § 55 Abs 2 SGG auch die Feststellung, in welchem Umfang Beiträge zu berechnen oder anzurechnen sind. Um eine solche Klage handelt es sich hier. Die Frage des Umfangs der Beitragsberechnung betrifft die Beitragshöhe (Bley in SGB-SozVers-GesKomm § 55 SGG, Anm 7 b), um die es dem Kläger geht. Für jede Klage muß indes ein Rechtsschutzinteresse vorhanden sein. Dieses Erfordernis hat in der genannten Regelung für die Feststellungsklage in Gestalt des "berechtigten Interesses an der baldigen Feststellung" seinen Niederschlag und eine Konkretisierung erfahren. Das Feststellungsinteresse besteht hier nicht, weil ein Verwaltungsverfahren nicht stattgefunden und die Beklagte auch sonst keinen konkreten Anlaß gegeben hat, der den Kläger berechtigen würde, sogleich eine Feststellungsklage zu erheben.
Ein streitig gewordenes öffentlich-rechtliches Verhältnis zwischen Versicherten und ihrer Krankenkasse ist grundsätzlich zunächst in einem Verwaltungsverfahren durch Verwaltungsakt zu regeln. Erst danach steht der Weg zu den Gerichten offen. Eine Feststellungsklage ohne vorangegangenes Verwaltungsverfahren ist in der Regel unzulässig (vgl Urteil des Senats vom 9. Oktober 1984 - 12 RK 18/83 -, zur Veröffentlichung bestimmt).
Dieses gilt in besonderem Maße, wenn um die Beitragshöhe gestritten wird. Soweit eine Krankenkasse Einzugsstelle für die Beiträge zur Rentenversicherung und die Arbeitslosenversicherung ist, sieht das Gesetz ausdrücklich vor, daß sie über die Versicherungspflicht, die Beitragspflicht und die Beitragshöhe entscheidet und daß sie den erforderlichen Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid erläßt (§ 1399 Abs 3 RVO; § 121 Abs 3 Angestelltenversicherungsgesetz -AVG-; § 182 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz -AFG-). Hiernach ist die Einzugsstelle gehalten, streitige Beitragsforderungen jedenfalls gegenüber Beitragsschuldnern, die natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts sind, durch Verwaltungsakt geltend zu machen; sie dürfte nicht davon absehen und statt dessen auf Feststellung klagen. Entsprechend sind auch Arbeitgeber und Versicherte selbst zunächst auf ein Verwaltungsverfahren zu verweisen. Die genannten Vorschriften betreffen zwar ausdrücklich nur die Rentenversicherung und die Arbeitslosenversicherung, also Versicherungszweige, für die die Krankenkassen als Einzugsstellen tätig werden. Für die Geltendmachung der ("eigenen") Beiträge zur Krankenversicherung kann jedoch nichts anderes gelten.
§ 55 Abs 2 SGG ist nicht dahin zu verstehen, daß die Feststellung hinsichtlich der Beitragshöhe uneingeschränkt, insbesondere ohne vorangegangenes Verwaltungsverfahren, im Wege der Klage begehrt werden kann. Vielmehr wird in § 55 Abs 2 SGG durch die Bezugnahme auf Abs 1 der Vorschrift und nach der Entstehungsgeschichte nur "klargestellt, daß ein Streit über die Berechnung und Anrechnung von Beiträgen auch dann im Wege gerichtlicher Feststellung geklärt werden kann, wenn das durch die Versicherungspflicht begründete öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnis unstreitig besteht" (Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über das Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit - Sozialgerichtsordnung - SGO, BT-Drucks I/4357, S 23/24 zu § 4 a. E.). Damit verhindert diese Regelung, daß die Feststellung eines Teils der in Abs 2 enthaltenen Fragen deshalb als unzulässig angesehen wird, weil es sich um bloße Elemente eines Rechtsverhältnisses handelt, deren Feststellung nach Abs 1 Nr 1 nicht begehrt werden könnte (Bley, aaO Anm 7a). Ein Verzicht auf weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen der Feststellungsklage kann der Vorschrift nicht entnommen werden.
Die dargelegte Auffassung steht in Einklang mit dem im Prozeß für das Verhältnis verschiedener Klagearten zueinander geltenden Grundsatz des Nachrangs der Feststellungsklage gegenüber Gestaltungs- und Leistungsklagen. Diese Rangfolge der Klagearten ist zwar im Gegensatz zu anderen Verfahrensordnungen (§ 43 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-, § 41 Abs 2 Finanzgerichtsordnung -FGO-) im SGG nicht ausdrücklich geregelt, indes gleichwohl anerkannt (Urteil des Senats vom 9. Oktober 1984 - 12 RK 18/83 -; BSGE 46, 81, 84; vgl auch BSGE 43, 148, 150/151). Dem danach grundsätzlich bestehenden Vorrang einer Aufhebungsklage gegenüber der Feststellungsklage im Prozeß entspricht es, von einem Versicherten, der die Beitragshöhe beanstanden will, zu verlangen, daß er zunächst mit einem Antrag ein Verwaltungsverfahren einleitet, das durch einen Bescheid abgeschlossen wird. Es wäre unverständlich, einen Versicherten im Prozeß vorrangig auf die Aufhebungsklage zu verweisen, einem anderen Versicherten, der nicht einmal ein Verwaltungsverfahren eingeleitet hat, aber ohne weiteres die Klärung einer Streitfrage im Wege der Feststellungsklage zu ermöglichen. Dieses kann auch dann nicht zugelassen werden, wenn die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes geltend gemacht wird. Auch in solchen Fällen gilt keine Ausnahme von dem Grundsatz, daß zunächst ein Verwaltungsverfahren stattzufinden hat.
Der erkennende Senat hat allerdings im Urteil vom 8. März 1979 - 12 RK 53/78 - (USK 7945) erwähnt, der Subsidiaritätsgrundsatz gelte bei Feststellungsklagen gegen den Versicherungsträger nicht, soweit angenommen werden könne, daß der Streitstoff durch ein Feststellungsurteil sachgerecht erledigt werden könne. Er hat dazu insbesondere auf zwei Entscheidungen des 3. Senats des Bundessozialgerichts (BSGE 10, 21, 24/25; 12, 44, 46/47) Bezug genommen. Die Sachverhalte, die jenen Entscheidungen zugrunde lagen, weichen jedoch vom vorliegenden ab. In den vom 3. Senat entschiedenen Fällen hatte ein Verwaltungsverfahren stattgefunden; dann war jedoch im Prozeß zuletzt nur der Feststellungsantrag weiterverfolgt worden. In derartigen Fällen hat auch der erkennende Senat nicht auf einer strengen Durchführung des Subsidiaritätsgrundsatzes bestanden, vor allem dann nicht, wenn eine Entscheidung zur Sache aufgrund der Aufhebungsklage aus verfahrensrechtlichen Gründen scheiterte und nur der Feststellungsantrag sie noch ermöglichte (Urteil vom 9. Oktober 1984 - 12 RK 18/83 -). Dem Urteil vom 8. März 1979 - 12 RK 53/78 - (USK 7945) lag ein Streit um die Wirkung der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht zugrunde. Dort war ursprünglich ein Verwaltungsverfahren mit einem Befreiungsbescheid abgeschlossen worden, den der Kläger mangels Beschwer nicht angreifen konnte. Die Feststellungsklage war später dadurch ausgelöst worden, daß die Beklagte die Wirksamkeit des Bescheides in Frage gestellt hatte. An einem solchen Anlaß, der eine Feststellungsklage als zulässig erscheinen lassen könnte, fehlt es hier.
Gegen die hier vertretene Auffassung kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, für § 55 Abs 2 SGG bleibe kein Anwendungsbereich. Vielmehr gibt es eine Reihe denkbarer Fallgestaltungen, bei denen § 55 Abs 2 SGG Bedeutung erlangen kann. In erster Linie ist dabei an die Feststellungsklagen zu denken, die mit Aufhebungsklagen verbunden sind, ferner an Klagen zu solchen Rechtsverhältnissen, in denen ein Verwaltungsakt nicht ergehen kann, etwa - sofern dort nicht die Leistungsklage vorgeht - in Beitragsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder zwischen verschiedenen Versicherungsträgern, soweit die Einzugsstelle hier nicht durch Verwaltungsakt handeln kann.
Für die Entscheidung kommt es nicht darauf an, ob das erforderliche Verwaltungsverfahren gegenüber dem Kläger unter Beteiligung der Beigeladenen oder, weil Beitragsschuldner gegenüber der Beklagten allein die Beigeladene ist, dieser gegenüber unter Beteiligung des Klägers stattzufinden hätte (vgl zur Beteiligung § 12 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - SGB X und dazu BSGE 55, 160 = SozR 1300 § 12 Nr 1). Auch wenn letzteres zutreffen sollte, wäre der Kläger verfahrensrechtlich nicht gehindert, ein solches Verwaltungsverfahren einzuleiten, weil ihm die Beigeladene die Hälfte des Beitrags vom Lohn einbehält, den die Beklagte von ihr fordert.
Da die Feststellungsklage sich schon hiernach als unzulässig erweist, braucht nicht mehr entschieden zu werden, ob die Zulässigkeit auch an einer zu wenig konkreten Darlegung der Beschwer oder an der Unbestimmtheit des gestellten Antrags scheitert.
Mangels Zulässigkeit der Klage war der Senat gehindert, über die gestellten Anträge in der Sache zu entscheiden. Dazu wird jedoch auf das Urteil vom 22. Mai 1985 - 12 RK 15/83 - (zur Veröffentlichung bestimmt) hingewiesen. Mit der Überprüfbarkeit der Beitragshöhe wegen der Aufwendungen von Krankenkassen für Leistungen nach § 200 f RVO im sozialgerichtlichen Verfahren haben sich das BVerfG im Beschluß vom 18. April 1984 (BVerfGE 67, 26) und der erkennende Senat im Urteil vom 9. Oktober 1984 - 12 RK 18/83 - (zur Veröffentlichung bestimmt) befaßt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen