Leitsatz (amtlich)
Das Übergangsgeld im öffentlichen Dienst (TO A § 16) war als eine "Entschädigung" anläßlich des Ausscheidens aus der früheren Beschäftigung im Sinne des AVAVG § 113 Abs 1 Nr 2 aF zu behandeln.
Normenkette
AVAVG § 113 Abs. 1 Nr. 2; AVAVG 1927 § 113 Abs. 1 Nr. 2
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Juli 1959 wird zurückgewiesen, soweit sie nicht durch Zahlung von 144,- DM seitens der Beklagten erledigt ist.
Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Die Klägerin war bis zum 31. Dezember 1955 als Angestellte bei einem Landgericht (LG.) tätig. Im Dezember 1956 wurde ihr ein Übergangsgeld nach der Allgemeinen Dienstordnung (ADO) zu § 16 der Tarifordnung für Angestellte im öffentlichen Dienst (TO.A) in Höhe von 698,22 DM bewilligt. Von diesem Betrag nahm das Arbeitsamt (ArbA.) gemäß § 113 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in der vor dem 1. April 1957 geltenden Fassung (AVAVG a. F.) 264,- DM für die an die Klägerin in der Zeit vom 9. Januar bis 28. Februar 1956 gewährte Arbeitslosenunterstützung (Alu) in Anspruch und teilte dies der Klägerin am 4. Januar 1957 mit; das LG. zahlte daraufhin den genannten Betrag an das ArbA. aus. Der Widerspruch der Klägerin wurde am 15. April 1957 zurückgewiesen. Auf die Klage hob das Sozialgericht (SG.) den Bescheid des ArbA. und den Widerspruchsbescheid auf und verpflichtete die Beklagte, an die Klägerin die 264,- DM zurückzuzahlen, weil das Übergangsgeld in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem beendeten Arbeitsverhältnis stehe, sondern eine Treuevergütung sei, die nicht auf die Alu angerechnet werden dürfe (Urteil vom 27.8.1957).
Auf die am 2. Oktober 1957 von der Beklagten eingelegte Berufung hob das Landessozialgericht (LSG.) mit Urteil vom 15. Juli 1959 das Urteil des SG. auf und wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus: Der Begriff "anläßlich" in § 113 Abs. 1 Nr. 2 AVAVG a. F. sei zwar eng in dem Sinne auszulegen, daß ein bloß zeitlicher Zusammenhang der Abfindung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genüge, vielmehr müsse auch ein innerer Zusammenhang gegeben sein; daher sei eine aus rein sozialen Gründen anläßlich des Ausscheidens gewährte Abfindung nicht auf die Alu anzurechnen. Ein innerer Zusammenhang zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin und dem Übergangsgeld sei aber hier gegeben. Das Übergangsgeld bezwecke die Unterstützung des ausgeschiedenen Angestellten bis zur Übernahme einer neuen Beschäftigung und entspreche somit seinem Zweck nach der Alu. Es handele sich nicht um ein Treuegeld. Ihm lägen zwar soziale Erwägungen zugrunde; für seine Gewährung im Einzelfall seien jedoch keine sozialen Gesichtspunkte maßgebend. Die Revision wurde zugelassen.
Das Urteil wurde am 25. September 1959 zugestellt. Am 26. Oktober 1959 (der 25. Oktober war ein Sonntag) legte die Klägerin Revision ein und begründete sie am 28. Dezember 1959, nachdem ihr die Revisionsbegründungsfrist bis zu diesem Tage verlängert worden war. Sie trägt vor, das LSG. hätte die Zulässigkeit der Berufung zu Unrecht bejaht. Für die Zulässigkeit des Rechtsmittels sei die Rechtslage zur Zeit der Entscheidung in der Berufungsinstanz maßgebend; in diesem Zeitpunkt sei aber die Berufung nach § 149 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) n. F. ausgeschlossen gewesen, da es sich um eine Streitigkeit über die Rückerstattung von Leistungen mit einem Beschwerdewert bis zu 500,- DM handele. Weiter habe das Gericht rechtsirrtümlich den § 113 AVAVG a. F. und nicht den § 96 AVAVG n. F. angewandt. Denn die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten ohne Dauerwirkung sei nach der Rechtslage zur Zeit der letzten Verwaltungsentscheidung (des Widerspruchsbescheides vom 15.4.1957) zu beurteilen. Ein innerer Zusammenhang zwischen dem Übergangsgeld und der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bestehe nicht. Es handele sich dabei um ein Treuegeld. Das Übergangsgeld stelle eine weitere Vergütung für die in der Vergangenheit geleistete Arbeit dar; außerdem werde es aus sozialen Gründen gewährt.
Während des Revisionsverfahrens hat die Beklagte an die Klägerin 144,- DM auf die streitige Summe gezahlt; insoweit betrachten beide Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache als erledigt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG. in München vom 15. Juli 1959 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG. Augsburg vom 27. August 1957 als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie zurückzuweisen, soweit der Rechtsstreit nicht durch die Zahlung von 144,- DM erledigt ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die durch die Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist nicht begründet.
Zu Recht ist das LSG. zunächst davon ausgegangen, daß die Berufung im vorliegenden Falle nach § 143 SGG zulässig gewesen ist und ein Berufungsausschließungsgrund nach den §§ 144 ff. SGG nicht vorgelegen hat. Bei Streitigkeiten der vorliegenden Art handelt es sich weder um solche über Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu dreizehn Wochen, bei denen die Berufung nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG ausgeschlossen ist (vgl. BSG. 2 S. 164 ff. (166); BSG. 5 S. 216 ff. (219)), noch um einen Rechtsstreit über Beginn und Höhe der Unterstützung (vgl. BSG. 1 S. 111 ff. (114); BSG. 2 a. a. O.; BSG. 5 a. a. O.). Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich im vorliegenden Fall um einen Streit über die Rückerstattung von Leistungen mit einem Beschwerdewert bis zu 500,- DM handelt, bei denen die Berufung nach § 149 SGG in der Fassung des zweiten Änderungsgesetzes vom 25. Juni 1958 (BGBl. I S. 409) ausgeschlossen wäre; denn dieser Berufungsausschließungsgrund ist erst durch das Zweite Änderungsgesetz zum SGG geschaffen worden und kann daher nicht zur Anwendung kommen. Die Zulässigkeit der Berufung ist vielmehr nach den §§ 143 ff. SGG in der früheren Fassung zu beurteilen, weil die Prozeßhandlung, um die es hier geht (Einlegung der Berufung), bei Inkrafttreten des Zweiten Änderungsgesetzes bereits abgeschlossen gewesen und in diesem Gesetz eine Anwendung der neuen Berufungsvorschriften auf "Altfälle" nicht vorgesehen ist (vgl. Urteil des BSG. vom 10.12.1958 in SozR § 143 SGG Bl. Da 2 Nr. 3; BSG. 8 S. 135 ff. mit weiteren Hinweisen). Ein Berufungsausschließungsgrund lag also nicht vor.
Aber auch sachlich mußte der Revision der Erfolg versagt bleiben; denn das der Klägerin gezahlte Übergangsgeld ist als Abfindung bzw. Entschädigung, die sie anläßlich ihres Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis erhalten hat, im Sinne des § 113 Abs. 1 Nr. 2 AVAVG a. F. anzusehen. Die Klägerin hätte daher nach dieser Vorschrift so lange keine Alu erhalten dürfen, als aus dem Übergangsgeld für jeden dem Ausscheiden aus der Beschäftigung folgenden Tag der Arbeitslosigkeit ein Betrag in Höhe des Arbeitsentgelts aufgewendet werden kann, das die Klägerin erhalten hätte, wenn sie nicht aus ihrem Arbeitsverhältnis ausgeschieden wäre. Da die Klägerin entgegen dieser Vorschrift Leistungen erhalten hat, obwohl ihr das Übergangsgeld zustand, muß der Arbeitgeber nach § 113 Abs. 2 AVAVG a. F. die Leistungsbeträge, die zu Unrecht gewährt sind, dem Arbeitsamt erstatten. Auch wenn hier der Widerspruchsbescheid erst nach dem 1. April 1957 ergangen ist, muß in dem vorliegenden Falle, in dem es sich um eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage handelt, nicht das seit dem 1. April 1957 geltende Recht in Gestalt des § 96 AVAVG in der Fassung vom 3. April 1957 (BGBl. I S. 321), sondern der frühere § 113 angewandt werden.
Denn die Auswirkungen dieses Streitfalles erstrecken sich nicht mehr auf den Zeitraum des neuen Rechts (vgl. BSG. 5 S. 216 ff. (219)). Zwar liegt hier ein Verwaltungsakt ohne Dauerwirkung vor, und bei einem solchen ist grundsätzlich die Rechtslage bei Erlaß der letzten Verwaltungsentscheidung zugrunde zu legen, also hier die Rechtslage beim Erlaß des Widerspruchsbescheides. Das bedeutet aber nicht, daß der § 96 AVAVG n. F. zur Anwendung gelangen kann. Denn der streitige Erstattungsanspruch des ArbA. gegen den Arbeitgeber ist bereits nach § 113 AVAVG a. F. vor dem 1. April 1957 entstanden, und dem Änderungsgesetz zum AVAVG ist insoweit keine rückwirkende Kraft zugelegt worden. Die Verwaltungsakte der Beklagten hatten überdies nur eine rein feststellende (deklaratorische) Wirkung, da der Erstattungsanspruch bereits kraft Gesetzes entstanden war. Da das Änderungsgesetz keine Vorschrift enthält, bereits vorhandene Erstattungsansprüche gemäß § 113 AVAVG a. F. sollten dann erlöschen, wenn sie nach § 96 AVAVG n. F. nicht zur Entstehung gelangt wären, ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen deklaratorischen Verwaltungsaktes nur das Recht anzuwenden, das zur Entstehung des Anspruchs geführt hat, nämlich der § 113 AVAVG a. F.
Bei der Entscheidung, ob das Übergangsgeld nach der ADO zu § 16 TO. A zu den Abfindungen bzw. Entschädigungen gehört, die anläßlich des Ausscheidens gewährt worden sind, ist maßgebend, daß nicht nur ein zeitlicher, sondern auch ein innerer Zusammenhang zwischen dem Ausscheiden und der gewährten Abfindung besteht. Leistungen, die nur gelegentlich des Ausscheidens gewährt werden, fallen nicht unter diese Vorschrift, so z. B. Treuegelder, Ehebeihilfen oder Nachzahlungen wegen untertariflicher Entlohnung (BSG. 1 a. a. O.) Bei dem Übergangsgeld dagegen ist ein solcher innerer Zusammenhang zu bejahen. Es gehört nicht zu den gelegentlich des Ausscheidens gewährten Beträgen, sondern wird ausschließlich wegen des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis gezahlt. Es hat den Zweck, den Angestellten die Möglichkeit zu geben, sich in Ruhe, ohne in eine wirtschaftliche Notlage zu geraten, um eine andere Stelle zu bemühen (vgl. Ambrosius, Das Tarifrecht der Angestellten im öffentlichen Dienst, 7. Aufl. Anm. 1 zu Nr. 1 der ADO zu § 16 TO.A). Das Übergangsgeld soll demnach das Arbeitsentgelt für eine gewisse Zeit teilweise ersetzen und fällt daher nach dem Willen des Gesetzgebers unter die Entschädigungen und Abfindungen, die anläßlich des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis gewährt werden (vgl. Amtl. Begr. zum Reg. Entwurf des Reichsgesetzes vom 16.7.1927, 34. Sonderheft des RABl. 1926 S. 180). Wie bereits das Reichsversicherungsamt (RVA.) in der Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 4164 vom 12. Juni 1931 (RABl. 1931 IV S. 350) ausgeführt hat, ist der Grundgedanke des § 113 AVAVG a. F. darin zu sehen, daß die Arbeitslosenversicherung so lange nicht eingreifen soll, als der aus der Beschäftigung ausgeschiedene Arbeitnehmer seinen Lebensunterhalt im Rahmen seines bisherigen Arbeitsverdienstes noch bestreiten kann, soweit die Mittel hierfür im inneren Zusammenhang mit der voraufgegangenen Arbeit stehen (vgl. auch BSG. 1 S. 138). Aus dem Sinn und Zweck des Übergangsgeldes ergibt sich, daß dies der Fall ist.
Das Übergangsgeld wird auch nicht ohne rechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers aus sozialen Gründen gewährt, so daß der Senat nicht zu entscheiden brauchte, ob eine solche Leistung unter die Entschädigungen und Abfindungen im Sinne des § 113 AVAVG a. F. fällt. Zwar bestimmt Nr. 1 Abs. 7 der ADO zu § 16 TO. A, es bestehe kein Rechtsanspruch auf Übergangsgeld. Das bedeutet aber nicht, daß es im freien Belieben des Dienstherrn liegt, ob er das Übergangsgeld gewährt oder nicht. Gewährt er in der Regel ein Übergangsgeld, so muß er es im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen jedem gewähren, der die Voraussetzungen hierfür erfüllt (vgl. BAG, Urteil vom 11.5.1957, AP Nr. 1 zu TO.A-ADO § 16). In diesen Fällen besteht entgegen der ausdrücklichen Vorschrift auch ein Rechtsanspruch auf das Übergangsgeld (vgl. auch Neumann-Duesberg, Anm. zu dem Urteil des BAG a. a. O. und Ambrosius, a. a. O. Anm. 2, der in jedem Falle einen Rechtsanspruch bejaht). Da die besonderen Verhältnisse des ausscheidenden Angestellten, insbesondere das Vorhandensein von Vermögen oder anderen Einkünften ohne Bedeutung auf eine bestehende Pflicht zur Gewährung des Übergangsgeldes (vgl. BAG a. a. O.) und auch seine Höhe unabhängig von diesen Umständen sind, da es weiterhin auch nicht auf die persönlichen Verhältnisse des Angestellten ankommt, kann nicht davon ausgegangen werden, daß das Übergangsgeld aus sozialen Gründen gewährt wird.
Ebensowenig ist das Übergangsgeld als Treuegeld anzusehen. Treuegelder werden - unabhängig von der Tatsache, daß der Arbeitnehmer aus seinem Beschäftigungsverhältnis ausscheidet - wegen langjähriger Zugehörigkeit zu einem Betrieb gezahlt. Auch dieses entscheidende Merkmal liegt bei dem Übergangsgeld nach der TO.A nicht vor. Hier genügt es vielmehr, daß der Angestellte in dem Betrieb mindestens ein Jahr beschäftigt gewesen ist. Außerdem dient das Übergangsgeld, wie bereits erwähnt, lediglich dem Zweck, den Übergang von einem Beschäftigungsverhältnis in ein anderes zu erleichtern. Sein Sinn ist also nicht, treue Dienste eines Angestellten zu belohnen, ebensowenig wie es zum Ausgleich einer untertariflichen Vergütung des Angestellten gezahlt wird.
Aus dem Umstand, daß das Übergangsgeld auch bei Ausscheiden wegen Überschreitung des 65. Lebensjahres, wegen Schwangerschaft oder längerer Krankheit gewährt wird, kann nicht geschlossen werden, es werde aus sozialen Gründen gegeben oder sei ein Treuegeld. Zweck dieser Bestimmung ist vielmehr, auch in diesen Fällen für einige Zeit eine wirtschaftliche Sicherheit zu bieten, weil diese Personen im allgemeinen nach ihrem Ausscheiden keine Erwerbstätigkeit mehr ausüben bzw. für einige Zeit nicht mehr ausüben können. Das ändert aber nichts an dem Charakter des Übergangsgeldes, für einige Zeit den Arbeitsverdienst zu ersetzen.
Aus diesen Gründen konnte die Revision der Klägerin keinen Erfolg haben. Bezüglich der gezahlten 144,- DM war sie ohnehin gegenstandslos geworden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei war zu berücksichtigen, daß die Beklagte die Klägerin während des Revisionsverfahrens teilweise - nämlich in Höhe von 144,- DM - klaglos gestellt und in Höhe der restlichen 120,- DM obgesiegt hat.
Fundstellen