Leitsatz (redaktionell)

1. Die Krankengeldbezugszeit nach Beginn einer rückwirkend bewilligten Erwerbsunfähigkeitsrente ist auf die Leistungsfrist nach RVO § 183 Abs 2 anzurechnen.

2. Zeiten früheren Bezuges von Krankengeld bzw Krankenhauspflege wegen derselben Krankheit sind auch dann auf die Höchstbezugsdauer für Krankengeld bzw Krankenhauspflege anzurechnen, wenn das Versicherungsverhältnis im Zeitpunkt der Wiedererkrankung auf einer anderen Rechtsvorschrift beruht.

 

Orientierungssatz

Zeiten, in denen eine KK nach Beginn einer (später rückwirkend bewilligten) Erwerbsunfähigkeitsrente noch Krankengeld gewährt, dafür aber aus der Rentennachzahlung nur teilweise Ersatz erhält (vgl RVO § 183 Abs 3 S 2 und 3), sind auf die in RVO § 183 Abs 2 vorgesehene Leistungsdauer von 78 Wochen anzurechnen (vergleiche BSG 1967-07-11 3 RK 92/65 = BSGE 27, 66).

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 2 Fassung: 1961-07-12, Abs. 3 S. 2 Fassung: 1961-07-12, S. 3 Fassung: 1961-07-12

 

Tenor

Auf die Revision der beklagten Krankenkasse werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Januar 1966 und des Sozialgerichts Nürnberg vom 29. Januar 1965 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Kläger sind die Rechtsnachfolger der am 14. März 1965 verstorbenen A O.. Sie fordern von der beklagten Krankenkasse, deren Pflichtmitglied Frau O. war, die Übernahme der Kosten einer Krankenhausbehandlung der Verstorbenen.

Frau O., die wegen eines Leberleidens seit dem 1. Dezember 1961 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezog (Bescheid vom 8. Mai 1962), hatte von der Beklagten seit September 1961 und über den Rentenbeginn hinaus bis Juni 1963 Krankengeld oder Krankenhauspflege für insgesamt 78 Wochen erhalten. Wegen des nach Rentenbeginn - vom 23. Dezember 1961 bis 1. Januar 1962 und vom 31. Januar bis 15. Mai 1962 - gezahlten Krankengeldes von zusammen 779 DM hatte die Beklagte die auf die gleiche Zeit entfallende Rentennachzahlung von 288 DM in Anspruch genommen.

Vom 18. März bis 15. April 1964 befand sich Frau O. wegen des gleichen Leidens erneut in Krankenhausbehandlung. Eine Übernahme der dadurch entstandenen Kosten lehnte die Beklagte ab, weil die Versicherte "ausgesteuert" sei (Bescheid vom 6. August 1964 und Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 1964).

Das Sozialgericht (SG) Nürnberg hat die Beklagte für die Zeit der streitigen Krankenhausbehandlung noch als leistungspflichtig angesehen: Auf die "Aussteuerungsfrist" sei die Zeit, für die die Beklagte nach rückwirkender Gewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente auf die Rentennachzahlung der Versicherten zurückgegriffen habe, nicht anzurechnen; insoweit sei nämlich der Krankengeldanspruch der Versicherten nachträglich entfallen (Urteil vom 29. Januar 1965).

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit im wesentlichen gleicher Begründung zurückgewiesen. Nach Ansicht des LSG wäre es auch "unbillig und sicher nicht im Sinne des Gesetzes" einem krankenversicherten Rentner Krankenhauspflege deshalb zu versagen, weil er zwar bereits für die gesetzliche Höchstdauer Krankengeld erhalten habe, dieses jedoch infolge rückwirkender Rentenbewilligung unter Umständen voll an die Krankenkasse aus seinem Vermögen (Rentenanspruch) zurückzahlen müsse (Urteil vom 26. Januar 1966).

Die beklagte Krankenkasse hat die zugelassene Revision eingelegt und u. a. geltend gemacht, der Gesetzgeber habe einen Versicherten, dem Erwerbsunfähigkeitsrente oder Altersruhegeld zustehe, bis zur (späteren) Erteilung des Rentenbescheides für die Krankengeldgewährung nicht anders als sonstige Versicherte stellen wollen; auch bei ihm sei daher die Zeit des Krankengeldbezugs auf die gesetzliche Bezugsdauer anzurechnen, wie er andererseits während dieser Zeit auch nach §§ 311, 383 der Reichsversicherungsordnung (RVO) beitragsfreies Mitglied der Krankenkasse bleibe.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger sind im Revisionsverfahren nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten gewesen.

II

Die Revision der beklagten Krankenkasse ist begründet. Den Klägern steht ein Anspruch auf Übernahme der streitigen Krankenhauskosten - nur ein solcher Anspruch könnte auf sie als Rechtsnachfolger der verstorbenen Versicherten übergegangen sein (BSG 25, 146, 148) - nicht zu. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist die Zeit, in der die Versicherte nach Beginn ihrer rückwirkend bewilligten Erwerbsunfähigkeitsrente noch Krankengeld von der Beklagten bezogen hat (23. Dezember 1961 bis 1. Januar 1962 und 31. Januar bis 15. Mai 1962), auf die in § 183 Abs. 2 RVO vorgesehene Leistungsfrist anzurechnen.

Nach § 183 Abs. 2 wird Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit für höchstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren gewährt. Entsprechendes gilt für die Gewährung von Krankenhauspflege (Abschnitt I Nr. 2 b des Erlasses des Reichsarbeitsministers über Verbesserungen in der gesetzlichen Krankenversicherung - Verbesserungserlaß - vom 2. November 1943, AN II S. 485). Daß hier die Versicherte auch während der streitigen Zeit (18. März bis 15. April 1964) "wegen derselben Krankheit", nämlich wegen ihres Leberleidens, in Krankenhausbehandlung gewesen war, hat das LSG festgestellt. Es ist ferner ohne Widerspruch der Beteiligten davon ausgegangen, daß der Versicherungsfall seit der erstmaligen Behandlung der Krankheit im September 1961 bis zur Wiederaufnahme im Krankenhaus im Frühjahr 1964 fortbestanden hat. Die Versicherte hätte deshalb für die Zeit der erneuten Krankenhausbehandlung nur dann Krankenhauspflege von der Beklagten erhalten können, wenn die Bezugsdauer von 78 Wochen, die sich auch durch den Übertritt der Versicherten in die Krankenversicherung der Rentner nicht verlängerte (BSG 1, 158), noch nicht erschöpft war. Die Vorinstanzen haben dies zu Unrecht angenommen.

Wie der Senat schon entschieden hat (BSG 27, 66), rechnen zur Bezugszeit nach § 183 Abs. 2 RVO auch solche Zeiten, in denen die Krankenkasse dem Versicherten vor Zubilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente Krankengeld gewahrt hat, dafür aber aus der späteren Rentennachzahlung nur teilweise Ersatz erhält, weil die Rente niedriger als das Krankengeld ist (§ 183 Abs. 3 Sätze 2 und 3 RVO). Wenn einem Versicherten, der Krankengeld erhalten hat, rückwirkend für die gleiche Zeit eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligt wird, so mag dies zwar grundsätzlich zur Folge haben, daß der Krankengeldanspruch und damit der rechtliche Grund für die Krankengeldzahlung nachträglich entfällt (§ 183 Abs. 3 Satz 1 RVO; vgl. auch § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB). Da die Krankenkasse jedoch das "überzahlte" Krankengeld nicht vom Versicherten zurückzufordern, sondern sich wegen ihrer Leistungen nur an die Rentennachzahlung halten kann, verbleibt dem Versicherten im Ergebnis derjenige Teil des Krankengeldes, der die Rente übersteigt (§ 183 Abs. 3 Sätze 2 und 3 RVO). Insoweit wird der Versicherte mithin wirtschaftlich so gestellt, als ob er seinen Krankengeldanspruch behalten hätte. Das rechtfertigt, Zeiten einer Krankengeldgewährung, für die die Krankenkasse nur teilweise entschädigt wird (§ 183 Abs. 3 Sätze 2 und 3 RVO), auf die gesetzliche Leistungsdauer anzurechnen, wie auf der anderen Seite während dieser Bezugszeiten auch die Mitgliedschaft des Versicherten nach §§ 311, 383 RVO beitragsfrei erhalten bleibt (vgl. SozR Nr. 56 zu § 165 RVO). Der Grundsatz, daß Zeiten, in denen Krankengeld mangels eines Anspruchs darauf nicht gewährt wird, auf die Leistungsdauer nicht anzurechnen sind (Urteil des Senats vom 15. Oktober 1968, 3 RK 76/65, für § 183 Abs. 4 RVO), ist nur anwendbar, wenn während der fraglichen Zeiten kein Krankengeldanspruch bestanden hat und auch kein Krankengeld gewährt worden ist. Das trifft in Fällen der vorliegenden Art nicht zu.

Auch die Rechtsvorgängerin der Kläger hat noch nach Beginn ihrer (rückwirkend bewilligten) Erwerbsunfähigkeitsrente Krankengeld bezogen, für das die Beklagte nur zum Teil Ersatz aus der späteren Rentennachzahlung erhalten hat. Diese Bezugszeiten sind deshalb auf die Dauer des Leistungsanspruchs der Versicherten anzurechnen und hatten ihn schon im Jahre 1963 - vor Wiederaufnahme der Versicherten im Krankenhaus - erschöpft. Die Beklagte braucht somit die streitigen Krankenhauskosten nicht zu übernehmen. Auf ihre Revision hat der Senat die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324489

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