Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahl des Krankenhauses. Reise- und Transportkosten
Leitsatz (amtlich)
Bei einem Wechsel des Krankenhauses ist die Krankenkasse zur Tragung der Transportkosten nur verpflichtet, wenn dafür ein zwingender Grund iS des § 184 Abs 2 S 2 RVO gegeben war (Bestätigung von BSG 1979-03-28 3 RK 92/77 = BSGE 48, 139 = SozR 2200 § 194 Nr 4).
Leitsatz (redaktionell)
1. Unter den Krankenhäusern, mit denen Verträge über die Erbringung von Krankenhauspflege bestehen, kann der Versicherte nach § 184 Abs 2 RVO wählen. Der Versicherte bestimmt mit dieser Wahl des Krankenhauses aber nicht den Ort der Leistung in der Weise, daß die Bestimmung die Pflicht der Krankenkasse zur Übernahme der entsprechenden Reise- und Transportkosten nach sich zieht. Vielmehr hat der Versicherte selbst die Mehrkosten zu tragen, wenn er ohne zwingenden Grund ein anderes als eines der nächsterreichbaren Krankenhäuser in Anspruch nimmt. Dies gilt auch bei der Verlegung von einem Krankenhaus in ein anderes.
2. Bei der Beurteilung, ob die erforderlich, medizinisch ausreichende und zweckmäßige Krankenhauspflege nur in einem bestimmten Krankenhaus erbracht werden kann, ist nur auf die auf den Erkrankten bezogene objektive Notwendigkeit abzustellen. Negative Auswirkungen auf Familienangehörige bleiben bei dieser Prüfung unberücksichtigt.
3. Für die Verlegung von einem Krankenhaus in ein anderes Krankenhaus kann auch die Gefahr einer ernsthaften psychischen Erkrankung sowie die Beeinträchtigung des Genesungsprozesses durch die Trennung von einer Bezugsperson ausschlaggebend sein; in diesem Fall sind die Kosten eines erforderlichen Krankentransports nach § 194 Abs 1 RVO von der Krankenkasse zu übernehmen.
Normenkette
RVO § 194 Abs. 1 Fassung: 1977-06-27, § 184 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1977-06-27
Verfahrensgang
SG Dortmund (Entscheidung vom 28.09.1981; Aktenzeichen S 8 Kr 50/81) |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Krankentransportkosten.
Die Klägerin wohnt in D. und ist Mitglied der Beklagten. Am 27. April 1980 erlitt sie während ihres Urlaubs im Sauerland einen Unterschenkelbruch rechts. Sie wurde zum nächstgelegenen Krankenhaus, dem M.-H.-Krankenhaus in W. gefahren. Dort wurde vom Chefarzt Dr. K. (K.) die Reposition durchgeführt und ein Transportgips angelegt. Die Klägerin wurde am selben Tag noch liegend ins Knappschaftskrankenhaus D. transportiert. Für diese Fahrt stellte der Kreis S. 468,-- DM in Rechnung, die die Klägerin beglich.
Die Übernahme der Kosten für die Fahrt von W. nach D. lehnte die Beklagte am 7. Oktober 1980 ab. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie sei Mutter eines vierjährigen Kindes. Ihm wäre es wegen der Dauer einer Reise von D. nach W. (über 80 km) praktisch nicht möglich gewesen, die Klägerin regelmäßig zu sehen. Eine Trennung von Mutter und Kind wirke sich unter Berücksichtigung der psychosomatischen Zusammenhänge auch für den Genesungsprozeß der Mutter äußerst nachteilig aus.
Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat ausgeführt, der Transport der Klägerin von W. nach D. sei nicht durch die Art und Weise der erforderlichen Krankheitsbehandlung bedingt gewesen. Die erforderliche, medizinisch ausreichende und zweckmäßige Krankenhauspflege wäre im M.-H.-Krankenhaus gesichert gewesen. Medizinisch erforderlich sei die Verlegung nach D. auch nicht deshalb gewesen, weil das Verbleiben der Klägerin in W. zu psychischen Störungen mit Krankheitswert bei dem Kind hätte führen können. Die Möglichkeit des Eintritts einer Krankheit bei einem anderen könne die medizinische Notwendigkeit im Hinblick auf die zu behandelnde Krankheit des Versicherten nicht beeinflussen. Am 27. April 1980 hätten auch konkrete Hinweise darauf gefehlt, daß die sofortige Verlegung nach D. die medizinisch einzig geeignete Maßnahme zur Sicherstellung des Genesungsprozesses der Klägerin gewesen wäre. Vielmehr habe der verantwortliche Chefarzt mitgeteilt, daß eine medizinische Notwendigkeit zur Verlegung nicht bestanden habe. Diese Notwendigkeit werde auch nicht durch das kassenarztrechtlich vorgesehene Formular der Anordnung des Krankentransports bestätigt, denn darin gehe es nicht um die Frage, ob die Verlegung erforderlich sei, sondern um deren Art und Weise. Zwar behaupte die Klägerin, das Krankenhaus habe die Verlegung veranlaßt. Es sei aber jedenfalls nicht Aufgabe der Krankenkasse, Kosten einer nicht medizinisch bedingten Verlegung zu tragen. Medizinische Gründe für die Verlegung habe Dr. K. ausdrücklich verneint.
Die Klägerin hat Sprungrevision eingelegt und macht geltend, das kassenarztrechtlich vorgesehene Formular bestätige die Notwendigkeit der Verlegung. Auch sei der Transport der Klägerin notwendig gewesen wegen der gesundheitlichen Gefährdung von Mutter und Kind und der Beeinträchtigung des Genesungsprozesses durch die Trennung zwischen beiden.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Dortmund vom 28. September 1981 und der Bescheide vom 7. Oktober 1980 und 3. Februar 1981 zu verurteilen, an sie 468,-- DM nebst 4 % Zinsen ab 1. März 1981 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im Sinn der Zurückverweisung der Sache an das SG zu neuer Verhandlung und Entscheidung begründet. Anhand der im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen des SG kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind, und ob der Anspruch der Klägerin besteht.
Nach § 194 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) übernimmt die Beklagte die im Zusammenhang mit der Gewährung einer Leistung der Krankenkasse erforderlichen Fahrkosten für den Versicherten. Der Anspruch aus § 194 Abs 1 RVO setzt voraus, daß die Kassenleistung dem Versicherten an einem bestimmten Ort zu gewähren ist und der Transport lediglich dazu dient, ihn zu diesem Ort zu befördern (Urteil des Senats vom 28. März 1979 in BSGE 48, 139 = SozR 2200 § 194 RVO Nr 4). Aus den Feststellungen des SG ergibt sich nicht, ob die Beklagte der Klägerin die Krankenhausbehandlung in diesem Sinn gerade im Knappschaftskrankenhaus in D. zu gewähren hatte.
Die Gewährung der stationären Behandlung im Knappschaftskrankenhaus und die dafür erforderliche Fahrt nach D. sind nicht von Dr. K. in einer für die Beklagten verbindlichen Weise angeordnet worden. Mit Recht hat das SG die Frage offengelassen, ob die Fahrt von W. nach D. von der Klägerin oder von Dr. K. veranlaßt worden ist. Das SG hat bindend festgestellt, Dr. K. habe die Verlegung jedenfalls nicht aus medizinischen Gründen veranlaßt. Wenn der Arzt die Verlegung des Versicherten von einem Krankenhaus in ein anderes aus medizinischen Gründen veranlaßt, mag dies die Pflicht der Krankenkasse zur Übernahme der Transportkosten auch dann nach sich ziehen, wenn die Gründe objektiv nicht gegeben waren. Eine derartige Verpflichtung der Krankenkasse ist zwar nicht ausdrücklich geregelt. Es liegt aber nahe, sie dem Grundgedanken von Vorschriften wie § 20 Abs 5 des Bundesmantelvertrages Ärzte (BMVÄ) vom 28. August 1978 zu entnehmen. Nach § 20 Abs 5 BMVÄ bleibt bei der Verordnung von Krankenhauspflege die Kostenverpflichtungserklärung gegenüber dem Krankenhaus der Krankenkasse vorbehalten. Veranlaßt der Arzt in Notfällen ausnahmsweise von sich aus die Aufnahme in ein Krankenhaus, so hat er dieses in der Verordnung besonders zu begründen. Aus der Vorschrift ergibt sich aber keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß ein Arzt durch seine Verordnung die Kasse zu Leistungen verpflichten könnte, die er nicht im einzelnen für medizinisch begründet hält.
Die Kosten des Transports von W. nach D. sind von der Beklagten auch nicht schon deshalb zu tragen, weil Dr. K. die ärztliche Notwendigkeit der Krankenfahrt festgestellt hat. Das SG hat festgestellt, der Arzt treffe mit dem Formular keine Anordnung hinsichtlich des "Ob" des Transports. Damit hat das SG eine tatsächliche Feststellung getroffen, die mit der Sprungrevision nicht angegriffen werden kann (§ 161 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Die Klägerin bezieht sich in ihrer Revisionsbegründung insoweit auf das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pfalz vom 24. Januar 1980 - L 5 K 46/79 -. Darin wird ausgeführt, Chefarzt Dr. M. habe den Transport auf einem dafür vorgesehenen Formblatt angeordnet, und die Anordnung beziehe sich nicht lediglich auf die Art des Transports, sondern auch auf die Durchführung selbst; das Formblatt sei nämlich als Nachweis der ärztlichen Anordnung für die Krankenkasse bestimmt. Das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz enthält insoweit tatsächliche Feststellungen, wobei es noch nicht einmal vom gleichen Formblatt ausgeht wie im Fall der Klägerin. Für den Rechtsstreit der Klägerin gegen die Beklagte sind die Feststellungen des LSG Rheinland-Pfalz nicht verbindlich. Die Auslegung der formularmäßigen Erklärung durch das SG läßt auch keinen rechtlichen Fehler erkennen. Allerdings dient das Formblatt dem Nachweis für die Krankenkasse. Das SG war aber nicht an der Auslegung gehindert, daß es nur um den Nachweis der angeordneten Art des Transports geht. Insoweit wird die Auslegung durch die neuen Richtlinien über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransport- und Rettungsdienstleistungen vom 26. Februar 1982 (BAnz Beilage 32 Seite 9) bestätigt. Darin ist die Auswahl des Beförderungsmittels eingehend geregelt. Es wird zwar auch bestimmt, daß Ausgangs- und Zielort der Fahrt anzugeben sind. Die Richtlinien sehen aber keine Aussage des Arztes über den Zweck und die Notwendigkeit der Fahrt vor.
Ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Fahrkosten kann sich aber aus einem anderen Rechtsgrund ergeben. Unter den Krankenhäusern, mit denen Verträge über die Erbringung von Krankenhauspflege bestehen, kann der Versicherte nach § 184 Abs 2 RVO wählen. Der Versicherte bestimmt mit dieser Wahl des Krankenhauses allerdings nicht den Ort der Leistung in der Weise, daß die Bestimmung die Pflicht der Krankenkasse zur Übernahme der Kosten für die Fahrt dorthin nach sich zieht. Vielmehr hat er selbst die Mehrkosten zu tragen, wenn er ohne zwingenden Grund ein anderes als eines der nächsterreichbaren Vertragskrankenhäuser in Anspruch nimmt (§ 184 Abs 2 Satz 2 RVO). Die Vorschrift des § 184 Abs 2 Satz 2 RVO ist im vorliegenden Fall anwendbar. Zu dem dieser Vorschrift im ambulanten Bereich entsprechenden § 368d Abs 2 RVO hat der Senat bereits entschieden, daß auch die Kosten der Fahrt zum gewählten Arzt Mehrkosten in diesem Sinn sind, soweit sie die Kosten der Fahrt zum nächsterreichbaren Arzt überschreiten (BSG SozR 2200 § 368d RVO Nr 4). Anderes Krankenhaus iS des § 184 Abs 2 Satz 2 RVO ist allerdings in der Regel das im Krankheitsfall zuerst aufgesuchte Krankenhaus. Indessen ist kein durchschlagender Grund erkennbar, warum die Vorschrift nicht auch im Fall des Krankenhauswechsels, der Verlegung von einem Krankenhaus in ein anderes angewendet werden soll. Die Klägerin hätte je nach Art des Unfalls genausogut unmittelbar vom Unfallort nach D. gebracht werden können. Nach der Interessenlage kann die - offenbar nur ambulante - Erstversorgung in W. die Erstattung der Fahrkosten nach D. nicht ausschließen.
Die Klägerin hat das Knappschaftskrankenhaus in D. "in Anspruch genommen", selbst wenn die Verlegung dorthin allein von Dr. K. oder durch andere Angestellte des W. Krankenhauses veranlaßt worden sein sollte. Inanspruchnahme bedeutet keine bewußt ausgeübte Wahl. Der Versicherte nimmt grundsätzlich das Krankenhaus in Anspruch, in dem er sich behandeln läßt.
Die Feststellungen des SG reichen nicht aus für eine Entscheidung darüber, ob für die Verlegung der Klägerin von W. nach D. ein zwingender Grund gegeben war.
Zur Übernahme der Kosten für einen solchen Weitertransport ist die Kasse nur verpflichtet, wenn Gründe dafür in der Art und Weise der Krankheitsbehandlung liegen (BSG SozR 2200 § 194 RVO Nr 4). Die erforderliche, medizinisch ausreichende und zweckmäßige Krankenhauspflege wäre nach den bindenden Feststellungen des SG im M.-H.-Krankenhaus in W. gesichert gewesen. Mit Recht hat das SG auch dargelegt, die Gefahr von psychischen Störungen bei dem Kind der Klägerin sei kein in der Art und Weise der Krankheitsbehandlung liegender Grund. Krankheitsbehandlung in diesem Sinn ist nur die Behandlung der Klägerin selbst. Zu den gesetzlichen Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung gehört es nicht, gesundheitliche Gefahren für Familienangehörige des Kranken abzuwehren, auch wenn die Angehörigen selbst Krankenversicherungsschutz genießen.
Zu Unrecht hat das SG keine Feststellungen darüber getroffen, ob und in welcher Weise die Trennung von Mutter und Kind den Genesungsprozeß der Mutter beeinträchtigt hätte. Das SG hat die Sachaufklärung dazu unterlassen, weil am 27. April 1980 offenkundig alle konkreten Hinweise für die Notwendigkeit der Verlegung aus diesem Grund gefehlt haben. Darauf kommt es indessen nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob die Notwendigkeit objektiv vorgelegen hat. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 28. März 1979 angedeutet, daß die Gefahr einer psychischen Erkrankung des Versicherten beim Verbleib in dem Krankenhaus außerhalb seines Wohnorts für die Entscheidung erheblich sein könnte. Im Verhältnis einer Mutter zu ihrem vierjährigen Kind liegt die Beeinträchtigung des Genesungsprozesses der Mutter durch eine Trennung nicht so fern, daß das SG von einer weiteren Sachaufklärung ohne weiteres entbunden wäre. Wenn die Gefahr ernsthaft bestanden hat, wird das SG eine etwa zu befürchtende Verzögerung der Genesung gegen die Transportkosten abzuwägen und auch etwaige andere Möglichkeiten der Kontaktsicherung zu berücksichtigen haben.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Urteil des SG vorbehalten.
Fundstellen
BSGE, 37 |
Breith. 1984, 645 |