Leitsatz (amtlich)
Stellt sich heraus, daß ein verschollener Versicherter noch lebt, so kann der Versicherungsträger die den Hinterbliebenen zwischenzeitlich gewährten Leistungen nicht dadurch zurückverlangen, daß er den Anspruch durch Bescheid feststellt, sondern nur dadurch, daß er Klage vor den Zivilgerichten erhebt.
Normenkette
RVO § 1301 Fassung: 1957-02-23; BGB § 242 Fassung: 1896-08-18, § 677 Fassung: 1896-08-18, § 679 Fassung: 1896-08-18, § 812 Fassung: 1896-08-18, § 823 Abs. 2 Fassung: 1896-08-18, § 826 Fassung: 1896-08-18; SVAnpG BE § 78 Abs. 4; RVÜblG BE § 46; SVAnpG BE § 78 Abs. 1
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Januar 1962 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Rückforderungsbescheides der Beklagten.
Der Kläger war Anfang Januar 1945 als Verwundeter von einem Lazarett in S, dem letzten gemeinsamen Wohnsitz des Klägers und seiner Ehefrau, nach einem Lazarett in L verlegt worden. Seitdem hatte er mit seiner Ehefrau keine Verbindung mehr. In D ging er am 15. Dezember 1945 eine neue Ehe ein. Er ist auf Antrag seiner ersten Ehefrau durch Beschluß des Amtsgerichts Berlin-Wedding vom 1. September 1958 mit Wirkung vom 31. Dezember 1945 für tot erklärt worden. Die Beklagte gewährte seiner ersten Ehefrau Witwenrente aus seiner Arbeiterrentenversicherung für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis 31. Juli 1959 (insgesamt 2.637,30 DM). Im August 1959 erfuhr die Beklagte von seiner ersten Ehefrau auf Grund einer Mitteilung des Suchdienstes des Roten Kreuzes, daß er noch lebt. Daraufhin stellte die Beklagte die Rentenzahlung ein.
Durch Bescheid vom 9. November 1959 forderte die Beklagte von dem Kläger Rückzahlung von 2.637,30 DM, weil in dieser Höhe die Witwenrente an seine Ehefrau zu Unrecht gezahlt worden sei. An dieser Überzahlung treffe ihn ein überwiegendes Verschulden, weil er nichts unternommen habe, um den Aufenthalt seiner Ehefrau ausfindig zu machen. Er habe sich dadurch seiner Unterhaltspflicht dieser gegenüber entzogen und den Unterhalt dem Versicherungsträger überlassen. Er sei daher nach § 1301 der Reichsversicherungsordnung (RVO), § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), §§ 51 Abs. 3 und 204 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zur Rückzahlung der zu Unrecht geleisteten Rentenbeträge verpflichtet.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage, mit der der Kläger Aufhebung des Bescheides vom 9. November 1959 begehrt, stattgegeben (Urteil vom 27. September 1960). Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 31. Januar 1962 zurückgewiesen. Es hat den angefochtenen Bescheid für rechtswidrig gehalten, weil die Beklagte die zu Unrecht gezahlten Rentenleistungen nicht durch Bescheid von dem Kläger zurückfordern dürfe. Eine Rückforderung in diesem Sinne könne begrifflich nur gegen denjenigen geltend gemacht werden, der die Rente empfangen habe, nicht aber gegen einen Dritten. Der Kläger habe aber die Rentenleistungen nicht empfangen. Der Anspruch der Beklagten gegen den Kläger könne seine Rechtsgrundlage allein in den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 677, 679, 812 ff, 823 Abs. 2, 826 BGB) finden und falle deshalb in die Zuständigkeit der Zivilgerichte.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Landessozialgericht zurückzuverweisen,
hilfsweise,
die Urteile des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie rügt unrichtige Anwendung des § 1301 RVO und des § 78 Abs. 1 und 4 des Berliner Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes (BSVAG) i. V. m. § 46 des Rentenversicherungs-Überleitungsgesetzes ( RVÜG ). Aus diesen Vorschriften ergebe sich, daß sie den öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruch gegen den Kläger auf Erstattung der zu Unrecht gewährten Rentenleistungen habe geltend machen und durch Bescheid habe feststellen dürfen. Aber selbst wenn ihr Anspruch gegen den Kläger nur bürgerlich-rechtlicher Art sein sollte, sei der angefochtene Bescheid rechtmäßig; denn nach § 78 Abs. 4 BSVAG könnten auch Dritte zur Rückzahlung von Rentenleistungen an den Versicherungsträger durch Bescheid verpflichtet werden. § 78 Abs. 4 BSVAG habe selbst rein privatrechtliche Ansprüche als sog. Verwaltungsprozeßsachen kraft Zuweisung aus dem ordentlichen Rechtsweg herausgenommen und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
Für die Klage auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides ist der Rechtsweg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben. Denn der Streit darüber, ob ein Träger der Sozialversicherung einen Verwaltungsakt erlassen durfte, ist grundsätzlich eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in einer Angelegenheit der Sozialversicherung im Sinne des § 51 Abs. 1 SGG, über die die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu entscheiden haben (Urteil des erkennenden Senats vom 17. September 1964 - 12 RJ 378/61 -; ferner BSG SozR SGG § 54 Bl. Da 24 Nr. 82).
Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, daß die Beklagte den gegen den Kläger erhobenen Anspruch nicht durch Bescheid feststellen kann. Dies wäre nur möglich, wenn es sich um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch handeln würde. Das ist jedoch nicht der Fall. Als öffentlich-rechtlicher Anspruch könnte allenfalls ein sozialversicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch in Betracht kommen. Diese Möglichkeit scheidet schon deshalb aus, weil die zurückgeforderten Rentenleistungen nicht dem Kläger, sondern seiner Ehefrau gewährt worden sind. Der sozialversicherungsrechtliche Rückforderungsanspruch kann aber nur gegen den Leistungsempfänger erhoben werden. Das folgt schon aus dem in § 1301 RVO verwendeten Begriff "zurückfordern". Zurückgefordert werden kann eine Leistung, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, dem Wortsinne nach immer nur von demjenigen, der die Leistung empfangen hat. Die Rückforderung stellt praktisch die Umkehrung der Leistungsgewährung dar. Was der Empfänger einer Leistung zu Unrecht erhalten hat, kann der Versicherungsträger von ihm zurückfordern. Will der Versicherungsträger einen Dritten auf Erstattung von Rentenleistungen in Anspruch nehmen, so kann er dies daher nicht im Wege des sozialversicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruchs. Es kommen hier, auch darin ist dem Berufungsgericht zuzustimmen, vielmehr nur Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag, aus ungerechtfertigter Bereicherung oder aber Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung in Betracht. Ansprüche dieser Art kann der Versicherungsträger gegenüber dem Versicherten jedoch nicht durch Bescheid feststellen. Denn diese Ansprüche sind bürgerlich-rechtlicher Natur. Über diese Ansprüche haben die Zivilgerichte zu entscheiden (Urteile des BGH vom 13. Februar 1962 = FamRZ 1962, 252 und vom 8. Januar 1963 = NJW 1963, 579; vgl. ferner BGHZ 28, 359; 30, 162 sowie die Urteile des BGH vom 13. Juni 1960 = LM Nr. 11 zu § 683 BGB, vom 28. Februar 1961 = LM Nr. 12 zu § 823 (Be) BGB, vom 8. März 1962 = FamRZ 1962, 250, vom 19. März 1963 = FamRZ 1963, 352 und vom 19. September 1963 = FamRZ 1964, 132).
Die Beklagte kann ihre hiervon abweichende Rechtsansicht auch nicht auf § 78 BSVAG i. V. m. § 46 RVÜG stützen. Es kann dahinstehen, ob sich der räumliche Geltungsbereich dieser Vorschriften überhaupt auf den nicht in Berlin ansässigen Kläger erstreckt, was das Berufungsgericht nur unterstellt hat, und ob diese Vorschriften als sonstige revisible Rechtsnormen im Sinne des § 162 Abs. 2 SGG anzusehen sind. Selbst wenn dies der Fall wäre, könnte die Ansicht des Berufungsgerichts, das die Möglichkeit der Feststellung eines Rückforderungsanspruchs gegen den Kläger nach diesen Vorschriften verneint hat, weil in Absatz 1 des § 78 BSVAG ebenso wie in § 1301 RVO nur von einer "Rückforderung" von Leistungen die Rede ist und Absatz 4 aaO lediglich die Vollstreckung von Bescheiden und sonstigen Entscheidungen regelt, also keine Ausweitung des Abs. 1 enthält, nur bestätigt werden, vor allem auch deshalb, weil in Abs. 4 dieser Vorschrift entgegen der Auffassung der Beklagten auch keine Verweisung bürgerlich-rechtlicher Streitigkeiten an die Versicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit erblickt werden kann.
Eine Anspruchsgrundlage für die Feststellung eines solchen Anspruchs gegen einen Dritten, der die Leistung nicht erhalten hat, durch den Versicherungsträger ist also nicht gegeben. Der angefochtene Bescheid ist daher zu Recht aufgehoben worden.
Besteht hiernach ein sozialversicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch der Beklagten gegen den Kläger nicht, so bedurfte es auch eines Vorverfahrens schon deswegen nicht, weil die Beklagte eine Ermessensentscheidung nach § 1301 RVO nicht zu treffen hatte.
Die Revision der Beklagten war danach als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen