Leitsatz (amtlich)

Der Versicherungsträger darf, wenn er die nach der neuen Rentenformel berechneten Renten nach dem 6. und 7. Rentenanpassungsgesetz anpaßt, bei der Anpassungsberechnung bisherige Berechnungsfaktoren der Rente, die ohne Zweifel falsch festgestellt worden sind, durch die richtigen Berechnungsfaktoren ersetzen (vergleiche BSG 1966-02-15 11 RA 289/65 = BSGE 24, 236).

 

Normenkette

RVO § 1272 Fassung: 1957-02-23; AVG § 49 Fassung: 1957-02-23; RAG 6 Art. 1 § 2 Fassung: 1963-12-21; SGG § 77 Fassung: 1953-09-03; RAG 7 § 2 Fassung: 1964-12-23

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. Juni 1965 aufgehoben, soweit es die Anpassung des Altersruhegeldes des Klägers nach dem 6. und 7. Rentenanpassungsgesetz betrifft. Insoweit wird der Rechtsstreit zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

 

Gründe

I

Die Beklagte gewährte dem 1898 geborenen Kläger mit Bescheid vom 11. Dezember 1959 ab Juli 1959 ein nach § 31 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) berechnetes vorzeitiges Altersruhegeld in Höhe von 396,- DM monatlich. Die Rente wurde mehrfach den Änderungen der allgemeinen Bemessungsgrundlage angepaßt; im Jahre 1963 betrug sie nach der Anpassung auf Grund des 5. Rentenanpassungsgesetzes (RAG) 470,30 DM.

Am 3. Juli 1963 erteilte die Beklagte dem Kläger nochmals einen Bescheid über die Rente; darin berechnete sie diese für die gesamte Bezugszeit niedriger, darunter für 1959 auf 361,30 DM, für 1963 auf 428,70 DM. An der für "Zusätze zum Bescheid" vorgesehenen Stelle erklärte sie zur Erläuterung:

"Das ... Altersruhegeld wird hinsichtlich der Höhe neu festgestellt, weil die Zeit von 1912 bis 1915 nicht als Ausfallzeit anzurechnen ist, da die Voraussetzungen gem. § 36 (4) AVG nicht vorliegen. Die Lehrzeit kann nicht als Ersatzzeit angerechnet werden, weil keine Versicherungspflicht bestand. Von den 149 Wochenbeiträgen der Dopp.-Versicherung sind 101 WB als Beiträge der Höherversicherung anzurechnen.

Den bisher überzahlten Betrag fordern wir nicht zurück. Da der derzeitige monatliche Zahlbetrag besitzgeschützt ist, wird die Rente in der bisherigen Höhe weitergezahlt. Wir behalten uns aber vor, Ihre Rente in Zukunft erst dann anzupassen, wenn die richtige berechnete und angepaßte Rente den derzeitigen zu hohen monatlichen Zahlbetrag übersteigt".

Das Sozialgericht (SG) Dortmund wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen gab durch Urteil vom 29. Juni 1965 der Berufung des Klägers statt. Es hob den Bescheid vom 3. Juli 1963 auf und verurteilte die Beklagte, "das Altersruhegeld des Klägers nach dem 6. und 7. RAG unter Zugrundelegung des Bescheides vom 11. Dezember 1959 anzupassen." Zur Begründung führte es aus: Die Beklagte habe zwar unstreitig die Rente zu hoch berechnete; sie habe die Schulzeit von 1912 bis 1915 mangels der nach § 36 Abs. 3 AVG erforderlichen Halbdeckung nicht als Ausfallzeit und die Lehrzeit von April 1915 bis April 1918 nicht als Ersatzzeit anrechnen dürfen. Die Beklagte dürfe jedoch den Bescheid vom 11. Dezember 1959 nicht berichtigen und müsse dessen Bindungswirkung auch bei den Anpassungen nach dem 6. und 7. RAG beachten. Die seit dem 4. RAG geänderte Gesetzeskonzeption habe keine materielle Änderung der Rentenanpassungen bezweckt. Nach der Anpassungsvorschrift für die nach den §§ 30 ff AVG berechneten Renten erstreckte sich die Bindungswirkung auf die Berechnungsfaktoren der Rente.

Mit der zugelassenen Revision beantragte die Beklagte,

das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie rügte eine Verletzung des § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und des § 2 des 6. RAG.

Der Kläger beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Er erhielt zu Anfang der Jahre 1964 und 1965 Mitteilungen über die Anpassung seiner Rente nach dem 6. und 7. RAG; der monatliche Zahlbetrag der Rente blieb hiernach im Jahre 1964 bei 470,30 DM; im Jahre 1965 erhöhte er sich auf 496,20 DM.

Mit Schriftsatz vom 1. März 1967 hob die Beklagte "die Feststellung vom 3. Juli 1963 insoweit auf, als sie über eine bloße Mitteilung der Berechnung der Rente hinaus eine rechtliche Regelung enthält". Zugleich legte sie dar, daß der Bescheid vom 11. Dezember 1959 folgende Fehler zugunsten wie zuungunsten des Klägers enthalte:

1) Unrechtmäßige Anrechnung der Lehrzeit als Ersatzzeit (anrechenbar sei nur der Kriegsdienst von Mai bis September 1917),

2) Anrechnung einer zu hohen pauschalen Ausfallzeit (weil die Lehrzeit fälschlich noch zur Pflichtbeitragszeit gezählt wurde),

3) Nichtanrechnung von 101 Wochenbeiträgen als Beiträge der Höherversicherung nach Art. 2 § 15 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG),

4) Zu geringe Bewertung von 5 freiwilligen Beiträgen für das Jahr 1949.

Infolge der beiden ersten Fehler seien die anrechnungsfähigen Versicherungsjahre aus 392 statt aus 359 Monaten - d. h. mit 33 statt 30 Versicherungsjahren - ermittelt worden. Wegen des dritten Fehlers habe der Kläger keine Leistung aus der Höherversicherung (114,78 DM jährlich) erhalten. Infolge des 4. Fehlers sei der für die persönliche Bemessungsgrundlage maßgebende Prozentsatz mit 231,22 % statt mit 235,55 % festgesetzt worden; allerdings habe der Kläger dadurch keinen Nachteil erlitten, weil die persönliche Bemessungsgrundlage (damals) in jedem Fall auf 9600,- DM zu begrenzen gewesen sei.

Der Kläger hat "anerkannt", daß der Bescheid vom 11. Dezember 1959 aus diesen Gründen fehlerhaft war; nach seiner Ansicht sind die Fehler jedoch allein von der Beklagten zu vertreten.

II

Die Revision der Beklagten ist zulässig und teilweise begründet.

Nicht begründet ist die Revision, soweit sie sich gegen die Aufhebung des Bescheides vom 3. Juli 1963 richtet. Die Klage gegen diesen Bescheid hat sich durch die Erklärung der Beklagten vom 1. März 1967 nicht erledigt. Die Beklagte hebt darin zwar den Bescheid "insoweit" auf, als darin "eine rechtliche Regelung" enthalten ist. Diese Erklärung läßt nicht klar genug erkennen, welche Rechtsfolge sie haben soll; die Beklagte hätte die rechtliche Regelung, die sie aufheben wollte, unmißverständlich bezeichnen müssen. Die Regelung des Bescheides vom 3. Juli 1963 liegt in der Neufeststellung der Rente, sie umfaßt nicht den "Vorbehalt" der Beklagten hinsichtlich ihres Verhaltens bei künftigen Rentenanpassungen. Der Bescheid vom 3. Juli 1963 unterscheidet sich von dem Bescheid, der dem Urteil des Senats vom 15. Februar 1966 (11 RA 289/65, BSG 24, 236) zugrunde lag, dadurch, daß die Beklagte hier die Rentenhöhe für die gesamte Bezugszeit ausdrücklich "neu festgestellt" hat. Sie hat damit die Höhe der Rente abweichend von ihrem früheren Bescheid vom 11. Dezember 1959 geregelt. Das hat den Kläger beschwert, auch wenn die Beklagte die infolge der Neufeststellung überzahlten Beträge nicht zurückgefordert hat. Der Bescheid vom 3. Juli 1963 ist daher ein Verwaltungsakt und die gegen ihn erhobene Anfechtungsklage zulässig. Sie ist auch begründet. Das LSG hat zutreffend ausgeführt, daß für die Neufeststellung der Rente im Bescheid vom 3. Juli 1963 die Rechtsgrundlage fehlt. Eine solche behauptet auch die Beklagte nicht mehr. Zu Recht hat das LSG deshalb den Bescheid vom 3. Juli 1963 aufgehoben.

Das Urteil des LSG kann dagegen nicht aufrecht erhalten werden, soweit die Beklagte verpflichtet wurde, das Altersruhegeld nach dem 6. und 7. RAG unter Zugrundelegung des Bescheides vom 11. Dezember 1959 anzupassen. Die Rentenanpassung nach beiden RAGen ist hier schon deshalb zu prüfen, weil die auf Grund beider Gesetze erteilten Anpassungsmitteilungen nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden sind (vgl. BSG 24, 237). Was das LSG mit der "Zugrundelegung des Bescheides vom 11. Dezember 1959" meint, ergeben seine Urteilsgründe. Das LSG meint, die Beklagte müsse bei den Rentenanpassungen die gleichen Ersatz- und Ausfallzeiten zugrunde legen, die sie im Bescheid vom 11. Dezember 1959 angerechnet hat. Das LSG hält das für geboten, obwohl in jenem Bescheid Ersatz- und Ausfallzeiten zu Unrecht angerechnet worden sind. Dem kann der Senat nicht folgen. In seinem Urteil vom 15. Februar 1966 (BSG 24, 236) hat er entschieden, daß der Versicherungsträger, wenn er die nach der neuen Rentenformel (§§ 30 ff AVG) berechneten Renten - 1. Rentengruppe - nach dem 6. und 7. RAG anpaßt, an eindeutig falsche bisherige Berechnungsfaktoren nicht gebunden ist, vielmehr die falschen durch die richtigen Berechnungsfaktoren ersetzen darf; in jedem Falle muß der Versicherungsträger allerdings mindestens den bisherigen Zahlbetrag der Rente weitergewähren. Die gleiche Auffassung hat der Senat in weiteren Entscheidungen, darunter in dem Urteil vom 28. Juni 1966, SozR Nr. 1 zu § 3 des 7. RAG, auch für die Gruppe der ohne Sonderzuschuß umgestellten Renten - 2. Rentengruppe - vertreten. In der Zwischenzeit sind zwar mehrere LSGe von der Auffassung des erkennenden Senats abgewichen; soweit ihre Urteile bekannt sind, geben sie dem Senat jedoch keinen Anlaß, seine Auffassung aufzugeben; der Senat hält daran auch nach erneuter Prüfung fest.

Bevor zu den zum Teil unterschiedlichen Einwänden Stellung genommen wird, ist noch auf die weitere einschlägige Rechtsprechung und Gesetzgebung hinzuweisen, mit der sich die abweichenden Berufungsgerichte nicht befaßt haben und wohl auch nicht befassen konnten. Dabei ist zunächst das Urteil des 1. Senats vom 30. August 1966, BSG 25, 181, zu nennen, das für die 2. Rentengruppe bei den Anpassungen ab dem 4. RAG ebenfalls eine Bindung an bisherige Berechnungsfaktoren (an die Rentenberechnung bei der Umstellung) verneint. Ferner ist das Urteil des 4. Senats, 4 RI 387/63 vom 28. Oktober 1966 zu erwähnen, das - offenbar zustimmend - die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Anpassung der beiden Rentengruppen zitiert. Eine besondere Bedeutung kommt dem inzwischen erlassenen 9. RAG vom 28. Dezember 1966 (BGBL I S. 768), seinem § 5 Abs. 1 Satz 3 und der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift zu. Die Vorschrift befaßt sich mit der Anpassung der Vergleichs- und Besitzstandsrenten - der 3. Rentengruppe -, aus ihr ergibt sich, daß bei der Anpassung im Jahre 1967 an den für Januar festgestellten Zahlbetrag nur noch anzuknüpfen ist, wenn seine Höhe richtig festgestellt worden ist, und daß andernfalls der falsche Betrag bei der Anpassung durch den richtigen zu ersetzen ist. Die amtliche Begründung (BT- Drucks. V/1001) sagt dazu: "Durch Abs. 1 Satz 3 soll eine weitere Gleichstellung zwischen den nach den §§ 2 und 3 (1. und 2. Rentengruppe) und den nach § 4 (3. Rentengruppe) anzupassenden Renten herbeigeführt werden. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 15. Februar 1966 - 11 RA 289/65 -) kann, wenn ein früherer Bescheid Berechnungsfehler enthielt, in den Fällen der §§ 2 und 3, für die das Gesetz im Prinzip eine Neuberechnung vorschreibt, der Versicherungsträger seit dem 4. RAG Rentenanpassungen so lange aussetzen, bis die richtig berechnete und angepaßte Rente den bisherigen Rentenzahlbetrag überschreitet ... Demgegenüber war er nach der Rechtsprechung des BSG durch den Wortlaut der bisherigen §§ 4 und 5 gehindert, von einem fälschlich zu hoch festgestellten Rentenzahlbetrag abzuweichen. Diese unterschiedliche Regelung erscheint unbefriedigend; sie soll durch Abs. 1 Satz 3 beseitigt werden„. Vor dem Ausschuß für Sozialpolitik stellten Ausschußmitglieder der SPD-Fraktion den Antrag, Abs. 1 Satz 3 zu streichen. Der Antrag wurde mit Mehrheit abgelehnt. Zur Begründung heißt es im Ausschußbericht (BT-Druchs. V/1179): "Abs. 1 Satz 3 ermöglicht es dem Versicherungsträger in den Fällen, in denen ein früherer Bescheid Berechnungsfehler enthielt, auch bei den nach § 4 anzupassenden Renten Rentenanpassungen solange auszusetzen, bis die richtig berechnete und angepaßte Rente den bisherigen Rentenbetrag überschreitet. Nach der Rechtsprechung des BSG galt dies nur für die nach den §§ 2 und 3 anzupassenden Renten, während bei den unter § 4 fallenden Renten der eindeutige Gesetzeswortlaut entgegenstand. Der Entwurf beseitigt mithin eine von der Sache nicht gerechtfertigte Ungleichheit". Das Gesetz - und damit auch § 5 Abs. 1 Satz 3 - wurde vom Bundestag ohne Gegenstimme angenommen.

Der rechtlichen Beurteilung sind im vorliegenden Fall die §§ 1 und 2 im 1. Art. bzw. Abschnitt des 6. und 7. RAG zugrundezulegen. Diese Vorschriften bestimmen, daß (§ 1) und wie (§ 2) die Rente des Klägers für die Jahre 1964 und 1965 "anzupassen" ist. Dabei ist zur Klarstellung hervorzuheben, daß die Rente des Klägers auch dann angepaßt wird, wenn sich der Zahlbetrag für das Jahr 1964 nicht erhöht. Nicht jede Anpassung muß einen höheren Zahlbetrag ergeben; das zeigen die Vorschriften der Anpassungsgesetze über die Weiterzahlung des bisherigen Zahlbetrages für den Fall, daß die "Anpassung" keinen höheren Betrag ergibt (vgl. z. B. § 1 im 3. Artikel des 6. RAG). Nur in vereinfachender Betrachtungsweise darf man darum sagen, die Rechtsprechung des Senats erlaube eine "Aussetzung" bzw. ein "Unterbleiben" von Rentenanpassungen. In Wahrheit nimmt diese Rechtsprechung keine der in § 1 des 1. Artikels bzw. Abschnitts des 6. und 7. RAG bezeichneten Renten von der Anpassung aus. Die Ausführungen des Senats in seinen früheren Entscheidungen beziehen sich allein auf die Frage, welche Berechnungsfaktoren der Versicherungsträger der Anpassung im jeweiligen Anpassungsjahr zugrundezulegen hat. Der Senat ist nicht der Ansicht, der Versicherungsträger habe allgemein die Befugnis zur "Berichtigung" früherer Berechnungsfaktoren oder gar früherer Rentenbescheide, er ist vielmehr mit dem 1. Senat (Urteil vom 30. August 1966) der Auffassung, daß die Anpassungsgesetze für das jeweilige Anpassungsjahr regeln, nach welchen Methoden die Rentengruppen anzupassen und inwieweit dabei die bisherigen Berechnungswerte der Rente zu übernehmen sind. Gesetze, die Abweichungen von der Bindungswirkung bisheriger Rentenbescheide zulassen - Gesetze, die "anderes" im Sinne des § 77 SGG bestimmen -, sind die Rentenanpassungsgesetze dabei nur dann, wenn sie in die Bindungswirkung der früheren Bescheide eingreifen. Der Senat hat hierzu wiederholt ausgeführt, daß die Berechnungsfaktoren einer Rente an der nach § 77 SGG eintretenden Bindungswirkung von Rentenbescheiden nicht teilnehmen (vgl. BSG 24, 236, u. Urt. v. 21. Sept. 1966, 11 RA 189/64). Auch der 1. Senat hat es in seinem Urteil vom 1. Februar 1967 - 1 RA 43/64 - als ständige Rechtsprechung des BSG bezeichnet, daß sich "die Bindungswirkung des § 77 SGG nicht auf die Gründe, Berechnungsfaktoren und Berechnungsart einer Rente erstreckt". Auch keines der abweichenden Berufungsgerichte nimmt das an. Trifft das aber zu, dann kann nicht gefragt werden, ob die Rentenanpassungsgesetze bei den Berechnungsfaktoren der Renten Einschränkungen der Bindungswirkung zulassen. Die Frage ist vielmehr die, ob sie bei der Anpassung die Bindungswirkung auf die den früheren Bescheiden zugrunde liegenden Berechnungsfaktoren der Rente ausdehnen. Das ist bei der Auslegung der Anpassungsvorschriften zu beachten.

Nach § 2 des 1. Artikels des 6. RAG bzw. nach § 2 des 7. RAG sind die Renten der 1. Rentengruppe, darunter die "Renten, die nach den §§ 30 ff AVG berechnet sind", für die Jahre 1964 und 1965 so anzupassen, daß sich eine Rente ergibt, wie sie sich nach Anwendung der Kürzungs- und Ruhensvorschriften ergeben würde, wenn die Rente ohne Änderung der übrigen Berechnungsfaktoren unter Zugrundelegung der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr 1963 bzw. 1964 und der Beitragsbemessungsgrenze für dieses Jahr berechnet werden würde. Hierzu hat der Senat in BSG 24, 236, 239 ausgeführt, aus den Worten "ohne Änderung der übrigen Berechnungsfaktoren" müsse man nicht schließen, daß die übrigen Berechnungsfaktoren der - hypothetischen - Neuberechnung in jedem Einzelfall auch dann unverändert zugrunde zulegen seien, wenn sie früher falsch festgestellt worden sind; aus den Worten "ohne Änderung" allein lasse sich nicht folgern, daß der Gesetzgeber damit über die allgemeine Festlegung des Berechnungsvorgangs hinaus ein absolutes Änderungsverbot aufgestellt, d. h. die ausnahmslose Bindung an die bisherigen Berechnungsfaktoren normiert habe.

Das sei um so weniger anzunehmen, als sich in den Vorschriften der beiden anderen Anpassungsverfahren gleiche oder ähnliche Wendungen nicht finden, obwohl es auch dort Berechnungselemente gibt, bei denen es sich frage, ob die bisherigen Feststellungen lediglich zu übernehmen seien. Dem wird entgegengehalten, der Wortlaut "ohne Änderung der übrigen Berechnungsfaktoren" sei eindeutig und schließe jede Änderung aus. Zum Teil wird hinzugefügt, infolgedessen sei für eine Auslegung kein Raum. Der Senat hält jedoch auch nach nochmaliger Würdigung schon den Wortlaut nicht in diesem Sinne für eindeutig; nach seiner Meinung schließen die Worte "ohne Änderung der übrigen Berechnungsfaktoren" nicht jeden vernünftigen Zweifel darüber aus, ob der Gesetzgeber, der notwendigerweise von "Regeltatbeständen" ausgehen muß (vgl. BVerwGE 16, 103, 108), damit wirklich die unveränderte Übernahme auch unzweifelhaft falsch festgestellter Berechnungsfaktoren hat normieren wollen (vgl. BSG 5, 204/206); im übrigen kommt aber auch bei einem eindeutigen Wortlaut eine Auslegung durchaus in Frage (Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil des bürgerlichen Rechts, 1. Halbband, 15. Aufl., 1959, S. 333, Larenz , Methodenlehre, 1960, S. 258, Sax in "Festschrift für Nottarp", 1961, S. 133, 136, Clauss , JZ 1961, S. 660, Engisch, Einführung in das juristische Denken, 3. Auflage 1964, S. 207, Bachof , Verfassungsrecht II, 1967, Ziffer 8, S. 14 ff). Vergleichsweise sei in diesem Zusammenhang auf das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 10. März 1967 - 3 AzR 304/66 - verwiesen, das sich mit der Auslegung einer dem § 180 Abs. 2 Nr. 2 des Bundesbeamtengesetzes entsprechenden landesrechtlichen Bestimmung beschäftigt, in der für Versorgungsbezüge bestimmt ist: "Die Bemessungsgrundlage bleibt unverändert". Das BAG hat entschieden, daß die Bemessungsgrundlage trotzdem - und zwar auch zum Nachteil des Bediensteten - geändert werden darf, wenn die bisherige Bemessungsgrundlage auf einer offenbar unrichtigen Rechtsanwendung beruht. Die Auffassung des BAG zur Auslegung eines solchen Gesetzestextes deckt sich demnach mit der des erkennenden Senats. Daß der Wortlaut nicht im Sinne der abweichenden Berufungsgerichte verstanden werden muß, bestätigt das 9. RAG und seine Entstehungsgeschichte. Der Gesetzgeber hat in diesem Gesetz bei allen drei Rentengruppen die Übernahme bisheriger Berechnungsfehler in die Anpassungsberechnung ausschließen wollen; sein Ziel war es, alle Rentengruppen insoweit gleich zu behandeln. Zwar hat er die Anpassungsvorschrift des 9. RAG für die 1. Rentengruppe (§ 2) nicht neu gefaßt, dazu hat er aber auch keinen Anlaß gehabt, weil er - wie die bereits zitierte Entstehungsgeschichte des 9. RAG ausweist - die Auffassung, die in dem Urteil des Senats vom 15. Februar 1966 niedergelegt ist, offensichtlich "akzeptiert", gebilligt und ersichtlich auf dieser Grundlage die "Gleichstellung" auch der Rentengruppe des § 5 des 9. RAG herbeigeführt hat.

Zur Bedeutung des Wortlauts wird gegen die hier vertretene Auffassung noch angeführt, daß sich der gleiche Wortlaut schon in den Vorschriften der ersten drei Rentenanpassungsgesetze über die Anpassungshöchstgrenze bei der 1. Rentengruppe finde (z. B. in § 4 des 1. RAG). Diese Argumentation hätte nur einen Sinn, wenn die Gesetzesstelle in den damals der Kontrollberechnung dienenden Vorschriften (vgl. das Urteil des 4. Senats vom 1. März 1967 - 4 RJ 453/66 -) ohne Zweifel so zu verstehen gewesen wäre, wie sie die abweichenden Berufungsgerichtsgerichte in den Anpassungsvorschriften seit dem 4. RAG verstanden wissen wollen; das ist aber durchaus fraglich. Nicht einwenden läßt sich jedenfalls, daß die Auffassung des erkennenden Senats nicht klar ergebe, in welchem Falle frühere Berechnungsfaktoren geändert werden könnten und wann nicht. Der Senat hat mehrfach gesagt, daß die eindeutig (unzweifelhaft, offensichtlich) falsch festgestellten Berechnungsfaktoren durch die richtigen zu ersetzen sind; nicht zu "ändern" sind deshalb die nur möglicherweise falsch festgestellten Berechnungsfaktoren. Nach der Auffassung des Senats gilt das für Berechnungsfehler zugunsten wie zuungunsten des Versicherten, die in Feststellungsbescheiden nicht selten zusammentreffen, sich ausgleichen oder einen "Saldo" zum Vorteil oder zum Nachteil des Versicherten ergeben. In allen diesen Fällen ermöglicht die Rechtsprechung des Senats im Einklang mit dem Gesetz eine einfache und sinnvolle Lösung.

Der Senat hat, weil der Gesetzeswortlaut die Frage nach der Bindung an falsch festgestellte Berechnungsfaktoren bei der Anpassung der ersten Rentengruppe nach dem 6. und 7. RAG nicht beantwortet, für die Antwort auch auf Sinn und Zweck der Anpassung abgehoben. Auch daran hält er fest. Wie es nach dem Beschluß des Großen Senats des BSG vom 16. Juni 1961, BSG 14, 246 ff nicht die Funktion der Fristvorschrift des § 58 a Bundesversorgungsgesetz (BVG) a. F. gewesen ist, Fälle auszuschließen, in denen die Voraussetzungen des verspätet angemeldeten Anspruchs zweifelsfrei gegeben sind, (zur "Evidenz" des Anspruchs vgl. Haueisen NJW 1957, 729 R, u. 1966, 1433, 1436), so ist es umgekehrt nicht die Funktion der Anpassungsgesetze, Renten auch insoweit zu "dynamisieren", und anzuheben, als die ursprüngliche Berechnung auf offensichtlich falschen Berechnungsfaktoren beruht; dafür besteht auch bei Berücksichtigung des Wortlauts der Gesetze kein Anhalt. Es ist dem Senat zwar entgegengehalten worden, daß die Anpassung, wenn auch mehr oder minder uneingestanden, der Erhaltung der Rentenkaufkraft, d. h. dem Ausgleich von Preissteigerungen diene. Daß das nur beschränkt richtig ist, ergibt schon ein Rückblick auf die bisherigen Rentenanpassungen. Danach ist der Nominalwert der Renten z. B. in den Jahren 1957 bis 1965 prozentual um mehr als das Doppelte der Erhöhung der Lebenshaltungskosten gestiegen; der Realwert der Renten hat in dieser Zeit trotz der im Jahre 1958 unterbliebenen Anpassung um 24 % zugenommen (Hippe, Das Problem der Bestandsrentenanpassung in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten, Schriftenreihe des Instituts für Versicherungswissenschaft der Universität Köln, Neue Folge 1966, Heft 22, S. 146). Davon abgesehen kommt auch in den gesetzlichen Vorschriften über die Anpassung (§ 49 AVG) nicht zum Ausdruck, daß die Anpassungen die Rentenkaufkraft zu wahren hätten. Wie der Senat schon in BSG 24, 239 dargelegt hat (vgl. auch die amtliche Begründung zum 9. RAG), soll die Anpassung dem Rentner die Teilnahme an einer wirtschaftlichen Entwicklung ermöglichen, wie sie in der Lohn- und Gehaltsentwicklung zum Ausdruck kommt. Das ist für die Feststellung des Wesens der Anpassung entscheidend. Der Senat kann deshalb nicht der Auffassung folgen, daß durch den Rentenbescheid ein Lebensstandard garantiert werde, der bei jeder Anpassung erhalten werden müsse. Hier ist schon der Ausgangspunkt nicht zutreffend. Der Rentenbescheid stellt bei allen drei Rentengruppen die Rente nach Art, Beginn und Höhe fest; insoweit wird er bindend; ob und inwieweit dann künftig der Lebensstandard erhalten bleibt, entscheiden die Anpassungsvorschriften. Es ist gerade die Frage, ob der Gesetzgeber auch die Rentner, deren Rente eindeutig zu hoch festgestellt worden ist, uneingeschränkt an der wirtschaftlichen Entwicklung teilnehmen und jedem von ihnen den seiner früheren Beteiligung am Arbeits- und Wirtschaftsleben nicht entsprechenden Lebensstandard sichern und evtl. sogar noch ausbauen will. Der Senat hat in BSG 24, 239 dargelegt, daß dies nicht das Ziel der Anpassung ist. Das hat inzwischen auch das 9. RAG bestätigt. Dieses Gesetz hat zugleich gezeigt, daß alle Rentengruppen gleichgestellt werden sollen. Es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber bei den vorangegangenen Anpassungen vom 4. bis 8. RAG nur bei der zweiten Rentengruppe, d. h. bei den ohne Zuschuß umgestellten Renten, den Ersatz falscher Berechnungsfaktoren durch richtige hat gestatten wollen, nicht dagegen auch bei der ersten Rentengruppe. Die zweite Rentengruppe enthält keine Besonderheiten, die das rechtfertigen könnten. Zwar handelt es sich bei der ersten Rentengruppe um Renten, die "individuell" festgestellt worden sind, während die Renten der zweiten Rentengruppe "im Massenverfahren" umgestellt worden sind. Dieser Unterschied rechtfertigt aber in der hier streitigen Frage keine gegenüber der zweiten Rentengruppe günstigere Sonderbehandlung der ersten Rentengruppe. Einerseits ist nämlich zu bedenken, daß auch die Umstellung nicht nur nach pauschalen Werten erfolgt, sondern an den individuell festgestellten Steigerungsbetrag anknüpft und daß die Anpassungsvorschriften die Richtigstellung eines falschen (zu hohen) Steigerungsbetrages im Rahmen der Anpassung für diese Rentengruppe nicht ausschließen. Andererseits wird der Besonderheit der zweiten Rentengruppe, soweit sie in der Umstellung "im Massenverfahren" liegt, nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. zuletzt Urt. v. 30. 11. 1966 - 4 RJ 33/64 -) dadurch Rechnung getragen, daß Umstellungsfehler durch Herabsetzung der Rentenhöhe bis Ende 1959 korrigiert werden durften. Nach diesem Zeitpunkt erscheint eine weitere Sonderbehandlung der Umstellungsrenten unter diesem Gesichtspunkt nicht mehr vertretbar.

Das gekennzeichnete Wesen der Anpassung ist auch der Grund, weshalb der Versicherungsträger nur unzweifelhaft falsche Berechnungsfaktoren, nicht aber die nur möglicherweise falschen Berechnungsfaktoren ersetzen kann. Die Anpassung ist ihrem Wesen nach keine völlige Neufeststellung der Rente; die Berechnungsfaktoren dürfen daher nicht bei jeder Anpassung fortlaufend in Frage gestellt werden. Das entspricht auch der neuen Vorschrift in § 5 Abs. 1 Satz 3 des 9. RAG. Denn danach muß feststehen , daß die Rente bisher unrichtig berechnet worden ist; dafür trägt der Versicherungsträger die (objektive) Beweislast.

Das LSG hat daher im vorliegenden Fall die Beklagte dann nicht verpflichten dürfen, bei den Rentenanpassungen nach dem 6. und 7. RAG die gleichen Ersatz- und Ausfallzeiten wie in dem Bescheid vom 11. Dezember 1959 zugrundezulegen, wenn die Ersatz- und Ausfallzeiten eindeutig falsch festgestellt waren. Ob dies der Fall ist, kann der Senat nicht beurteilen. Das LSG hat festgestellt, die Beklagte habe in dem Bescheid vom 11. Dezember 1959 die Schulzeit von 1912 bis 1915 als Ausfallzeit und die Lehrzeit von April 1915 bis April 1918 als Ersatzzeit angerechnet. Das ist eine tatsächliche Feststellung, die nur zum Teil mit dem Inhalt des Bescheides vom 11. Dezember 1959 übereinstimmt. Die Beklagte hat nicht die Schulzeit als Ausfallzeit angerechnet, sie hat eine pauschale Ausfallzeit von 19 Monaten angerechnet. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG widersprechen damit dem Inhalt eines behördlichen Bescheides. Der Senat kann sie aus diesem Grunde, auch wenn sie nicht mit Verfahrensrügen angegriffen sind, nicht als bindend ansehen (vgl. BGHZ 36, 1, 3). Infolgedessen kann der Senat nicht abschließend in der Sache entscheiden. Er darf keine eigenen tatsächlichen Feststellungen treffen. Soweit es sich um die Rentenanpassung nach dem 6. und 7. RAG handelt, muß das angefochtene Urteil deshalb aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden. Dieses hat nun zu klären, welche Berechnungsfaktoren des Bescheides vom 11. Dezember 1959, die auf die Rentenhöhe in der Jahren 1964 und 1965 Einfluß haben, eindeutig falsch festgestellt sind; diese Berechnungsfaktoren müssen bei der Anpassung nach dem 6. und 7. RAG durch die richtigen ersetzt werden. Ergibt sich bei der Anpassungsberechnung ein geringerer Betrag als die Rente nach dem 5. RAG zuletzt betragen hat, dann ist der alte Zahlbetrag weiter zu gewähren; insoweit und nur insoweit ist der Besitzstand geschützt.

Bei der neuen Entscheidung hat das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu befinden.

 

Fundstellen

BSGE, 266

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