Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachträglicher Einbehalt von Beiträgen aus Renten. Verfassungsmäßigkeit. Treu und Glauben
Leitsatz (amtlich)
Ein Rentenversicherungsträger, der den Einbehalt von Krankenversicherungsbeiträgen von der Rente unterlassen hatte, war unter der Geltung des § 393a Abs 1 RVO berechtigt, den Einbehalt nicht verjährter Beiträge in den für eine Aufrechnung geltenden Grenzen des § 51 Abs 2 SGB 1 nachzuholen.
Orientierungssatz
1. Die früheren Ungleichheiten zwischen dem nachträglichen Einbehalt der Beiträge aus Renten bzw Versorgungsbezügen sind durch das neue Recht der §§ 255 Abs 2 und 256 Abs 2 SGB 5 vom 1.1.1989 weitgehend aneinander angeglichen und damit beseitigt. Für den Gesetzgeber war die Rechtslage bis 31.12.1988 mit ihren Auswirkungen zunächst offenbar nicht in jeder Hinsicht überschaubar gewesen. Jedenfalls aus diesem Grunde ist im Anschluß an die Rechtsprechung des BVerfG (vgl BVerfG vom 12.3.1975 - 1 BvL 15/71 ua = BVerfGE 39, 169, 193f; BVerfG vom 18.6.1975 - 1 BvL 4/74 = 40, 121, 140; BVerfG vom 11.10.1977 - 1 BvL 8/74 = 46, 55, 66) für die "Übergangszeit" bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts eine Verfassungswidrigkeit zu verneinen.
2. Die Nacherhebung von Beiträgen zur KVdR durch den Rentenversicherungsträger verstößt nicht gegen Treu und Glauben.
3. Eine Nacherhebung von Beiträgen zur Krankenversicherung der Rentner aus der Rente unterliegt nicht den Einschränkungen des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch für die Rücknahme oder Änderung von Rentenbescheiden, denn es handelt sich nicht um eine rückwirkende Herabsetzung der früher - ohne Abzug der Beiträge ausgezahlten Rente, sondern um eine nachträgliche Erhebung von Krankenversicherungsbeiträgen durch Einbehaltung von der derzeit laufenden Rente.
Normenkette
RVO § 393a Abs 1; SGB 1 § 51 Abs 2 Fassung: 1980-08-18; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1988-12-20; SGB 5 § 255 Abs 2 Fassung: 1988-12-20, § 256 Abs 2 Fassung: 1988-12-20; SGB 10 § 45 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 07.10.1987; Aktenzeichen L 11 Kr 79/86) |
SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 15.09.1986; Aktenzeichen S 7 An 126/86) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um 1.305,02 DM an Beiträgen zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR).
Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 19. Januar 1984 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 1. Oktober 1983 an in Höhe von anfangs 1.620,50 DM monatlich. Im Rentenbescheid hieß es ua: Anspruch auf einen Zuschuß zu den Beiträgen, die krankenversicherungspflichtige Rentner aufgrund der Rente zu zahlen hätten, bestehe zur Zeit nicht (§ 83e Abs 1 Nr 1 Angestelltenversicherungsgesetz); bei Eintritt von Krankenversicherungspflicht (zB bei Aufnahme einer Beschäftigung) werde dieser Zuschuß von Amts wegen festgestellt; die BfA sei dann verpflichtet, die auf die Rente entfallenden Beiträge, ggf auch rückwirkend, einzubehalten und an die Krankenversicherung abzuführen. - Die Rentennachzahlung wurde für die Zeit bis zum 1. Februar 1984 wegen Krankengeldbezuges einbehalten und an den Krankenversicherungsträger abgeführt.
Mit Bescheid vom 11. Februar 1986 "berechnete" die Beklagte die Rente vom 2. Februar 1984 an "neu". Zur Begründung führte sie an, daß seit diesem Tage (2. Februar 1984) Versicherungspflicht in der KVdR bestehe und Beiträge einzubehalten seien. Für die Zeit vom 2. Februar 1984 bis zum 28. Februar 1986 sei es zu einer Überzahlung von 1.305,02 DM gekommen; um Überweisung dieses Betrages werde gebeten. Vom 1. März 1986 an ermittelte die Beklagte den auszuzahlenden laufenden Rentenbetrag unter Berücksichtigung des Beitragszuschusses und des abzuführenden Krankenversicherungsbeitrags. Der Kläger erhob Widerspruch gegen die Forderung von 1.305,02 DM: Im ursprünglichen Rentenbescheid, bei dessen Erlaß schon Versicherungspflicht in der KVdR bestanden habe, sei als Monatsrente 1.620,50 DM angegeben worden, die er für seine monatliche Nettorente gehalten habe. Auch aus späteren Rentenanpassungsmitteilungen habe sich nichts anderes ergeben. Er sehe nicht ein, daß er ein Verschulden der Beklagten zu vertreten habe, und sei zu einer Rückzahlung auch nicht in der Lage. Der Widerspruch blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 1986 erklärte sich die Beklagte mit einer Tilgung von monatlich 100 DM durch "Verrechnung" mit der laufenden Rente einverstanden, wenn der Kläger einer "Ratenzahlung" zustimme.
Der Kläger hat Klage beim Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhoben und beantragt, den Bescheid vom 11. Februar 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 1986 insoweit aufzuheben, als ein Betrag von 1.305,02 DM zurückgefordert wird. Das SG hat der Klage durch Urteil vom 15. September 1986 stattgegeben. Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 7. Oktober 1987 zurückgewiesen. Es hat das Rechtsmittel für statthaft und eine Beiladung des Krankenversicherungsträgers nicht für notwendig gehalten. In der Sache sei die Forderung der Beklagten unbegründet. Zusammen mit dem ursprünglichen Rentenbescheid habe eine Entscheidung über die Beiträge zur KVdR ergehen müssen. Der unterbliebene Beitragseinbehalt enthalte eine solche "negative" Entscheidung. Daran ändere nichts, daß aus dem im Bescheid enthaltenen Vorbehalt hinsichtlich der KVdR-Beiträge die Vorstellung der Beklagten erkennbar gewesen sei, der Kläger sei nicht Mitglied in der KVdR. Die (negative) Entscheidung über die Beiträge zur KVdR könne nur nach den Vorschriften über die Rücknahme eines Verwaltungsakts beseitigt werden. Sie richte sich, weil die Entscheidung von vornherein rechtswidrig gewesen sei, nach § 45 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB 10). Dabei scheitere die Rücknahme an Abs 4 dieser Vorschrift, weil die Beklagte, als sie den Bescheid vom 11. Februar 1986 erlassen habe, bereits seit mehr als einem Jahr Kenntnis von der Unrichtigkeit ihrer früheren Entscheidung gehabt habe. Denn in der Meldung des Klägers zur KVdR seien alle Tatsachen angegeben gewesen, die seine Mitgliedschaft in der KVdR begründet hätten.
Gegen das Urteil richtet sich die - vom LSG zugelassene - Revision der Beklagten. Sie rügt eine Verletzung des § 75 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil der Träger der Krankenversicherung nicht beigeladen worden sei. Materiell-rechtlich sei § 45 Abs 4 SGB 10 fehlerhaft angewandt worden. Sie, die Beklagte, habe im Rentenbescheid weder ausdrücklich noch konkludent eine Entscheidung über die Beitragseinbehaltung getroffen. Sie habe diese Entscheidung später nachholen können. Außerdem habe weder bei Rentenbeginn am 1. Oktober 1983 noch bei Rentenbewilligung am 19. Januar 1984 Versicherungspflicht des Klägers bestanden. Deshalb gingen die Ausführungen des LSG zu ihrer (der Beklagten) damaligen Kenntnis hiervon fehl. Jedenfalls scheitere ihre Forderung hier nicht an der zeitlichen Grenze des § 45 Abs 4 SGB 10.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Urteile des LSG vom 7. Oktober 1987 und des SG vom 15. September 1986 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Eine Beiladung der Krankenkasse sei nicht erforderlich gewesen. Als die Beklagte im Februar 1986 ihre Forderung erhoben habe, sei ihr die Unrichtigkeit ihres ersten Rentenbescheides schon seit mehr als einem Jahr bekannt gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 11. Februar 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 1986 nur insoweit, als darin nachträglich 1.305,02 DM an Beitrag zur KVdR für die Zeit vom 2. Februar 1984 bis zum 28. Februar 1986 gefordert worden sind. Als Rechtsgrundlage dafür kommt der hier noch anzuwendende § 393a Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) in Betracht. Nach seinem Satz 1 in den ab 1. Januar 1983 (Art 2 Nr 15 RAG 1982 vom 1. Dezember 1981 - BGBl I 1205) und ab 1. Januar 1984 (Art 1 Nr 10 des Haushaltsbegleitgesetzes -HBegleitG- 1984 vom 22. Dezember 1983 - BGBl I 1532) geltenden Fassungen hatten die Träger der Rentenversicherung bei der Zahlung der Renten die darauf nach § 381 Abs 2 RVO entfallenden Beiträge einzubehalten. Nach Satz 2 des § 393a Abs 1 RVO, der mit Wirkung vom 1. Januar 1983 durch Art 19 Nr 16 HBegleitG 1983 vom 20. Dezember 1982 (BGBl I 1857) angefügt worden war und der Klarstellung dienen sollte (BT-Drucks 9/2074 S 100), waren die Beiträge von den Zuschüssen des Trägers der Rentenversicherung und, soweit sie die Zuschüsse überstiegen, von den Renten einzubehalten.
Unter der Geltung dieser Regelung war der Rentenversicherungsträger berechtigt, Beiträge, deren Einbehaltung zunächst unterblieben war und die - wie hier - noch nicht verjährt waren, auch später noch geltend zu machen. Allerdings war dieses nur im Wege des Einbehalts von der laufend gezahlten Rente und nur in den Grenzen des § 51 Abs 2 des Sozialgesetzbuchs - Allgemeiner Teil - (SGB 1) zulässig.
Ein versicherungspflichtiger Rentner wie der Kläger hatte nach § 381 Abs 2 Satz 1 iVm § 180 Abs 5 Nr 1 RVO Beiträge vom Zahlbetrag seiner Rente zu tragen. Die entsprechende Forderung hatte der Rentenversicherungsträger auf dem in § 393a Abs 1 RVO vorgeschriebenen Wege gegen ihn geltend zu machen. Dabei kann aus der Fassung des Satzes 1 dieser Vorschrift ("bei der Zahlung der Renten"), die erkennbar nur eine allgemeine Regelung für die Beitragserhebung bei Renten zum Gegenstand hatte, allein nicht hergeleitet werden, ein Einbehalt sei nur bei Zahlung der jeweiligen Monatsrente zulässig gewesen. Dieses ergab sich auch nicht durch Gegenschluß aus § 381 Abs 2 Satz 2 RVO, wonach (nur) unter den dort genannten Voraussetzungen von Rentennachzahlungen nachträglich Beiträge zu entrichten waren. Vielmehr hätte der Ausschluß jeder nachträglichen Geltendmachung der Beiträge - als Ausnahme von dem Grundsatz, daß eine Forderung nicht bereits dann erlischt, wenn sie nicht sogleich bei ihrem Entstehen geltend gemacht wird - deutlich bestimmt werden müssen, wenn der Gesetzgeber das beabsichtigt gehabt hätte. Gegen einen solchen Willen spricht schon, daß bei einer solchen Regelung ein Beitragsabzug selbst dann nicht mehr nachholbar gewesen wäre, wenn die Beitragspflicht zur KVdR erst im Laufe eines Monats begann, für diesen Monat die Rente jedoch bereits ausgezahlt war. Aber auch wo der Beitragseinbehalt bei Zahlung der Rente an sich erfolgen konnte, ihn der Rentenversicherungsträger jedoch - unverschuldet oder aus (möglicherweise nur leichtem) Verschulden - versäumt hatte, wäre ein Ausschluß jeder Nachholung des Beitragsabzugs und damit die Befreiung des betreffenden Rentners von seiner Beitragslast sachlich nicht zu rechtfertigen gewesen, zumal wenn er den Versicherungsschutz der KVdR genossen hatte. Hinzu kommt, daß der Gesetzgeber den Fall eines versehentlich unterbliebenen Beitragseinbehalts, der bei der großen Zahl beitragspflichtiger Rentner gelegentlich vorkommen konnte, offenbar nicht übersehen hatte. Denn er hat bei der - gleichzeitig mit Abs 1 des § 393a RVO eingeführten - Regelung des Abs 2 des § 393a RVO über die Beitragsentrichtung von Versorgungsbezügen in den Sätzen 5 und 6 immerhin eine nachträgliche Geltendmachung der Beitragsforderung in gewissem Umfang zugelassen. Wenn eine Regelung für die gleiche Frage in § 393a Abs 1 RVO nicht ausdrücklich getroffen worden ist, ist daraus nicht auf den Ausschluß jeder Nachholung, sondern auf deren grundsätzliche Zulässigkeit zu schließen.
Die hiernach im Grundsatz zulässige Nacherhebung von KVdR-Beiträgen unterlag allerdings Grenzen. Für eine von der Rentenzahlung unabhängige Geltendmachung einer solchen Beitragsforderung fehlte, jedenfalls solange Rente noch gezahlt wurde, während der Geltung des § 393a RVO, dh bis zum 31. Dezember 1988, eine gesetzliche Grundlage (vgl jetzt § 255 Abs 2 Satz 2 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB 5). Vielmehr ergab sich, da andere Formen der Geltendmachung nicht vorgesehen waren, aus § 393a Abs 1 RVO ("bei der Zahlung der Renten ... einzubehalten"), daß Beiträge auch nachträglich nur von noch zu zahlender, in der Regel also der laufenden Rente einbehalten werden durften. Rechtlich bedeutet dieses, daß der Rentenversicherungsträger den Beitragsanspruch nur im Wege einer Aufrechnung gegen den Anspruch des Rentners auf die Rente geltend machen durfte. Für eine solche Aufrechnung galten indes auch früher schon die Schranken des § 51 Abs 2 SGB 1 (vgl jetzt § 255 Abs 2 Satz 1 SGB 5). Danach darf gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen nur bis zu deren Hälfte aufgerechnet werden und nur, soweit der Rentner dadurch nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird.
Der Senat hat geprüft, ob der in diesen Grenzen zulässige nachträgliche Einbehalt der Beiträge von Renten die betreffenden Rentner gegenüber Empfängern von Versorgungsbezügen, bei denen eine Zahlstelle den Einbehalt unterlassen hatte, in einer mit Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes unvereinbaren Weise benachteiligte. Bei Versorgungsbezügen war nämlich eine Nachholung des Beitragseinbehalts durch die Zahlstelle nach § 393a Abs 2 Satz 5 RVO nur bei der nächsten Zahlung von Versorgungsbezügen zulässig; weitere Beiträge konnten nach § 393a Abs 2 Satz 6 RVO durch die Krankenkasse nur eingezogen werden, wenn ihre Einbehaltung ohne Verschulden der Zahlstelle unterblieben war. Das führte nicht zu einer verfassungswidrigen Benachteiligung von Rentnern, für die die dargelegte andere Nachholungsregelung galt. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, daß auch diesen Rentnern die für sie vielfach günstigere, weil "nachholungsfeindliche" Regelung bei den Versorgungsbezügen (§ 393a Abs 2 Sätze 5 und 6 RVO) zugute kommen konnte, wie umgekehrt auch die Empfänger von Versorgungsbezügen der für die Versicherten oft ungünstigeren, weil "nachholungsfreundlichen" Regelung bei den Renten (§ 393a Abs 1 RVO) ausgesetzt sein konnten.
Aber auch wenn man einen Rentner, bei dem allein bei der Rente der Einbehalt unterblieben war, mit einem Rentner vergleicht, bei dem nur die Zahlstelle bei den Versorgungsbezügen (und nicht auch der Rentenversicherungsträger bei der Rente) den Einbehalt versäumt hatte, ist zu bedenken, daß sich die Regelung bei den Renten für den Versicherten nicht generell ungünstiger auswirkte als bei den Versorgungsbezügen. Zwar war bei den Renten die Nachholung selbst dann zulässig, wenn den Rentenversicherungsträger am Unterbleiben des Einbehalts ein Verschulden traf, allerdings in den beschriebenen Grenzen des § 51 Abs 2 SGB 1, an denen eine Nachholung uU ganz scheitern konnte; dagegen wurde der Empfänger von Versorgungsbezügen bei einem Verschulden der Zahlstelle (oder der Krankenkasse, vgl das Urteil des Senats vom 23. Mai 1989 -12 RK 30/88-) bis auf den im nächsten Monat nachholbaren Einbehalt in jedem Falle frei. Dem standen jedoch die - wenn auch vermutlich zahlenmäßig selteneren - Fälle gegenüber, in denen der Beitragseinbehalt von der Rente bzw den Versorgungsbezügen ohne Verschulden des Versicherungsträgers bzw der Zahlstelle unterblieben war. Dann war der Rentner zwar ebenfalls einer Nachholung des Einbehalts von der Rente ausgesetzt, jedoch nur in den aufgezeigten Grenzen, während er sich bei den Versorgungsbezügen einer Inanspruchnahme durch die Krankenkasse gegenübersah, die den bei Renten geltenden Einschränkungen nicht unterlag.
Bei einer Gegenüberstellung der beiden Regelungen ist ferner zu berücksichtigen, daß bei den Rentnern die eigene Belastung mit Beiträgen erst am 1. Juli 1983 begann und durch die stufenweise Absenkung des Beitragszuschusses bis zum 1. Juli 1987 erst von diesem Zeitpunkt an eine der Belastung der Versorgungsbezüge vergleichbare Höhe erreichte. Deswegen war hier die Gefahr, daß infolge unterbliebenen Einbehalts nachholbare Rückstände von erheblicher Höhe aufliefen, zunächst geringer als bei gleich hohen Versorgungsbezügen, für die der Rentner schon vom 1. Januar 1983 an Beiträge nach dem (halben) Beitragssatz des § 385 Abs 2a RVO zu tragen hatte. Ob alle diese Gründe ausgereicht hätten, die unterschiedliche Regelung bei Renten und Versorgungsbezügen dauerhaft zu rechtfertigen, brauchte der Senat nicht zu entscheiden. Denn der Gesetzgeber hat die Nachholung eines unterbliebenen Beitragseinbehalts vom 1. Januar 1989 an in § 255 Abs 2 und § 256 Abs 2 SGB 5 weitgehend einander angeglichen und damit die früheren Ungleichheiten beseitigt, deren Auswirkungen für ihn zunächst offenbar nicht in jeder Hinsicht überschaubar gewesen waren. Jedenfalls aus diesem Grunde ist im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl BVerfGE 39, 169, 193 f; 40, 121, 140; 46, 55, 66) für die "Übergangszeit" bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts eine Verfassungswidrigkeit zu verneinen.
Eine sachlich nicht zu begründende Ungleichbehandlung lag auch im Verhältnis von Rente und Arbeitsentgelt nicht vor. Im Beschäftigungsverhältnis durfte bis Ende 1988 der Arbeitgeber, der Arbeitnehmerbeitragsanteile nicht vom Lohn einbehalten hatte (§ 394 Abs 1 RVO), die unterbliebenen Abzüge nur bei der Lohnzahlung für die nächste Lohnzeit nachholen, wenn nicht die Beiträge ohne sein Verschulden verspätet entrichtet worden waren (§ 395 Abs 2 RVO); dann konnte der Abzug auch für längere Zeit noch nachgeholt werden. Diese Regelung, der nach dem erwähnten Urteil des Senats vom 23. Mai 1989 die frühere Regelung zur nachträglichen Geltendmachung nicht einbehaltener Beiträge auf Versorgungsbezüge entsprach, ist auch über den 31. Dezember 1988 hinaus grundsätzlich erhalten geblieben, allerdings darf nunmehr der unterbliebene Abzug des Arbeitnehmeranteils auch bei Verschulden des Arbeitgebers noch bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen nachgeholt werden (§ 28g Satz 3 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung -, eingefügt durch Art 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl I 2330). Die Ungleichbehandlung zwischen Arbeitsentgelt und Rente, wie sie bis Ende 1988 bestand und auch unter dem neuen Recht in veränderter Form weiterbesteht, wurde und wird indessen schon dadurch gerechtfertigt, daß eine eintretende Befreiung des Arbeitnehmers zu Lasten des Arbeitgebers geht und daher in der Regel nicht zu Beitragsausfällen für die Versichertengemeinschaft führt, während bei Freiwerden des Rentners die Renten- oder die Krankenversicherung und damit letztlich andere Rentner oder Versicherte den Beitragsverlust tragen müßten.
Einem nachträglichen Einbehalt der KVdR-Beiträge steht bei dem vorliegenden Sachverhalt keine frühere Entscheidung der Beklagten entgegen; insbesondere hatte die Beklagte nicht, wie das LSG meint, durch Nichteinbehalt von KVdR-Beiträgen im Rentenbescheid vom 19. Januar 1984 negativ über die Beitragspflicht des Klägers entschieden. Der Vorbehalt im Rentenbescheid und die Berechnung des Rentenzahlbetrages ergeben vielmehr eindeutig, daß die Beklagte bei Erteilung des Rentenbescheides davon ausging, der Kläger sei nicht versicherungspflichtig und deshalb seien von seiner Rente keine Beiträge einzubehalten. Der Kläger mußte daher aus dem Bescheid entnehmen, daß die Beklagte, wenn entgegen ihrer Annahme Versicherungspflicht bestand und sie davon Kenntnis erhielt, noch Beiträge einbehalten werde. Das gilt auch dann, wenn Versicherungspflicht schon bei Erteilung des Rentenbescheides bestanden haben sollte und die Beklagte das hätte erkennen müssen, sie gleichwohl aber Beiträge nicht einbehalten hatte. Auch aus den jeweils zur Jahresmitte ergehenden Rentenanpassungsmitteilungen konnten Rentner wie der Kläger, denen bisher von ihrer Rente erkennbar keine Beiträge einbehalten worden waren, nicht entnehmen, die angepaßte Rente sei einerseits um den Beitragszuschuß erhöht und andererseits um den Beitrag zur KVdR vermindert worden. Dagegen sprach schon, daß diesen Rentnern die um den vollen Prozentsatz der Anpassung erhöhte Rente ausgezahlt wurde.
Eine Nacherhebung von Beiträgen zur KVdR unterlag ferner nicht den Einschränkungen des SGB 10 für die Rücknahme oder Änderung von Rentenbescheiden, mag die Beklagte, vor allem in der ersten Zeit, in der über Fälle unterbliebenen Einbehalts von ihr zu entscheiden war, aus verständlicher Unsicherheit bei Anwendung des § 393a Abs 1 RVO von einer Neufeststellung ("Neuberechnung") der Rente und von einer Pflicht zur Rückzahlung "überzahlter" Rente gesprochen haben. In Wahrheit handelt es sich, wenn nachträglich Beiträge zur KVdR von der Rente einbehalten werden, nicht um eine rückwirkende Herabsetzung der früher - ohne Abzug der Beiträge - ausgezahlten Rente, sondern um eine nachträgliche Erhebung der Beiträge durch Einbehaltung von der derzeit laufenden Rente. Die Rente selbst und ihre Berechnungselemente bleiben davon unberührt.
Gründe, weshalb die Beitragsforderung der Beklagten gegen Treu und Glauben verstoßen könnte, sind im vorliegenden Verfahren nicht erkennbar. Das gilt auch für das Vorbringen des Klägers im Widerspruchsverfahren, er brauche für ein Verschulden der Beklagten nicht einzustehen. Selbst wenn die Beklagte den Beitragseinbehalt zunächst "verschuldet", dh aus Gründen unterlassen haben sollte, die in ihrem Verantwortungsbereich lagen, berührt das ihre grundsätzliche Berechtigung zur Nachforderung der Beiträge nicht. Darüber hinaus entstehen dem Kläger aus der nachträglichen Erfüllung seiner Beitragsschuld keine Nachteile. Eher könnten der Versichertengemeinschaft, soweit eine nachträgliche Erfüllung nicht oder nicht mehr voll vom Kläger gefordert werden könnte, aus dem früher unterbliebenen Einbehalt der Beiträge Nachteile erwachsen.
Prozeßrechtliche Hindernisse standen einer Entscheidung in der Sache nicht entgegen. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß eine Beiladung des Trägers der Krankenversicherung, bei dem der Kläger zwischen 1984 und 1986 versichert war, nicht iS des § 75 Abs 2 SGG notwendig war. Denn der Träger der Krankenversicherung war an dem Einbehalten, dem Abführen und dem Nachholen eines unterbliebenen Einbehalts von Beiträgen aus der Rente, die außerdem in den Finanzausgleich flossen (vgl § 393b RVO), nach materiellem Recht nicht beteiligt. Das LSG hat ferner zutreffend entschieden, daß der Berufungsausschließungsgrund des § 146 SGG nicht vorlag, weil nicht um Rente, sondern um Beiträge gestritten wird.
Hiernach waren auf die Revision der Beklagten die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben. Die Klage war abzuweisen, wobei die Beklagte bei einem Einbehalt der strittigen Beiträge von der laufenden Rente, den sie schon im Widerspruchsbescheid angeboten hatte, das vorliegende Urteil zu beachten haben wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen