Leitsatz (amtlich)

Zu einer "regelmäßigen, die Versicherungspflicht begründenden Beschäftigung" (RVO § 1228 Abs 1 Nr 4 gehört, daß sie im Durchschnitt mehr als 20 Wochenstunden ausgeübt wird.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Zu unvertretbaren Ergebnissen würde es führen, wenn auch Arbeitnehmer, die in einer zwar Versicherungspflichtigen, ihrem zeitlichen Umfang nach aber nicht einmal eine halbe Arbeitskraft beanspruchende Beschäftigung stehen, deswegen in einer oder mehreren weiteren Beschäftigungen versicherungsfrei blieben.

2. Übt eine Reinemachefrau ihre Tätigkeit in zwölf Wochenstunden bei ihrem Arbeitgeber aus und verrichtet sie eine weitere Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber, die sie wöchentlich 15 Stunden in Anspruch nimmt, so ist die erste Beschäftigung nicht nach RVO § 1228 Abs 1 Nr 4 rentenversicherungsfrei (RVO § 168 Abs 1 Nr 1), weil die Beschäftigung bei dem zweiten Arbeitgeber (wöchentlich 15 Stunden) keine regelmäßige, die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung iS des RVO § 1228 Abs 1 Nr 4 ist.

3. Unter einer regelmäßigen, die Versicherungspflicht begründenden Beschäftigung iS des RVO § 168 Abs 1 Nr 1 (RVO § 1228 Abs 1 Nr 4, AVG § 4 Abs 1 Nr 5) ist nicht jede versicherungspflichtige Beschäftigung zu verstehen, sondern nur eine solche, die eine bestimmte zeitliche Grenze - in der Regel 20 Wochenstunden - überschreitet; eine daneben ausgeübte (Zweit-)Beschäftigung iS des RVO § 168 Abs 2 Buchst b (RVO § 1228 Abs 2 Buchst b, AVG § 4 Abs 2 Buchst b) ist daher nicht nach RVO § 168 Abs 1 Nr 1 versicherungsfrei, wenn die versicherungspflichtige (Erst-)Beschäftigung den Arbeitnehmer durchschnittlich nicht mehr als 20 Stunden wöchentlich in Anspruch nimmt.

 

Normenkette

RVO § 1228 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1960-09-08, § 168 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09; AVG § 4 Abs. 1 Nr. 5

 

Tenor

Auf die Revision der beigeladenen Landesversicherungsanstalt wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. März 1968 geändert.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 1. Juli 1966 wird zurückgewiesen, soweit sie die Rentenversicherungspflicht der Beigeladenen Gilbert während der Beschäftigung beim Kläger in der Zeit von November 1965 bis Februar 1967 betrifft.

Die beklagte Krankenkasse hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der ersten beiden Rechtszüge zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten in der Revisionsinstanz noch über die Rentenversicherungspflicht der Beigeladenen H G während ihrer Beschäftigung beim Kläger von November 1965 bis Februar 1967.

Der Kläger beschäftigte die Beigeladene seit 1958 als Putzhilfe, und zwar wöchentlich 12 Stunden gegen ein Nettoentgelt von zuletzt 120 DM im Monat. Seit Mitte 1963 war sie außerdem für einen anderen Arbeitgeber wöchentlich 15 Stunden bei einem monatlichen Nettoverdienst von 193 DM tätig.

Die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) hat sie in der Beschäftigung beim Kläger für versicherungspflichtig in der Kranken- und in der Rentenversicherung gehalten und diesen zur Entrichtung der entsprechenden Beiträge aufgefordert. Sein Widerspruch ist erfolglos geblieben.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben. Nach Ansicht des LSG war die Beschäftigung der Beigeladenen beim Kläger eine Nebenbeschäftigung im Sinne der §§ 168 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Buchst. b, 1228 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Buchst. b RVO, die die Beigeladene "neben einer regelmäßigen, die Versicherungspflicht begründenden Beschäftigung" ausgeübt habe; ihre Nebenbeschäftigung beim Kläger sei deshalb versicherungsfrei gewesen. Daß sie daneben in keiner "Hauptbeschäftigung" von mindestens 20 Wochenstunden gestanden habe, sei entgegen der Auffassung der beteiligten Versicherungsträger unerheblich (Urteil vom 28. März 1968).

Gegen dieses Urteil hat die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) die zugelassene Revision eingelegt. Sie beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 1. Juli 1966 zurückzuweisen.

Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die beklagte AOK hat keine Anträge gestellt. Die Beigeladene G ist in der Revisionsinstanz nicht vertreten.

Alle Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

II

Die beklagte AOK hat gegen das Urteil des LSG, das ihre Bescheide über die Versicherungspflicht der Beigeladenen G in der Kranken- und in der Rentenversicherung aufgehoben hat, kein Rechtsmittel eingelegt. Das Berufungsurteil - und die darin erfolgte Aufhebung der angefochtenen Bescheide - ist deshalb insoweit rechtskräftig geworden, als es sich um die Versicherungspflicht der Beigeladenen G in der Krankenversicherung handelt (vgl. BSG 31, 119, 120 unten). Soweit der Rechtsstreit dagegen die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung betrifft, ist das Berufungsurteil wegen der von der beigeladenen LVA eingelegten Revision nicht rechtskräftig geworden; als Beigeladene hat die LVA für ihren Versicherungszweig zulässig ein Rechtsmittel einlegen können (BSG aaO).

Die Revision der LVA ist begründet. Entgegen der Ansicht des LSG war die Beigeladene G in ihrer Beschäftigung beim Kläger während der streitigen Zeit (November 1965 bis Februar 1967) rentenversicherungspflichtig.

Nach § 1228 Abs. 1 Nr. 4 RVO ist eine Nebenbeschäftigung, die neben einer regelmäßigen, die Versicherungspflicht begründenden Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber ausgeübt wird, rentenversicherungsfrei. Nach § 1228 Abs. 2 Buchst. b RVO gilt als Nebenbeschäftigung in diesem Sinne eine Beschäftigung, die zwar laufend oder in regelmäßiger Wiederkehr ausgeübt wird, aber nur gegen ein Entgelt, das durchschnittlich im Monat ein Achtel der für Monatsbezüge geltenden Beitragsbemessungsgrenze oder bei höherem Entgelt ein Fünftel des Gesamteinkommens nicht überschreitet. Die Beigeladene G war nach Feststellung des LSG während der streitigen Zeit laufend beim Kläger beschäftigt, jedoch nur gegen ein Entgelt von zuletzt netto 120 DM im Monat; dieses überschritt nicht ein Achtel der seinerzeit für Monatsbezüge geltenden Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung (1965: 150 DM; 1966: 162,50 DM; 1967: 175 DM). Die Beschäftigung beim Kläger war deshalb eine Nebenbeschäftigung im Sinne des § 1228 Abs. 2 Buchst. b RVO. Als solche wäre sie versicherungsfrei gewesen, wenn sie "neben einer regelmäßigen, die Versicherungspflicht begründenden Beschäftigung" (§ 1228 Abs. 1 Nr. 4 RVO) ausgeübt worden wäre. Das ist im Gegensatz zum LSG zu verneinen.

Wie der Senat zu dem - mit § 1228 Abs. 1 Nr. 4 RVO wörtlich übereinstimmenden - § 168 Abs. 1 Nr. 1 RVO entschieden hat, braucht eine "regelmäßige, die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung" keine Vollbeschäftigung zu sein (Urteil vom 24. Februar 1971, SozR Nr. 10 zu § 168 RVO). Andererseits hat der Senat in diesem Urteil in Anknüpfung an frühere Entscheidungen (BSG 14,29 und 38) ausgeführt, daß unter einer "regelmäßigen, die Versicherungspflicht begründenden Beschäftigung" entgegen der Ansicht des LSG nicht jede versicherungspflichtige Beschäftigung, sondern nur eine solche zu verstehen ist, die eine bestimmte zeitliche Grenze (in der Regel 20 Wochenstunden) überschreitet. Für diese - dem Gesetzeswortlaut allerdings nicht unmittelbar zu entnehmende - Einschränkung spricht, daß die gleiche Zeitgrenze für "berufsmäßig" ausgeübte Beschäftigungen im Sinne des § 1228 Abs 1 Nr. 5 RVO gilt (vgl. BSG 14, 38 und SozR Nr. 6 zu § 1228 RVO). Wie hiernach Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von mehr als 20 Stunden ("berufsmäßig" beschäftigte Arbeitnehmer) in dieser Beschäftigung in jedem Falle, d.h. auch dann, wenn ihre Bezüge die in § 1228 Abs. 2 Buchst. b RVO genannte Entgeltgrenze nicht erreichen, der Versicherungspflicht unterliegen, erscheint es umgekehrt bei ihnen - und nur bei ihnen - noch erträglich, eine neben der mehr als 20-stündigen "Hauptbeschäftigung" ausgeübte Nebenbeschäftigung versicherungsfrei zu lassen. Der damit verbundene Beitragsausfall, der sich später in entsprechenden Leistungskürzungen, insbesondere in der Rentenversicherung, auswirken kann, muß in Kauf genommen werden und ist vom Gesetzgeber offenbar in Rechnung gestellt worden. Zu unvertretbaren Ergebnissen würde es dagegen führen, wenn auch Arbeitnehmer, die in einer zwar versicherungspflichtigen, ihrem zeitlichen Umfang nach aber nicht einmal eine halbe Arbeitskraft beanspruchenden Beschäftigung stehen, deswegen in einer oder mehreren weiteren Beschäftigungen versicherungsfrei blieben. Bei einer nicht nur den Wortlaut des § 1228 Abs. 1 Nr. 4 RVO, sondern auch den Gedanken eines möglichst umfassenden Versicherungsschutzes berücksichtigenden Auslegung ist somit unter einer "regelmäßigen, die Versicherungspflicht begründenden Beschäftigung" nur eine "Hauptbeschäftigung" zu verstehen, die im Durchschnitt mehr als 20 Wochenstunden ausgeübt wird (ebenso die Gemeinsamen Richtlinien der Spitzenverbände der Krankenkassen, des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit für die versicherungsrechtliche Beurteilung von Nebenbeschäftigungen und Nebentätigkeiten vom 23. November 1966 i.d.F. vom 8. Dezember 1970 unter Ziff. 2.1.1., DOK 1971, 33).

Die Beigeladene G hat während der streitigen Zeit außer ihrer Nebenbeschäftigung beim Kläger noch eine versicherungspflichtige Beschäftigung für einen anderen Arbeitgeber ausgeübt; ihr Arbeitsverdienst aus dieser weiteren Beschäftigung (193 DM im Monat) überschritt die in den Jahren 1965 bis 1967 maßgebenden Entgeltgrenzen für Nebenbeschäftigungen. Da diese Beschäftigung jedoch während des fraglichen Zeitraumes durchschnittlich nicht mehr als 20 Wochenstunden dauerte, war sie keine regelmäßige, die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung im Sinne des § 1228 Abs. 1 Nr. 4 RVO. Die beim Kläger ausgeübte Nebenbeschäftigung war deshalb nicht rentenversicherungsfrei, wie das Gericht erster Instanz im Ergebnis zutreffend entschieden hat; auf die Revision der beigeladenen LVA hat der Senat das Urteil des LSG, soweit es die Rentenversicherungspflicht der Beigeladenen G betrifft, geändert und insoweit das Urteil des SG wiederhergestellt.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669475

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