Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungszeiten vor dem 1924-01-01
Leitsatz (redaktionell)
Das RVA hat überhaupt keine Vorschriften über die Gültigkeitsdauer alter Beitragsmarken aus der Inflationszeit erlassen.
Nur eine tatsächlich erfolgte und wirksame Beitragsentrichtung in der Zeit vom 1924-01-01 bis zum 1948-11-30 schützt vor dem Verlust der Berücksichtigung der vor dem 1924-01-01 zurückgelegten Versicherungszeiten.
Normenkette
RVO § 1411 Fassung: 1924-12-15; SVAnpG § 4 Abs. 2 Fassung: 1949-06-17
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. Dezember 1960 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Die am 24. Juni 1900 geborene Klägerin war seit Juli 1916 als Hausangestellte und landwirtschaftliche Arbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Ihre am 9. September 1923 ausgestellte Versicherungskarte Nr. 6 enthält 30 Beitragsmarken der Inflationszeit, von denen 28 für Juni bis Dezember 1923 verwendet worden sind, während zwei die Entwertungsdaten vom 3.1.1924 und 10.1.1924 tragen. Insgesamt sind in den Quittungskarten Nr. 1 bis 6 385 Wochenbeiträge verwendet worden. Aufgerechnet wurde die Quittungskarte Nr. 6 am 21. November 1951. Seit 1949 hat sich die Klägerin freiwillig weiterversichert, worüber die Quittungskarten Nr. 7 bis 9 vorliegen.
Am 30. November 1955 beantragte die Klägerin die Gewährung von Invalidenrente. Durch Bescheid vom 10. September 1956 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil die gesetzliche Wartezeit von 60 Beitragsmonaten nicht erfüllt sei. Die seit 1949 entrichteten freiwilligen Beiträge reichten hierzu nicht aus. Die Anwartschaft aus den früheren Beiträgen sei nach § 4 Abs. 2 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes (SVAG) vom 17. Juni 1949 erloschen.
Mit ihrer vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg erhobenen Klage hat sich die Klägerin gegen die Auffassung der Beklagten gewendet, daß in der Zeit vom 1. Januar 1924 bis 30. November 1948 kein rechtsgültiger Beitrag für sie entrichtet worden sei, weil die letzten beiden am 3. und 10. Januar 1924 entwerteten Marken solche aus der Inflationszeit waren; durch die Entwertungsdaten sei erwiesen, daß die Beiträge für 1924 hätten gelten sollen. Auch aus ihrem Dienstbuch ergebe sich, daß ihr Beschäftigungsverhältnis erst am 2. Februar 1924 gelöst worden sei.
Das SG hat der Klage stattgegeben, weil der Umstand, daß vom 31. Dezember 1923 an nur noch neue Beitragsmarken hätten verwendet werden dürfen, nicht zu Lasten der Versicherten gehen könne, nachdem die Beitragsmarken mit dem Einkleben untrennbarer Bestandteil der Quittungskarte geworden seien.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG vom 30. Mai 1958 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die beiden letzten Beitragsmarken der Quittungskarte Nr. 6 mit den Entwertungsdaten vom 3. und 10.1.1924 hätten damals nicht mehr verwendet werden dürfen. Es fehle somit an wirksamen Beiträgen für die Zeit vom 1. Januar 1924 bis 30. November 1948, so daß die Anwartschaft aus den bis Ende 1923 entrichteten Beiträgen sowohl nach § 4 Abs. 2 SVAG als auch nach § 1249 Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) vom 23. Februar 1957 erloschen sei. Mit Rücksicht hierauf sei die gesetzliche Wartezeit nicht erfüllt. Damit entfalle ein Rentenanspruch, obwohl die Klägerin seit Ende 1955 invalide sei.
Im Urteil des LSG ist die Revision zugelassen worden. Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrage,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 13. Dezember 1960 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 30. Mai 1958 zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, zwar enthalte jetzt § 1410 Abs. 4 RVO nF in seinem letzten Halbsatz eine Ermächtigung für den Bundesarbeitsminister, Beitragsmarken nach Ablauf ihrer Gültigkeit für unwirksam zu erklären. Eine solche Ermächtigung sei jedoch für das Reichsversicherungsamt in dem hier noch maßgebenden § 1411 RVO aF nicht enthalten gewesen. Allerdings hätten vom 31. Dezember 1923 an grundsätzlich neue Beitragsmarken verwendet werden müssen. Da die bisherigen Beitragsmarken jedoch nicht ausdrücklich für ungültig erklärt worden seien, hätten sie noch Anfang 1924 rechtswirksam verwendet werden dürfen. Damit sei der Brückenbeitrag vorhanden, der den Verfall der Anwartschaft aus dem vor dem Jahre 1924 geleisteten Beitrage verhindert habe.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen,
da das angefochtene Urteil richtig sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte und nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Revision ist nicht begründet.
Das angefochtene Urteil hat den erhobenen Rentenanspruch im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf § 1411 RVO aF, da das frühere Reichsversicherungsamt überhaupt keine Vorschriften über die Gültigkeitsdauer alter Beitragsmarken aus der Inflationszeit erlassen hat. Vielmehr hatte der damalige Reichsarbeitsminister aufgrund gesetzlicher Ermächtigung in der 11. Verordnung über Gehaltsklassen in der Angestelltenversicherung und Lohnklassen in der Invalidenversicherung vom 20. Dezember 1923 (RGBl I 1235) angeordnet, daß in der Invalidenversicherung vom 31. Dezember 1923 an neue Beitragsmarken in Rentenmark zu verwenden waren. In Art. 6 dieser Verordnung wurde weiter ausdrücklich bestimmt, daß vom 1. Januar 1924 ab auch für Beiträge für die zurückliegende Zeit nur noch die neuen Beitragsmarken verwendet werden durften. Für die nicht mehr gültigen alten Marken wurde - unter Festlegung eines Verrechnungskurses - eine Umtauschfrist bis zum 31. März 1924 bestimmt. Die Auffassung der Klägerin, die alten Beitragsmarken seien über den 31. Dezember 1923 hinaus gültig gewesen und hätten noch rechtswirksam verwendet werden können, ist dadurch widerlegt. An diesem Ergebnis ändert sich auch dann nichts, wenn man mit dem Reichsversicherungsamt (Grundsätzl. Entsch. Nr. 3607 vom 23. Oktober 1929, AN 1930, 27) davon ausgeht, daß ungültig gewordene Marken, die nachweislich innerhalb der Dreimonatsfrist durch Einkleben in die Quittungskarte verwendet worden sind, als zum Umtausch hingegeben zu betrachten sind. Die nach jener Entscheidung für zulässig erachtete Durchführung eines nachträglichen Berichtigungsverfahrens unter Anrechnung des Wertes der alten Marken könnte, selbst wenn sie jetzt nach Ablauf eines derartig langen Zeitraumes, überhaupt noch statthaft wäre, jedenfalls im vorliegenden Falle nichts daran ändern, daß während der Zeit vom 1. Januar 1924 bis zum 30. November 1948 kein wirksamer Beitrag entrichtet war. Nach § 4 Abs. 2 SVAG schützt ebenso wie nach § 1249 RVO nF nur eine tatsächlich erfolgte und wirksame Beitragsentrichtung in der genannten Zeit vor dem Verlust der Berücksichtigung der vor dem 1. Januar 1924 zurückgelegten Versicherungszeiten. Dagegen genügt eine nach sonstigen Vorschriften an sich noch zulässige Nachentrichtung hierfür nicht (BSG 6, 85; 15, 271, 274).
Schließlich konnte die Beklagte sowohl nach § 1445 Abs. 3 RVO aF als auch nach § 1423 Abs. 2 RVO nF die beiden Beiträge in der Quittungskarte Nr. 6 auch noch beanstanden. Die Karte ist erst am 21. November 1951 aufgerechnet worden; die in den genannten Bestimmungen vorgesehene Ausschlußfrist von 10 Jahren für die Beanstandung der in der Aufrechnungsbescheinigung zur Quittungskarte Nr. 6 bescheinigten Marken war somit z. Zt. der Ablehnung des Rentenantrags noch nicht verstrichen.
Da mithin auf die Wartezeit der Klägerin die im Jahre 1929 und früher entrichteten Beiträge nicht angerechnet werden können, ist die Wartezeit nicht erfüllt.
Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen