Leitsatz (amtlich)

Hängt die Gestaltung eines Sozialrechtsverhältnisses von einer einseitigen Erklärung des Versicherten ab (hier: Beitragsnachentrichtung nach AnVNG Art 2 § 49a Abs 2 = ArVNG Art 2 § 51a Abs 2), wird durch diese ein Sozialrechtsverhältnis erst begründet und läßt die Erklärung erkennen, daß der Versicherte sich bereits von einer anderen Stelle (hier: Versicherungsamt) hat sachkundig beraten lassen, so ist der Versicherungsträger zum Hinweis auf andere Gestaltungsmöglichkeiten nur dann verpflichtet, wenn die vom Versicherten gewählte Möglichkeit evident unzweckmäßig ist und ihm auf den ersten Blick erkennbar Nachteile bringt.

 

Normenkette

AnVNG Art 2 § 49a Abs 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art 2 § 51a Abs 2 Fassung: 1972-10-16; SGB 1 § 14 Fassung: 1975-12-11, § 15 Fassung: 1975-12-11; BGB § 242 Fassung: 1896-08-18

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 08.02.1979; Aktenzeichen L 5 A 97/78)

SG Mainz (Entscheidung vom 24.08.1978; Aktenzeichen S 6 A 47/77)

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte wegen einer Verletzung der ihr obliegenden Betreuungspflicht dem Kläger ein höheres Altersruhegeld zu gewähren hat.

Der im September 1911 geborene Kläger ist seit April 1972 als Rechtsanwalt niedergelassen. Im Dezember 1975 beantragte er nach Beratung durch das Versicherungsamt der Stadt Mainz die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen in Höhe von insgesamt DM 33.048,-- für die Zeit von 1960 bis 1973 gemäß Art 2 § 49a Abs 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) idF des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBL I S 1965). Mit Bescheid vom 4. März 1976 entsprach die Beklagte diesem Antrag.

Durch Schreiben vom 30. August 1976 teilte der Kläger der Beklagten mit, er habe gegen den Bescheid vom 4.März 1976 Widerspruch eingelegt und darin zugleich erklärt, er wolle entgegen seinem ursprünglichen Antrag nur noch die Mindestbeiträge von monatlich DM 18,-- für die Zeit von 1960 bis 1973 nachentrichten und mit Vollendung seines 65. Lebensjahres Altersruhegeld beantragen. Durch Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 1977 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. März 1976 als verspätet zurück. Der Kläger erhob deswegen Klage zum Sozialgericht (SG) Mainz. Zugleich beantragte er bei der Beklagten unter Hinweis auf ein Schreiben des Versicherungsamtes der Stadtverwaltung Mainz vom 16. März 1977, wonach die bisher beantragte Nachentrichtung ungünstiger sei, in "Berichtigung des Antrages vom 9. Dezember 1975" die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen für den Zeitraum von 1956 bis einschließlich 1973 in Höhe von insgesamt DM 34.560,--.

Auf den Antrag vom 20. September 1976 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 24. Oktober 1977 für die Zeit ab 1. April 1977 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres in Höhe von monatlich DM 384,30 (ohne Kinderzuschuß) unter Zugrundelegung der nach dem Bescheid vom 4. März 1976 mit nachentrichteten Beiträgen belegten Zeiten. Demgegenüber ergab eine vom SG veranlaßte Probeberechnung der Beklagten auf der Grundlage des "berichtigten" Nachentrichtungsantrages vom 17. März 1977 ein Altersruhegeld (ohne Kinderzuschuß) von monatlich DM 566,60.

Durch Urteil vom 24. August 1978 hat das SG die Beklagte verpflichtet, die vom Kläger auf seinen Antrag vom 3. Dezember 1975 entrichteten Beiträge nach Art 2 § 49a AnVNG so zu verbuchen, daß sich das für den Kläger günstigste Altersruhegeld ergibt, und dieses unter Abänderung des Bescheides vom 24. Oktober 1977 neu festzustellen; im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, bezüglich der Anfechtung des Bescheides vom 4. März 1976 und des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 1977 sei die Klage unbegründet. Hingegen könne der Kläger unter Abänderung des gemäß § 96 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Bescheides vom 24. Oktober 1977 eine Neufeststellung seines Altersruhegeldes unter einer besseren Verwendung des Nachzahlungsbetrages verlangen. Hierzu sei die Beklagte wegen einer Verletzung der ihr gegenüber dem Kläger obliegenden Beratungspflicht verpflichtet.

Mit Urteil vom 8. Februar 1979 hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz die Berufung der Beklagten mit im wesentlichen folgender Begründung zurückgewiesen:

Streitbefangen sei nur noch der gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des Klageverfahrens gewordene Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober (nicht: August) 1977. Er entspreche zwar an sich der objektiven Sach- und Rechtslage. Gleichwohl könne der Kläger die Gewährung eines höheren als des darin festgestellten Altersruhegeldes verlangen. Zwar sei das sich aus § 129 Abs 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) ergebende Recht des Versicherten zur Wahl der Beitragsklasse mit der wirksamen Entrichtung der Beiträge für bestimmte Kalendermonate verbraucht. Der Kläger erstrebe jedoch nicht eine nachträgliche Korrektur des Beitragsbildes. Vielmehr werfe er der Beklagten eine Beeinträchtigung seiner Rechtsstellung dadurch vor, daß sie ihn nicht auf eine dem Verwendungszweck am besten dienende Wahl der Beiträge nach Höhe und zeitlicher Verteilung aufmerksam gemacht habe. Die Beklagte sei nicht generell verpflichtet, vor jeder Entscheidung über einen Antrag auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Optimierungsberechnungen anzustellen und dem Versicherten deren Ergebnisse mitzuteilen. Sie habe jedoch je nach den Umständen des Einzelfalles über die bloße Auskunftspflicht und Beratungspflicht hinaus eine Betreuungspflicht insbesondere dann, wenn sich Gestaltungsmöglichkeiten ergäben, die der Versicherte nicht erkenne, die aber offensichtlich und zweckmäßig seien und von jedem verständigen Versicherten genutzt würden, sofern sie ihm bekannt wären. Im vorliegenden Fall habe der Kläger im Zeitpunkt des Nachentrichtungsantrages bereits das 64. Lebensjahr vollendet gehabt und eine Nachentrichtung von 168 Monatsbeiträgen angeboten. Durch Erweiterung um lediglich 12 Beiträge habe er die Wartezeit für das Altersruhegeld nach § 25 Abs 5 und 7 AVG erfüllen können. Deswegen habe die Beklagte, die im übrigen ohne weiteres einen Überblick über das Beitragsaufkommen des Klägers habe gewinnen können, damit rechnen müssen, daß die Beitragsnachentrichtung allein dem Zweck gedient habe, die Voraussetzungen für den Bezug von Altersruhegeld zum frühestmöglichen Zeitpunkt, also ab Vollendung des 65. Lebensjahres, zu schaffen. Entgegen der Ansicht der Beklagten habe es nicht eines tieferen Eindringens in die individuellen Gegebenheiten bedurft, um zu erkennen, daß eine andere als die vom Kläger angebotene Verteilung der Nachentrichtungsbeiträge eine für ihn günstigere Rentenberechnung erbringen werde. Es sei offensichtlich gewesen, daß das Altersruhegeld des Klägers bei einer Aufteilung der Beiträge auf die Jahre 1956 bis 1973 wesentlich höher ausfallen werde.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine unzutreffende Anwendung des § 14 des Sozialgesetzbuchs, Erstes Buch, Allgemeiner Teil (SGB 1) vom 11. Dezember 1975 (BGBl I S 3015). Der Kläger habe sich wegen der beabsichtigten Beitragsnachentrichtung lediglich durch das Versicherungsamt Mainz beraten lassen. Anfragen an sie - die Beklagte - habe er nicht gerichtet. Damit sei sie nicht zur Erteilung von Hinweisen verpflichtet gewesen, die erst nach intensiver Beschäftigung mit dem Versicherungsverlauf und einer ausführlichen Erörterung der rechtlichen Zusammenhänge gegeben werden könnten. Dem LSG könne nicht darin gefolgt werden, daß zur Erteilung des richtigen Rates ein tieferes Eindringen in den Versicherungsverlauf des Klägers nicht notwendig gewesen sei. Hiermit habe das Berufungsgericht die für eine korrekte Beratung im Sinne seiner Auffassung notwendigen komplizierten Überlegungen verkannt. Zwar sei bei einer allein auf Beiträgen beruhenden Rente eine Aussage über den bestmöglichen Einsatz der zur Verfügung stehenden Geldmittel einfach zu treffen. Bei einer zusätzlich auf beitragslosen Zeiten basierenden Rente sei dies hingegen weitaus schwieriger. Hier komme es entscheidend darauf an, in welcher Weise der für die Abgeltung der beitragslosen Zeiten maßgebende Beitragsdurchschnitt im Zeitpunkt des 31. Dezember 1964 beeinflußt werden könne. Je nach Fallgestaltung könne die Nachentrichtung von Beiträgen für weit zurückliegende Zeiten eine Steigerung des Beitragsdurchschnitts wie auch eine gewisse Minderung zur Folge haben oder sich wirtschaftlich nicht mehr auswirken. Das gelte auch für die vom Kläger beantragte Nachentrichtung. Wenn das LSG eine Nachentrichtung für den gesamten Zeitraum von 1956 bis 1973 als die offensichtlich günstigste und somit naheliegende Gestaltungsmöglichkeit betrachtet habe, so habe es übersehen, daß der Kläger damit auch das Risiko einer Rentenminderung eingegangen sei. Das LSG habe nicht dargelegt, wie es die offensichtlich beste Gestaltungsmöglichkeit ohne Rückgriff auf Probeberechnungen erkannt habe. Eine sichere Voraussage über eine wirtschaftliche und versicherungsrechtlich zweckmäßige Nachentrichtung könne erst nach einer umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Durchdringung des jeweiligen Versicherungsverlaufs getroffen werden. Eine derart weitgehende Betreuungspflicht und Beratungspflicht sprenge den Rahmen des § 14 SGB 1 und lasse sich mit Aufgabenstellung und Organisationsstruktur einer Messenverwaltung nicht vereinbaren. Im übrigen könne nicht übersehen werden, daß die vom Kläger ursprünglich gewählte Nachentrichtung immer noch eine überdurchschnittlich gute Rentensteigerung bewirkt und somit nicht eine offensichtlich unvernünftige Gestaltung des Versicherungsverhältnisses dargestellt habe.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 8. Februar 1979 und Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Mainz vom 24. August 1978 die Klage in vollem Umfange abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und meint, der Beklagten sei unter Berücksichtigung der ihr zu Gebote stehenden technischen Möglichkeiten ohne übermäßigen Zeitaufwand und Arbeitsaufwand erkennbar gewesen, daß der Nachentrichtungsantrag vom Dezember 1975 für ihn - den Kläger - ungünstig gewesen sei.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die durch Zulassung statthafte Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen kann die Klage nicht zum Erfolg führen.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein der Anspruch des Klägers auf Gewährung eines höheren Altersruhegeldes unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 24. Oktober 1977. Hingegen hat der Senat nicht über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 4. März 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 1977 betreffend die Zulässigkeit der Beitragsnachentrichtung zu befinden. Dieser Bescheid ist bindend (§ 77 SGG). Das SG hat die zunächst allein wegen dieses Bescheides erhobene Klage abgewiesen. In diesem Umfang ist sein Urteil rechtskräftig (§ 141 Abs 1 SGG). Der insoweit allein beschwerte Kläger hat ein Rechtsmittel nicht eingelegt.

Der Bescheid vom 24. Oktober 1977 über die Bewilligung des Altersruhegeldes ist - wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben - Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Dies folgt aus § 96 Abs 1 SGG. Hiernach wird, wenn nach Klageerhebung der Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt wird, auch der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Eine unmittelbare Anwendung des § 96 Abs 1 SGG scheidet aus. Der Bescheid vom 24. Oktober 1977 hat denjenigen vom 4. März 1976 weder abgeändert noch ersetzt. Vielmehr ist durch ihn das Altersruhegeld des Klägers gerade auf der Grundlage der gemäß dem Bescheid vom 4. März 1976 nachentrichteten Beiträge festgestellt worden. Unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks des § 96 Abs 1 SGG ist jedoch in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift der Bescheid vom 24. Oktober 1977 Gegenstand des Verfahrens geworden. Dem § 96 Abs 1 SGG liegen im wesentlichen zwei Erwägungen zugrunde. Die Einbeziehung des neuen Verwaltungsaktes soll einmal einer sinnvollen Prozeßökonomie durch ein schnelles und zweckmäßiges Verfahren sowie zugleich einer Verhütung abweichender gerichtlicher Entscheidungen zum alten und zum neuen Bescheid dienen. Zum anderen soll der Betroffene vor möglichen Rechtsnachteilen geschützt werden, wenn er im Vertrauen auf den schon eingelegten Rechtsbehelf weitere Schritte gegen den neuen Bescheid unterläßt. Unter Berücksichtigung dieser Grundgedanken ist die entsprechende Anwendung des § 96 Abs 1 SGG schon dann geboten und gerechtfertigt, wenn der neue Verwaltungsakt wenigstens den Streitstoff (den Prozeßstoff, das Prozeßziel) des bereits anhängigen Rechtsstreits beeinflußt bzw berührt, so daß zumindest ein innerer Zusammenhang besteht. Das muß jedenfalls dann gelten, wenn die Einbeziehung des neuen Verwaltungsaktes in das Verfahren dem Willen der Beteiligten entspricht (vgl BSGE 47, 168, 170 f = SozR 1500 § 96 Nr 13 S 20 mit ausführlichen Hinweisen auf die vorhergehende Rechtsprechung des BSG). Der Bescheid vom 24. Oktober 1977 steht mit demjenigen vom 4. März 1976 in einem inneren Zusammenhang. Die Höhe des dem Kläger zustehenden Altersruhegeldes hängt maßgeblich davon ab, ob er seiner Auffassung gemäß zur Beitragsnachentrichtung abweichend von dem Bescheid vom 4. März 1976 berechtigt ist. Die Einbeziehung des Bescheides vom 24. Oktober 1977 in das Klageverfahren hat auch dem Willen der Beteiligten entsprochen. Der Kläger hat sich vor dem SG ausdrücklich gegen diesen Bescheid gewandt und die Beklagte sich auf dieses Vorbringen sachlich eingelassen. Der Altersruhegeldbescheid ist somit Gegenstand des Verfahrens geworden.

Der Bescheid vom 24. Oktober 1977 ist nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung eines höheren Altersruhegeldes.

Auf der Grundlage der entsprechend dem Bescheid vom 4. März 1976 nachentrichteten bzw nachzuentrichtenden Beiträge steht dem Kläger ein höheres Altersruhegeld nicht zu. Das ist unter den Beteiligten nicht streitig. Der Kläger begehrt ein höheres Altersruhegeld lediglich unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Auch hiermit kann er jedoch nicht durchdringen.

Das richterrechtliche Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs beruht im wesentlichen auf folgenden Erwägungen: Bereits vor der ausdrücklichen Normierung der Ansprüche auf Beratung und Auskunft durch §§ 14, 15 des am 1. Januar 1976 in Kraft getretenen SGB 1 sind mit der Begründung eines Sozialrechtsverhältnisses hieraus insbesondere nach dem Grundsatz von Treu und Glauben für den Versicherungsträger bestimmte Nebenpflichten erwachsen. Dazu zählt ua die Pflicht zur Auskunft und Beratung sowie zur "verständnisvollen Förderung" des Versicherten. Bei Vorliegen eines konkreten Anlasses hat der Versicherungsträger den Versicherten auf solche Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die klar zutage liegen und deren Wahrnehmung offenbar so zweckmäßig ist, daß jeder verständige Versicherte sie mutmaßlich nutzen würde. Verletzt der Versicherungsträger diese ihm obliegende Nebenpflicht, so kann dem Versicherten daraus ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch erwachsen. Dieser ist auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung desjenigen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm aus dem Versicherungsverhältnis erwachsenen Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Dabei ist allerdings Voraussetzung, daß die Verletzung der Nebenpflicht ursächlich für einen Schaden des Versicherten gewesen ist. Zudem muß sich der Versicherungsträger bei Vornahme der Amtshandlung im Rahmen von Gesetz und Recht halten; eine dem widersprechende Amtshandlung kann im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht begehrt werden (vgl aus der umfangreichen Rechtsprechung ua BSGE 41, 126, 127 f = SozR 7610 § 242 Nr 5 S 3 f; BSGE 41, 260, 262 = SozR 4100 § 151 Nr 3 S 5 f; BSG SozR 4100 § 44 Nr 9 S 28 ff; BSG SozR 5850 § 26 Nr 2 S 5 f; BSG SozR 2200 § 1286 Nr 3 S 10 f; BSGE 44, 114, 120 f = SozR 2200 § 886 Nr 1 S 7 f; BSGE 46, 124, 125 f = SozR 2200 § 1290 Nr 11 S 14; BSGE 46, 175, 177 f = SozR 2200 § 1241 Nr 8 S 20; BSGE 47, 194, 200 = SozR 2200 § 1399 Nr 11 S 20; Urteile des BSG vom 12. Oktober 1979 - 12 RK 47/77 -; vom 28.November 1979 - 3 RK 64/77 -; jeweils mwN).

Der Senat hat - unterstellt, die Beklagte habe eine Nebenverpflichtung aus dem durch den Antrag des Klägers auf Beitragsnachentrichtung begründeten Sozialrechtsverhältnis (vgl BSG SozR 4100 § 44 Nr 9 S 28; BSGE 46, 124, 126 = SozR 2200 § 1290 Nr 11 S 14) verletzt - Bedenken, ob dem Kläger in diesem Falle ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch auf Erteilung eines Bescheides über die Gewährung eines höheren Altersruhegeldes zustehen könnte. Diese Bedenken beruhen auf zwei Erwägungen. Einmal ist zu berücksichtigen, daß der Kläger ausweislich der Gründe des insoweit rechtskräftigen Urteils des SG Mainz vom 24. August 1978 den Bescheid der Beklagten vom 4. März 1976 verspätet angefochten und somit den Eintritt der Bindungswirkung dieses Bescheides durch sein eigenes Verhalten verursacht hat. Sein allein noch streitiges Begehren läuft im rechtlichen Ergebnis darauf hinaus, so gestellt zu werden, als sei der Bescheid vom 4. März 1976 nicht in Bindungswirkung erwachsen und damit er (Kläger) zu einer davon abweichenden Beitragsnachentrichtung befugt. Das würde im Falle der Entscheidungserheblichkeit die Frage aufwerfen, ob der Geltendmachung des Herstellungsanspruchs nicht der Einwand des Widerspruchs gegen früheres Verhalten ("venire contra factum proprium") entgegensteht. Zum anderen kann im Wege des Herstellungsanspruchs die Vornahme einer gesetzwidrigen Amtshandlung nicht begehrt werden (BSGE 44, 114, 121 = SozR 2200 § 886 Nr 1 S 9). Unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt begegnet das Begehren des Klägers wiederum aus zwei Gründen Bedenken. Einmal gehört zu den von der Beklagten zu beachtenden Vorschriften auch § 77 SGG. Hiernach ist der Bescheid vom 4. März 1976 nicht nur für den Kläger, sondern ebenso für die Beklagte bindend. Damit wäre gegebenenfalls zu prüfen, ob die Beklagte im Wege des Herstellungsanspruchs verpflichtet werden könnte, das Altersruhegeld des Klägers unter Nichtbeachtung der Bindungswirkung des Bescheides vom 4. März 1976 so festzustellen, als sei er zu einer davon abweichenden Beitragsnachentrichtung berechtigt gewesen. Zum anderen ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine nachträgliche Aufstockung, Aufspaltung, Zusammenlegung oder Verschiebung bereits entrichteter Beiträge unzulässig. Das gilt nicht nur im Rahmen der allgemeinen Nachentrichtungsvorschriften (§§ 140 ff AVG), sondern auch für die außerordentlichen Nachentrichtungsvorschriften in der gesetzlichen Rentenversicherung mit Einschluß des Art 2 § 49a AnVNG (vgl BSGE 47, 207, 208 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 24; Urteil vom 13.September 1979 - 12 RK 60/78 -; jeweils mwN). Auch dies wirft die Frage auf, ob die Beklagte durch eine eventuelle Verurteilung zur Neufeststellung des Altersruhegeldes unter Zugrundelegung anderer als der nach dem Bescheid vom 4. März 1976 mit nachentrichteten Beiträgen belegten Zeiten nicht zur Vornahme einer rechtswidrigen Amtshandlung verpflichtet würde. Dabei kann allerdings nicht außer acht gelassen werden, daß das angefochtene Urteil keine tatsächlichen Feststellungen zu der Frage enthält, ob der Kläger bis zum Erlaß des Bescheides vom 24. Oktober 1977 die Beiträge gemäß Bescheid vom 4. März 1976 tatsächlich entrichtet hat.

Diese mehrfachen Bedenken können indes letztlich auf sich beruhen. Die Beklagte ist aus einem anderen Grunde nicht zur Gewährung eines höheren Altersruhegeldes verpflichtet. Sie hat eine ihr gegenüber dem Kläger obliegende Nebenverpflichtung aus dem Sozialrechtsverhältnis nicht verletzt.

Es trifft zu, daß die Beitragsnachentrichtung gemäß dem Bescheid vom 4. März 1976 jedenfalls rückschauend betrachtet nicht die dem Kläger günstigste Gestaltungsmöglichkeit dargestellt hat. Das ergibt sich insbesondere aus der dem SG mit Schriftsatz der Beklagten vom 8. März 1978 eingereichten Probeberechnung. Hiernach hätte der Kläger bei einer Beitragsnachentrichtung für die Jahre 1956 bis 1973 gemäß seinem "berichtigten Antrag" vom 17. März 1977 gegen einen relativ geringen Beitragsmehraufwand von Beginn der Bezugszeit an ein wesentlich höheres Altersruhegeld erhalten können.

Ihn darauf hinzuweisen hat die Beklagte jedoch keinen konkreten Anlaß gehabt. Zunächst hat es an einem solchen Anlaß in Form eines Auskunftsersuchens des Klägers gefehlt. Zwar hat der Kläger während des Klageverfahrens und Berufungsverfahrens behauptet, er habe schon im Dezember 1975 bei der Auskunftsstelle und Beratungsstelle der Beklagten in Mainz vorgesprochen, dort aber wegen Zeitmangels nicht beraten werden können. Das angefochtene Urteil enthält jedoch keine diesbezüglichen Tatsachenfeststellungen. Angesichts dessen kann dahinstehen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Versicherte, der sich vergeblich um eine Beratung durch den Versicherungsträger bemüht, so zu behandeln ist, als habe er konkret um eine Auskunft nachgesucht.

Ein konkreter Anlaß für die Beklagte, den Kläger auf die ihm günstigere Möglichkeit der Nachentrichtung von Beiträgen für die Jahre 1956 bis 1973 hinzuweisen, hat auch nicht deswegen bestanden, weil es sich hierbei um eine klare Gestaltungsmöglichkeit gehandelt hat und ihr gegenüber die Beitragsnachentrichtung gemäß dem Bescheid vom 4. März 1976 offensichtlich ungünstiger gewesen ist. Die insofern im Revisionsverfahren nachprüfbare (BSGE 46, 124, 126 = SozR 2200 § 1290 Nr 11 S 14) entgegengesetzte Rechtsansicht des Berufungsgerichts teilt der Senat nicht.

Das LSG hat zunächst folgendes unbeachtet gelassen: Der Antrag auf Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 49a AnVNG mag zwar materiell-rechtliche Bedeutung in dem Sinne haben, daß erst mit der Stellung des Antrages das Nachentrichtungsrecht entsteht, sofern seine Voraussetzungen im übrigen erfüllt sind (so Urteil des BSG vom 23. November 1979 - 12 RK 29/78 -; offen gelassen in BSGE 45, 247, 248 f = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 17 S 24 f). Jedenfalls ist für die Entstehung des Nachentrichtungsrechtes nicht auch noch der Erlaß eines Bescheides des Versicherungsträgers erforderlich. Ein gleichwohl ergehender Bescheid hat lediglich feststellende, nicht hingegen materiell-rechtliche und damit konstitutive Bedeutung (BSGE 45, 247, 248 f = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 17 S 24 f). Damit ist die Ausübung des dem Versicherten in Art 2 § 49a AnVNG eingeräumten Antragsrechts ein bis zum 31. Dezember 1975 befristetes Recht auf Abgabe einer einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärung zur rückwirkenden Gestaltung des Versicherungsverhältnisses, die ihre Wirkung bereits mit dem Zugang bei dem zuständigen Versicherungsträger entfaltet (Urteile des BSG vom 13. September 1979 - 12 RK 60/78 - und vom 30. Januar 1980 - 12 RK 16/79 -). Willenserklärungen des Versicherten können in ihrer rechtlichen Bewertung nicht ohne weiteres den Hoheitsakten der Versicherungsträger gleichgestellt werden (vgl auch BSG SozR 2200 § 1407 Nr 2 S 6). Das muß auch in bezug auf die Beratungspflicht und Hinweispflicht des Versicherungsträgers gelten. Er ist zur Beratung und Förderung des Versicherten in erster Linie dann verpflichtet, wenn seine Entscheidung konstitutive Wirkung hat und die bestmögliche Gestaltung des Versicherungsverhältnisses damit maßgebend von seinem (des Versicherungsträgers) Verhalten abhängt. Dasselbe mag auch dann gelten, wenn diese Gestaltung von einer einseitigen Erklärung des Versicherten abhängt und ein Sozialrechtsverhältnis mit den sich daraus ergebenden Nebenpflichten schon vorher bestanden hat. Wird jedoch wie im vorliegenden Fall das Sozialrechtsverhältnis erst durch die Abgabe der Erklärung begründet, so besteht eine Belehrungspflicht des Versicherungsträgers nicht im gleichen Umfange. Das muß insbesondere dann gelten, wenn die Erklärung erkennen läßt, daß der Versicherte sich von einer anderen Stelle wie zB dem Versicherungsamt hat sachkundig beraten lassen und aufgrund dieser Beratung eine bestimmte Vorstellung über die Gestaltung seines Versicherungsverhältnisses gebildet hat (vgl auch BayLSG in Mitteilungen der LVA Oberfranken 1978, 165). In diesem Fall kann der Versicherungsträger zum Hinweis auf andere Gestaltungsmöglichkeiten nur dann verpflichtet sein, wenn die vom Versicherten gewählte Möglichkeit evident unzweckmäßig ist und ihm auf den ersten Blick erkennbar Nachteile bringt.

Vorliegend ist dies entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht der Fall. Das LSG hat ausgeführt, die Beklagte habe erkennen können und damit rechnen müssen, daß der Kläger mit der Beitragsnachentrichtung die Voraussetzungen für den Bezug von Altersruhegeld zum frühestmöglichen Zeitpunkt habe schaffen wollen und alsbald nach Genehmigung der Nachentrichtung einen Rentenantrag stellen werde. Dieser Schluß ist nicht zwingend. In seinem Antrag vom 9. Dezember 1975 hat der Kläger angegeben, er sei "bis heute und weiterhin" als Rechtsanwalt tätig. Ebenso ist nach dem Schreiben des Versicherungsamts Mainz an die Beklagte vom 16. März 1977 jedenfalls im Zeitpunkt der Antragstellung davon ausgegangen worden, daß der seit April 1972 als Rechtsanwalt tätige Kläger "mindestens fünf Jahre Selbständigkeit" erreichen werde. Schon aus diesem Grunde hat die nach Ansicht des Berufungsgerichts gebotenen Schlußfolgerungen nicht notwendigerweise auch die Beklagte ziehen müssen.

Hinzu kommt ein weiteres: Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat der Kläger entsprechend dem Schreiben des Versicherungsamts Mainz vom 16. März 1977 seinen Nachentrichtungsantrag erst "berichtigt", nachdem sich "mittlerweile herausgestellt" hatte, daß die ursprüngliche Empfehlung des Versicherungsamts für ihn ungünstig gewesen ist. Dieser Erkenntnis ist demnach eine erneute sachliche Überprüfung der Angelegenheit durch das Versicherungsamt vorausgegangen. Die Vorinstanzen haben ihre Ansicht, daß die vom Kläger gewählte Art der Beitragsnachentrichtung nicht die für ihn günstigste Gestaltungsmöglichkeit gewesen sei, maßgebend auf die von der Beklagten erstellte Probeberechnung gestützt. Auch insoweit hat es damit einer umfassenden Überprüfung und Neuberechnung bedurft. Diese Umstände widerlegen die Auffassung, daß die vom Kläger gemäß dem Bescheid vom 4. März 1976 durchgeführte Beitragsnachentrichtung offensichtlich und ohne weiteres erkennbar unzweckmäßig gewesen ist. Dies hat sich erst aufgrund einer nochmaligen Überprüfung ergeben. Dabei ist nach dem Schreiben des Versicherungsamts Mainz vom 16. März 1977 nicht auszuschließen, daß diese nochmalige Überprüfung sogar erst nachträglich durch eine Änderung der Vorstellungen und Absichten des Klägers insbesondere bezüglich des Rentenbeginns veranlaßt worden ist, die bei Stellung des Antrages vom 9. Dezember 1975 noch gar keine Rolle gespielt haben. Dafür spricht, daß der Kläger auch schon während des Verwaltungsverfahrens sein Nachentrichtungsbegehren modifiziert hat (vgl Antrag vom 15. September 1976). All diese Umstände lassen allenfalls den Schluß zu, daß sich aufgrund des Ergebnisses einer nachträglichen Überprüfung unter Berücksichtigung auch neuer rechtserheblicher Tatsachen eine Beitragsnachentrichtung gemäß dem Bescheid vom 4. März 1976 im nachhinein als unzweckmäßig erwiesen hat. Daß es sich hierbei jedoch schon im Zeitpunkt der Antragstellung um eine offenkundig und auf den ersten Blick erkennbar ungünstige Gestaltung gehandelt hat, läßt sich nicht feststellen. Damit ist die Beklagte nicht verpflichtet gewesen, von sich aus den Kläger auf andere Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen.

Sie hat somit eine ihr gegenüber dem Kläger obliegende Hinweispflicht nicht verletzt. Jedenfalls aus diesem Grunde hat der Kläger keinen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auf Gewährung eines höheren als des ihm durch Bescheid vom 24. Oktober 1977 bewilligten Altersruhegeldes. Seine hierauf gerichtete Klage ist unter Aufhebung bzw Abänderung der Urteile der Vorinstanzen abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 88

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