Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung des Sozialhilfeträgers. Überleitung von Ansprüchen nach § 90 BSHG
Orientierungssatz
1. Bei einer zulässigen Revision sind, bevor sachlich-rechtlich über den streitigen Anspruch entschieden werden kann, von Amts wegen solche Mängel zu berücksichtigen, die zur Unwirksamkeit des Urteils führen. Zu diesen von Amts wegen zu berücksichtigenden Mängeln zählt die Unterlassung einer notwendigen Beiladung.
2. Bei einem Rechtsstreit über den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe ist der Sozialhilfeträger nach § 75 Abs 2 SGG notwendig beizuladen, wenn der Sozialhilfeträger Sozialhilfe gewährt hat und mit der Gewährung der Beklagten die Überleitung des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe in Höhe seiner Aufwendungen nach § 90 BSHG in der bis zum 30. Juni 1983 geltenden Fassung angezeigt hat.
3. Zur Frage der Anwendung der §§ 86 ff SGB 10 auf noch nicht abgeschlossene Verfahren (Art 2 § 21 SGB 10), bei denen eine Überleitung von Ansprüchen (§ 90 BSHG) nach bisherigem Recht erfolgt ist.
Normenkette
SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03; BSHG § 90; SGB 10 § 86 Fassung: 1982-11-04; SGB 10 Art 2 § 21 Fassung: 1982-11-04
Verfahrensgang
SG Oldenburg (Entscheidung vom 30.05.1983; Aktenzeichen S 4a Ar 73/83) |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Arbeitslosenhilfe (Alhi).
Die 1956 geborene Klägerin durchlief erfolgreich die Lehrerausbildung, wie sie das Niedersächsische Gesetz zur vorläufigen Regelung des öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses in der einphasigen Lehrerausbildung vom 31. Mai 1978 (Nieders GVBl 1978, 451) vorsah. Für den dritten Studienabschnitt vom 1. April 1981 bis 30. September 1982 wurde die Klägerin in das gesetzlich vorgesehene öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnis zum Land Niedersachsen berufen und erhielt Bezüge wie eine Lehramtsanwärterin. Innerhalb dieser Zeit nahm die Klägerin vom 10. August 1981 bis 31. Januar 1982 an einem Unterrichtsvorhaben teil, in dem sie zwölf Wochenstunden Unterricht zu Ausbildungszwecken erteilte. Für diesen Abschnitt wurden auch Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abgeführt. Die Klägerin blieb während des gesamten dritten Studienabschnitts eingeschriebene Studentin.
Zum 1. Oktober 1982 meldete sich die Klägerin arbeitslos. Ihren Alhi-Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 15. Dezember 1982, Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 1983). Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil vom 30. Mai 1983).
Zur Begründung seines Urteils hat das Sozialgericht (SG) ausgeführt, die Klägerin erfülle die Anspruchsvoraussetzungen nicht. Sie habe in der einjährigen Rahmenfrist weder 150 Tage in einer Beschäftigung gestanden, noch eine Zeit zurückgelegt, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen könne. Zwar sei die Zeit der unterrichtspraktischen Tätigkeit anwartschaftsbegründend, von dieser Zeit fielen aber nur 123 Kalendertage in die einjährige Rahmenfrist. Die übrige Zeit des öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses erfülle nicht die erforderlichen Voraussetzungen. Außerhalb des Unterrichtspraktikums sei die Klägerin nicht wie eine Arbeitnehmerin weisungsgebunden gewesen. Die Zeit nach der Praxisphase sei vielmehr durch den Besuch von Lehrveranstaltungen und die Vorbereitung auf die Prüfung geprägt gewesen. Ebenso stehe nur die Zeit des Unterrichtspraktikums, nicht dagegen die Zeit danach einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis gleich. In der Zeit nach dem Praktikum habe sich die Klägerin nicht im Dienste des Landes Niedersachsen befunden; die wesentlichen Rechte und Pflichten aus dem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis hätten zudem geruht. Die verbleibenden Rechte und Pflichten reichten nicht aus, um dem öffentlichrechtlichen Ausbildungsverhältnis auch in der Zeit nach dem Unterrichtspraktikum inhaltlich den Charakter eines Dienstverhältnisses zu verleihen. Dieses Ergebnis sei vom Sinn und Zweck des § 134 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) her gerechtfertigt und stelle auch keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Grundgesetz dar. Das öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnis der einphasigen Lehrerausbildung und das Referendariat der zweiphasigen Lehrerausbildung sei eben nicht durchgehend vergleichbar.
Das SG hat die Sprungrevision zugelassen, die die Klägerin mit Zustimmung der Beklagten eingelegt hat.
Die Klägerin rügt einen Verstoß gegen § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 4b AFG, da das öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnis während des gesamten dritten Studienabschnitts durchgehend ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis darstelle. Die Vorschriften für Beamte auf Widerruf im Vorbereitungsdienst seien auf das öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnis entsprechend anwendbar. Dies gelte auch für die Zeit nach dem Unterrichtspraktikum, wie aus den übrigen fortbestehenden Rechten und Pflichten ersichtlich sei. Hinzu komme, daß die Referendare im Vorbereitungsdienst Beamte auf Widerruf seien, und die einphasige Lehrerausbildung der zweiphasigen gleichwertig sein solle.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG sowie die ergangenen Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. Oktober 1982 Alhi zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Allerdings sei das öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnis zu keiner Zeit ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis gewesen, da ersterem wesentliche Merkmale fehlten. Im übrigen sei es unvertretbar, diejenigen immatrikulierten Studenten, die eine außerhalb ihres Studiums vorgeschriebene praktische Tätigkeit in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis abzuleisten hätten, besser zu behandeln, als diejenigen, die die gleiche Tätigkeit in einem privatrechtlichen Ausbildungsverhältnis absolvierten (vgl BSG SozR 2200 § 172 Nr 12). Dagegen sei die hiervon abweichende Behandlung des Referendariats sachgerecht, da das öffentlichrechtliche Dienstverhältnis eines Beamten auf Widerruf seiner sozialen Funktion nach weitgehend einem Beschäftigungsverhältnis entspreche.
Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, daß die Stadt Oim Januar 1983 der Beklagten schriftlich angezeigt hat, daß sie der Klägerin seit dem 22. Dezember 1982 Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt und gemäß § 90 Bundessozialhilfegesetz (BSGH) bzw §§ 1531 ff Reichsversicherungsordnung (RVO) Ersatzanspruch auf die von der Beklagten zu gewährenden Leistungen erhebt.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin führt zur Zurückverweisung der Sache an das SG, ohne daß der Senat zur Sachentscheidung Stellung zu nehmen vermag.
Bei einer zulässigen Revision sind, bevor sachlich-rechtlich über den streitigen Anspruch entschieden werden kann, die Voraussetzungen zu prüfen, von denen die Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt. Die Klägerin hat ihre Revision zwar nicht auf einen Verfahrensmangel gestützt, was bei der Sprungrevision im allgemeinen auch nicht zum Erfolg zu führen vermag (§ 161 Abs 4 SGG; dazu BSG SozR 1500 § 161 Nr 26); jedoch hat das Revisionsgericht solche Mängel, die zur Unwirksamkeit des Urteils führen, von Amts wegen zu berücksichtigen, und zwar unabhängig davon, ob das Urteil aufgrund einer Revision oder einer Sprungrevision ergeht. Zu diesen von Amts wegen zu berücksichtigenden Mängeln zählt die Unterlassung einer notwendigen Beiladung (seit BSG SozR 1500 § 75 Nr 1 ständige Rspr; BVerwG Buchholz 310 § 65 VwGO Nr 31). Dem SG ist entgangen, daß an dem Rechtsstreit, soweit dieser den Anspruch auf Alhi ab 22. Dezember 1982 betrifft, der Sozialhilfeträger, der der Klägerin ab 22. Dezember 1982 Sozialhilfe gewährt hat und mit der Gewährung der Beklagten die Überleitung des Anspruchs auf Alhi in Höhe seiner Aufwendungen nach § 90 BSHG in der bis zum 30. Juni 1983 geltenden Fassung angezeigt hat, derart beteiligt ist, so daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann und der Sozialhilfeträger (bzw die für die Sozialhilfe zuständige Behörde, sofern sie nach § 70 Nr 3 SGG und dem einschlägigen Landesrecht fähig ist, am Verfahren beteiligt zu sein) gemäß § 75 Abs 2 SGG notwendig zum Rechtsstreit beizuladen ist.
Diese Überleitung ist nicht hinfällig geworden, weil gemäß Art II § 21 des Sozialgesetzbuches (SGB) - Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten - vom 4. November 1982 (BGBl I 1450) bereits begonnene Verfahren nach den durch dieses Gesetz eingeführten Vorschriften der §§ 86 ff SGB X zu Ende zu führen sind. Die Neuregelung erfaßt zwar alle Verfahren, die noch nicht endgültig abgeschlossen sind. Das mag deshalb auch für Verfahren gelten, die noch vor den Gerichten anhängig sind (Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/von Wulffen, Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren -, Erg-Bd, Anm zu Art II § 21; vgl BSGE 52, 98 = SozR 1200 § 51 Nr 11 für Art II § 37 des Gesetzes vom 18. August 1980, BGBl I 1469). Dennoch hat dies nicht zur Folge, daß eine nach bisherigem Recht vorgenommene Überleitung aufgrund der Neufassung des § 90 Abs 1 Satz 1 BSHG, nach der nur noch eine Überleitung gegenüber Personen möglich ist, die nicht Leistungsträger im Sinne von § 12 SGB I sind, gegenstandslos geworden ist und dem Sozialhilfeträger die Möglichkeit gegeben ist, seine Ansprüche im Wege eines Erstattungsanspruchs gemäß §§ 102 ff SGB X geltend zu machen. Dem steht schon entgegen, daß hier weder die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige im Streit steht noch aus der Überleitung selbst Rechte geltend gemacht werden. Streitgegenstand ist vorliegend vielmehr die Frage, ob der Klägerin die begehrten Leistungen zustehen. Ein Verfahren im Sinne von Art II § 21 des Gesetzes vom 4. November 1982 (BGBl I 1450) ist daher nicht anhängig. Außerdem kann sich diese Überleitungsvorschrift nur auf Erstattungsansprüche, dh auf Ansprüche, die der betreffende Leistungsträger kraft originären Rechts geltend macht, auswirken. Nicht davon erfaßt sein können Ansprüche, die der Leistungsträger aufgrund eines Forderungsüberganges erworben hat. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß mit der vorstehend angeführten Überleitungsvorschrift ein Rechtsübergang rückgängig gemacht werden sollte, der bereits erfolgt ist (Schroeder-Printzen/usw, aaO, Anm 9 vor § 102). Ob dies auch gilt, wenn die Überleitungsanzeige angefochten wird, kann hier dahinstehen, da dies nicht geschehen ist. Der Senat setzt sich damit nicht in Widerspruch zu dem Urteil des 4. Senats vom 1. Dezember 1983 - 4 RJ 91/82 -, denn diese Entscheidung betraf einen nach § 1531 RVO aF erhobenen Erstattungsanspruch, den der Leistungsträger kraft originären Rechts geltend machen konnte.
Bei dem Schreiben der Stadt O handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der den Übergang des Anspruchs auf Alhi der Klägerin in Höhe der ihr gewährten Hilfe zum Lebensunterhalt auf den Sozialhilfeträger bewirken soll, sofern die Klägerin einen entsprechenden Anspruch hat. Dem Schreiben ist zu entnehmen, daß die Stadt O den Übergang des Anspruchs auf Alhi von der Klägerin auf sich bewirken wollte. Zwar hat sie einen "Ersatzanspruch" erhoben. Die ausdrückliche Bezugnahme auf § 90 BSHG läßt jedoch hinreichend erkennen, daß sie einen übergeleiteten fremden Anspruch geltend machen will und nicht einen Ersatzanspruch. Für den letzteren bestand im übrigen keine Rechtsgrundlage, da nach der damaligen Rechtslage der gesetzliche Ausgleich zwischen dem zunächst zur Leistung verpflichteten Sozialhilfeträger und dem Dritten in § 90 BSHG aF besonders geregelt war (vgl BSGE 41, 237 = SozR 5910 § 90 Nr 2). Da außerdem auch die Hilfe, wegen der die Überleitung erfolgt, angegeben wird, sind die Anforderungen, die an eine Überleitungsanzeige zu stellen sind, erfüllt (BVerwGE 34, 219, 225; 42, 198, 200).
Wie der Senat bereits entschieden hat (SozR 1500 § 75 Nr 37), sagt die Überleitung nichts über Bestand, Höhe und Inhalt des übergeleiteten Anspruchs aus, sondern bewirkt lediglich den Gläubigerwechsel. Der Anspruch wird durch die Überleitung nicht verändert. Dem Schuldner verbleiben alle Rechtseinwendungen auch gegenüber dem Sozialhilfeträger, wie sie ihm gegenüber dem eigentlichen Anspruchsinhaber zustanden. Der Sozialhilfeträger kann den übergeleiteten Anspruch nur in dem Maße und unter denselben Voraussetzungen geltend machen wie der Hilfeempfänger. Die Befugnis der Beklagten, Ansprüche auf Leistungen nach dem AFG durch Verwaltungsakt zu regeln, wird daher durch die Überleitung eines solchen Anspruchs nicht beeinträchtigt. Hinsichtlich des übergeleiteten Anspruchs kommt dem Sozialhilfeträger nur die Stellung zu, die auch dem Hilfeempfänger gegenüber seinem Schuldner zusteht. Damit greift jede gerichtliche Entscheidung über die hier streitige Leistung, die den Grund des Anspruchs betrifft, in die Rechtssphäre des Trägers der Sozialhilfe unmittelbar ein. Der Träger der Sozialhilfe ist mithin an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, daß nach dem sachlichrechtlichen Inhalt des Begehrens der Klägerin eine Entscheidung des Rechtsstreits möglich ist, die auch gegenüber dem Träger der Sozialhilfe nur einheitlich ergehen kann. Der Träger der Sozialhilfe muß daher zum Rechtsstreit beigeladen werden.
Da Beiladungen im Revisionsverfahren in Angelegenheiten der Alhi gemäß § 168 SGG unzulässig sind, führt der Verfahrensmangel ohne weiteres zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an ein Instanzgericht, damit dieses die Beiladung nachholen kann. Mangels Beteiligung aller am Verfahren Betroffenen ist es dem Senat verwehrt, zur materiell-rechtlichen Seite Stellung zu nehmen. Die Beteiligten und das Instanzgericht werden jedoch auf die Urteile des Senats vom 22. Februar 1984 - 7 RAr 8/83 - und vom 12. April 1984 - 7 RAr 34/83 - hingewiesen, die Ansprüche bei Arbeitslosigkeit von Absolventen der früheren niedersächsischen einphasigen Lehrerausbildung behandeln. Mit Rücksicht auf diese Entscheidungen besteht keine Veranlassung, die Sache gemäß § 170
Abs 4 SGG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zu verweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre, so daß an das SG zurückzuverweisen ist, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Fundstellen