Entscheidungsstichwort (Thema)
Pauschalierung der Lohnsteuer für Aushilfskräfte in der Landwirtschaft und Beitragsberechnung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die von einem Landwirt an landwirtschaftliche Aushilfskräfte gezahlten Bezüge, die gemäß LStDV 1959 § 35b Abs 1 Nr 1 Buchst b pauschal besteuert worden sind, können nur dann bei der Beitragsberechnung unberücksichtigt bleiben, wenn sie zu den in RFM/RAMErl 1944-09-10 Abschn 1 Nr 4 aufgeführten Bezügen gehören. Hierzu rechnen grundsätzlich nur Bezüge, bei denen die Pauschalbesteuerung wegen der Eigenart des konkreten Bezuges zugelassen ist, nicht aber solche Bezüge, bei denen die Pauschalbesteuerung im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis zugelassen ist.
Zur Versicherungspflicht von Aushilfskräften bei Pauschalbesteuerung der Bezüge.
2. Die in LStDV § 35b Abs 1 Nr 1 Buchst b enthaltene Ermächtigung zur Zulassung der Pauschalbesteuerung von Bezügen an kurzfristig beschäftigte Arbeitnehmer stellt keine Zulassung der Pauschalbesteuerung iS des RFM/RAMErl 1944-09-10 Abschn 1 Nr 4 dar, so daß eine solche Besteuerung die Entgelteigenschaft des den Aushilfskräften gewährten Arbeitslohnes nicht beseitigt.
Normenkette
RFM/RAMErl 1944-09-10 Abschn. 1 Nr. 4; LStDV § 35b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b; LStDV 1959 § 35b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b
Tenor
Auf die Revisionen der Beklagten und der beigeladenen Landesversicherungsanstalt wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 27. Juni 1968 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Streitig ist, ob die Klägerin für die bei ihr in den Jahren 1963 und 1964 bei der Obsternte und beim Obstsortieren beschäftigten Beigeladenen zu 3) bis 10) Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen hat. Die Klägerin hat gegen den dahingehenden Bescheid der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Widerspruch erhoben; dieser wurde am 16. September 1965 zurückgewiesen. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 7.12.1967), das Landessozialgericht (LSG) hat ihr stattgegeben (Urteil vom 27.6.1968). Zur Begründung hat es ausgeführt:
Nach dem Lohnkontobuch der Klägerin habe diese die Arbeitslöhne der Beigeladenen zu 3) bis 10) in den Jahren 1963/64 mit Genehmigung des Finanzamtes Lübeck pauschal besteuert. Diese im Einzelfall getroffene Ermessensentscheidung des Finanzamtes entspreche der allgemeinen Verwaltungspraxis und finde ihre rechtliche Grundlage in § 40 Abs. 2 Ziff. 3 des Einkommenssteuergesetzes (EStG) idF von 1957, die die Pauschalbesteuerung von Bezügen aushilfsweise beschäftigter Arbeitnehmer zulasse, und in § 35b Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. b der Lohnsteuerdurchführungsverordnung (LStDVO) 1959, wonach ein Pauschalsteuersatz erhoben werden könne, wenn Bezüge an kurzfristig beschäftigte Arbeitnehmer gezahlt würden. Diese bundeseinheitliche Regelung werde nicht dadurch berührt, daß von der in Art. 2 des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) 1961 (BGBl I, 981) enthaltenen Ermächtigung zum Erlaß einer die Pauschalbesteuerung von Bezügen landwirtschaftlicher Aushilfskräfte regelnden Rechtsverordnung noch kein Gebrauch gemacht sei. Diese im vorliegenden Fall tatsächlich erfolgte Pauschalbesteuerung, die offenbar nicht rechtswidrig sei und von den Sozialgerichten nicht auf ihre Rechtmäßigkeit nachgeprüft werden könne, habe zur Folge, daß nach dem Gemeinsamen Erlaß des Reichsfinanzministers (RMF) und des Reichsarbeitsministers (RAM) vom 10. September 1944 (AN S. 281) die Bezüge der Beigeladenen zu 3) bis 10) nicht der Beitragspflicht zur Sozialversicherung unterlagen. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses Urteil haben die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) und die beklagte AOK Revision eingelegt.
Sie rügten Verletzung der §§ 160 Abs. 1, 165 der Reichsversicherungsordnung (RVO), § 19 der 2. Lohnabzugsverordnung vom 24. April 1942 (RGBl I, 252) und des Gemeinsamen Erlasses vom 10. September 1944 (AN S. 281) sowie des § 40 Abs. 2 Ziff. 3 EStG idF von 1957 und des § 35 b Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. b LStDVO 1959.
Sie tragen vor:
Die beigeladenen Arbeitnehmerinnen der Klägerin seien während einer Reihe von Jahren jeweils in gleicher Weise als Obstpflückerinnen und Obstsortiererinnen während der jährlichen Obsternte und -einlagerungssaison beschäftigt gewesen. Diese Beschäftigungsverhältnisse hätten sich jährlich in der gleichen Weise wiederholt, und die beigeladenen Arbeiterinnen seien Saisonarbeiterinnen gewesen. Sie seien deshalb berufsmäßig Saisonarbeiterinnen, nicht aber Aushilfskräfte gewesen.
Das LSG habe die tatsächlich erfolgte Pauschalbesteuerung der Bezüge als bundeseinheitlich zugelassen und als zulässig erachtet und sich dabei auf den genannten Gemeinsamen Erlaß bezogen. Das LSG habe jedoch nicht geprüft, ob diese Pauschalbesteuerung rechtmäßig sei, und habe deshalb den Entgeltscharakter unrechtmäßig pauschal versteuerter Bezüge verneint. Spätestens durch Art. 2 StÄndG 1961 sei der Erlaß des früheren RMF von 2. Juli 1943 (RStBl 1943, 457) über die Zulassung der Pauschalierung der Lohnsteuer für die Vergütung an Aushilfskräfte in der Landwirtschaft außer Kraft gesetzt worden. Da von der Ermächtigung des Art. 2 StÄndG 1961 bisher kein Gebrauch gemacht worden sei, sei heute die Pauschalbesteuerung bei Löhnen an Aushilfskräfte in der Landwirtschaft nicht zugelassen. Es ergäbe sich daher auch keine Anwendungsgrundlage für den Gemeinsamen Erlaß vom 10. September 1944. Demgegenüber könne § 42 a EStG 1961 nicht als Zulassungsnorm für die tatsächlich erfolgte Pauschalbesteuerung angesehen werden. Denn diese Bestimmung sei nicht anwendbar auf Löhne an berufsmäßig ständige Arbeitnehmer in der Landwirtschaft, wie es die Beigeladenen zu 3) bis 10) gewesen seien.
Für den Fall der Gültigkeit der Pauschalbesteuerung sei aber zu beachten, daß die Pauschalbesteuerung und damit die Vereinfachung der Steuerentrichtung für den Arbeitgeber eine Rolle spielen könne. Wenn der Arbeitgeber von der Pauschalbesteuerung keinen Gebrauch mache, so würde den Arbeitnehmern der ihnen zustehende Versicherungsschutz gewährt. Mache er aber Gebrauch, so seien die Betreffenden nicht versichert. Der Verordnungsgeber habe aber nicht die Vorstellung gehabt, daß durch diese Regelung Arbeitnehmer aus der Sozialversicherung ausgeschlossen werden sollten. Denn die Befreiung von der Versicherungspflicht sei abschließend in höherrangigen gesetzlichen Vorschriften der §§ 168 ff, 1228 RVO und § 66 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) geregelt.
Die Beklagte und die beigeladene LVA beantragen,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 27. Juni 1968 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Lübeck vom 7. Dezember 1967 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die beigeladene Bundesanstalt für Arbeit stellt keinen Antrag.
Die Beigeladenen zu 3) bis 10) sind im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Revision ist begründet.
Wie der Senat in seinem Urteil vom 24. Juni 1969 - 3 RK 57/68 - mit näherer Begründung ausgeführt hat, ist das LSG zu Unrecht zu dem Ergebnis gekommen, daß die Bezüge der bei der Klägerin tätig gewesenen Beigeladenen zu 3) bis 10) i.S. des Gemeinsamen Erlasses 1944 pauschal besteuert worden seien mit der Folge, daß sie nicht als Entgelt i.S. der Sozialversicherung anzusehen seien (vgl. Erlaß des RAM vom 24.10.1944, AN 302). Die nach früherem Reichsrecht (RMF-Erlaß vom 2.6.1943, RStBl. S. 457) vorgesehene Möglichkeit der Pauschalbesteuerung von Aushilfskräften in der Land- und Forstwirtschaft, die auch die Freistellung der Bezüge dieser Aushilfskräfte von der Beitragspflicht zur Folge hatte (vgl. Urteil des Senats vom 25.4.1964, SozR RVO § 160 Nr. 14), ist weggefallen. Nach geltendem Recht ist die Bundesregierung zwar ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Beitragsfreiheit pauschal besteuerter Bezüge von Aushilfskräften in der Land- und Fortwirtschaft zu bestimmen (Art. 2 StÄndG 1961 vom 13.7.1961, BGBl I, 981). Die Bundesregierung hat von dieser Ermächtigung jedoch keinen Gebrauch gemacht, so daß in der Frage der Entgeltsbeurteilung kein Sonderrecht für Aushilfskräfte in der Land- und Fortwirtschaft besteht.
Die allgemeine Ermächtigung zur Zulassung der Pauschalbesteuerung für Bezüge an kurzfristig beschäftigte Arbeitnehmer (§ 35 b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b LStDVO 1961) stellt keine Zulassung der Pauschalbesteuerung i.S. des Abschnitts I Nr. 4 des Gemeinsamen Erlasses 1944) dar. Mit dem alleinigen Ziel der Vereinfachung des Lohnabzuges bleiben nach diesem Erlaß bestimmte einzelne Bezüge, die im allgemeinen neben dem hiervon unberührten laufenden Arbeitslohn nur eine untergeordnete Rolle spielen, wegen der besonderen Art ihrer Besteuerung "für die Berechnung der Beiträge zur Sozialversicherung außer Ansatz" (Abschnitt I Satz 2 des Gemeinsamen Erlasses 1944). Nur diese Vereinfachung im Rahmen der Beitragsberechnung, bei der das Vorliegen eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses vorausgesetzt ist, bezweckt dieser Erlaß. Mit dieser beschränkten Zielsetzung wäre es aber unvereinbar, die Entgeltlichkeit ganzer Beschäftigungsverhältnisse abhängig Beschäftigter zu beseitigen und diese nicht an dem Schutz der Sozialversicherung teilhaben zu lassen. Vielmehr bestimmt sich die Versicherungspflicht und die sich daraus ergebende Beitragspflicht nach den materiell-rechtlichen Vorschriften des Sozialversicherungsrechts, insbesondere bei gelegentlich oder nebenher ausgeübten Beschäftigungen nach §§ 168, 1228 Abs. 1 Nr. 4 und 5 RVO. Deshalb fallen Bezüge, die wegen der Eigenart des Beschäftigungsverhältnisses aufgrund der Ermächtigung des § 35 b Abs. 1 Satz 1 Buchst. b LStDVO 1961 pauschal besteuert worden sind, nicht unter Abschnitt I Nr. 4 des Gemeinsamen Erlasses 1944.
Das Urteil des LSG muß daher aufgehoben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden. Das Berufungsgericht wird nunmehr bei seiner Entscheidung über die Rechtsmäßigkeit des Beitragsbescheides in erster Linie zu prüfen haben, ob die bei der Klägerin beschäftigt gewesenen Beigeladenen nach § 168 - ggfls. auch nach §§ 441 ff - und § 1228 RVO versicherungsfrei waren, evtl. ob § 66 AVAVG zum Zuge kommt.
Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.
Fundstellen