Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung Bezugsberechtigter
Orientierungssatz
Ist streitig, welcher Kindergeldberechtigte nach § 3 Abs 2 und 3 BKGG vorrangig Anspruch auf Gewährung des Kindergeldes hat, so ist der Kindergeldberechtigte, der nach den konkreten Sachverhalt neben dem bisherigen Prozeßbeteiligten als vorrangig anspruchsberechtigt in Betracht kommt, nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG notwendig beizuladen.
Normenkette
SGG § 75 Abs 2 Alt 1 Fassung: 1953-09-03; BKGG § 2 Abs 1 S 1 Nr 1, § 2 Abs 1 S 1 Nr 5, § 3 Abs 1, § 3 Abs 2 S 1 Nr 3, § 3 Abs 2 S 2, § 3 Abs 3
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 29.05.1984; Aktenzeichen L 13 Ar 35/83) |
SG Dortmund (Entscheidung vom 09.11.1983; Aktenzeichen S 5 (6) Ar 272/80) |
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger das Kindergeld für seinen Sohn Thomas (T.) rechtmäßig entzogen hat.
T. lebte mit seiner Mutter - der früheren Ehefrau des Klägers - und dem Beigeladenen zu 1) seit deren Eheschließung im Jahre 1964 in ihrer etwa 70 qm großen gemeinsamen Wohnung zusammen mit seiner 7 1/2 Jahre jüngeren Halbschwester Petra (P.). Das Sorgerecht für T. war seiner Mutter übertragen. Diese hatte auf ihr vorrangiges Bezugsrecht verzichtet; der Beigeladene zu 1) erhielt von seinem Arbeitgeber, dem Beigeladenen zu 2), Kindergeld für T. und P. Im Sommer 1977 bestand T. im Alter von knapp 20 Jahren das Abitur und begann zum Wintersemester 1977/1978 sein Studium der Medizin an der Gesamthochschule Essen, das er im November 1983 erfolgreich abschloß.
Ab November 1977 wohnte T. nicht mehr in der Wohnung seiner Mutter und seines Stiefvaters. Im Mai 1978 mietete er unter seinem Namen eine etwa 35 qm große Sozialwohnung.
Der Kläger zahlte T. seit März 1976 320,-- DM, ab 1. November 1977 550,-- DM und ab März 1981 660,-- DM monatlichen Unterhalt.
Auf den Antrag des Klägers vom 28. Februar 1979 gewährte die Beklagte ihm ab August 1978 Kindergeld auch für T. Sie entzog ihm dieses Kindergeld mit dem streitigen Bescheid vom 11. März 1980, und zwar von Anfang an, dh ab August 1978 und behielt sich die Rückforderung vor. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit dem Bescheid vom 12. August 1980 zurück, weil die anderweitige Unterbringung des Sohnes T. den Zusammenhang mit dem Haushalt des Stiefvaters nicht unterbrochen habe.
Das Sozialgericht Dortmund (SG) hat mit dem Urteil vom 9. November 1983 den Bescheid der Beklagten vom 11. März 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 1980 aufgehoben. Das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) hat mit seinem Urteil vom 29. Mai 1984 die zugelassenen Berufungen des Beigeladenen zu 1) und der Beklagten zurückgewiesen. Dem Kläger stehe Kindergeld für T. seit August 1978 bis einschließlich November 1983 zu. Denn weder der Beigeladene zu 1) sei als Stiefvater noch seine Ehefrau als Mutter von T. vorrangig vor dem Kläger bezugsberechtigt. T. sei in der streitigen Zeit nicht mehr in den Haushalt seines Stiefvaters aufgenommen gewesen, weil seit der auf Dauer angelegten räumlichen Trennung eine Familiengemeinschaft zwischen Stiefkind und Stiefeltern nicht mehr bestanden habe. Auch ein Anspruch der leiblichen Mutter stehe dem Kindergeldanspruch des Klägers nicht entgegen, denn sie habe T. in der streitigen Zeit nicht überwiegend unterhalten. Die Leistungen, die sie für T. erbracht habe, seien keine Unterhaltsleistungen iS des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG). Erziehungs- und Pflegeleistungen seien von der Mutter nicht zu erbringen gewesen. Der Unterhaltsbedarf des T. sei ausschließlich Barbedarf gewesen, der vom Kläger überwiegend gedeckt worden sei.
Mit seiner - von dem LSG zugelassenen - Revision rügt der Beigeladene zu 1) eine Verletzung des § 3 Abs 2 iVm § 2 Abs 1 Nr 5 BKGG. Im vorliegenden Falle habe die rein räumliche Trennung nicht zu einer Auflösung der Haushaltsgemeinschaft geführt. Im übrigen habe T. mit den Unterhaltszahlungen seines Vaters einen eigenen Haushalt tatsächlich gar nicht führen können, weil sein Unterhaltsbedarf wesentlich höher gewesen und von ihm und seiner Ehefrau überwiegend getragen worden sei.
Der Beigeladene zu 1) beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger, die Beklagte und der Beigeladene zu 2) stellen keine Anträge.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Beigeladenen zu 1) führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG, weil dessen Verfahren auf einem Mangel beruht. Denn die Ehefrau des Beigeladenen zu 1) - T's Mutter - war nach § 75 Abs 2 1. Alternative des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu dem Verfahren beizuladen. Dieser Verfahrensmangel ist im Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen (BSG SozR 1500 § 75 Nr 1). Die unterlassene Beiladung kann jedoch von dem Revisionsgericht nicht nachgeholt werden (§ 168 SGG), so daß eine abschließende Entscheidung nicht möglich ist.
Die Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides richtet sich nach § 45 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X), denn beim Inkrafttreten des 1. und 2. Kapitels des SGB X am 1. Januar 1981 noch nicht abgeschlossene Verfahren sind nach Art II § 37 des Gesetzes vom 18. August 1980 (BGBl I, 1469) nach den Vorschriften des SGB X zu Ende zu führen (Großer Senat in BSGE 54, 223, 226).
§ 45 SGB X erlaubt die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte. Der streitige Bescheid wäre daher rechtswidrig, wenn der dem Kläger das Kindergeld für T. ab 1. August 1978 bewilligende Verwaltungsakt nicht rechtswidrig war, dh dem Kläger das Kindergeld für T. zustand.
T. war als eheliches Kind nach § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BKGG bei dem Kläger zu berücksichtigen. Da das Kindergeld nach § 3 Abs 1 BKGG aber nur einer Person gewährt wird, kann es der Kläger nur beanspruchen, wenn kein anderer ihm gegenüber nach § 3 Abs 2 und 3 BKGG vorrangig bezugsberechtigt ist. Als vorrangig Bezugsberechtigte kommen hier - wie das LSG richtig erkannt hat - der Beigeladene zu 1) als Stiefvater gemäß § 3 Abs 2 Nr 3 BKGG und nach § 3 Abs 3 BKGG auch dessen Ehefrau - als T.'s Mutter -, bei der er nach § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BKGG ebenso zu berücksichtigen ist wie bei dem Kläger, in Betracht.
Beide sind daher an dem streitigen Rechtsverhältnis - dem Kindergeldanspruch des Klägers - derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 1. Alternative SGG).
Schon die Entscheidung der Frage, ob der Kindergeldanspruch des Klägers wegen einer vorrangigen Bezugsberechtigung des Beigeladenen zu 1) ausgeschlossen ist, betrifft nicht nur diesen unmittelbar - weil der Anspruch des Klägers voraussetzt, daß ein Anspruch des Beigeladenen zu 1) als Stiefvater nicht besteht -, sondern auch seine Ehefrau als Mutter. Sind nämlich die Voraussetzungen, unter denen ein Kind nach § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 5 BKGG als Stiefkind zu berücksichtigen ist, bei dem Beigeladenen zu 1) nicht erfüllt, hat das zur Folge, daß der Verzicht des leiblichen Elternteils - hier der Mutter - gemäß § 3 Abs 1 Satz 2 2. Satzteil BKGG gegenstandslos ist oder wird, denn er gilt nur gegenüber dem Stiefelternteil (SozR 5870 § 3 Nr 1). Sie steht damit in der Rangfolge des § 3 Abs 1 Satz 1 BKGG dem Kläger wieder gleichrangig gegenüber. Beide erfüllen die Anspruchsvoraussetzungen, und es ist dann nach § 3 Abs 3 BKGG zu entscheiden, ob der Vater - hier der Kläger - oder die Mutter bezugsberechtigt sind. Auch diese Entscheidung, von der der streitige Anspruch des Klägers gegebenenfalls abhängt - nämlich, wenn der Beigeladene zu 1) als Stiefvater keinen (vorrangigen) Anspruch hat -, kann gegenüber dem Kläger als Vater und der Mutter nur einheitlich ergehen, denn beide Ansprüche schließen sich gegenseitig aus.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen