Entscheidungsstichwort (Thema)

Bergmannsrente. Rentenentziehung. Änderung der Verhältnisse

 

Orientierungssatz

Eine die verminderte bergmännische Berufsfähigkeit beseitigende und daher zur Rentenentziehung berechtigende Änderung der Verhältnisse des Versicherten iS des § 86 Abs 1 RKG liegt auch in einer erfolgreichen Umschulung zu einer anderen Tätigkeit, die ihn in die Lage versetzt, in knappschaftlich versicherten Betrieben eine der Hauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit von Personen mit gleicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten aufzunehmen.

 

Normenkette

RKG § 45 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-05-21, § 86 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-05-21, § 45 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1286 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 13.11.1969)

SG Duisburg (Entscheidung vom 06.08.1968)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. November 1969 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben sich die Beteiligten nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der im Jahre 1926 geborene Kläger wendet sich gegen die Entziehung einer ihm nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) gewährten Bergmannsrente. Er war im Bergbau unter Tage tätig, zuletzt vom 1. Juni 1957 bis zum 14. Oktober 1962 als Hauer. Diese Tätigkeit mußte er auf Veranlassung der Bergbau-Berufsgenossenschaft (BG) wegen fortschreitender silikotischer Einlagerungen aufgeben. Danach wurde er als Transportarbeiter über Tage (Lohngruppe III) beschäftigt.

Mit Bescheid vom 25. Oktober 1963 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 1. Oktober 1962 die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit. Die Beklagte ging dabei davon aus, daß der Kläger nach seinem Gesundheitszustand (Gutachten von Dr. Sch und Dr. S vom 12. Juli 1963) und nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten über Tage noch als Zweiter Anschläger, Lokomotivführer für feuerlose Lokomotiven, Zweiter Rangierer, Stellwerkswärter usw. (Lohngruppen II - V) tätig sein könne. Diese Tätigkeiten seien der Hauertätigkeit nicht wirtschaftlich gleichwertig.

In der Zeit vom 1. Oktober 1963 bis zum 13. März 1965 wurde der Kläger auf Kosten der Bergbau-BG zum technischen Zeichner umgeschult und war dann auch vom 15. März 1965 bis zum 31. Dezember 1967 bei den Steinkohlenbergwerken M S AG, Zeche R als technischer Zeichner (Gehaltsgruppe 35) tätig. Vom 1. Januar 1968 bis zum 30. September 1969 wurde er von seinem Arbeitgeber als Maschinentechniker (Gehaltsgruppe 34) beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde von dem Kläger gekündigt. Nach der Kündigung nahm er am 1. Oktober 1969 eine Tätigkeit als Werkstattmeister bei der Deutschen Erdöl-AG in H auf. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) betrug während der Verrichtung von knappschaftlich versicherungspflichtigen Arbeiten als technischer Zeichner und Maschinentechniker der Einkommensunterschied zum tariflichen Gedingesatz des Hauers höchstens 19,6 %, meistens war er geringer, zumal das Gehalt eines Maschinentechnikers höher als das Gehalt eines technischen Zeichners war. Von der Bergbau-BG erhielt der Kläger wegen einer Quarzstaublungenerkrankung ab 8. Juli 1965 eine Teilrente in Höhe von 30 v.H. und ab 26. Juli 1968 in Höhe von 40 v.H. der Vollrente.

Mit Bescheid vom 6. Oktober 1967 entzog die Beklagte dem Kläger die Bergmannsrente mit Ablauf des Monats November 1967, weil er infolge einer Änderung in seinen Verhältnissen (Umschulung zum technischen Zeichner und Aufnahme einer entsprechenden Tätigkeit) nicht mehr vermindert bergmännisch berufsfähig sei. Die Tätigkeit als technischer Zeichner sei der Hauertätigkeit gegenüber im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 1968 zurückgewiesen. Die darauf erhobene Klage vor dem Sozialgericht Duisburg und die beim LSG Nordrhein-Westfalen eingelegte Berufung blieben erfolglos (Urteile vom 6. August 1968 und vom 13. November 1969). Nach Auffassung des LSG kann unerörtert bleiben, ob eine Entziehung der Bergmannsrente unter den besonderen Voraussetzungen des § 86 Abs. 2 RKG möglich wäre, weil diese Sondervorschrift eine Rentenentziehung nach der allgemeinen Bestimmung des § 86 Abs. 1 RKG nicht ausschließe, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt seien. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse sei mit der Umschulung zum technischen Zeichner und der Übernahme einer solchen Beschäftigung ab 1. März 1965 eingetreten. Hierdurch sei die verminderte bergmännische Berufsfähigkeit beseitigt worden, denn der Kläger habe danach wieder der Hauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten verrichten können. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.

Der Kläger macht mit der von ihm eingelegten Revision geltend, eine Entziehung der Bergmannsrente sei erst dann gerechtfertigt, wenn er wieder die gleiche wirtschaftliche Stellung wie ein Hauer erreicht habe. Mit einer silikosebedingten Erwerbsminderung von 40 v.H. sei er auch nicht in der Lage, die Tätigkeit eines technischen Zeichners vollwertig zu verrichten. Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. November 1969, das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 6. August 1968 und den Rentenentziehungsbescheid der Beklagten vom 6. Oktober 1967 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 29. Januar 1968 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. November 1969 zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, daß die verminderte bergmännische Berufsfähigkeit des Klägers infolge einer Änderung in seinen Verhältnissen weggefallen ist.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 RKG ist eine Bergmannsrente im Sinne des § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG zu entziehen, wenn der Empfänger infolge einer Änderung in seinen Verhältnissen nicht mehr vermindert bergmännisch berufsfähig ist. Die Entziehung einer Bergmannsrente setzt also voraus, daß der Rentenempfänger bei der Rentenbewilligung vermindert bergmännisch berufsfähig im Sinne des § 45 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Absatz 2 RKG gewesen ist und dies infolge einer Änderung in seinen Verhältnissen nicht mehr ist. Der Kläger konnte seit Oktober 1963 die früher von ihm verrichtete knappschaftliche Tätigkeit als Hauer und dieser im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige andere Tätigkeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlichen Betrieben infolge seiner Silikose nicht mehr ausüben. Daher war er vermindert bergmännisch berufsfähig.

Eine die verminderte bergmännische Berufsfähigkeit beseitigende und daher zur Rentenentziehung berechtigende Änderung der Verhältnisse des Versicherten im Sinne des § 86 Abs. 1 RKG kann auch in einer erfolgreichen Umschulung zu einer anderen Tätigkeit liegen, die ihn in die Lage versetzt, in knappschaftlich versicherten Betrieben eine der Hauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit von Personen mit gleicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten aufzunehmen. Im vorliegenden Fall ist eine solche Änderung in den Verhältnissen des Klägers dadurch eingetreten, daß er nach der im Oktober 1963 erfolgten Rentenbewilligung am 13. März 1965 eine Umschulung zum technischen Zeichner erfolgreich abgeschlossen hat. Da der Kläger eine solche Tätigkeit in einem knappschaftlich versicherten Betrieb ausgeübt hat, hat er sogar durch die Tat zusätzlich bestätigt, daß die Umschulung erfolgreich gewesen ist. Bei dieser Tätigkeit handelt es sich um eine der Hauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit von Personen mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten.

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats sind bei Hauern Tätigkeiten dann noch als wirtschaftlich im wesentlichen gleichwertig im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG anzusehen, wenn die Lohndifferenz nicht mehr als 20 % beträgt (vgl. SozR Nr. 37 zu § 45 RKG). Der Minderverdienst des Klägers als technischer Zeichner hat aber gegenüber der Hauertätigkeit nach den Feststellungen des LSG niemals 20 v.H. erreicht.

Bei der Tätigkeit als technischer Zeichner handelt es sich auch um eine Tätigkeit "von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten" im Sinne von § 45 Abs. 2 RKG. Wie der Senat bereits mehrfach ausgeführt hat, soll durch dieses gesetzliche Erfordernis lediglich verhindert werden, daß der Versicherte auf Arbeiten verwiesen werden kann, die zwar seinem Hauptberuf im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind, die aber nicht, wie es in der Regel der Fall sein wird, wegen der Qualität der Ausbildung und des Wertes der Kenntnisse und Fähigkeiten desjenigen, der sie ausübt, so günstig eingestuft sind, sondern deshalb, weil es sich zB um schwere, gefährliche, schmutzige Arbeiten, oder um solche, die ein besonderes Vertrauen voraussetzen oder um ähnliche Arbeiten handelt (BSG 5, 191, 193; SozR Nr. 22, 23 und 34 zu § 45 RKG). In der Regel wird mit der wesentlichen wirtschaftlichen Gleichwertigkeit der zu vergleichenden Arbeiten auch die wesentliche Gleichwertigkeit der Kenntnisse und Fähigkeiten der Personen verbunden sein, welche die Hauptberufstätigkeit und die Verweisungstätigkeit auszuüben pflegen. Nur wenn nicht die Kenntnisse und Fähigkeiten sondern andere Umstände für die tarifliche Einstufung ausschlaggebend waren, ist auch beim Vorhandensein einer im wesentlichen wirtschaftlichen Gleichwertigkeit eine Einschränkung der Verweisungsmöglichkeit gegeben. Solche Umstände liegen aber bei der tariflichen Einstufung eines technischen Zeichners nicht vor, zumal für die Umschulung zu dieser Tätigkeit ein Zeitraum von fast anderthalb Jahren erforderlich war. Im übrigen genügt, daß der Kläger auf diese Tätigkeit verwiesen werden kann; nicht entscheidend ist, ob er sie ausübt oder nicht ausübt. Bei der Frage der Verweisung im Rahmen des § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG kommt es nämlich nicht darauf an, ob der Versicherte eine in Betracht kommende Verweisungstätigkeit ausübt, sondern nur darauf, ob er sie gesundheitlich und nach seinen beruflichen Fähigkeiten ausüben kann. Das aber ist hier der Fall. Der Kläger ist somit wegen einer Änderung seiner Verhältnisse, nämlich infolge der erfolgreichen Umschulung zum technischen Zeichner nicht mehr vermindert bergmännisch berufsfähig, so daß ihm die Bergmannsrente zu Recht entzogen worden ist.

Die mit der Revision vorgetragene Behauptung, der Kläger sei wegen der Silikose nicht mehr in der Lage, die Tätigkeit eines technischen Zeichners vollwertig zu verrichten, konnte in der Revisionsinstanz nicht mehr berücksichtigt werden. § 86 Abs. 2 und 2 a RKG stehen der Anwendung des § 86 Abs. 1 RKG nicht entgegen, da sie andere Entziehungstatbestände regeln. Während § 86 Abs. 1 RKG darauf abstellt, ob der Versicherte in der Lage ist, eine in Betracht kommende Tätigkeit zu verrichten, machen die Abs. 2 und 2 a die Entscheidung davon abhängig, ob der Versicherte die in Betracht kommende Tätigkeit tatsächlich ausübt.

Da somit das LSG in seinem Urteil zu einem richtigen Ergebnis gekommen ist, mußte die Revision des Klägers zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Der Senat konnte nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648153

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Kranken- und Pflegeversicherungs Office enthalten. Sie wollen mehr?