Orientierungssatz
Da RVO § 1246 Abs 2 S 2 die Zumutbarkeit einer Verweisung außer von der Ausbildung vom bisherigen Beruf, dh der Bedeutung des Berufs im Betrieb sowie von den besonderen Anforderungen, dh von den positiv zu bewertenden Merkmalen der bisherigen Berufstätigkeit abhängig macht, stellt das Gesetz, nicht die Lohneinbuße, sondern den qualitativen Wert des bisherigen Berufes an den Ausgangspunkt aller rechtlichen Überlegungen zur zumutbaren Verweisung. Dieser Wert ergibt sich aus der betrieblichen Bedeutung des Berufs. Diese läßt sich nach der Rechtsprechung des Senats am besten aus der tariflichen Einstufung dieses Berufs herleiten, weil hieraus zu schließen ist, welche Bedeutung die Tarifparteien diesem Beruf zumessen.
Normenkette
RVO § 1246 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 26. Juni 1975 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der 1928 geborene Kläger, italienischer Staatsangehöriger, war in seiner Heimat bis zur Aufnahme einer Beschäftigung in der Bundesrepublik im Jahre 1961 seit 1956 als Waldarbeiter tätig gewesen. Seit 1963 war er beim Klosterforstamt Göttingen wiederum als Waldarbeiter beschäftigt. Nach Absolvierung eines Lehrgangs legte der Kläger im Dezember 1965 die Waldfacharbeiterprüfung ab; er war sodann bis März 1972 als Waldfacharbeiter tätig.
Den vom Kläger im Mai 1972 gestellten Rentenantrag lehnte die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) mit Bescheid vom 13. November 1973 mit der Begründung ab, daß dieser noch leichte bis mittelschwere Arbeiten verrichten könne und daher noch nicht berufsunfähig sei.
Mit der hiergegen erhobenen Klage hatte der Kläger keinen Erfolg. Durch Entscheidung vom 26. Juni 1975 hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen die Berufung des Klägers gegen das klage ab weisende Urteil des Sozialgerichts (SG) Hildesheim vom 24. Oktober 1974 zurückgewiesen und ausgeführt: Berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei ein Versicherter dann, wenn er einen unzumutbaren Einkommensverlust, d. h. im Vergleich zur bisherigen Berufstätigkeit von 20 v. H. und mehr hinnehmen müsse. Die andersartigen Auffassungen insbesondere des 4. und 5. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) träfen nicht zu. Der Kläger sei zu leichten bis mittelschweren Arbeiten aber auch zu leichter Akkordarbeit fähig. Mit einer Arbeit nach Lohngruppe VI (jetzt V) des Lohntarifvertrages für die niedersächsische Metallindustrie vom 14. Dezember 1971, die keine Anlernausbildung voraussetze, brauche der Kläger gegenüber dem durchschnittlichen Einkommen eines Waldfacharbeiters mit einem Stundenlohn von 5,91 DM (zuzüglich Leistungszulage) keine unzumutbare Lohneinbuße hinzunehmen.
Gegen dieses Urteil hat der erkennende Senat auf die Beschwerde des Klägers die Revision zugelassen (Beschluß vom 24. Oktober 1975). Der Kläger hat die Revision eingelegt. Er trägt vor: Das LSG habe den sprachlichen Problemen ausländischer Angehöriger der Europäischen Gemeinschaft nicht die angemessene Bedeutung zuerkannt. Die zu seinen Gunsten auf Grund der Normen des europäischen Gemeinschaftsrechts gegebenen Rechtsgarantien seien verletzt. Das angefochtene Urteil füge sich auch nicht in die Rechtsprechung des BSG zur Berufsunfähigkeit, insbesondere zum sogenannten Dreistufenschema ein.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 26. Juni 1975, das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 24. Oktober 1974 und den Bescheid der beklagten Landesversicherungsanstalt Schwaben vom 13. November 1973 aufzuheben;
die Beklagte zu verurteilen, ihm mit Wirkung ab 1. Mai 1972 die gesetzliche Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren; der Beklagten die außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Was die für den Kläger als Ausländer bestehenden Sprachschwierigkeiten anbelangt, seien sie analog der Rechtsfigur des Vorversicherungsleidens, aber auch deswegen unbeachtlich, weil § 1246 RVO nur die Risiken der Krankheit und der körperlichen und geistigen Gebrechen abdecke. Eine Besserstellung der ausländischen Staatsangehörigen gehe nicht an. Überdies spreche der Kläger ausreichend deutsch.
II.
Die zulässige Revision ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen war.
Nach § 1246 Abs. 2 Satz 1 RVO ist berufsunfähig ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit auf weniger als die Hälfte derjenigen eines vergleichbaren gesunden Versicherten abgesunken ist. Dabei umfaßt der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, nach § 1246 Abs. 2 Satz 2 aaO alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Bei der Bestimmung des Kreises der zumutbaren Verweisungstätigkeiten kommt es mithin auf den "bisherigen Beruf" bzw. die "bisherige Berufstätigkeit" (Hauptberuf) entscheidend an; die Ausbildung kennzeichnet nur den Weg, auf den die den Beruf qualifizierenden Kenntnisse und Fähigkeiten erworben werden (vgl. SozR Nr. 22 zu § 45 RKG; BSGE 38, 153 = SozR 2200 § 1246 Nr. 4). Bisheriger Beruf des Klägers ist der des Waldfacharbeiters; diesen Beruf hat der Kläger vor Stellung des Rentenantrages nach Ablegung der vorgeschriebenen Prüfung im Jahre 1965 zuletzt versicherungspflichtig ausgeübt.
Entgegen der Ansicht des LSG kann der Kläger als Waldfacharbeiter nicht auf alle einfachen, unqualifizierten Berufstätigkeiten verwiesen werden, in denen er im Vergleich zum bisherigen Beruf keine Lohneinbuße von 20 v. H. oder mehr in Kauf zu nehmen hat. Der erkennende Senat hat noch in jüngster Zeit wiederholt darauf hingewiesen, daß an dem von der Rechtsprechung des BSG zur Frage der Verweisbarkeit qualifizierter Arbeiter entwickelten, wenn auch nicht als starrer Rahmen mißzuverstehenden Mehrstufenschema - Unterscheidung einer oberen, einer mittleren und einer unteren Gruppe von Arbeiterberufen - festzuhalten sei (vgl. z. B. den erkennenden Senat in SozR Nr. 103 zu § 1246 RVO; BSGE 38, 153 = SozR 2200 § 1246 Nr. 4 mit zahlreichen Nachweisen; zustimmend hierzu z. B. Schmeling, SozVers 1975, 285). Nach dieser Rechtsprechung, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, gehört ein Lehrberuf zur oberen Gruppe des "Schemas" mit der rechtlichen Folge, daß die dort einzustufenden Versicherten auf die Tätigkeiten der oberen, aber - da ihnen ein gewisser beruflicher Abstieg nach § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO "zuzumuten" ist - auch auf die Tätigkeiten der mittleren Gruppe (Leitberuf: Arbeiter mit anerkannten oder vergleichbar qualifiziertem Anlernberuf) sowie auf diejenigen Tätigkeiten der unteren Gruppe der ungelernten Arbeiter verwiesen werden können, die sich aus deren allgemeinem Kreis positiv hervorheben.
Dieses Festhalten an einem Mehrstufenschema bedeutet kein Beharren auf einer überlebten Berufs-, Standes- oder Prestigeordnung (vgl. Tennstedt, Berufsunfähigkeit im Sozialrecht, Dissertation Göttingen, S. 219 ff). Der Senat knüpft vielmehr gleichermaßen an das Gesetz wie an die Wirklichkeit der Berufswelt an. Dadurch, daß § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO die Zumutbarkeit einer Verweisung außer von der - in aller Regel berufsqualifizierenden - Ausbildung gleichwertig und selbständig vom "bisherigen Beruf", d. h. der Bedeutung des Berufes im Betrieb sowie von den "besonderen Anforderungen", d. h. von den positiv zu bewertenden Merkmalen der bisherigen Berufstätigkeit abhängig macht, stellt das Gesetz den qualitativen Wert des bisherigen Berufes an den Ausgangspunkt aller rechtlichen Überlegungen. Auch in der Wirklichkeit des Berufslebens unterscheiden sich die Berufstätigkeiten in ihrer Qualität ganz augenscheinlich. Zwischen der Tätigkeit z. B. eines Kraftfahrzeugelektrikers und eines Bauhelfers bestehen manifeste qualitative Unterschiede, die nichts mit berufsständischen Eingrenzungen oder mit dem Festschreiben eines veralteten Sozialprestiges zu tun haben. Diese Qualitätsunterschiede spiegeln die Vielfalt der technisch-wirtschaftlichen Anforderungen, die der moderne Industriestaat an Fähigkeiten und Können der arbeitenden Bevölkerung stellt. Für die Abgrenzung des Kreises der zumutbaren Tätigkeiten verlangt § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO nach alledem die Ermittlung der Qualität des bisherigen Berufes, nicht etwa einen Vergleich willkürlicher äußerlicher Merkmale. Unter anderem um dies klarzustellen, hat der Senat wiederholt herausgestellt, daß selbst die Erwähnung von Umfang und Dauer der Berufsausbildung in Satz 2 aaO keine selbständige Bedeutung hat, sondern allein den Weg kennzeichnet, auf dem die berufsqualifizierenden Kenntnisse und Fähigkeiten regelmäßig erworben werden (vgl. SozR Nr. 22 zu § 45 RKG; BSGE 38, 153 = SozR 2200 § 1246 Nr. 4). Folgerichtig hat der Senat weiter betont, daß ein Arbeiter, der einen der oberen oder mittleren Gruppe des Schemas einzufügenden Beruf nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübt hat, der entsprechenden Gruppe zuzuordnen ist, auch wenn er die für diesen Beruf vorgesehene Ausbildung nicht durchlaufen hat. Daher bestehen auch keine Bedenken, der oberen oder der mittleren Gruppe Berufe zuzuweisen, für die keine oder keine besonders qualifizierte Ausbildung vorgesehen ist, sofern nur die Bedeutung des Berufes im Betrieb oder die an ihn zu stellenden, positiv zu bewertenden Anforderungen eine entsprechende Einordnung verlangen und erlauben. Deshalb sieht der Senat im anerkannten Lehrberuf nur den Leitberuf der oberen Gruppe, im anerkannten Anlernberuf nur den Leitberuf der mittleren Gruppe des Schemas (vgl. z. B. SozR Nr. 103 zu § 1246 RVO). Der äußerliche Vergleich vorgeschriebener Berufsqualifikationen bestimmt mithin nach dieser Rechtsprechung nicht die Einordnung in das Mehrstufenschema.
Dieses Schema ist nach alledem nichts anderes als ein Hilfsmittel, den § 1246 Abs. 2 RVO auf der Grundlage der vom Gesetz vorgegebenen Leitlinien auch für die Massenverwaltung der gesetzlichen Rentenversicherungen sinnvoll handhabbar zu machen und dabei zugleich den Ansprüchen an Rechtssicherheit und gleichmäßige Sachbehandlung zu genügen. Dabei entzieht sich einer starren dogmatischen Festlegung, wie viele "Stufen" das Schema zu umfassen habe. Hierfür sind die Gegebenheiten der Berufswelt entscheidend. Der Senat übersieht nicht, daß nach § 25 des Berufsausbildungsgesetzes (BBiG) vom 14. August 1969 (BGBl I 1112) die frühere Unterscheidung zwischen anerkanntem Lehr- und anerkanntem Anlernberuf aufgegeben worden ist und nunmehr nur noch von Ausbildungsberufen gesprochen wird. Im Hinblick darauf, daß die Dauer der berufsqualifizierenden Ausbildung bei den einzelnen Ausbildungsberufen erheblich differiert (vgl. das Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe nach § 30 BBiG, herausgegeben vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Stand 1. Juli 1975) und die Unterscheidung zwischen anerkanntem Lehr- und anerkanntem Anlernberuf nach § 108 BBiG weiterhin bedeutsam ist, erscheint es nach wie vor sinnvoll, zur Ermittlung des qualitativen Wertes eines bestimmten Arbeiterberufes unter Verwendung eines Schemas im Grundsatz an einer dreistufigen Aufgliederung festzuhalten. Ein anerkannter Ausbildungsberuf mit einer vorgeschriebenen qualifizierenden Ausbildung von mehr als zwei Jahren wird in der Regel wie ein anerkannter Lehrberuf, ein anerkannter Ausbildungsberuf mit einer vorgeschriebenen Ausbildung von ein bis zwei Jahren in der Regel wie ein anerkannter Anlernberuf zu behandeln sein. Eine Ergänzung, Abänderung oder Bereicherung des Mehrstufenschemas nach den Anforderungen und Bedürfnissen der Berufswelt hält der Senat jedoch für möglich und zulässig. So könnte zum Beispiel daran gedacht werden, Arbeiter, deren Tätigkeit nach ihrer Bedeutung im Betrieb und/oder nach ihren besonderen positiv zu bewertenden Merkmalen qualitativ die des Facharbeiters noch überragt - wie etwa Meister im Arbeiterverhältnis oder bestimmte Vorarbeiter - einer noch oberhalb der normalen oberen Gruppe des Schemas einzufügenden Stufe zuzuordnen.
Bei alledem ist dem Mißverständnis entgegenzutreten, § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO verstehe unter bisherigem Beruf oder bisheriger Berufstätigkeit die konkret vom Versicherten an einem bestimmten Arbeitsplatz verrichtete Arbeit. Nicht auf die individuell vom Versicherten erbrachte Arbeitsleistung kommt es an, sondern abstrakt betrachtet auf den vom Versicherten ausgeübten Beruf, auf die von ihm verrichtete Berufstätigkeit als solche. Dies folgt zunächst schon daraus, daß eine Massenverwaltung, wie sie die Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen zu bewältigen haben, die vielfältigen Besonderheiten einer individuellen Arbeitsleistung des Versicherten ebensowenig wie die Besonderheiten eines bestimmten Arbeitsplatzes überblicken und im Einzelfall praktisch auch nicht aufklären können. Dies kann der Gesetzgeber nicht übersehen haben. Gesetzeskonstruktiv ergibt sich dies aus § 1246 Abs. 2 Satz 1 RVO: Diese Vorschrift verlangt den Vergleich der vollen mit der verbliebenen Erwerbstätigkeit, wobei als volle Erwerbstätigkeit diejenige eines gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten zu setzen ist. Die Vorschrift geht also von der durchschnittlichen vollen Erwerbsfähigkeit einer Gruppe aus, läßt mithin bewußt die besonderen Verhältnisse einer individuellen Arbeitsleistung und die besonderen Gegebenheiten eines bestimmten Arbeitsplatzes unberücksichtigt (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 4). Im übrigen stellt die vom Gesetzgeber in Satz 2 aaO getroffene Formulierung ausreichend klar, daß der Versicherte in der Beziehung zu seinem Beruf als solchem geschützt wird und seine persönlichen beruflichen Stärken und Schwächen sowie die Vor- oder Nachteile seines Arbeitsplatzes außer Betracht zu bleiben haben.
Der Umstand, daß der Gesetzgeber in § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO auf die abstrakt betrachtete Berufstätigkeit abstellt, ermöglicht es, bei der vom Gesetz geforderten Ermittlung der Qualität eines Berufes die Anschauung der am Berufsleben teilnehmenden Bevölkerungskreise, d. h. vorrangig der Tarifpartner zu berücksichtigen. Auch diese stufen die Arbeitnehmer nach dem generellen Wert der von ihnen ausgeübten Tätigkeiten lohnmäßig ein. So etwa erhält der Maschinenwärter einen geringeren Tariflohn als der Metallfacharbeiter. Für die konkrete Lohneinstufung berücksichtigen die Tarifpartner ähnlich wie § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO vor allem die Bedeutung der Berufstätigkeit für den Betrieb und ihre positiven oder weniger positiven Merkmale. Die tarifliche Einstufung vermag daher ein wichtiges Indiz für die Bewertung der Qualität eines Berufes abzugeben. Wird etwa ein Beruf tariflich so hoch wie der bisherige Beruf des Versicherten eingestuft, so wird dies vielfach als Beleg dafür dienen können, daß den Berufstätigkeiten vergleichbarer qualitativer Wert zugemessen worden ist. Anderes gilt naturgemäß dann, wenn die relativ hohe Einstufung eines Berufes auf die mit seiner Ausübung verbundenen Nachteile oder Erschwernisse zurückzuführen ist (z. B. Akkord-, Nacht- oder Schmutzarbeit und ähnliches). Die Tarifverträge sind deshalb für die Ermittlung einer zumutbaren Verweisungstätigkeit mit heranzuziehen (BSG SozR Nr. 17, 25, 26 zu § 46 RKG; 80, 103, 107, 110 zu § 1246 RVO; zustimmend z. B. Wiegand, SGb 1975, 337, 338).
Da es für die Ermittlung des Kreises der zumutbaren Tätigkeiten nach § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO auf die Qualität der dem Versicherten nach seinen gesundheitlichen Kräften und beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten möglichen Berufstätigkeiten ankommt, ist die Frage, welche Lohneinbuße der Versicherte im Einzelfall in Kauf zu nehmen hat, insoweit ohne Bedeutung. Anders als § 1246 Abs. 1 Satz 2 RVO stellt es zwar § 1246 Abs. 1 Satz 1 RVO auf eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf weniger als die Hälfte dessen, was ein gesunder vergleichbarer Versicherter erwerben kann, ab. Abgesehen davon, daß die gesetzliche Voraussetzung praktisch ohne Bedeutung ist, weil selbst ungelernte Arbeiter mehr als 50 % dessen was ein Facharbeiter verdient, erwerben können, falls sie vollschichtig arbeiten, geht es jedenfalls nicht an, bei Anwendung des § 1246 Abs. 2 RVO überhaupt eine andere Grenze der zulässigen Lohnminderung festzulegen. Rechtlich unstatthaft ist es vor allem, bei Überschreiten einer Lohneinbuße von 20 v. H. Berufsunfähigkeit anzunehmen, wie dies der erkennende Senat des Berufungsgerichts in ständiger Spruchpraxis tut. Hierbei wird übersehen, daß damit aus dem System der abgestuften Renten in den Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) eliminiert würde: Erst eine Lohndifferenz von mehr als 20 v. H. rechtfertigt regelmäßig die Annahme, daß der Versicherte eine andere im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeit im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG nicht mehr ausübt (vgl. BSG in SozR Nr. 26, 32, 37 zu § 45 RKG). Das Bestreben, Berufsunfähigkeit beim Unterschreiten einer bestimmten, über der "Lohnhälfte" liegenden Lohnminderungsgrenze zu verneinen, kann letztlich deswegen nicht gebilligt werden, weil dadurch der dem bisherigen Beruf durch § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO verliehene Schutz beseitigt würde; dieser Schutz besteht - wie dargelegt - darin, daß das Gesetz dem Versicherten nur solche Tätigkeiten zumutet, die der Qualität des bisherigen Berufes angemessen entsprechen.
Nach dem dem vorliegenden Fall zugrunde liegenden Sachverhalt könnte der Kläger auf Grund der soeben dargestellten Rechtsprechung des BSG nur dann nicht der oberen Gruppe des "Schemas" zugeordnet werden, wenn die die Qualität des Waldfacharbeiterberufes kennzeichnenden, positiv zu bewertenden Anforderungen als so gering angesehen werden, daß sie denen der im allgemeinen der oberen Berufsgruppe zuzuordnenden Berufe nicht ernsthaft vergleichbar wären. Das ist aber nicht der Fall. Der Ausbildungsberuf in der Forstwirtschaft ist zwar - auf Grund des § 25 BBiG - erst durch die Verordnung vom 27. Februar 1974 (BGBl I 453, 833) unter der Bezeichnung "Forstwirt" bundeseinheitlich anerkannt und geregelt. Schon vorher war indessen der Lehrberuf Waldfacharbeiter in den einzelnen Ländern durch besondere Bestimmungen staatlich anerkannt und der Ausbildungsgang festgelegt (vgl. hierzu die Übersicht in dem Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe, Stand 1. Juni 1973, S. 38, 39). Diese Länderbestimmungen verlangten eine zumindest drei Jahre, häufig auch vier Jahre dauernde Ausbildung mit Prüfungsabschlüssen. Für den Kläger, im Lande Niedersachsen beschäftigt, galten zur Zeit der Ablegung der Waldfacharbeiterprüfung im Jahre 1965 die mit der Allgemeinen Verfügung 9 des Reichsforstmeisters vom 2. März 1940 - P 2304 - bekanntgegebenen Vorschriften, und zwar insbesondere die Bestimmungen für die Ausbildung der Waldfacharbeiter (ABW). Danach gliedert sich die Ausbildung zum Waldfacharbeiter in eine zweijährige Waldfacharbeiterlehrzeit mit Prüfungsabschluß und eine anschließende zwei Jahre umfassende Waldarbeitergehilfenzeit, die mit der Facharbeiterprüfung abzuschließen war. Eine berufliche Qualifikation, die im Regelfalle erst nach vier Jahre dauernder Ausbildung und Ablegung mehrerer Prüfungen erworben werden kann, steht der Berufsqualifikation eines Facharbeiters im Gewerbe oder Industrie nicht nach. Der Kläger ist daher mit seinem bisherigen Beruf als Waldfacharbeiter der oberen Gruppe des Schemas zuzuordnen.
Etwas anderes läßt sich auch nicht aus der Tatsache schließen, daß der Kläger bereits nach einer weniger als zwei Jahre dauernden Beschäftigung als Waldarbeiter beim Klosterforstamt Göttingen 1965 die Waldfacharbeiterprüfung abgelegt hat. Der Kläger ist - nur unter Berücksichtigung des Umstandes, daß er bereits in seiner Heimat von 1956 bis 1961 als Waldarbeiter tätig gewesen ist - auf Grund der für langjährig berufserfahrene Waldarbeiter geltenden Sonderbestimmungen zur Facharbeiterprüfung zugelassen worden. Nach Abschnitt IV Abs. 1 Unterabsatz f des Runderlasses des Niedersächsischen Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 19. November 1963 (Niedersächsisches Ministerialblatt S. 1014) können Waldarbeiter "mit mehr als drei Dienstjahren" zum Lehrgang auf die Vorbereitung zur Waldfacharbeiterprüfung zugelassen werden, wobei mit einer Sondergenehmigung Beschäftigungen außerhalb der Forstverwaltung des Landes Niedersachsen und des Allgemeinen Hannoverschen Klosterfonds berücksichtigt werden können (vgl. Abschnitt IV Abs. 4 Unterabsatz a/bb und Unterabsatz d aaO). Eine solche Genehmigung ist dem Kläger erteilt worden. Da der Kläger nur auf Grund langjähriger einschlägiger Berufserfahrung ohne Zurücklegung der Regelausbildung zur Waldfacharbeiterprüfung zugelassen worden ist, läßt sich aus der Art, wie er die Qualifikation für diesen Beruf erworben hat, nichts gegen dessen Einstufung in die obere Stufe des Schemas entnehmen.
Die tatsächlichen Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um entscheiden zu können, ob der Kläger nach alledem berufsunfähig ist. Das LSG hat sich darauf beschränkt, den Kläger auf Arbeiten der Lohngruppe VI (jetzt V) des Lohntarifvertrages für die Niedersächsische Metallindustrie vom 14. Dezember 1971 zu verweisen. Indessen kann nicht auf eine Lohngruppe, sondern nur auf bestimmte Tätigkeiten einer Lohngruppe verwiesen werden. Konkrete Feststellungen aber, welche Tätigkeiten der genannten Gruppe der Kläger nach seinen gesundheitlichen Kräften und nach seinen beruflichen Fähigkeiten noch verrichten kann, fehlen. Das Berufungsgericht selbst betont, daß der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht für alle Tätigkeiten der genannten Lohngruppe in Betracht kommt. Hinzu kommt, daß die Lohngruppe VI aaO Arbeiten betrifft, die "eine Anlernung und eine gewisse Fertigkeit und eine gewisse Übung und eine gewisse Erfahrung voraussetzen". Nach allem bedarf es der tatrichterlichen Feststellung, welche - ggf. auch berufsfremden - Tätigkeiten der oberen, der mittleren sowie welche herausragenden Tätigkeiten der unteren Gruppe des Schemas der Kläger in gesundheitlicher Hinsicht und nach seinem beruflichen Können noch verrichten kann. Deshalb war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG wird hierbei im Rahmen einer notwendig werdenden Prüfung, welche Tätigkeiten der unteren Gruppe des Schemas aus dem allgemeinen Bereich der ungelernten Tätigkeiten so positiv herausragen, daß sie die Verweisung eines Angehörigen der oberen Berufsgruppe auf sie für zumutbar erscheinen lassen, die einschlägige Rechtsprechung des erkennenden Senats zu berücksichtigen haben. Danach kommt es darauf an, ob diese Tätigkeiten in ihrer betrieblichen Bedeutung angelernten Tätigkeiten gleichstehen. Hierbei wird es vielfach von Bedeutung sein, ob sie ebenso wie diese tariflich eingestuft sind (Urteil des erkennenden Senats vom 24. Oktober 1975 - 5 RJ 35/75 -). Bei der Prüfung der Frage, welche Tarifverträge für die Ermittlung der Qualität bestimmter Berufe heranzuziehen sind, wird das LSG so zu verfahren haben, daß in erster Linie in dem für den Kläger in bezug auf seinen bisherigen Beruf (Hauptberuf) maßgebenden Tarifvertrag nachgeforscht wird. Falls sich hier keine für den Kläger in Betracht kommende Verweisungstätigkeit findet, sind insbesondere hinsichtlich der Höhe der tariflichen Einstufung vergleichbare andere Tarifverträge desselben Tarifbezirks heranzuziehen. Das LSG wird hierbei, wenn eben möglich, zunächst zu versuchen haben, Verweisungstätigkeiten zu finden, die dem Hauptberuf des Klägers verwandt sind; erst wenn sich solche Tätigkeiten nicht finden lassen, wird es andere Verweisungsberufe zu berücksichtigen haben.
Nach alledem war zu entscheiden wie geschehen und der Kostenausspruch der abschließenden Entscheidung vorzubehalten.
Fundstellen