Leitsatz (amtlich)
Im Bereich der Kriegsopferversorgung können Prozeßzinsen nicht gefordert werden.
Orientierungssatz
1. Zur Frage, wann in der Kriegsopferversorgung die Versorgungsleistungen fällig werden.
2. Zur Frage der Bildung von Gewohnheitsrecht im öffentlichen Recht.
3. Zur Frage der Heranziehung bürgerlich-rechtlicher Vorschriften auf öffentlich-rechtliche Verhältnisse.
Normenkette
BGB § 291 Fassung: 1896-08-18
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. März 1963 dahin abgeändert, daß auch die Klage auf Prozeßzinsen abgewiesen wird.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Mit Bescheid vom 29. Juni 1955 erkannte das Versorgungsamt (VersorgA) linksseitige an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit und Knochenveränderungen nach Kniegelenksprellungen rechts ohne Funktionsbeeinträchtigung als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von unter 25 v. H. an. Widerspruch und Klage (Urteil des Sozialgerichts - SG - vom 29. Mai 1957) blieben erfolglos. Im Berufungsverfahren machte der Beklagte folgendes Angebot:
Der Beklagte verpflichtet sich, zusätzlich zu den bereits anerkannten Schädigungsfolgen Bluthochdruck durch Nierenschädigung, hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 4 der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 bezw. des § 1 BVG anzuerkennen und dem Kläger für die gesamten Schädigungsfolgen bei Beachtung der Rechte aus § 1286 Reichsversicherungsordnung (RVO) vom 1. Januar 1949 ab Rente nach einer MdE um 30 v. H., vom 1. Juli 1958 ab nach einer MdE um 50 v. H. und vom 1. August 1962 ab nach einer MdE um 80 v. H. zu gewähren.
Der Kläger nahm dieses Anerkenntnis in der mündlichen Verhandlung vom 13. März 1963 an und beantragte im übrigen, unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts in Dortmund vom 29. Mai 1957 den Beklagten zur Zahlung von Zinsen nach der gemäß dem Anerkenntnis zu gewährenden Rente in Höhe von 4 % ab 1. Januar 1949 zu verurteilen.
Mit Urteil vom 13. März 1963 verurteilte das Landessozialgericht (LSG) den Beklagten, dem Kläger Zinsen in Höhe von 4 v. H. nach der entsprechend dem Anerkenntnis zu gewährenden Rente ab 4. November 1955 zu zahlen. Im übrigen wies es die Berufung zurück. Zur Entscheidung über den Zinsanspruch als einer Nebenschuld zur Beschädigtenrente seien die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach § 51 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zuständig. Die Erweiterung der Berufung um den Zinsanspruch sei nach § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG zulässig. Die Verurteilung zur Zahlung von Zinsen habe auch ohne vorausgegangenen Verwaltungsakt begehrt werden können. Ein Zinsanspruch für die Zeit vor Klageerhebung bestehe nicht, weil für das Vorverfahren nach § 291 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) keine Prozeßzinsen und im übrigen auch keine Verzugszinsen verlangt werden könnten. Dagegen sei der Anspruch auf Prozeßzinsen in Höhe von 4 v. H. ab Rechtshängigkeit, d. h. ab Klageerhebung, somit seit dem 4. November 1955 begründet. Nach §§ 291 Satz 1 und 2, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB sei eine fällige Geldschuld vom Eintritt der Rechtshängigkeit an mit 4 v. H. zu verzinsen. § 291 BGB enthalte einen auf dem Grundsatz von Treu und Glauben beruhenden allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im öffentlichen Recht gelte, soweit nicht Wesensunterschiede zum Zivilrecht dem entgegenstünden. Dieser Rechtsgedanke, daß der Schuldner seit der Klageerhebung unrechtmäßig gezogene Nutzungen zu erstatten habe, gelte auch in der Kriegsopferversorgung (KOV). Während des gerichtlichen Verfahrens sei die Verwaltung im Verhältnis zum Gläubiger grundsätzlich nicht anders gestellt als ein privat-rechtlicher Schuldner. Der Anspruch auf Prozeßzinsen bestehe unabhängig vom Rechtsgrund oder der Rechtsnatur der Hauptschuld. Das BVG enthalte nur Vorschriften über Hauptleistungen; daß es zu Zinsen als Nebenleistungen schweige, ändere nichts daran, daß mit dem Recht der KOV ein Anspruch auf Prozeßzinsen aus dem Gesichtspunkt der Entschädigung grundsätzlich vereinbar sei. Die Prozeßzinsen sollten den Gläubiger für die Vorenthaltung des geschuldeten Geldes entschädigen. Prozeßzinsen müßten wegen verzugsähnlicher Folgen gezahlt werden, die Verzugszinsen stellten einen echten Schadenersatz dar. Beschädigtenrente werde ebenfalls als Ersatz für einen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schaden gewährt. Da eine Geldschuld, von der Zinsen verlangt werden, nicht selbst auf einem Schadenersatzanspruch beruhen müsse, sei der Zinsanspruch in der KOV noch unbedenklicher zu bejahen; die Zinsen stellten gleichsam einen mittelbaren Schaden der Schädigung nach dem BVG dar, der durch den Ablehnungsbescheid entstanden sei. Für das Lastenausgleichsgesetz, das Altsparergesetz, das Bundesleistungsgesetz und das Bundesbaugesetz sei eine Verzinsung von Forderungen ausdrücklich vorgeschrieben; ein grundlegender Unterschied zum BVG bestehe insoweit nicht. Es gebe auch kein Gewohnheitsrecht, das die Verzinsung öffentlich-rechtlicher Forderungen nur dann zuließe, wenn sie ausdrücklich vorgeschrieben sei; § 81 BVG schließe den Zinsanspruch nicht aus. Der Anspruch richte sich gegen das Land; ob der Bund auch diesen Aufwand nach Art. 120 GG zu tragen habe, könne dahinstehen. Der Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen im Urteil vom 26. Mai 1961, die der Sicherung des Lebensunterhalts grundsätzlich dienende Hauptleistung pflege nicht gewinnbringend angelegt zu werden, könne nicht zugestimmt werden. Die Grundrente, die nicht der Bestreitung des Lebensunterhalts diene, könne sogar für eine wirtschaftliche Verwertung kapitalisiert, übertragen und gepfändet werden. Ausgleichsrente sei hier nicht streitig. Angebliche praktische Berechnungsschwierigkeiten der Zinsansprüche, die auch für privat-rechtliche Schuldverhältnisse gälten, müßten als sachfremd und mit rechts- und sozialstaatlichen Grundsätzen unvereinbar ausscheiden. Aus dem Schweigen der Reichsabgabenordnung über Prozeßzinsen könne für die KOV nichts hergeleitet werden. Als Zeitpunkt der Fälligkeit der Leistung müsse die Klageerhebung gelten, und zwar trotz des Umstandes, daß in der KOV der Anspruch erst in einem Bescheid festgesetzt und zahlbar gemacht werde. Fällig sei die Leistung in dem Zeitpunkt, in dem sie beginne (vgl. § 60 BVG); sie müßte spätestens mit dem ablehnenden Bescheid eintreten. Das LSG ließ die Revision zu.
Mit der Revision rügt der Beklagte Verletzung der §§ 1, 9, 86 BVG und 271, 291 BGB. Es sei davon auszugehen, daß mit dem angefochtenen Bescheid alle Ansprüche samt Nebenleistungen abgelehnt worden seien. Das LSG habe die Grundsätzliche Entscheidung des Reichsversorgungsgerichts (RVG) vom 18. November 1922 und das Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 28. April 1959 (BVBl 1959, 62) unberücksichtigt gelassen. Die Situation sei nach dem BVG nicht anders als diejenige, die das RVG 1922 veranlaßt habe, einen Zinsanspruch zu verneinen. Im Rundschreiben des BMA sei geltend gemacht worden, daß eine Fälligkeit der Versorgungsbezüge als Voraussetzung der Entstehung eines Zinsanspruches erst eintrete, wenn sie festgestellt seien. Dem sei zuzustimmen, da die Versorgungsverwaltung vorher keine Leistung erbringen könne. Das beklagte Land habe überhaupt keinen Nutzen aus vorenthaltenen Bezügen, da die Mittel vom Bund aufgebracht würden; auch dieser habe wohl keinen Nutzen gezogen, da die aufzubringenden Mittel aus Steuereinkommen entnommen und von Jahr zu Jahr im Etat festgestellt würden. Die Versorgungsverwaltung verfüge nicht wie ein Versicherungsträger über eigenes Vermögen. Als Massenverwaltung könne sie überdies nicht wie ein privater Schuldner behandelt werden. Wenn in anderen Gesetzen öffentlich-rechtlicher Art eine Verzinsung ausdrücklich vorgeschrieben sei, so müsse für die KOV der gegenteilige Schluß gezogen werden. Im BMA-Rundschreiben sei darauf hingewiesen, daß Versorgungsansprüche in der Praxis noch nie verzinst worden seien, Zinsen würden auch von Versorgungsberechtigten und den sie betreuenden Verbandsvertretern grundsätzlich nicht geltend gemacht. Mit Rücksicht auf die Entscheidung des RVG bestehe sonach ein Gewohnheitsrecht. Das Rechtsinstitut der Verzinsung entspringe letztlich nicht einer sozialen, sondern einer kapitalistischen Denkungsweise. Die Verzinsung müßte konsequenterweise auch für Rückforderungen der Verwaltung bejaht werden. Auch die Grundrente diene dem Lebensunterhalt.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des LSG abzuändern und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Dem Urteil sei zuzustimmen.
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG). Sie ist auch sachlich begründet.
Zutreffend hat das LSG die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zur Entscheidung über den Zinsanspruch für zuständig gehalten und darüber entschieden, obgleich über diese Nebenforderung kein gesonderter Verwaltungsakt ergangen und dieser Anspruch erst im Berufungsverfahren erhoben worden war (vgl. § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG und Urteil des BSG vom 16. Dezember 1964 - 12 RJ 526/64 -).
Das LSG hat einen Anspruch auf Verzugs zinsen abgelehnt. Da der Kläger keine Revision eingelegt hat, war nur zu prüfen, ob ihm Prozeß zinsen ab Klageerhebung, d. h. ab 4. November 1955, zustehen. Dies war zu verneinen.
Zu dieser Frage hat das BSG mit Urteil vom 16. Dezember 1964 - 12 RJ 526/64 - für den Bereich der Sozialversicherung entschieden, daß ein Anspruch des Leistungsberechtigten gegen den Versicherungsträger auf Prozeßzinsen nicht besteht. Dieser Entscheidung hat sich der 2. Senat des BSG im Urteil vom 25. Mai 1965 - 2 RU 122/64 - angeschlossen. Außerdem hat der 1. Senat des BSG im Urteil vom 22. September 1965 - 1 RA 285/62 - entschieden, daß der Sozialhilfeträger vom Träger der Rentenversicherung keine Prozeßzinsen fordern kann.
Mit diesen Urteilen ist der vom Senat zu treffenden Entscheidung nicht vorgegriffen, da das Gebiet der KOV ein von der Sozialversicherung unabhängiges Rechtsgebiet darstellt.
Auszugehen war von der Vorschrift des § 291 BGB, auf deren entsprechende Anwendung das LSG den Zinsanspruch gestützt hat. Sie bestimmt: Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritte der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 (Zinssatz 4 v. H.) und des § 289 Satz 1 (Verbot von Zinseszinsen) finden entsprechende Anwendung. Der Senat billigt die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, daß diese bürgerlich-rechtliche Vorschrift - jedenfalls grundsätzlich - auch im öffentlichen Recht Geltung beanspruchen kann, sofern der Zinsanspruch für bestimmte Arten von Geldforderungen durch Gesetz nicht anderweitig geregelt oder ausgeschlossen ist (vgl. BVerwG Band 7, 95, 97). Eine entsprechende Anwendung des § 291 BGB ist aber dann nicht zulässig, - insoweit ist dem LSG zuzustimmen - wenn Wesensunterschiede der einzelnen Rechtsgebiete zum Zivilrecht dem entgegenstehen (vgl. RVG 3, 82 ff; BGH in NJW 1962, 1012 und BGH in MDR 1962, 383; vgl. ferner hierzu BGHZ 10, 125, 127, 129; BVerwG Bd. 11, 314, 318; Bd. 14, 1 = DVBl 1962, 413; VGH Mannheim DVBl 1963, 372; Staudinger, Komm. zum BGB 10./11. Aufl. Anm. 8 zu § 291 BGB; Götz, DVBl 1961, 433 ff., 439; Eckert, DVBl 1962, 11, 19, 20; a. A.: Meier-Branecke, Archiv des öffentlichen Rechts, neue Folge, Bd. 11, 230, 278 ff., BGH vom 28. März 1958 = Lindenmaier-Möhring BEG § 169 Nr. 1, Bl. 696; vgl. ferner zur Soz. Vers. bezw. KOV: LSG Baden-Württemberg in Breithaupt 1960, 775, 778; Hessisches LSG, die Sozialversicherung 1961, 58; Martens, NJW 1965, 1703 ff.; Klink, Sozialversicherung 1961, 1; Wilke, Komm. zum BVG 2. Aufl., Anm. V zu § 66 BVG; Spielmeyer, Die Sozialgerichtsbarkeit 1963, 317, 318; Sander, KOV 1964, 23).
Eine öffentlich-rechtliche Forderung kann sonach, muß aber nicht verzinslich sein, wie es der BGH in NJW 1962, 1012 zutreffend ausgesprochen hat.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) (Bd. 7, 95) hat die sinngemäße Anwendung des § 291 BGB im öffentlichen Recht damit gerechtfertigt, es entspreche dem das gesamte Rechtsleben beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben, daß der Schuldner billigerweise dem Gläubiger für die Nutzungen Ersatz zu leisten habe, die er ihm während der Dauer des Prozesses vorenthalte; es wäre unbillig, wenn ein Schuldner dadurch, daß er sich verklagen lasse, während der Dauer des Prozesses aus der vorenthaltenen Leistung womöglich noch Nutzen ziehen könnte (aaO S. 97). Dieser allgemeine Gesichtspunkt reicht nicht aus, um - was der erkennende Senat für erforderlich hält - im Einzelfall feststellen zu können, ob in dieser Frage beachtliche Wesensunterschiede des jeweiligen öffentlich-rechtlichen Sachgebiets zum Zivilrecht bestehen und daher die grundsätzlich mögliche sinngemäße Anwendung des § 291 BGB wegen der insoweit bestehenden Unvereinbarkeit der beiden Rechtsgebiete auszuscheiden hat.
Darüber hinaus bestehen für den Bereich der KOV Bedenken, die Versorgungsverwaltung als einen nach Treu und Glauben zur Leistung verpflichteten Schuldner im Sinne des § 291 BGB anzusehen, der bestrebt sein könnte, während der Dauer des Prozesses aus der Vorenthaltung der Leistung Nutzen zu ziehen. Zutreffend weist der Beklagte in diesem Zusammenhang auch darauf hin, daß die Verwaltung in den Händen der Länder liegt, Träger der Kriegsfolgelasten aber der Bund ist (vgl. Art. 120 Abs. 1 GG). Es erscheint daher die Auffassung des LSG, der Beklagte habe seit der Klageerhebung "unrechtmäßig gezogene Nutzungen" zu erstatten, nicht gerechtfertigt, zumal angenommen werden kann, daß der öffentlichen Leistungsverwaltung das Profitdenken fern liegt. Unter diesen Umständen ist es bereits zweifelhaft, ob überhaupt ein echtes, dem bürgerlichen Recht vergleichbares Schuldner-Gläubigerverhältnis vorliegt, das es rechtfertigen könnte, die Verwaltungsbehörden der KOV, die pflichtgemäß den Sachverhalt durch umfangreiche Ermittlungen zu klären haben (vgl. RVG Bd. 3, 90), den privat-rechtlichen Schuldnern im Sinne des § 291 BGB gleichzustellen.
Unabhängig hiervon ist in Betracht zu ziehen, daß ein Anspruch auf Prozeßzinsen gemäß § 291 BGB nicht besteht, solange die Schuld nicht "fällig" ist. Wenn eine öffentlich-rechtliche Leistung nach den für sie maßgebenden Bestimmungen ohne Erlaß eines - positiven - Verwaltungsaktes nicht fällig werden kann, so entfällt schon aus diesem Grunde eine entsprechende Anwendung des § 291 BGB, weil eine Leistung - wenn nichts anderes ausdrücklich bestimmt ist - erst in dem Zeitpunkt fällig wird, in dem der Gläubiger sie verlangen kann (§ 271 Abs. 2 BGB, vgl. auch BVerwG 7, 95, 98 und Eckert aaO S. 20).
Das BVG enthält weder eine Bestimmung über Zinsen noch darüber, wann in der KOV die Versorgungsleistungen "fällig" werden. Das gleiche gilt für das VerwVG. Das LSG nimmt an, die Fälligkeit trete mit dem im Gesetz geregelten Beginn der Leistung (§ 60 BVG) ein. § 60 BVG, der bestimmt, daß die Beschädigtenversorgung mit dem Monat beginnt, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind, frühestens mit dem Antragsmonat, enthält jedoch nur die abstrakt-generellen Bestimmungen über den Leistungsbeginn, ohne damit die Fälligkeit zu regeln. Im Gegensatz zur Geltendmachung privat-rechtlicher Ansprüche kann derjenige, der glaubt, daß die gesetzlichen Voraussetzungen eines Anspruches auf eine öffentlich-rechtliche Leistung erfüllt seien, diese Leistung in der Regel nicht unmittelbar fordern und darauf klagen, vielmehr muß er zunächst die Verwaltung dazu veranlassen, den Sachverhalt aufzuklären, die Rechtsfragen zu prüfen und dann durch Bescheid aufgrund der abstrakt-generellen Vorschriften des Gesetzes seinen Einzelfall zu regeln (vgl. Urteil des BSG vom 4. Mai 1965 - 11 RA 356/64 -). Zur Frage des Anspruchs auf eine Leistung und ihrer Fälligkeit kann sonach grundsätzlich erst etwas ausgesagt werden, wenn der Bescheid der Verwaltungsbehörde vorliegt. Dies will auch das LSG wohl einräumen, wenn es ausführt, selbst wenn erst ein Feststellungsbescheid die Fälligkeit bewirke, könnte die derart eintretende Fälligkeit nicht durch einen ablehnenden Verwaltungsakt ausgeschlossen werden. Für die vorliegende Streitfrage kann es dahinstehen, ob die Leistung, wenn sie durch einen Verwaltungsakt bewilligt worden ist, erst mit ihrer Feststellung oder schon mit der Geltendmachung fällig wird (vgl. hierzu die oben zitierte Entscheidung des 11. Senats vom 4. Mai 1965 und BSG 21, 162 sowie BSG 19, 93, 96; für den Bereich der KOV: BSG 19, 88, 91, wo es heißt, rückständig seien die einzelnen Leistungen schon dann, wenn der Zeitpunkt eingetreten ist, zu dem sie hätten "gewährt" werden sollen, aber nicht "gewährt" worden sind). Hier ist mit dem angefochtenen Bescheid vom 29. Juni 1955 keine Rente bewilligt worden. Der Anspruch ist erst im Laufe des Berufungsverfahrens anerkannt worden, nachdem neue Gutachten positiv ausgefallen waren. Aber auch unabhängig hiervon genügt es, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß in der KOV der Fälligkeitszeitpunkt, der für den Anspruch auf Prozeßzinsen festzustellen wäre und der vor oder auch nach Klageerhebung liegen kann, nicht wie im Zivilrecht ohne weiteres bestimmbar ist. Diese Erwägung mag dazu beigetragen haben, daß in der KOV der Anspruch auf Zinsen, insbesondere auf Prozeßzinsen, kaum ernsthaft erwogen und darum auch gesetzlich nicht geregelt wurde. Dementsprechend weist Haueisen in DOK 1965, 201 ff nach Auffassung des erkennenden Senats zutreffend darauf hin, daß die Begriffe der "Entstehung des Anspruchs" und der "Fälligkeit", die vorwiegend für das Privatrecht entwickelt worden seien, für das öffentliche Recht jedenfalls insoweit nicht passen, als sie für die Regelung der von ihm erörterten "Verjährung" verwendet worden sind. Er schlägt vor, für das öffentliche Recht eine eigenständige Lösung zu schaffen und weder mit dem Begriff der Entstehung des Anspruchs noch der Fälligkeit zu arbeiten. Der Senat brauchte jedoch nicht zu entscheiden, ob die "Fälligkeit" der Geldschuld im Bereich der KOV erst im Zeitpunkt des Nachweises der Anspruchsvoraussetzungen (vgl. hierzu auch BGH in NJW 1962, 1012) bezw. in dem Zeitpunkt eintritt, in dem eine rechtskräftige Entscheidung vorliegt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Breith. 1960, 778) oder in dem wenigstens erstmals ein dem Beschädigten günstiges, später rechtskräftig werdendes Urteil ergeht oder hätte ergehen müssen. Denn der Senat ist zu dem Ergebnis gelangt, daß ein Anspruch auf Prozeßzinsen für das Gebiet der KOV durch Gewohnheitsrecht überhaupt ausgeschlossen ist.
Gewohnheitsrecht kann sich nicht nur auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts sondern auch im öffentlichen Recht, insbesondere im Verwaltungsrecht bilden (BSG 11, 128). Es entsteht durch langdauernde Übung, die durch Rechtsüberzeugung getragen wird. Dabei genügen eine kontinuierliche Praxis der Gerichte oder der Verwaltungsbehörden und eine feststehende wissenschaftliche Lehre allein nicht; es muß der bewußte Einklang mit den Rechtsanschauungen der Staatsbürger hinzutreten (vgl. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Bd., Allgem. Teil, 8. Aufl. S. 133; ferner BVerwG, Entscheidung vom 2. Dezember 1960 in JR 1961, S. 512, 516 und die dortigen Zitate). Es muß eine eindeutige, klare, langdauernde dementsprechende Übung und einhellige Rechtsüberzeugung aller beteiligten Kreise vorliegen (BSG 2, 287). An den Nachweis eines Gewohnheitsrechts müssen, zumal wenn es sich zu Ungunsten der Betroffenen durchsetzen soll, strenge Anforderungen gestellt werden. Die Tatsache einer mehrjährigen Verwaltungsübung allein ist nicht ausreichend, wenn in ihr nicht auch der Rechtsgeltungswille der Gemeinschaft zum Ausdruck kommt (BSG 3, 171; vgl. auch BSG 11, 90 und 20, 18). Andererseits bringen Gerichte oder Verwaltungsbehörden den Rechtsgeltungswillen als Organe der Gemeinschaft zum Ausdruck, wenn sie eine Vorschrift, die zu Zweifeln Anlaß gibt, ständig in einem bestimmten Sinne auslegen, ohne in den Kreisen der in Betracht kommenden Bevölkerung ernsthaften Widerspruch zu finden. Dabei muß im öffentlichen Recht die Rechtsübung nicht nur nach dem Willen der unmittelbar Beteiligten, sondern auch der Allgemeinheit Ausdruck geltenden Rechts sein (BSG 11, 128).
Die Frage, ob von Versorgungsgebührnissen Zinsen beansprucht werden können, ist in der Grundsätzlichen Entscheidung des Reichsversorgungsgerichts (RVG) vom 18. November 1922 ohne Einschränkung verneint worden (RVGE 3, 82 ff.). Das RVG hat hier unter Erörterung der Rechtsprechung des Reichsgerichts, des OLG Frankfurt sowie einiger Verwaltungsgerichtshöfe und Oberverwaltungsgerichte, des Reichsversicherungsamts und des Schrifttums ausgeführt, daß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Verzugs- und Prozeßzinsen von Zivilgerichten und einigen Verwaltungsgerichten auf öffentlich-rechtliche Ansprüche angewendet würden, daß andererseits der Badische Verwaltungsgerichtshof und das RVA eine solche Anwendung verneinten. Es gelangte zu dem Ergebnis, daß die Heranziehung der Vorschriften des bürgerlichen Rechts da ihre Grenze finde, wo die besondere Eigenart der öffentlich-rechtlichen Verhältnisse der Anwendung dieser Vorschriften entgegenstehe. Aus einem Schweigen des Gesetzgebers brauche die Absicht des Gesetzgebers, die Anwendung ähnlicher bürgerlich-rechtlicher Vorschriften auszuschließen, nicht notwendig gefolgert zu werden, sie könne aber gefolgert werden, wenn besondere Umstände auf eine solche Absicht schließen ließen. Auf dem Gebiet der Militärversorgung lasse sich die ergänzende Heranziehung dieser Vorschriften, wie schon die Entstehungsgeschichte der Versorgungsgesetze ergebe, angesichts der Arbeitslast der schon überbürdeten Versorgungsbehörden und deren mangelnden Verschuldens an verspäteter Feststellung weder mit der besonderen Natur der versorgungsrechtlichen Verhältnisse noch mit dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers vereinbaren. Dies gelte auch für den Anspruch auf Prozeßzinsen (aaO 90/91). Diese vor mehr als 40 Jahren ergangene grundsätzliche Entscheidung der obersten Rechtsprechungsinstanz für den Bereich der KOV brachte eine ganz eindeutige Regelung der strittigen Frage. Hiergegen ist, wie auch das zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangende Urteil des LSG Niedersachsen, in Breith. 1964, 876, 878, einräumt, soweit ersichtlich, ernsthafter Widerspruch nicht erhoben worden; vielmehr nimmt auch das LSG an, daß die Versorgungsberechtigten nach 1922 mit dieser Rechtsprechung gerechnet und sich ihr "gebeugt" haben. Dabei bezeichnet allerdings der Ausdruck "gebeugt" die seit 1922 bestehende Rechtsübung nicht zutreffend. Denn der große Kreis der Versorgungsberechtigten hätte bei einer entsprechenden Willensrichtung nicht nur wegen seiner bedeutenden Zahl, sondern auch mit Rücksicht darauf, daß er seine Interessen in den folgenden Jahren und Jahrzehnten durch KOV-Verbände wirksam hat vertreten lassen, durch überzeugende Darlegungen im Schrifttum und erneute Einlegung von Rechtsmitteln, durch Appelle an die Öffentlichkeit oder die politischen Organe oder durch sonstige geeignete Einflußnahme auf die Gesetzgebungskörperschaften des Reiches und des Bundes ggf. erreichen können, daß ein Anspruch auf Prozeßzinsen durch die Rechtsprechungsinstanzen oder notfalls gesetzlich anerkannt worden wäre. Wenn dies nicht geschehen ist und auch die Gesetzgebung des Reiches und des Bundes keinen Anlaß gesehen hat, von sich aus die Entscheidung des Reichsversorgungsgerichts zu revidieren, so muß hieraus geschlossen werden, daß die Entscheidung von 1922, die durch die Grundsätzliche Entscheidung des RVG vom 26. Februar 1936 (RVGE 12, 99, 103) bestätigt worden ist, der Rechtsüberzeugung des Reiches, des Bundes, der Verwaltungsbehörden, der Rechtsprechungsinstanzen und nicht zuletzt auch der großen Zahl der Versorgungsberechtigten entsprochen, zumindest daß sie für die folgenden Jahre und Jahrzehnte eine solche allgemeine einhellige Rechtsüberzeugung aller beteiligten Kreise begründet hat. Diese auch bei Anlegung strenger Maßstäbe sich ergebende einhellige Rechtsüberzeugung hat zu einer langdauernden Übung geführt, die zumindest bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Frage in der neueren Zeit wieder aufgeworfen worden ist - das LSG Niedersachsen nimmt insoweit aaO eine erneute Diskussion im wesentlichen für 1960 an - zur Bildung eines Gewohnheitsrechts geführt hat (ebenso: Sander KOV 1964, 23, 24; Spielmeyer aaO S. 318). Mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des RVG hat auch der BMA im Erlaß vom 12. April 1954 (BVBl S. 56) es demgemäß nicht für rechtens gehalten, bei der Rückforderung zu Unrecht empfangenen Versorgungsbezüge, selbst wenn der Empfänger arglistig gehandelt hat, Zinsen zu erheben. Im Erlaß vom 28. April 1959 (BVBl 62) hat er zutreffend angenommen, daß der Verzinsung von Versorgungsbezügen ein Gewohnheitsrecht entgegenstehe.
Die auf der Rechtsprechung des RVG basierende ständige Rechtsübung aller beteiligten Kreise ist als selbständige Rechtsquelle neben das Gesetzesrecht getreten. Die Gerichte entsprechen daher der ihnen durch Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 des Grundgesetzes (GG) auferlegten Bindung an Gesetz und Recht, wenn sie ihre Entscheidung auf eine solche zu Gewohnheitsrecht gewordene ständige Rechtsübung stützen (vgl. BSG 11, 128).
Das LSG Niedersachsen ist aaO der Auffassung, daß die Zeit bis 1939 nicht genüge, um die Bildung eines Gewohnheitsrechts annehmen zu können. Für diese Überlegung dürfte maßgebend gewesen sein, daß das RVG seine Tätigkeit 1939 beendete. Damals waren aber schon nahezu 17 Jahre seit der Entscheidung des RVG von 1922 vergangen. Das BSG hat in BSG 11, 126 ff. für einen ähnlichen Zeitraum (etwas über 16 Jahre) ebenfalls die Entstehung von Gewohnheitsrecht angenommen, das aufgrund der bis 1937 zurückgehenden ständigen Rechtsprechung des RVA bis zum Inkrafttreten des Fürsorgerechtsänderungsgesetzes vom 20. August 1953 anzuwenden gewesen sei. Darüber hinaus ist jedoch Kriegsopferversorgung auch in den Jahren nach 1939 und mit einer kurzen Unterbrechung auch nach dem Zusammenbruch bis heute weiter gewährt worden und sind auch die Rechtsprechungsinstanzen einige Zeit nach dem Zusammenbruch auf diesem Gebiet wieder tätig geworden. Es kann Martens nicht zugestimmt werden, wenn er aaO S. 1704 ausführt, bis zum Inkrafttreten des SGG am 1. Januar 1954 habe ein Anspruch auf Prozeßzinsen nicht entstehen können, weil durch Anrufung der Versicherungsämter, Oberversicherungsämter und des RVA keine Rechts-(Gerichts-)hängigkeit begründet worden sei; in diesen Verfahrensabschnitten habe man den Bereich der Verwaltung nicht verlassen. Abgesehen davon, daß im vorliegenden Fall eine Grundsätzliche Entscheidung nicht des RVA oder eines OVA, sondern des Reichsversorgungsgerichts vorliegt, muß auf die Vorschrift des § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG hingewiesen werden, wonach das LSG zur Zulassung der Revision verpflichtet ist, wenn es von einer Grundsätzlichen Entscheidung des RVA, des Reichsversorgungsgerichts, des Bayerischen Landesversicherungsamts (nach dem 8. Mai 1945) oder des Landesvers. Amts Württemberg-Baden abweicht. Damit hat das LSG diese früheren Entscheidungen der genannten Rechtsprechungsbehörden entweder zu beachten oder bei Abweichung die Revision zuzulassen, und zwar ähnlich wie dies in § 150 Nr. 1 SGG für das SG bei einer Abweichung von einem Urteil des ihm übergeordneten LSG vorgeschrieben ist. Diese Behörden waren nach der früheren Rechtsauffassung Gerichte. (Vgl. auch Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 2 b zu § 162 SGG, S. III/80 - 32 -, wo diese früheren Rechtsprechungsbehörden als die bis zum Inkrafttreten des SGG tätig gewesenen "obersten Gerichte" der Sozialversicherung und KOV bezeichnet werden). Schon deshalb ist es nicht angängig, hier von bloßen Verwaltungsentscheidungen zu sprechen. Der Senat hatte nicht zu entscheiden, ob bezw. inwieweit die früheren Rechtsprechungsbehörden nach Inkrafttreten des GG mit Rücksicht auf die Verfassungsgrundsätze der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) und der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) etwa nicht als Gerichte im strengen Sinne des GG anzusehen sind (vgl. BSG 21, 243), oder ob diesen Verfassungsgrundsätzen nicht schon in ausreichender Weise dadurch Rechnung getragen worden ist, daß der Gesetzgeber die früheren Rechtsprechungsinstanzen alsbald nach Inkrafttreten des GG umgestaltet und die Sozialgerichtsbarkeit geschaffen hat. Denn jedenfalls haben die Oberversicherungsämter und die beiden Landesversicherungsämter eine Rechtsprechung ausgeübt, die zumindest bei der Frage der Bildung von Gewohnheitsrecht, wo es auf die Rechtsüberzeugung aller Beteiligten ankommt, zu beachten ist. Der Einwand von Martens kann daher ebensowenig wie die oben erwähnte Auffassung des LSG Niedersachsen überzeugen.
Schließlich steht dem gewonnenen Ergebnis auch nicht entgegen, daß das BVerwG für den Bereich des allgemeinen Verwaltungsrechts zur gleichen Rechtsfrage die Bildung von Gewohnheitsrecht verneint hat. Denn im Gegensatz zu dem in der KOV bestehenden Rechtszustand haben die Gerichte der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit, wie in BVerwG Bd. 7, 95, 96 dargelegt ist, schon seit Jahrzehnten einen Anspruch auf Verzinsung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen (Verzugszinsen) anerkannt. In der Entscheidung sind u. a. Urteile von 1906, 1918, 1930, 1953, 1955 und 1956 erwähnt. Das BVerwG hat sonach für den Bereich des allgemeinen Verwaltungsrechts die Bildung eines gegenteiligen Gewohnheitsrechts verneinen können (aaO S. 97).
Somit steht dem Anspruch auf Prozeßzinsen im Bereich der KOV ein Gewohnheitsrecht entgegen, das diesen Anspruch ausschließt. Daher brauchte nicht weiter erörtert zu werden, welche sonstigen Gründe etwa gegen die Zubilligung eines solchen Anspruchs sprächen (vgl. insoweit die im Urteil des 12. Senats des BSG angestellten, von Martens aaO bekämpften Erwägungen, oder die sich aus den §§ 86 Abs. 3, 97 und 54 Abs. 1 sowie 130 Satz 2 SGG ergebenden Gesichtspunkte, auf die der BMA in BVBl 59, 62 hingewiesen hat).
Nach alledem ist der Anspruch des Klägers auf Prozeßzinsen nicht begründet, weshalb das Urteil des LSG abzuändern und die Klage auf Prozeßzinsen - nach Annahme des Anerkenntnisses - abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen