Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschiedenenwitwenrente. Unterhaltsanspruch. Leibrentenversprechen

 

Orientierungssatz

1. Die Schwelle der ins Gewicht fallenden Unterhaltsleistung bei der Hinterbliebenenrente an geschiedene Ehefrauen erfordert einen absoluten Grenzwert in Form des Prozentsatzes. Mit der Anknüpfung an den Regelsatz der Sozialhilfe ist Basis des Grenzwertes eine sich zwar in gewissen Zeitabständen verändernde aber mit Blick auf die gebotene Gleichbehandlung verläßliche Größe. Zu fordern ist daher, daß Unterhaltsanspruch- oder Leistung mindestens 25 vH des Regelsatzes ausmachen.

2. In der Erklärung zur Zahlung einer monatlichen Unterhaltsrente ist gewöhnlich ein deklaratorisches Anerkenntnis zu sehen, nur ausnahmsweise handelt es sich um ein Leibrentenversprechen.

 

Normenkette

RVO § 1265 S 1 Fassung: 1957-02-23; EheG § 61 Abs 2, § 63; BGB § 759 Fassung: 1896-08-18

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 17.12.1981; Aktenzeichen L 10 J 215/81)

SG Stade (Entscheidung vom 21.05.1981; Aktenzeichen S 5 J 187/80)

 

Tatbestand

Die Klägerin beansprucht Hinterbliebenenrente gemäß § 1265 Reichsversicherungsordnung (RVO) aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes, der am 11. Juni 1979 verstorben ist.

Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten wurde durch Urteil vom 13. Oktober 1949 ohne Schuldausspruch geschieden. Zuvor hatte sich ihr damaliger Ehemann in einer notariellen Urkunde vom 29. August 1949 verpflichtet, der Klägerin eine Unterhaltsrente von 60,- DM monatlich zu zahlen. Dieser Verpflichtung kam er bis zu seinem Tode nach. Er bezog von der Beklagten Rente in Höhe von zuletzt 1.041,50 DM, die ihm zusammen mit einem Beitragszuschuß zur Krankenversicherung von 37,50 DM an seinen letzten Wohnsitz in den USA gezahlt wurden. Die Beigeladene, mit der der Versicherte im November 1949 die Ehe geschlossen hatte, erhält aus der deutschen Angestelltenversicherung Rente deren Zahlbetrag sich im Jahre 1979 auf monatlich 356,40 DM belief. Von der Beklagten bezieht die Beigeladene nun Witwenrente.

Das Renteneinkommen der Klägerin betrug 1979 monatlich 146,10 DM. Daneben erhielt sie 18,- DM monatlich Wohngeld und wurde nach ihren Angaben von ihrer Tochter unterstützt. Den im September 1979 von der Klägerin gestellten Antrag, ihr Hinterbliebenenrente nach § 1265 RVO zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. August 1980 ab, weil der vom Versicherten gezahlte Betrag von 60,- DM nicht geeignet sei, die begehrte Rentenzahlung auszulösen.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21. Mai 1981). Auch die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung seiner Entscheidung vom 17. Dezember 1981 im wesentlichen ausgeführt, zwar habe sich der Versicherte verpflichtet, der Klägerin eine Unterhaltsrente in Form einer Leibrente zu zahlen, der Betrag von 60,- DM sei aber nicht als Unterhalt iS des § 1265 Satz 1 RVO anzusehen. Die Leistung des Versicherten habe nicht 25 vH des Mindestbedarfs der Klägerin ausgemacht. Dieser habe kein höherer Unterhaltsanspruch aus dem Leibrentenversprechen zugestanden, dessen Inhalt eine Aufbesserung der Leibrente nicht zugelassen habe. Mangels einer Vereinbarung über eine Anpassung der Leistung habe die Klägerin auch keinen höheren Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann aus dem dem Leibrentenversprechen zugrundeliegenden Grundgeschäft gehabt. Ein Unterhaltsanspruch nach § 61 Ehegesetz (EheG), bei dem die unterhaltspflichtige Tochter der Klägerin zu berücksichtigen sei, habe ebenfalls nicht in Höhe von mehr als 60,- DM gegen den Versicherten bestanden.

Die Klägerin hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie trägt vor, da der maßgebende Regelsatz der Sozialhilfe im Jahre 1979 monatlich 297,- DM betragen habe, erforderten 25 vH dieses Satzes zwar 74,25 DM, und 60,- DM seien nur 20,2 vH des Regelbedarfes. Die Differenz von rund 14,- DM sei aber geringfügig und halte sich noch im Rahmen des Wertes von etwa 25 vH.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der angefochtenen Urteile die Beklagte zu verurteilen, Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des geschiedenen Ehemannes zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und ist der Ansicht, eine Änderung der Rechtsprechung hinsichtlich der für den Unterhalt nach § 1265 RVO maßgebenden 25 vH des Mindestbedarfs könne sich auf diesen Rechtsstreit nicht auswirken.

Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Hinterbliebenenrente gemäß § 1265 Satz 1 RVO aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes steht der Klägerin nicht zu. Da eine Witwenrente zu gewähren ist, kann Satz 2 der genannten Vorschrift hier nicht angewendet werden.

Die Verpflichtung des Versicherten aus der notariellen Urkunde vom 29. August 1949, der Klägerin eine monatliche Unterhaltsrente von 60,- DM zu zahlen, kann - entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) - eine losgelöst von einem unmittelbar aus dem EheG heranzuziehenden Gesichtspunkt bestehende Verpflichtung zur Unterhaltsleistung aus "sonstigen Gründen" gemäß § 1265 Satz 1 RVO sein (vgl BSGE 42, 60, 61 = SozR 2200 § 1265 Nr 17; SozR aaO Nr 34). Das trifft auch dann zu, wenn diese Urkunde - wie das LSG meint - ein Leibrentenversprechen enthält (vgl BSGE 46, 16, 17 = SozR aaO Nr 31). Diese Verpflichtung hat der Versicherte erfüllt, so daß er iS der 3. Möglichkeit des § 1265 Satz 1 RVO tatsächlich im letzten Jahr vor seinem Tod Unterhalt geleistet hat.

Die Zahlungen von 60,- DM monatlich können nicht zur Rentengewährung an die geschiedene Ehefrau des Versicherten führen, weil dieser Betrag im Jahre 1979 nicht für eine ins Gewicht fallende Unterhaltsleistung ausreichte, durch die die Lebenshaltung der Klägerin merklich verbessert worden ist. Zwar hat der Senat im Urteil vom 12. Mai 1982 - 5b/5 RJ 30/80 - die bisherige Rechtsprechung des BSG zu den Anforderungen an eine Unterhaltsleistung iS des § 1265 Satz 1 RVO teilweise aufgegeben. Nunmehr genügt es, wenn der Unterhaltsanspruch oder die tatsächliche Unterhaltsleistung mindestens 25 vH des zeitlich und örtlich maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe ausmacht. Kosten der Unterkunft sind in diesem Zusammenhang nicht mehr zu berücksichtigen. Die vom Versicherten aus "sonstigem Grund" geschuldeten und tatsächlich gezahlten 60,- DM monatlich erreichen aber nicht 25 vH des vom LSG unangegriffen festgestellten Regelsatzes von 297,- DM monatlich.

Im Gegensatz zu der mit der Revision vertretenen Ansicht sieht der Senat selbst ein geringfügiges Unterschreiten dieses Grenzwertes von 25 vH des Regelsatzes der Sozialhilfe nun als schädlich für den Rentenanspruch aus § 1265 Satz 1 RVO an. Mit der Verringerung und der Harmonisierung der Anforderungen an den Unterhalt im Sinne der genannten Vorschrift ist es erforderlich geworden, die erwähnten 25 vH als absoluten Grenzwert zu handhaben und exakt einzuhalten. Wie der Senat in der Entscheidung vom 12. Mai 1982 aufgezeigt hat, bedeuten die Entwicklung der Kosten auf dem Wohnungsmarkt und die erheblich differierenden Aufwendungen für Unterkunft ein Element des Zufalls, das die Gleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte bei den Rentenansprüchen geschiedener Frauen stören könnte. Von daher gesehen mögen Korrekturen mit Hilfe einer nicht starren Handhabung der Grenze von 25 vH angebracht gewesen sein (vgl Urteil des Senats in SozR 2200 § 1265 Nr 51). Die jetzt niedriger angesetzte Schwelle der ins Gewicht fallenden Unterhaltsleistung bei der Hinterbliebenenrente an geschiedene Ehefrauen erfordert einen absoluten Grenzwert in Form des Prozentsatzes. Mit der Anknüpfung an den Regelsatz der Sozialhilfe ist Basis des Grenzwertes eine sich zwar in gewissen Zeitabständen verändernde aber mit Blick auf die gebotene Gleichbehandlung verläßliche Größe. Zu fordern ist daher, daß Unterhaltsanspruch oder -leistung mindestens 25 vH des Regelsatzes ausmachen.

Das LSG hat die einseitig am 29. August 1949 in der notariellen Urkunde vom Versicherten abgegebene Erklärung, er verpflichte sich, an die Klägerin eine monatliche Unterhaltsrente von 60,- DM zu zahlen, als Leibrentenversprechen iS des § 759 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) angesehen. Gewöhnlich ist allerdings in derartigen Erklärungen ein deklaratorisches Anerkenntnis zu sehen, und nur ausnahmsweise handelt es sich um ein Leibrentenversprechen (vgl Göppinger, Unterhaltsrecht, 4. Aufl 1981, Rz 1604). Es kann hier jedoch unentschieden bleiben, ob insoweit die rechtliche Beurteilung des LSG zutreffend ist. Muß von einer Leibrente ausgegangen werden, so ist die Rentengewährung losgelöst von der Bedürftigkeit auf Seiten der Klägerin und der Leistungsfähigkeit auf Seiten des Versicherten. Nach den Feststellungen des LSG ist zwischen der Klägerin und ihrem früheren Ehemann keine Wertsicherungsklausel oder ein sonstiger Maßstab für eine Rentenerhöhung vereinbart worden. Deshalb kann aus einem Leibrentenversprechen kein höherer Unterhaltsanspruch als 60,- DM monatlich hier hergeleitet werden.

Aus dem Grundgeschäft, das im Zusammenhang mit der einseitig abgegebenen, am 29. August 1949 notariell beurkundeten Erklärung des Versicherten gesehen werden muß, kann sich ein höherer Unterhaltsanspruch als 60,- DM monatlich ebenfalls nicht ergeben. Sollte dieses Grundgeschäft die Verpflichtung zur Bestellung einer Leibrente zum Inhalt haben, so fehlt es an einer entsprechenden Vereinbarung. Handelt es sich um einen Unterhaltsvertrag, so bieten die von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG jedenfalls keine Handhabe, dem Versicherten mehr als die gesetzlichen Unterhaltspflichten abzuverlangen. Ausgehend von dem für die Klägerin günstigsten Fall eines Vertrages über die ihr nach dem EheG zustehenden Unterhaltsansprüche kann ihr die beantragte Hinterbliebenenrente nicht zuerkannt werden. Da die Scheidung ohne Schuldausspruch erfolgt ist, hat nach § 61 Abs 2 EheG der Ehegatte, der die Scheidung verlangt hat, dem anderen Unterhalt zu gewähren, wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten und der nach § 63 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten des Berechtigten der Billigkeit entspricht. Zwar ist diese Vorschrift mit Ablauf des 30. Juni 1977 für die danach ergehenden Ehescheidungsurteile außer Kraft getreten; sie ist aber weiterhin anzuwenden, wenn die Ehe vorher geschieden wurde (Art 12 Nr 3 Abs 2 des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts - 1. EheRG - vom 14. Juni 1976, BGBl I 1421). Die Rechtsprechung des BSG (vgl Urteil des 5a Senats vom 24. November 1982 - 5a RKn 21/81 - mwN), wonach bei Unterhaltsansprüchen aus den §§ 60, 61 Abs 2 EheG eine womöglich aus § 63 Abs 1 Satz 3 EheG herzuleitende Unterhaltspflicht der Verwandten außer Betracht zu bleiben hat, gilt nur für Hinterbliebenenrenten nach § 1265 Satz 2 RVO und ist auf Satz 1 dieser Vorschrift nicht zu übertragen. Im Rahmen dieses Satzes 1 des § 1265 RVO ist nämlich ein entsprechendes Leistungsvermögen auf Seiten des Versicherten nicht zu unterstellen, vielmehr kommt es insoweit auf die tatsächlich vorhandenen Erwerbs- und Vermögensverhältnisse an.

Das LSG ist im Falle der Klägerin unangegriffen davon ausgegangen, daß der Versicherte während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor seinem Tode lediglich über eigenes Renteneinkommen in Höhe von 1.041,50 DM verfügt hat und die Beigeladene über eine Rente von 356,40 DM. Da von diesen Einkünften die an die Klägerin gezahlten 60,- DM abgezogen werden müßten, seien dem Versicherten und der Beigeladenen mithin 1.337,90 DM monatlich verblieben. Das LSG hat keinerlei Feststellungen darüber getroffen, ob der Versicherte und die Beigeladene daneben noch andere Einnahmen hatten, etwa aus Leistungen der Sozialversicherung in den USA. Da das Urteil des LSG insoweit nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen wird, mußte der Senat von den festgestellten Einkünften des Versicherten und der Beigeladenen ausgehen (§ 163 SGG). Berücksichtigt man mit dem LSG auf Seiten der Klägerin neben deren Rente von monatlich 146,10 DM und der Unterhaltsrente des Versicherten von 60,- DM auch das Nettoeinkommen der unterhaltspflichtigen Tochter von 1.267,- DM monatlich, dann führt die zu treffende Billigkeitsentscheidung nicht zu einem höheren gesetzlichen Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren geschiedenen Ehemann. Die demnach unbegründete Revision der Klägerin mußte zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1661396

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